Schockierende Bilder zeigen Isolierstation für Corona-Kranke in griechischem Flüchtlingslager

    Videos zeigen verdreckte Toiletten und zerbrochene Waschbecken, feuchte Matratzen und verdorbenes Essen, Ratten und Kakerlaken – und kranke Menschen, die auf dem Boden schlafen müssen.

    Im EU-Flüchtlingslager Vathy auf der griechischen Insel Samos werden Corona-Infizierte unter lebensbedrohlichen Bedingungen isoliert. Das geht aus Videos von Menschen hervor, die in der Isolierstation für Corona-Erkrankte untergebracht sind.

    Das Material wurde von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" veröffentlicht. Es soll erst vor wenigen Tagen aufgenommen worden sein.

    Die Bilder zeigen verdreckte Toiletten, zerbrochene Waschbecken, Müll und Abfall. Kranke Menschen liegen auf dem Boden oder auf feuchten Matratzen. In den Unterkünften gibt es Kakerlaken und Ratten. An den Wänden der Wohncontainer ist Schimmel, das Essen ist verdorben.

    Zwischen den Containern und kranken Menschen spielen kleine Kinder. Kaum jemand trägt Schutzmasken.

    So sieht es in der Isolierstation für Corona-Erkrankte im EU-Flüchtlingslager auf Samos aus.

    Zwischen Wohncontainern steht das Abwasser, darin schwimmt Müll, es wimmelt von Ratten. Links: Kranke Menschen, die in der Isolierstation auf dem Boden schlafen müssen: Der Boden hat große Löcher, Feuchtigkeit dringt ein.

    "Die Menschen sind in schmutzigen Containern eingesperrt, die meisten müssen auf dem Boden schlafen, in dem oft Löcher klaffen. Bei einigen funktioniert die Wasserversorgung nicht, andere haben keine Toiletten. Oft ist das Essen schlecht. Mütter mit neugeborenen Kindern und mindestens ein Mann, der gerade eine Operation hinter sich hatte, müssen unter diesen Bedingungen auf dem Boden schlafen", berichtet Faris Al-Jawad von "Ärzte ohne Grenzen".

    Das Flüchtlingslager Vathy auf der Insel Samos war 2015 als sogenannter EU-Hotspot für 650 Menschen eingerichtet worden. Zuletzt lebten rund 4.400 Menschen dort. Ende 2020 hätte es eigentlich aufgelöst werden sollen. "Ärzte ohne Grenzen" zufolge sind für die Gesundheitsversorgung lediglich zwei Militärärzte und drei Krankenpfleger*innen vor Ort.

    Am 15. September wurden zwei Geflüchtete in Vathy positiv auf das Corona-Virus getestet. Mittlerweile gibt es schon mehr als 100 positive Corona-Fälle.

    Die Menschen sagen, sie gehen nicht zum Arzt, um nicht in die Isolierstation zu müssen

    Eine Isolierstation für Corona-Erkrankte sollte verhindern, dass sich das Virus in den engen und unhygienischen Bedingungen des EU-Flüchtlingslagers oder unter der Bevölkerung auf der Insel weiter ausbreiten kann.

    Die jetzt veröffentlichten Bilder zeigen nun allerdings unmenschliche und unhygienische Bedingungen, die keinen Schutz bieten. Und mehr noch: Die Menschen berichteten "Ärzte ohne Grenzen", sie würden sich bei Symptomen nicht bei Ärzten melden, um nicht in die Isolierstation zu müssen.

    Man wisse von mindestens 40 Familien mit mehreren Personen, die zur Covid-19-Risikogruppe gehören, und für die es vor Ort keinen Schutz vor Ansteckung gebe, so Faris Al-Jawad von "Ärzte ohne Grenzen".

    Hanan Kinder lebt in der Isolierstation. Sie erzählt von Ratten und Ungeziefer. In einem der nun veröffentlichten Videos sagt sie: "Ich bin im dritten Monat schwanger. Ich habe Asthma. (...) Wir schlafen auf dem Boden. Der Boden unserer Wohncontainer ist überall kaputt, überall sind Kakerlaken und Müll."

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    Die Behörden schweigen.

    BuzzFeed News hat dem griechische Kommunikations- und dem griechischen Migrations-Ministerium, der Europäischen Kommission, dem Europarat, der Weltgesundheitsorganisation WHO, dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, der Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen und, da Deutschland derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, auch der Bundesregierung die Videos und Schilderungen vorgelegt – und um Beantwortung dieser vier Fragen gebeten:

    • Ob die "Isolierstation" die gesundheitlichen und hygienischen Bedingungen für Corona-Infizierte und den Schutz noch nicht Infizierter bietet?
    • Wie darauf reagiert werden soll, dass in Vathy die Gesundheit und Leben von Menschen in Gefahr sind, die sich in Obhut der EU befinden?
    • Ob im Zusammenhang mit COVID19 Todesfälle in den EU-Hotspots bekanntgeworden sind?
    • Und ob die beschriebenen und gezeigten Umstände im Einklang mit internationalen Verträgen und Konventionen, wie z.B. der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention stehen?
    Links: Betten ohne Matratze stehen in einem feuchten Wohncontainer, an den Wänden ist Schimmel. Rechts zu sehen: Ratten, die sich im ganzen Lager und auch in den Wohnbereichen und der Isolierstation verbreiten.

    Sowohl das griechische Kommunikations- als auch das Migrations-Ministerium antworteten nicht auf die Fragen von BuzzFeed News zu den Zuständen in Vathy. Auch der Europarat – zuständig für die Europäische Menschenrechtskonvention und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – reagierte auf mehrere Anfragen nicht.

    Für die deutsche Bundesregierung antwortete das Auswärtige Amt, man wisse "um die äußerst schwierige und angespannte humanitäre Situation im vielfach überbelegten" Lager Vathy auf Samos und arbeite daran, "die humanitäre Lage auf den griechischen Inseln zu verbessern", stelle Hilfsgüter bereit und habe zugesagt, Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen. "Wir wollen unsere verbliebene Zeit als EU-Ratspräsidentschaft dazu nutzen, Kompromisse für Reformen der europäischen Migrations- und Asylpolitik innerhalb der EU zu voranzutreiben", so ein Sprecher. Auf die konkreten Fragen antwortete das Ministerium auch auf Nachfrage nicht.

    Die Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen wurde deutlicher: "Die IOM kann bestätigen, dass das Lager ernsthaft überbelegt und die Bedingungen minderwertigen sind", so ein Sprecher auf Anfrage von BuzzFeed News. Die Gesundheitsversorgung müsse dringend aufrechterhalten und verbessert werden, "damit die Würde, die Rechte und die Gesundheit eines jeden Menschen gewahrt werden."

    Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR antworteten nicht konkret auf die übersandten Fragen. IOM, UNHCR und WHO erklärten, man nehme die Lage in den griechischen Lagern ernst, habe die griechischen Behörden mit Personal und Ausstattung unterstützt, fordere geeignete Sicherheitsmaßnahmen, die die Gesundheit der Menschen vor Ort sicherstellen und helfe dabei, Menschen aus den Lagern heraus anderswo unterzubringen. So habe der UNHCR damit begonnen, Hotels und Apartments anzumieten, um Geflüchtete dort unterzubringen.


    "Es ist unmöglich, uns zu schützen..."

    Auch wer nicht in der Isolierstation, sondern im Lager selbst lebt, sieht sich mit schwierigsten Bedingungen konfrontiert. Eine der Bewohnerinnen ist Oumaima Alhabib. Sie ist 52 Jahre alt und aus Syrien geflohen. Seit einem Jahr lebt sie mit ihrer Familie in Vathy. Ihre Kinder sind elf, 14 und 18 Jahre alt.

    Seitdem das Virus im Lager ausgebrochen ist, ist alles noch viel schwieriger, erzählt sie: "Ich bleibe im Zelt, obwohl das voller Ratten und Schlangen ist, aber wenigstens komme ich hier nicht in Kontakt mit kranken Menschen oder muss mit ihnen in einem Container sein."

    Eine Bombe habe ihr Haus in Syrien getroffen und ihre 19-Jährige Tochter getötet, da seien sie geflohen. Drei Monate seien sie auf der Flucht gewesen, mehrfach bei dem Versuch, aus der Türkei nach Griechenland zu kommen, inhaftiert worden. Nach 12 Stunden auf dem offenen Meer hätten sie es schließlich nach Griechenland geschafft.

    "Wir dachten, in Europa könnten wir uns ein neues Leben aufbauen. Aber was wir hier fanden, war schockierend. Wir sind gut ausgebildet, mein Mann und ich waren Lehrer in Syrien. Wir sind eine Familie, die alles verloren hat, und hier nur einen sicheren Platz und Bildung für unsere Kinder finden wollten."

    Doch die Hoffnung habe sie aufgegeben. "Ich habe immer versucht, meine Kinder zu motivieren. Ich habe ihnen gesagt, eines Tages würden wir wieder in einem Haus leben und sie würden zur Schule gehen. Aber es ist unmöglich, sie davon überzeugen, wenn wir hier seit einem Jahr in diesem Lager stecken."

    Ihre Kinder hätten psychische Probleme, wie sie selbst auch. "Mein Elfjähriger ist die ganze Zeit ängstlich und wird immer aggressiver. Vor drei Tagen sagte er, er wolle sich im Meer ertränken."

    "Alles, was wir wollten und immer noch wollen, ist Gesundheit und ein sicherer Platz. Stattdessen haben wir hier Angst vor COVID-19. Unter diesen Bedingungen, in denen wir hier leben, ist es unmöglich, uns zu schützen oder uns zu isolieren", sagt Oumaima.

    Sie selbst hat Asthma, ihr Mann Herz- und Kreislaufprobleme. Beide zählen zur Risiko-Gruppe. Eine Corona-Infektion könnte für sie lebensgefährlich werden. In die Isolierstation wollen auch sie nicht gehen.