Die Ausbeuter

Die wichtigste Naturschutzorganisation der Welt steht unter dem Einfluss von Trophäenjägern und der Modeindustrie. Unter dem Deckmantel des Artenschutzes boomt das Milliardengeschäft mit bedrohten Tierarten.

    Die Ausbeuter

    Die wichtigste Naturschutzorganisation der Welt steht unter dem Einfluss von Trophäenjägern und der Modeindustrie. Unter dem Deckmantel des Artenschutzes boomt das Milliardengeschäft mit bedrohten Tierarten.

    Ein mächtiger Naturschützer, der mit einem Jagdgewehr posiert. Ein Abteilungsleiter einer deutschen Behörde, der nach seiner Pensionierung in Europas mächtigsten Lobbyverband für Trophäenjäger wechselt. Ein Artenschutz-Experte, der die chinesische Regierung dafür preist, dass sie den Handel mit Körperteilen von Tigern und Nashörnern wieder erlaubt.

    Die drei Männer haben eines gemeinsam: Sie vertreten die Ansicht, dass Trophäenjagd gut für den Artenschutz ist. Und noch etwas: Sie sind alle Mitglieder in der Weltnaturschutzunion IUCN. Der Organisation, welche die sogenannte „Rote Liste“ herausgibt.

    Wer an die „Rote Liste“ denkt, geht davon aus: Hier haben unabhängige Experten gearbeitet, um möglichst viele Tiere zu schützen. Mehr als 30.000 bedrohte Tier- und Pflanzenarten stehen derzeit auf der Liste, mit Daten über Bestände und ihre Verbreitungsgebiete.

    Doch Recherchen von BuzzFeed News zeigen: Die Industrie arbeitet seit Jahrzehnten daran, die Weltnaturschutzunion IUCN zu beeinflussen – und dadurch das Milliardengeschäft mit bedrohten Tierarten auszuweiten. Es geht um Interessenkonflikte und Kontakte leitender Mitglieder in die Trophäenjagd oder zu Herstellern von Luxusmode. Es geht um handelskritische Artenschützer, die aus Fachgruppen ausgeschlossen werden. Es geht um Auftragsforschung und interne Konflikte.

    Eine Pressesprecherin der IUCN schreibt auf Anfrage von BuzzFeed News, dass die demokratische Struktur der Organisation garantiere, dass Entscheidungen nicht unangemessen beeinflusst werden. Alle 1300 Mitgliedsorganisationen seien vor der Aufnahme geprüft worden.

    14 Monate Recherche – Im Podcast spricht unser Reporter über seine Arbeit an diesem Text:


    Die IUCN ist wegen ihres enormen Einflusses auf den globalen Tierhandel mit keiner anderen Naturschutzorganisation der Welt vergleichbar. Die NGO führt nicht nur die Rote Liste, sie berät mit ihrem globalen Netzwerk aus 15.000 Experten auch die Weltartenschutzkonferenz der Vereinten Nationen. Dort stimmen Ländervertreter alle drei Jahre darüber ab, welche bedrohten Tiere in welchem Umfang gehandelt werden dürfen. Es geht um ein jährliches Handelsvolumen von mehreren Hundert Millionen Euro. Für die Lebensmittelindustrie etwa, aber auch für Modelabels, die massenweise Häute von gefährdeten Pythons, Krokodilen, Echsen und Kaimanen kaufen – und Pelze von geschützten Tierarten verarbeiten.

    Auch Trophäenjäger fiebern auf die Ergebnisse der Weltartenschutzkonferenz hin. Zuletzt wurden weltweit etwa 1,7 Millionen Jagdtrophäen in einem Jahrzehnt gehandelt, schreibt der Internationale Tierschutzfonds IFAW – allein 200.000 sollen von gefährdeten Tierarten stammen. Selbst die deutsche Bundesregierung fördert Geschäfte mit Jagdtrophäen: Seit 2006 hat Deutschland mehr als 250 Millionen Euro an Projekte gezahlt, die auf Trophäenjagd setzen, damit Menschen in ländlichen Regionen afrikanischer Länder eine Einkommensquelle haben.

    Nach Recherchen von BuzzFeed News fließt viel Geld von Trophäenjägern und Herstellern von Luxusmode direkt an Organisationen, an deren Spitze leitende IUCN-Mitglieder stehen. „Die IUCN gilt als weltweit oberste Instanz für Wissenschaft und Artenschutz, aber wenn man sich ansieht, wer hier als Mitglied Einfluss nimmt, dann muss man hinterfragen, ob dieser Status noch gerechtfertigt ist“, sagt die Biologin Daniela Freyer von der deutschen Organisation Pro Wildlife.

    Es stellt sich die Frage: Wie neutral und unabhängig kann eine Weltnaturschutzunion sein, wenn es zahlreiche finanzielle Verstrickungen mit der Wirtschaft gibt?


    POTENTIELLE INTERESSENKONFLIKTE

    Beispiel eins: Der australische Biologe Julian Fennessy ist Vorsitzender der IUCN-Fachgruppe für Giraffen und Okapis. Fenessy ist gleichzeitig Direktor der NGO „Giraffe Conservation Foundation“ (GCF) mit Sitz in Namibia. Die Jahresberichte auf der Website der Stiftung zeigen: Trophäenjäger gehören zu den größten Sponsoren der Organisation. Als Großspender in der Kategorie „50.000 Dollar oder mehr“ ist die „Dallas Safari Club Foundation“ aufgeführt, die Stiftung des größten Jagdverbands der Welt. In derselben Kategorie steht die „Ivan Carter Wildlife Conservation Alliance“. Vereinsgründer Ivan Carter wirbt in der Öffentlichkeit immer wieder für die Trophäenjagd. Mindestens 50.000 Dollar haben jeweils auch Markus Jebsen und Lewis Metzger gespendet – zwei Trophäenjäger.

    Julian Fennessy betont gegenüber BuzzFeed News, dass diese Zahlungen keinen Einfluss auf seine Arbeit in der IUCN oder auf seine Stiftung hätten. Er habe seine Tätigkeit als Direktor der „Giraffe Conservation Foundation“ auch mit einem zuständigen Mitarbeiter der IUCN abgeklärt. Fennessy sagt, seine Stiftung arbeite nach wissenschaftlichen Standards und sei keine Lobbyorganisation.

    Beispiel zwei: Der Vorsitzende der nordamerikanischen IUCN-Fachgruppe für „Nachhaltige Nutzung“, Shane Mahoney. Der Kanadier war früher Mitglied der Jagdvereinigung CIC und im Dallas Safari Club. In der Trophäenjäger-Lobbyvereinigung „Conservation Force“ ist Mahoney Direktor. Die Conservation Force berichtet, dass Mahoney 2004 als Repräsentant der Jagdvereinigung zu einer IUCN-Versammlung nach Bankgkok gereist sei, wo das Absenken des Gefährdungsstatus afrikanischer Elefanten auf der „Roten Liste“ öffentlich gemacht wurde. Auf der Website seiner eigenen Initiative „Conservation Visions“ posiert Mahoney mit Jagdgewehr. Dort sind als Partner fast ausschließlich Jagdverbände gelistet. Der größte Jagdverband der Welt, der Dallas Safari Club, hat die Conservation Visions in den Jahren 2017 und 2018 finanziell gefördert. Im April 2017 trat Shane Mahoney als Redner bei der Jahresversammlung des Dallas Safari Club auf. Dort erklärte er, wenn es um den Naturschutz gehe, dann sei der Verband der Großwildjäger „das einzig Wahre“.

    Auf Nachfrage von BuzzFeed News betont Mahoney, er habe noch nie erlebt, dass die Entscheidungen der IUCN unangemessen beeinflusst worden seien. „Ich würde so etwas selbst nie tun und ich würde ein solches Verhalten auch nicht tolerieren“, schreibt Mahoney in einer E-Mail. Von der Conservation Force und von der Dallas Safari Club Foundation sei er nie um Lobbyarbeit gebeten worden. Er unterstütze gut geregelte „nachhaltige Nutzung“ überall auf der Welt, wenn sie im Einklang mit den Zielen der IUCN stünde.

    Beispiel drei: IUCN-Mitglied Hank Jenkins. Vom E-Mail-Account des australischen Krokodilfarmers sind etliche internationale Regierungen und Organisationen dazu aufgerufen worden, lobende Worte an die chinesische Regierung zu schreiben. China hatte angekündigt, den Handel mit Körperteilen von Tigern und Nashörnern nach einem Moratorium wieder zu öffnen. „Die chinesische Verwaltung beobachtet, wie die Öffentlichkeit reagiert“, heißt es in einer E-Mail vom 2. November 2018, die BuzzFeed News vorliegt. Der Verfasser sei von einem Bekannten aus der chinesischen Regierung gebeten worden, sein Netzwerk auf der ganzen Welt, „um ein paar Minuten Zeit zu bitten“. Unter den Adressaten sind Nashornzüchter, Trophäenjäger und andere, die sich öffentlich für den Handel mit bedrohten Tierarten ausgesprochen haben. Die Empfänger sollten dem zuständigen Direktor der chinesischen Behörde danken „für die mutige Entscheidung Chinas, einen neuen Ansatz zur Erhaltung von Tiger und Nashorn zu verfolgen.“ Hank Jenkins stand 2015 schon einmal im Rampenlicht, weil er am Verkauf wilder Elefantenbabys an chinesische Zoos beteiligt gewesen sein soll. Jenkins leitet eine Organisation, die immer wieder auf die Aufhebung von Handelsverboten bedrohter Tierarten dringt.

    Hank Jenkins streitet gegenüber BuzzFeed News ab, etwas mit dieser E-Mail zu tun zu haben. Sie sei „eindeutig eine Erfindung einer oder mehrer unbekannter Personen, die beabsichtigen, meine Arbeit zu diskreditieren“, schreibt Jenkins. „Ich kann Ihnen versichern, dass diese Behauptungen, die ich als verleumderisch empfinde, jeder Grundlage entbehren und sich möglicherweise negativ auf meine Person und meine Arbeit auswirken können.“ BuzzFeed News hat die E-Mail von zwei Personen unabhängig voneinander zur Verfügung gestellt bekommen. Jenkins lobte die Entscheidung der chinesischen Regierung zudem ganz offen in einem Online-Artikel als “Hoffnungsschimmer für Tiger und Nashörner”. Der Text wurde nur drei Tage nach dem Versand der E-Mail veröffentlicht. Wenige Tage später und nach internationalen Protesten hat China seine Entscheidung rückgängig gemacht.

    Beispiel vier: Der frühere Abteilungsleiter der deutschen CITES-Artenschutzbehörde im Bundesamt für Naturschutz in Bonn, Dietrich Jelden, ist Mitglied der IUCN-Fachgruppe für Krokodile. Im CITES-Büro war Jelden unter anderem für Importgenehmigungen von Jagdtrophäen aus Afrika verantwortlich. Für sein Lebenswerk verlieh ihm die IUCN 2016 eine Auszeichnung. Seit seiner Pensionierung tritt Jelden immer wieder als Lobbyist des Jagdverbandes CIC auf und hat sich in dieser Funktion unter anderem gegen einen Schutz der Giraffen eingesetzt.

    Dietrich Jelden erklärt dazu, dass er weder selbst ein Trophäenjäger sei, noch vom Jagdverein CIC Geld für seine Lobbyarbeit bekomme. Er habe keinen Interessenkonflikt – „in keinster Weise“ – und handle aus Überzeugung, schreibt Jelden in einer E-Mail an BuzzFeed News.

    Beispiel fünf: Grahame Webb leitet seit Jahrzehnten die IUCN-Fachgruppe für Krokodile. Gleichzeitig ist er Besitzer des „Crocodylus Park“ in Australien. Webb sagt im Gespräch mit BuzzFeed News, er habe noch bis vor zwei Jahren Krokodilhäute an Luxusmarken wie Louis Vuitton und Hermes verkauft. Zugleich soll Webb in der IUCN neutral einschätzen, wie stark der Häutehandel die Krokodilarten gefährdet.

    Webb erklärt in einer Email an BuzzFeed News, er selbst habe nie Gewinne mit dem Verkauf von Krokodilhäuten gemacht – der Verkauf habe lediglich den Artenschutz querfinanziert. Alle Mitglieder der Fachgruppe „nutzen ihre Fachkenntnisse über Krokodile, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen“, sagt Webb, egal ob sie für Regierungen arbeiten, für Forschungseinrichtungen, NGOs oder private Betriebe. Er habe seine Forschungsarbeit selbst finanziert – und aus finanziellen Gründen nun zurückfahren müssen. Der Crocodylus Park verkaufe Krokodilprodukte, weil die nachhaltige Nutzung der beste Weg sei, „um Anreize zur Erhaltung der Krokodile und ihrer Lebensräume zu schaffen.“ Die IUCN sei sehr gut über alles informiert.

    Beispiel sechs: Daniel Natusch ist Mitglied in verschiedenen Fachgruppen der IUCN – gleichzeitig berät er die Kering Group, ein Konglomerat, zu dem Modemarken wie Gucci, Saint Laurent und Brioni gehören. Vor zehn Jahren hatte Natusch als junger Wissenschaftler noch kritisch über den Pythonhandel in Indonesien geschrieben. Mit gefälschten Papieren würden immer wieder Wildfänge als Züchtungen deklariert. Unternehmen, so Natusch, könnten demnach oft keine nachhaltige Herkunft von Pythons nachweisen. Einige Jahre später schreibt Natusch Studien für die Kering Group. Jetzt geht es um die Vorteile der Zucht und des „nachhaltigen Handels“. Natusch räumt gegenüber BuzzFeed News ein: „Ich sehe diesen Interessenkonflikt. Aber: Alle haben Interessenkonflikte.“ Selbst, wenn der Auftraggeber die IUCN sei oder das Artenschutzsekretariat der Vereinten Nationen: „Wenn Sie das Geld zurückverfolgen, stellen Sie fest, dass es aus der Luxusmodeindustrie kommt.“

    Eigentlich hat die IUCN klare Regeln, die vorschreiben, dass Interessenkonflikte von Mitgliedern – insbesondere in leitenden Positionen – gemeldet werden müssen. BuzzFeed News hat nachgefragt, wie viele der rund 15.000 IUCN-Experten Interessenkonflikte gemeldet haben und wie die IUCN die von BuzzFeed News recherchierten Fälle bewertet. Zur Zahl der Interessenkonflikte und zu den finanziellen Verstrickungen einzelner Mitglieder in die Industrie schweigt die Organisation. Alle Fachleute seien aufgrund ihrer Expertise IUCN-Mitglieder und nicht als Repräsentanten von Organisationen, schreibt IUCN-Sprecherin Goska Bonnaveira. Außerdem sei die Arbeit der IUCN demokratisch. Niemand könne die Entscheidungen der Organisation außerhalb dieser Abläufe beeinflussen.

    Welchen Einfluss haben die vielen Verbindungen von IUCN-Mitgliedern in die lukrative Trophäenjagd und in die Modeindustrie auf die Weltnaturschutzunion? Beeinflussen sie den Schutz bedrohter Tierarten? Es gibt zwei Beispiele, die darauf hindeuten.


    DER GIRAFFEN-STREIT

    Rund zwei Jahrzehnte ist es jetzt her, dass Fred Bercovitch das erste Mal zu Giraffen geforscht hat, in San Diego, für das „Zentrum für die Fortpflanzung gefährdeter Arten“. Seitdem hat Bercovitch dutzende wissenschaftliche Arbeiten über das Verhalten, die Verbreitung und den Schutz von Giraffen veröffentlicht. Heute gehört er zu den anerkanntesten Giraffenexperten der Welt.

    Über die Jahre, sagt Bercovitch, sei ihm klar geworden: Giraffen haben ein Problem. Auch deshalb arbeitet er seit Jahren ehrenamtlich in der Weltnaturschutzunion IUCN mit, in der Fachgruppe für Giraffen und Okapis. Im Frühjahr 2019 liest Bercovitch eine Analyse der IUCN auf der Webseite der Weltartenschutzkonferenz. Die Analyse befasst sich damit, wie sich der Handel mit Giraffenteilen auf die Bestände auswirkt. „Ich konnte erst nicht glauben, was ich da lese“, sagt Bercovitch.

    Um zu verstehen, was Berkovitch so irritiert, muss man einige Monate zurückgehen. Alles beginnt mit einem Anliegen von sechs afrikanischen Ländern. Kenia, Mali, Niger, Senegal, Tschad und die Zentralafrikanische Republik wollten sich für einen Schutz von Giraffen einsetzen. Zur Weltartenschutzkonferenz im August 2019 in Genf schreiben sie einen Antrag, um den Handel mit Giraffenteilen erstmals zu kontrollieren. Dafür sollen die Giraffen in das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES aufgenommen werden; in das wichtigste Regelwerk für den internationalen Handel mit bedrohten Tierarten.

    „Monate vor der Konferenz schicken die Länder ihren Antrag an das CITES-Sekretariat – und bitten den Vorsitzenden der IUCN-Fachgruppe für Giraffen um Unterstützung. Denn eine Empfehlung der IUCN würde die Chance erhöhen, dass der Antrag auf der CITES-Konferenz auch angenommen wird. Weil die IUCN einen sehr guten Ruf genießt, wird die Organisation bei fast allen Anträgen vor der Veranstaltung um ihre Meinung gebeten.

    Im Fall der Giraffen sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: In vielen Gebieten, in denen Giraffen heimisch waren, sind die Tiere verschwunden. Die Population ist in den vergangenen 30 Jahren in Afrika um knapp 40 Prozent eingebrochen. Landwirtschaft und Klimawandel sind die Hauptursachen, aber auch der internationale Handel spielt eine Rolle. Onlineshops bieten präparierte Giraffenköpfe als Wanddekoration für 8.200 Euro an, Handwerker verarbeiten die Haut der Tiere zu Möbeln und Dekoartikeln. Aus Giraffenhirnen werden Arzneimittel hergestellt, die in einigen afrikanischen Ländern als vermeintliche Mittel gegen Aids verkauft werden.

    Angesichts dieser Entwicklung hoffen die sechs Länder auf die Unterstützung der IUCN, doch sie bekommen eine Abfuhr.

    Die IUCN und die Naturschutzorganisation TRAFFIC veröffentlichen eine gemeinsame Analyse. Namen einzelner Autoren sucht man auf dem Papier vergeblich. In der Analyse heißt es, der internationale Handel stelle keine entscheidende Bedrohung für die Giraffen dar. Die Voraussetzung für strengere Handelsregeln sei deshalb nicht erfüllt. Das Papier wird einige Monate vor der Konferenz auf der CITES-Website online gestellt – und schlägt hohe Wellen in der Organisation.

    Der renommierte Giraffenexperte Fred Bercovitch hält die Analyse der IUCN für eine Fehleinschätzung, weil sie die Voraussetzungen für den Schutz von Giraffen aus seiner Sicht falsch definiert: Entscheidend sei nicht, ob der Handel die größte Gefahr für die Giraffen sei – sondern, dass die Populationen schrumpfen. „Das ist ein Warnsignal und deshalb sollte der internationale Handel beachtet werden“, sagt der Amerikaner. „Wenn die Weltartenschutzkonferenz den Antrag annimmt, hätte das für Giraffen keinerlei Nachteile.“ Wer also ist in der IUCN gegen strengere Handelsregeln?

    Im April 2019, gut vier Monate vor der CITES-Konferenz in Genf, will Bercovitch herausfinden, wer die umstrittene Analyse geschrieben hat. „Ich habe ein halbes Dutzend Leute aus unserer Fachgruppe gefragt, aber niemand wusste, wer die Autoren sind. Und die meisten waren fachlich nicht mit der IUCN-Analyse einverstanden. Ich kenne niemanden, der vor der Fertigstellung der Analyse nach seiner Meinung gefragt wurde.“

    Und noch etwas gibt Bercovitch Rätsel auf: Von anderen Artenschützern weiß er, dass sieben NGOs einen Brief an seine IUCN-Fachgruppe geschickt haben; doch der wurde nie an die Mitglieder weitergeleitet. Der Brief, den BuzzFeed News hier veröffentlicht, liefert eine Reihe wissenschaftlicher Daten über den internationalen Handel mit Körperteilen von Giraffen: Demnach wurden in den Jahren 2006 bis 2015 mehr als 3.800 Giraffentrophäen allein in die USA geliefert. Der Brief ist ein Appell, den Schutzantrag der afrikanischen Länder zu unterstützen – und er ist adressiert an den Vorsitzenden der Fachgruppe.

    Der Vorsitzende der Fachgruppe ist der Australier Julian Fennessy. Ausgerechnet der Fennessy, dessen Organisation Giraffe Conversation Foundation von zahlreichen großen Trophäenjägern mit hunderttausenden Euro unterstützt wird. Hat er den Brief nicht weitergeleitet? Und warum hält die IUCN die Autoren der Analyse vor ihren eigenen Experten geheim?

    Auf Nachfrage von BuzzFeed News schreibt Fennessy, die IUCN-Analyse sei nach anspruchsvollen wissenschaftlichen Kriterien erstellt worden. Die Mitglieder in der Fachgruppe für Giraffen seien vorher informiert worden, dass eine Analyse geschrieben wird. Die Namen der Autoren dieser Analyse kenne er jedoch auch nicht, schreibt Fennessy. Das ist verwunderlich, listet die IUCN Fennessy doch als als Gutachter dieser Analyse. Und jeder Gutachter, so schreibt es ein IUCN-Sprecher auf Nachfrage, hat im Prozess der Begutachtung mit mindestens einem Autoren der Analyse Kontakt. Fenessy schreibt BuzzFeed News, er habe kein Geld in Zusammenhang mit dieser Analyse bekommen und deshalb habe er auch keinen Interessenkonflikt.

    Bercovitch, der im August 2019 als Experte seiner NGO „Save the Giraffes“ an der Weltartenschutzkonferenz in Genf teilnimmt, wird von einem der sechs Antragsländer vorab gebeten, seine Sicht auf die Situation der Giraffen darzustellen. Bercovitch verspricht, einen Vortrag vorzubereiten.

    Neben den Delegationen der 183 stimmberechtigten CITES-Länder sind zur Konferenz eine Reihe Beobachter dabei: Artenschützer, Trophäenjäger, Krokodilfarmer, Nashornzüchter und Journalisten, darunter auch BuzzFeed News. Das Interesse an der Informationsveranstaltung zum Giraffen-Antrag ist groß, der Raum bis in die hinterste Reihe gefüllt. Neben Delegierten sitzen Trophäenjäger und Artenschützer verschiedener Organisationen im Raum. In seinem Vortrag wendet sich Bercovitch erstmals öffentlich gegen die IUCN. Er plädiert entschieden für den Schutz der Giraffen. „Als ich fertig war haben mich einige IUCN-Mitglieder angeschaut, als wollten sie fragen: Wer zur Hölle ist dieser Typ?“

    Einen Tag später folgt die entscheidende Abstimmung. Die Delegierten müssen sich entscheiden: Folgen sie der Empfehlung der IUCN oder dem Appell von Fred Bercovitch? Am Ende stimmen die Delegierten mit 106 zu 21 Stimmen für den Schutz der Giraffen. Gegen den Widerstand der IUCN.


    KAMPF UM DIE ROTEN TEJUS

    Wie groß das Interesse der Industrie am weltweiten Handel mit bedrohten Tierarten ist, wird nirgendwo so deutlich, wie beim globalen Geschäft mit Reptilien. Und auch hier nimmt die Industrie offenbar Einfluss auf die Entscheidungen der Weltnaturschutzunion. Das zumindest legen die Recherchen von BuzzFeed News nahe.

    Reptilien spielen finanziell mit Abstand die wichtigste Rolle im Handel mit geschützten Tieren. Offizielle CITES-Statistiken zeigen, dass Reptiliengeschäfte fast zwei Drittel des gesamten Handelsvolumens ausmachen. Die deutsche Organisation Pro Wildlife schätzt, dass allein die europäische Modeindustrie in den vergangenen zehn Jahren rund sechs Millionen Häute von Krokodilen, Schlangen, Kaimanen und Echsen importiert hat. Mit Häuten asiatischer Pythons setzen Luxusgeschäfte einem Bericht des International Trade Center zufolge jährlich geschätzt eine Milliarde US-Dollar um.

    Unter den internationalen Handelsregeln des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES kann jedes Land selbst festlegen, wie viele Reptilien gehandelt werden dürfen. Die Gleichung ist relativ einfach: Je weniger gefährdet eine Tierart auf dem Papier ist, desto mehr Häute und Körperteile kommen auf den Markt. Jedes Mal, wenn Experten eine Reptilienart als stärker gefährdet einstufen wollen, kann das die Industrie Millionen kosten. Die Rolle der Weltnaturschutzunion IUCN wäre es, hier als unabhängiges Schutzschild die Forscher und ihre Erkenntnisse zu schützen. Doch selbst Artenschützer aus den eigenen Reihen üben scharfe Kritik an der IUCN.

    Die beiden deutschen Reptilienexperten Sabine und Thomas Vinke sind im Jahr 2004 nach Paraguay gezogen. „Bei einer Forschungsreise 1997 hat es uns erwischt, wir haben uns einfach in die Natur verliebt“, sagt Sabine Vinke. 160 Texte in Fachmagazinen und acht Bücher haben die beiden Biologen inzwischen geschrieben, in Paraguay moderiert das Paar die wöchentliche TV-Sendung „Paraguay Salvaje“ – Wildes Paraguay.

    Seit ihrem Umzug nach Lateinamerika setzen sich Sabine und Thomas Vinke für einen besseren Schutz Roter Tejus ein. Die Echsenart lebt in den Urwäldern von Paraguay und Argentinien. Jedes Jahr werden in Argentinien rund 150.000 Exemplare für die Lederindustrie gefangen, getötet, gehäutet und nach Europa verschifft.

    Die Vinkes sind sich sicher, dass der Rote Teju längst so stark gefährdet ist, dass der Handel eingestellt werden sollte – oder zumindest stark begrenzt. Sein Verbreitungsgebiet beschränkt sich auf die Waldlandschaft Gran Chaco, ein empfindliches Ökosystem, das von der sich ausbreitenden Viehwirtschaft gefährdet wird. Weltweit wird derzeit keine Region so schnell gerodet, wie die Gran Chaco. In der Trockenzeit werden hier jede Woche Waldflächen abgeholzt, die so groß sind wie die gesamte Stadtfläche von Freiburg.

    Die beiden Forscher entscheiden sich, einen Antrag zur Gründung einer neuen Fachgruppe in der Weltnaturschutzunion einzureichen. Zum ersten Mal überhaupt wollen sie feststellen lassen, in welche Kategorie der Roten Liste der Rote Teju einzuordnen ist. Den Antrag haben die Vinkes vor mehr als fünf Jahren gestellt, im September 2014. Seitdem kämpfen sie gegen große Widerstände in der IUCN.

    „Unmittelbar nach dem Antrag zur Gründung der Fachgruppe haben wir von der Lederlobby in der Weltnaturschutzunion heftigen Gegenwind bekommen“, sagt Sabine Vinke. Dabei gab es bereits eine Vereinbarung über die Gründung der Fachgruppe. Diese Vereinbarung, die BuzzFeed News hier veröffentlicht, trägt die Unterschrift von Simon Stuart, dem damaligen Chef der IUCN Species Survival Commission (SSC). Doch der bremst die geplante Gründung den Vinkes zufolge plötzlich wieder aus.

    Aus dem Urlaub schreibt er den Vinkes, dass sich mehrere IUCN Wissenschaftler besorgt über die Gründung einer Fachgruppe geäußert hätten. „Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr die Ernennung weiterer Mitglieder für die neue Fachgruppe unterbrechen und alle anderen Aktivitäten einstellen könntet, bis wir die Gelegenheit hatten, darüber zu sprechen“, schreibt Stuart. Der Vorsitzende bietet ein Telefonat an. Sabine Vinke erinnert sich, dass Stuart ihnen in diesem Gespräch gesagt habe, sie sollten aufhören, sich mit der Lederindustrie anzulegen. Die Fachgruppe sollten sie wieder aufgeben.

    Auf Nachfrage von BuzzFeed News erklärt Simon Stuart, er könne sich nicht im Detail an das Gespräch erinnern. Er glaube aber nicht, solche Aussagen gemacht zu haben. „Das ist nicht die Art von Dingen, die ich gesagt hätte.“ Stuart betont, dass die Vinkes ihren Versuch, die Gruppe zu gründen, freiwillig gestoppt hätten. „Ich fände es weiterhin sinnvoll, wenn es eine solche Gruppe geben würde.“

    Stuart hat 30 Jahre lang für die IUCN gearbeitet. Er streitet nicht ab, dass es einen Einfluss von der Industrie auf die IUCN gibt, doch dieser Einfluss, sagt Stuart, komme eher von außen. „Es gab Situationen, in denen uns Menschen von außen (manchmal Journalisten) im Auftrag der Industrie angegriffen haben, um unserem Ansehen zu schaden oder unsere Meinung zu ändern. Aber wir haben Rückgrat gezeigt.“

    Für die Vinkes ist klar: Die engen Verbindungen der Weltnaturschutzunion mit dem internationalen Lederhandel lassen eine unabhängige Entscheidung nicht zu. „Unser Ziel war, wissenschaftlich über Rote Tejus zu sprechen. Darin sehen wir auch unsere Aufgabe in der IUCN“, sagt Sabine Vinke.

    Das Problem: Wissenschaftliche Studien über einen länderübergreifenden Populationsrückgang der Roten Tejus hat es lange nicht gegeben. Und einige IUCN-Leute hätten deshalb nicht geglaubt, dass eine Fachgruppe notwendig sei, sagt Sabine Vinke. Deshalb entschieden sich die beiden Biologen, selbst eine Langzeitstudie über die Verbreitung des Roten Tejus zu schreiben. Diese kommt zu dem Schluss, dass die Populationen durch die Urwaldabholzung stark zurückgegangen sein müssen. Die beiden Vinkes veröffentlichen ihre Studie Ende Juni 2019.

    „Die Emotionen bei der Lederlobby in der IUCN sind nach unserer Publikation sofort wieder hochgekocht“, sagt die Forscherin. Kurz nach der Veröffentlichung ihrer kritischen Arbeit wurden die Vinkes plötzlich aus der IUCN-Fachgruppe für Boas und Pythons geworfen – auch dahinter vermuten die Vinkes ein kommerzielles Interesse. Die Veröffentlichung ihrer Studie habe das Fass zum Überlaufen gebracht, schreibt der Gruppenvorsitzende Tomás Waller aus Argentinien den Vinkes in einem Brief, den BuzzFeed News hier veröffentlicht. Sabine Vinke sagt, dass Waller zu einer Gruppe einflussreicher IUCN-Mitgliedern gehöre, die mit ihrer handelsfreundlichen Haltung bereits seit Jahren die Lederindustrie unterstützten. In seinem Brief schreibt Waller, er zweifle die Daten und die Behauptungen der Vinkes an. Die handelsfeindliche Haltung der Reptilienforscher stünde nicht im Einklang mit der Arbeit der IUCN.

    Waller arbeitet neben seinem Job für die IUCN in Argentinien als Direktor einer Stiftung für Naturschutz, für die er auch ein Anakonda-Projekt beaufsichtigt. Das Programm soll indigenen Gruppen ein Einkommen ermöglichen, indem sie Gelbe Anakondas in der Provinz Formosa fangen und deren Häute an die Lederindustrie verkaufen. Ein Projekt, das Tomas Waller gegenüber BuzzFeed News als eines von mehreren Naturschutzprojekten der Stiftung bezeichnet. Tatsächlich gibt es keinen Hinweis darauf, dass es den Bestand der Anakondas gefährdet. Dennoch halten es Sabine und Thomas Vinke für einen Interessenkonflikt, dass sich ausgerechnet der Chef der angeblich wissenschaftlich unabhängigen IUCN-Fachgruppe seit Jahren am kommerziellen Handel mit Schlangenleder beteiligt.

    Tomas Wáller erklärt gegenüber BuzzFeed News, er habe die Vinkes aus der Fachgruppe ausgeschlossen, weil sie nichts zur Arbeit der Gruppe beigetragen hätten. Außerdem seien die „Haltung und die Ideologie“ der Vinkes mit der IUCN inkompatibel. „Sie sind unaufrichtig mit der Wahrheit und untergraben echte Naturschutzbemühungen, die nicht zu ihrer eigenen Ideologie passen.“ Einen Interessenkonflikt habe nicht er, schreibt Waller, sondern die Vinkes, die mit falschen Bedrohungsszenarien Spenden für ihre eigene Arbeit eintreiben würden.

    „Die IUCN hat mit ihrer Arbeit teilweise mit dazu beigetragen, dass die Natur geplündert werden kann“, sagt Sabine Vinke. Nahezu alle Waran-, Teju-, Kobra- und Alligatorenhäute würden von wildgefangenen Tieren stammen. Bei Pythons liege der Anteil bei offiziell 44 Prozent. „Viele Hersteller geben an, dass sie Pythonleder aus Zuchtfarmen beziehen. Zum Teil existieren diese angeblichen Zuchtfarmen allerdings nicht, oder diese bedienen sich weiterhin aus der Natur“, sagt Sandra Altherr von der Naturschutzorganisation Pro Wildlife. „Die Industrie bedient sich lieber in der Natur, als selbst zu züchten, weil ausgewachsene Wildfänge billiger und schneller erhältlich sind als Nachzuchten.“

    Aus Imagegründen ist vor kurzem die erste Luxusmarke aus dem Geschäft mit bedrohten Schlangen und Krokodilen ausgestiegen. Chanel erklärte Anfang Dezember 2018, keine Häute exotischer Tiere mehr zu verarbeiten. Chanels Präsident Bruno Pavlovsky begründete den Schritt damit, dass es für das Unternehmen schwer geworden sei, beim Kauf von Reptilienhäuten genau nachzuvollziehen, woher die Häute eigentlich kommen.

    Nur drei Tage nach der Ankündigung von Chanel veröffentlichte ein Online-Modemagazin einen Artikel mit dem Titel „Warum Chanels Handelsstopp für exotische Tierhäute falsch ist“. Die Autoren des Artikels sind Tomás Waller, Rosie Cooney, Daniel Natusch und Grahame Webb – alle vier sind Mitglieder in der IUCN und setzen sich immer wieder gegen Handelsbeschränkungen für bedrohte Tierarten ein.


    TROPHÄENJÄGER JOHN JACKSON III.

    Internen Streit gibt es in der IUCN aber nicht nur wegen der Modeindustrie – auch der starke Einfluss von Trophäenjägern führt zu Konflikten in der Organisation. Auf der Weltartenschutzkonferenz in Genf hat BuzzFeed News einen Mann getroffen, der in der Szene als einer der mächtigsten Jagdlobbyisten überhaupt gilt.

    John Jackson III., der Präsident des Trophäenjagdverbands Conservation Force, ist auf der CITES-Konferenz in Genf als offizieller Beobachter seiner Organisation angereist. Der 73-Jährige sieht nicht gerade wie jemand aus, der Elefanten in der Savanne mit einem Gewehr auflauert. Im Getümmel der rund 1.700 Konferenzteilnehmer wirkt der Mann im Freizeithemd ein wenig zerstreut, im Gespräch mit Journalisten zeigt er sich offen und hilfsbereit – und erzählt voller Begeisterung von seinen Jagdsafaris. Nach eigenen Angaben hat Jackson in seinem Leben auf 40 Safaris schon 14 Elefanten erschossen. Was er in der afrikanischen Savanne macht, nennt er „harvesting“, also „ernten“.

    Seine erste Großwildjagd bezeichnet der Amerikaner als „ein Erwachen“ und „eine Erfahrung einer höheren Ordnung“. Der 73-Jährige sagt im Gespräch mit BuzzFeed News, er habe Elefanten, Löwen, Leoparden, Afrikanische Büffel und Nashörner getötet: Tiere, die Großwildjäger als die „Big Five“ bezeichnen. Auch einen Eisbären habe er zuhause, sagt Jackson.

    Jackson und einige seiner Kollegen nehmen als Mitglieder in verschiedenen IUCN-Kommissionen und Fachgruppen höchstpersönlich Einfluss auf die Arbeit der Weltnaturschutzunion. In der IUCN werden neben den 15.000 Experten auch mehr als 1.300 Organisationen als Mitglieder geführt. Die Conservation Force gehört dazu, aber auch der Jagdverband CIC, der Dallas Safari Club oder der Deutsche Jagdverband zählen zu den Mitgliedern. Auf der Website der Conservation Force steht, dass Jackson einen strengeren Schutz etwa von Löwen oder Wüstenschafen verhindert hat. Der Trophäenjäger habe außerdem mehrere Versuche zum Schutz weißer Nashörner „erfolgreich bekämpft“. In den USA soll Jackson nach Angaben der Conservation Force mindestens zwölf Anträge gestellt haben, um die Einfuhrregeln für bedrohte Tierarten in die USA zu lockern.

    Für den Großwildjäger fällt all das unter Artenschutz. „Niemand kümmert sich um die Natur und um die Tiere so wie ich. Niemand verbringt so viel Zeit da draußen wie ich. Und niemand gibt so viel Geld dafür aus, wie ich“, sagt Jackson im Gespräch mit BuzzFeed News. „Das ist etwas, das viele nicht verstehen: Jagen ist die wichtigste Sache in meinem Leben.“

    Laut Jackson ermöglichen die Gebühren, die die Trophäenjäger zahlen, den Menschen in den Dörfern in der Nähe der Jagdebiete ein Einkommen. Deshalb helfe Trophäenjagd bei der Armutsbekämpfung. Außerdem soll das Geld den Dorfbewohnern einen Anreiz geben, sich um Natur und Tiere zu kümmern. Die Behörden sollen damit außerdem Wilderei und Schmuggel unterbinden können.

    „Intern sorgt der Einfluss von Trophäenjägern in der IUCN schon lange für Diskussionen“, sagt Daniela Freyer von der Organisation Pro Wildlife in München. „Die Jagdverbände lassen immer wieder Auftragsstudien produzieren, wenn eine Tierart in den Fokus von Artenschützern rückt. In der IUCN gibt es dann zwar auch kritische Stimmen, aber die werden nicht immer gern gehört.“

    Laut einem Bericht der „Campaign to Ban Trophy Hunting“ (CBTH) konzentrieren sich die Mitglieder der Conservation Force in der IUCN derzeit vor allem auf Kampagnen für die Jagd auf Leoparden und Löwen. Die Jagd auf Löwen ist umstritten, weil deren Anzahl in Afrika nach Angaben der IUCN zwischen 1993 und 2014 um 43 Prozent geschrumpft ist. In den vergangenen Jahren hat der Handel mit Trophäen und mit Löwenknochen für die Traditionelle Chinesische Medizin stark zugenommen. Die IUCN vermutet, dass heute nur noch etwa 20.000 Löwen in ganz Afrika leben.

    Tierschützer warnen, dass die Trophäenjagd für die Löwen eine zusätzliche Bedrohung ist – trotzdem dringen Lobbyorganisationen wie die Conservation Force mit ihren Argumenten immer wieder durch. John Jackson versichert gegenüber BuzzFeed News, dass die beauftragten Wissenschaftler nicht beeinflusst werden. Es sei jedoch schwer, „gute Leute“ zu finden.

    Der Erfolg der Trophäenjäger lässt sich auch in Deutschland ablesen. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat im Auftrag der Bundesregierung seit 2006 mehr als 250 Millionen Euro für Projekte gezahlt, die auf Trophäenjagd als Artenschutzinstrument setzen. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Grünen im Bundestag hervor. „Viele Studien belegen, dass zum Beispiel von Fotosafaris deutlich mehr Menschen in ländlichen Gebieten profitieren können. Aber mit der Erkenntnis hat die Jagdlobby natürlich ein Problem“, sagt Daniela Freyer von Pro Wildlife.


    DAS UMSTRITTENE GUTACHTEN

    Vor gut zwei Jahren will die IUCN entscheiden, ob der International Fund of Animal Welfare (IFAW) Mitglied in der Organisation werden darf. Der IFAW ist strikt gegen den Handel mit und die Trophäenjagd auf Tiere. In der Diskussion flammt der interne Streit zwischen den Jägern und ihren Kritikern auf. Bisher gilt für einige IUCN-Experten der Grundsatz, dass „gut umgesetzte“ Trophäenjagd als Instrument des Artenschutzes dienen kann. Aber kann das für die gesamte Organisation gelten?

    Der deutsche Jurist Klaus Bosselmann, Vorsitzender der Ethik-Fachgruppe der IUCN bekommt den Auftrag, einen von mehreren Berichten dazu zu schreiben. Bosselmann unterrichtet an der Universität von Auckland in Neuseeland und ist seit 20 Jahren Direktor des „New Zealand Centre for Environmental Law“. Bosselmann hat rund 30 Bücher zum Umweltrecht und zur politischen Ökologie verfasst oder herausgegeben. Bosselmanns Bücher sind in mehrere Sprachen übersetzt worden, seine Artikel wurden in weltweit führenden juristischen Fachzeitschriften abgedruckt. Für seinen internen Bericht zur Trophäenjagd stellt Bosselmann ein Team aus sechs Experten zusammen, die ein halbes Jahr an dem Gutachten arbeiten.

    Anfang Oktober 2017 liegt das Papier vor – und es ist hochexplosiv. Bosselmanns Expertengruppe führt Beispiele für die schädlichen Auswirkungen der Trophäenjagd an, wie etwa den Rückgang afrikanischer Löwenpopulationen. Dem von Trophäenjägern oft genannten Ziel der Armutsbekämpfung halten die Autoren entgegen, dass in vielen Fällen nicht mehr als drei Prozent der Einnahmen den dörflichen Gemeinschaften zugute kämen.

    Damit bestätigt Bosselmanns Team die Schlussfolgerungen einer Untersuchung des US-Kongresses, der schon ein Jahr vorher festgestellt hatte, „dass bei der Trophäenjagd nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese einen Vorteil für den Artenschutz bietet und Jagdgebühren an Gemeinden oder an Wildtierbehörden fließen.“

    Das Fazit von Bosselmanns Untersuchung: „Die entscheidende Frage ist, ob die Trophäenjagd, wie sie von Einzelpersonen betrieben und von bestimmten Jagdorganisationen gefördert wird, mit den allgemeinen Zielen der IUCN vereinbar ist. Dies ist eindeutig nicht der Fall.“ Und weiter: „Jede andere Sichtweise würde die Glaubwürdigkeit der IUCN für eine moralische und ethische Führungsrolle in der Naturschutzpolitik gefährden.“

    Wenige Tage nachdem Bosselmann den Bericht intern weiterleitet, erhält er eine E-Mail, die BuzzFeed News vorliegt. Sie kommt von der Vorsitzenden des Komitees, das die Informationen von Bosselmann angefragt hat und eigentlich an den Rat der IUCN weiterleiten soll - an das Gremium, in dem der Streit um die Mitgliedschaft von Trophäenjagd-Gegnern noch immer nicht entschieden ist. Doch die Vorsitzende will den Bericht erst an den Rat weiterleiten, wenn auch Befürworter der Trophäenjagd Stellung genommen haben. Auf Anfrage schreibt sie BuzzFeed News, sie wolle eine „transparente Debatte zu allen Themen fördern, mit denen sich das Komitee beschäftigt“.

    Der Bericht war zunächst im Februar 2018 veröffentlicht worden, aber für die Öffentlichkeit praktisch nicht auffindbar. Der Bericht war Teil einer PDF, die nur über den Anhang einer Zusammenfassung eines IUCN Council Meetings zu finden war – und selbst in diesem Anhang war der Report in der Inhaltsangabe nicht aufgelistet.

    Erst zwei Jahre später, Ende September 2019, wird die Arbeit von Bosselmanns Team einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt, auf der Webseite der IUCN. Nach ersten Medienreaktionen wird der Bericht plötzlich wieder von der Webseite genommen. Drei Tage später stellt die IUCN ihn wieder online – allerdings mit „weiterführenden Informationen“. Die IUCN hat seitenlange Stellungnahmen von Befürwortern der Trophäenjagd angehängt. Auch Simon Stuart, der die Vinkes von der Gründung einer IUCN-Fachgruppe für die Roten Tejus abgebracht hat, stellt sich auf die Seite der Trophäenjäger.

    Die IUCN selbst distanziert sich in einer offiziellen Stellungnahme von Bosselmanns Ethikbericht. Der Text sei nur eine Meinung, nicht die offizielle Auffassung der IUCN. Auf Nachfrage von BuzzFeed News schreibt die Pressesprecherin: Damit sei alles gesagt.

    Klaus Bosselmann ist trotzdem froh, dass der Bericht endlich draußen ist. „Ich habe von etlichen Mitgliedern der IUCN und vielen Organisationen eine regelrechte Flut von E-Mails mit Danksagungen bekommen“, schreibt er in einer E-Mail an BuzzFeed News.

    Bosselmann hofft, dass der Bericht noch einmal eine wichtige Rolle spielen wird: Auf dem alle vier Jahre ausgerichteten Weltartenschutzkongress der IUCN im Juni 2020, wo die Mitglieder über neue Grundsätze für die Arbeit der IUCN abstimmen können.

    Acht Mitgliedsorganisationen haben im Vorfeld beantragt, dass der Kongress einige Punkte des Bosselmann-Berichts auch als IUCN-Grundsätze anerkennt. Damit würde Trophäenjagd innerhalb der IUCN nicht mehr als sinnvoller Artenschutz gelten. Ein Auswahlkomitee der IUCN hat sich bereits im November mit dem Vorschlag beschäftigt. Er erfülle nicht die formalen Kriterien für die Tagesordnung, schreibt die IUCN. Das Komitee hat den Antrag nicht zur Debatte zugelassen. Die nächste Chance, ein Verbot der Trophäenjagd zu diskutieren, kommt nun erst wieder im Jahr 2024.

    CORRECTION

    Shane Mahoney nahm als Repräsentant der Jagdvereinigung Consveration Force im Jahr 2004 an einer IUCN-Versammlung in Bangkok teil. Dort wurde das Absenken des Gefährdungsstatus afrikanischer Elefanten auf der „Roten Liste“ der bedrohten Arten öffentlich. In einer vorherigen Version dieses Artikels hatten wir geschrieben, dass Mahoney bei dieser konkreten Versammlung für die Absenkung lobbyiert habe.

    CORRECTION

    In einer vorherigen Version dieses Textes hatten wir geschrieben, dass Daniel Natusch auch Mineralölkonzerne und Banken berate. Dies ist Daniel Natusch zufolge nicht richtig. Mineralölkonzerne sowie die Weltbank und die Asian Development Bank stehen jedoch auf der Kundenliste des Beratungsunternehmens, das von Daniel Natuschs Vater David Natusch geleitet wird. Daniel Natusch war bis vor wenigen Jahren Direktor dieses Unternehmens und arbeitet dort heute als „Biological science lead“.

    CORRECTION

    In einer vorherigen Version dieses Artikels hatten wir geschrieben, sechs afrikanische Länder hätten ihren Antrag auf den Schutz von Giraffen an die IUCN geschickt. Tatsächlich haben sie ihren Antrag an das CITES-Sekretariat geschickt und im Anschluss einen Experten der IUCN um Unterstützung gebeten. Entsprechende E-Mails liegen BuzzFeed News vor.

    CORRECTION

    Der Bericht von Bosselmanns Team war zunächst im Februar 2018 veröffentlicht worden, aber für die Öffentlichkeit praktisch nicht auffindbar. Der Bericht war Teil einer PDF, die nur über den Anhang einer Zusammenfassung eines IUCN Council Meetings zu finden war – und selbst in diesem Anhang war der Report in der Inhaltsangabe nicht aufgelistet. In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir geschrieben, dass der Bericht erst im September 2019 veröffentlicht worden sei.

    UPDATE

    Dieser Beitrag ist aktualisiert worden, um den Kontext und die Bedeutung des Gutachtens von Professor Bosselmanns Team eindeutiger zu beschreiben.



    Diese Recherche wurde gefördert mit einem Stipendium des Earth Journalism Network.


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