Mehr als 250 Mitarbeitende kritisieren die Deutsche Welle für ihren Umgang mit Vorwürfen von Belästigung, Mobbing und Einschüchterung

    In einem Brief an den Intendanten Peter Limbourg heißt es: „Machtmissbrauch bei der Deutschen Welle ist allgegenwärtig“.

    Mehr als 250 Mitarbeitende der Deutschen Welle haben sich in einem Brief an den Intendanten Peter Limbourg gewendet. Darin werfen sie Limbourg und der Geschäftsleitung vor, nicht angemessen auf Vorwürfe von Machtmissbrauch, sexuellen Übergriffen und Rassismus reagiert zu haben.

    In dem Brief, der Limbourg am Freitag zugestellt wurde, schreiben die Mitarbeitenden, bei den Vorwürfen handele es sich nicht um Einzelfälle. Sie fordern eine externe Untersuchung. „Wir glauben, dass Machtmissbrauch bei der Deutschen Welle allgegenwärtig ist“, heißt es in dem Schreiben.

    Führungskräfte in mehreren Abteilungen der Deutschen Welle hätten ihre Machtposition dazu missbraucht, Mitarbeitenden zu drohen, sie zu belästigen oder einzuschüchtern.

    Die Strukturen der Deutschen Welle hätten Betroffene auf systematische Art und Weise davon abgehalten, sich zu äußern. Diejenigen, die versucht hätten, auf Missstände hinzuweisen, seien bestraft worden, kritisieren die Unterzeichnenden weiter.

    BuzzFeed News Deutschland veröffentlicht den Brief in ganzer Länge am Ende dieses Textes.

    Auf Anfrage von BuzzFeed News sagte Pressesprecher Christoph Jumpelt in einem Telefonat, die Geschäftsleitung werde zunächst den Mitarbeitenden der Deutschen Welle und den Verfassern des Briefes eine Antwort geben, bevor sie sich im Laufe des Abends auch öffentlich äußern werde. Eine Stellungnahme der Deutschen Welle werden wir an dieser Stelle dementsprechend ergänzen.

    Deutsche Welle ist seit Monaten mit Vorwürfen konfrontiert

    In den vergangen Monaten wurden mehrfach schwere Vorwürfe gegen die Deutsche Welle bekannt. Die Zeit schrieb Mitte Juli des vergangenen Jahres, dass ein Starmoderator mehrere Mitarbeiterinnen sexuell belästigt und eine Mitarbeiterin vergewaltigt haben soll. Der Sender trennte sich daraufhin von ihm.

    Vor wenigen Wochen veröffentlichte der Guardian, weitere Mitarbeitende hätten von sexuellen Übergriffen, Rassismus und Mobbing berichtet. Zudem berichtete die britische Tageszeitung, dass Leitungspersonen die Vorwürfe ignoriert und Personen gezielt zum Schweigen gebracht haben sollen. So sollen Mitarbeitende, nachdem sie die Vorwürfe erhoben haben, Kündigungen oder weniger Arbeitsschichten erhalten haben.

    Nur wenigen Tage nach dem Guardian berichtete die taz ebenfalls über vergleichbare Vorwürfe gegen den Sender. Mitarbeitende würden laut eigener Aussage seit Jahren unter dem Betriebsklima im Auslandssender leiden.

    Die Vorwürfe betreffen bislang vor allem die arabische Redaktion und den Standort Berlin. In der arabischen Redaktion soll laut Guardian ein Mitarbeiter einer schwangeren Kollegin vor anderen Mitarbeitenden gedroht haben, ihr einen Finger zu brechen. Im Berliner Standort in der Voltastrasse soll es zu rassistischen Beleidigungen gegen Schwarze, Juden und Pakistaner gekommen sein. Laut Guardian handelt es sich um einen Teamleiter der Sportredaktion. Er arbeitet laut taz seit Anfang 2018 nicht mehr für den Sender, die Vorwürfe seien zuvor aber über Monate verschleppt worden.

    In einer Pressemitteilung nannte die Deutsche Welle die Vorwürfe kurz nach der Guardian-Veröffentlichung unbegründet. Sie lägen 18 Monate oder länger zurück, Fälle von Machtmissbrauch seien sofort und gründlich untersucht worden. Offenbar versuchten Mitarbeitende der Deutschen Welle dem Sender zu schaden, heißt es in der Pressemitteilung. Zudem hätten der Deutschen Welle zufolge über 80 Mitarbeitende einen Brief an den Guardian geschickt, um den Darstellungen zu widersprechen.

    Der Pressesprecher der Deutschen Welle, Christoph Jumpelt, hatte als Reaktion auf die Berichterstattung gegenüber mehreren Medien erklärt, die Deutsche Welle habe eine „umfangreiche Aufklärungskampagne zu „Null-Toleranz” gegen sexuelle Nötigung, Mobbing und Machtmissbrauch in jeder Form“ initiiert.

    In einer Mitarbeiterversammlung am 22. Januar äußerte sich Intendant Peter Limbourg allerdings wie folgt: „Ich will nicht sagen, dass dieses Haus völlig fehlerfrei ist. Und ich glaube, dass wir in einigen Redaktionen auch nach wie vor Probleme haben und nicht nur Redaktionen, sondern auch Abteilungen.“ Ein rund eineinhalbstündiger Mitschnitt des Meetings liegt BuzzFeed News vor.

    Mitarbeitende kritisieren Krisenmanagement

    Weiter sagte Limbourg: „Wir haben als Geschäftsleitung, insbesondere Frau Massing und ich, einen großen Teil dazu beigetragen, dass Fälle, die da berichtet wurden, überhaupt behandelt wurden, ans Licht gekommen sind und wir haben diese drei hauptsächlich genannten Fälle auch bearbeitet [...] und haben vor allem sehr schnell Konsequenzen gezogen.“

    Nun haben sich mehr als 250 Mitarbeitende erneut zu Wort gemeldet. In ihrem Brief an Intendant Peter Limbourg bekräftigen sie die Vorwürfe gegen die Deutsche Welle.

    Die Verfasser schreiben, dass die vom Guardian berichteten Vorfälle bei weitem keine Einzelfälle seien. Vielmehr heißt es in dem Brief: „Wir möchten unser großes Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass die Geschäftsleitung der DW versucht, die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu leugnen und herunterzuspielen, und verurteilen Ihre Reaktion auf die gegenwärtige Berichterstattung.“ Fälle von übergriffigem Verhalten seien weit verbreitet, beträfen diverse Abteilungen und Standorte, sowohl Bonn und Berlin, als auch Außenstudios der Deutschen Welle und würden nicht zufriedenstellend aufgearbeitet.

    „Anders als von der Geschäftsleitung behauptet, wurde in bekannt gewordenen Fällen mitnichten unmittelbar gehandelt.“ Die Deutsche Welle sei mehrfach aus unterschiedlichen Abteilungen über schwerwiegende Vorwürfe informiert, habe es aber über Monate hinweg versäumt, tätig zu werden.

    Führungskräfte hätten ihre Arbeitsplätze selbst dann behalten können, wenn ihr Fehlverhalten dokumentiert gewesen sei, so die Verfasser. In dem Brief werden auch Vorwürfe aus dem Guardian erneut aufgeworfen: Mitarbeitenden, die Fälle von Belästigung und Missbrauch gemeldet hätten, sei gekündigt worden. „Denjenigen, die sich dagegen zur Wehr gesetzt haben, wurden Schichten gekürzt“, schreiben die Verfasser.

    Nach der Veröffentlichung des Guardian-Artikels sei versucht worden, Mitarbeitende „im Rahmen kurzfristig einberufener Krisensitzungen einzuschüchtern“. Die Geschäftsleitung versuche, den Imageschaden zu begrenzen, statt sich um das Wohlergehen all derer zu kümmern, die von Rassismus, Sexismus und Belästigungen betroffen seien.

    Hier beziehen sich die Verfasser auf die Rede von Peter Limbourg bei der Mitarbeiterversammlung am 22. Januar. Dort sagte Limbourg: „Wir haben einen Imageschaden erlitten und dieser Imageschaden ist dazu angetan, vieles von dem, was wir gemeinsam hier geschafft haben in den letzten Jahren, zu beschädigen. Jetzt kommt es darauf an, dass dieser Schaden möglichst gering gehalten wird. [...] Wir müssen jetzt auf allen Ebenen versuchen, dieses Zerrbild, was da entstanden ist, zu korrigieren.“

    Verfasser fordern externe Untersuchung und persönliche Entschuldigung

    In ihrem Brief fordern die Mitarbeitenden neue Maßnahmen, wie etwa eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe durch eine externe Stelle sowie ein anonymes Beschwerdeverfahren und eine unabhängig finanzierte Ombudsperson. Außerdem solle ein aktualisierter Code of Conduct erstellt werden. Eine externe Untersuchung hatte am 21. Januar auch die Gewerkschaft Verdi gefordert.

    Außerdem, so heißt es an Limbourg gerichtet weiter, brauche es eine „persönliche Entschuldigung​ gegenüber den Mitarbeiter*innen der Abteilungen, die direkt von den im ​Guardian​ und in anderen Medien dargestellten Vorfällen betroffen waren und sind.“ Die Geschäftsleitung solle ihre öffentlichen Reaktionen auf den Guardian-Artikel nicht wiederholen, insbesondere jene, dass Missbrauchsvorwürfe unbegründet seien, dass es sich um Einzelfälle handele, dass jeweils umgehend gehandelt worden sei und dass „anonyme Quellen der DW schaden“ wollten.

    Die Verfasser schreiben, dass sie sich mit konkreten Lösungsvorschlägen an die Geschäftsleitung wenden, weil sie glauben, dass deren gewissenhafte Umsetzung verlorenes Vertrauen wiederherstellen könne. „Wir erkennen die Fortschritte an, die in den vergangenen Jahren gemacht worden sind. Aber es gibt noch viel zu tun.“

    Die Deutsche Welle ist steuerfinanziert und beschäftigt insgesamt rund 3.000 Menschen, etwa die Hälfte davon als Festangestellte in der Zentrale in Bonn und in Berlin. Die Deutsche Welle gibt es seit 1953, sie produziert Inhalte in 30 Sprachen.

    Brief der DW-Mitarbeitenden an Peter Limbourg

    UPDATE: Limbourg reagiert auf Kritik in internem Brief

    In einem internen Brief vom Samstag, der BuzzFeed News vorliegt, hat Intendant Peter Limbourg auf die Kritik reagiert. „Wenn sich offenbar mehr als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter veranlasst sehen, sich anonym an den Intendanten zu wenden, scheint tatsächlich einiges nicht zu funktionieren“, schreibt Limbourg.

    Limbourg kritisiert darin aber auch, dass sich die Mitarbeitenden an die Presse gewandt haben. Weiter heißt es in dem Brief: „Wir finden es allerdings mehr als befremdlich, dass der Brief und sogar ein Mitschnitt aus der betriebsinternen Mitarbeiterversammlung zeitgleich an die Medien gegeben wurden. Dies ist nicht Ausdruck eines konstruktiven Dialogangebots.“

    Auf Anfrage von BuzzFeed News sagte Pressesprecher Christoph Jumpelt am Freitag in einem Telefonat, die Geschäftsleitung werde zunächst den Mitarbeitenden der Deutschen Welle und den Verfassern des Briefes eine Antwort geben, bevor sie sich im Laufe des Abends auch öffentlich äußern werde. Diese Stellungnahme steht bisher noch aus.


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