Germanwings-Flugzeuge meldeten besonders häufig möglicherweise giftige Kabinenluft

    Sogenannte “Fume Event”-Hinweise waren bei der Lufthansa-Tochter im Jahr 2016 fünfmal häufiger als bei anderen deutschen Fluglinien

    Die Wahrscheinlichkeit, dass eine amtliche Meldung über möglicherweise kontaminierte Kabinenluft ein Germanwings-Flugzeug betraf, war im vergangenen Jahr fünfmal höher als bei anderen deutschen Airlines. Das zeigt eine Recherche von BuzzFeed News. Germanwings schreibt auf Anfrage, die Fluggesellschaft nehme Fume Events “grundsätzlich sehr ernst und wichtig”. Dies erkläre, warum die Fluggesellschaft vergleichsweise viele Meldungen vorliegen haben.

    Die deutsche Piloten-Vereinigung Cockpit schätzt, dass es bei etwa einem von 2000 Flügen einen Vorfall mit kontaminierter Kabinenluft gibt. Das wäre etwa einmal pro Tag in Deutschland. Airlines müssen solche Vorfälle an die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig melden. Doch im Gegensatz zu der amerikanischen Behörde FAA veröffentlicht die deutsche Behörde diese Vorfälle nicht und verweist bei Anfragen auf Datenschutz.

    Ein Viertel aller Fume-Event-Meldungen von der Germanwings

    Über Umwege ist es BuzzFeed News nun erstmals gelungen, Meldungen über kontaminierte Kabinenluft bei einer deutschen Fluggesellschaft zu erhalten, bei der Germanwings. Demnach betrafen von 228 Fume Events, die im vergangenen Jahr im deutschen Luftverkehr gemeldet wurden, ein gutes Viertel die Lufthansa-Tochter. Das bestätigte die zuständige Behörde BFU auf Anfrage.

    Buzzfeed News hat die Anzahl der Germanwings-Flugzeuge mit den Flottengrößen der übrigen deutschen Airlines verglichen. Demnach war es fünfmal wahrscheinlicher, dass ein Fume Event 2016 bei einer Germanwings-Maschine gemeldet wurde als bei anderen deutschen Passagier-Airlines. Insgesamt hatten deutsche Airlines ihren Jahresberichten zufolge im vergangenen Jahr 849 Flugzeuge gemeldet. Zu Germanwings gehörten davon offenbar 56.

    Von den insgesamt 228 gemeldeten Fällen von Rauch oder Geruch in der Kabine gibt es bei 61 Fällen den Verdacht, dass giftige Luft in die Kabine eingedrungen ist, weil Besatzungsmitglieder von Öldampf, Ölgeruch, Enteisungs- oder Hydraulikflüssigkeit berichteten. Das geht aus einer kleinen Anfrage von Markus Tressel hervor, tourismuspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag.

    "Potentiell ernste Gefahr für die Flugsicherheit"

    Auch von den 61 möglicherweise giftigen Vorfällen betraf also etwas mehr als jeder vierte Fall die Germanwings. Auch hier war es demnach fünfmal wahrscheinlicher, dass ein Fume Event mit eventuell giftiger Luft bei einer Germanwings-Maschine aufgefallen ist.

    Die Europäische Cockpit Vereinigung ECA, die Piloten aus 37 Ländern vertritt, stuft kontaminierte Kabinenluft als potenziell “ernste Gefahr für die Flugsicherheit” ein. Sie könne auch die Gesundheit von Crew und Fluggästen beeinträchtigen, heißt es in einer Mitte Juni veröffentlichten Stellungnahme des Verbands.

    Bei fast allen Flugzeugen wird die Atemluft direkt und ungefiltert von den Turbinen abgezapft. Dabei können sich Schmierstoffe in den Triebwerken erhitzen und als Dämpfe in die Kabinenluft geraten. Solche Vorfälle sorgen manchmal für üblen Geruch oder sogar Dunst in der Kabine. Deshalb werden sie „Smell“ oder „Fume” oder neuerdings auch „Bad Air Events“ genannt. Das Problem ist dem US-Militär sowie Flugzeugherstellern schon seit den 1950er Jahren bekannt.

    Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall – bis zu Nervenschäden

    Künstlich hergestellte Öle in der Luftfahrt enthalten in sehr geringen Mengen giftige Stoffe, sogenannte Organophosphate wie Trikresylphosphate (TKP) und Tributylphosphat (TBP). Sie stammen aus der gleichen Familie wie das Giftgas Sarin. Wer mit ihnen in Kontakt kommt, bei dem kann es zu Erbrechen kommen, zu Bauchschmerzen und Durchfall, möglicherweise sogar zu langfristigen Nervenschäden wie Lähmungen, Schwindel oder Gliederschmerzen.

    Die Germanwings nehme das Thema Fume Events “grundsätzlich sehr ernst und wichtig”, schreibt Matthias Burkard auf Anfrage von BuzzFeed News. Burkard ist Pressesprecher der Fluglinie Eurowings, die auch die Kommunikation für Germanwings übernimmt. Die Crews seien angewiesen, alle Verdachtsfälle zu protokollieren und zu melden. “Dies erklärt, warum wir vergleichsweise viele Meldungen vorliegen haben.” Die Ursachen für solche Vorfälle seien zum Beispiel “ungewöhnliche Gerüche im mitgeführten Handgepäck eines Passagiers” oder “verbrannte Essensreste in den Bordöfen”.

    “Für die Meldung eines Smoke-and-Smell-Vorfalls wurde ein detailliertes und standardisiertes Verfahren entwickelt”, schreibt Pressesprecher Burkard. “Es legt genau fest, bei welcher Intensität eines Vorfalls wir wie Bericht erstatten. Dieses Verfahren hat sich in den vergangenen Monaten bewährt.” Auf Fragen zu möglicherweise giftiger Luft in der Kabine und daraufhin eingetretene Erkrankungen bei Crewmitgliedern ging Burkhard nicht ein.

    Auslöser für die Recherche und die Berechnung waren Daten aus dem Flugbuch von Andreas Lubitz, der als Copilot mit einer Germanwings-Maschine im März 2015 in die französischen Alpen geflogen war. Dabei waren 150 Menschen gestorben. Der Gutachter der Familie Lubitz, der Luftfahrtexperte Tim van Beveren, hatte alle Informationen über Flugzeuge zusammengetragen, auf denen der Copilot zwischen März 2014 und März 2015 unterwegs war.

    Piloten-Vereinigung fordert Aufklärung und Filter für Kabinenluft

    Die Folgen von Vergiftungen in der Luft können dramatisch sein. Die Oberärztin Astrid Heutelbeck hat an der Universitätsmedizin Göttingen rund 400 Blut- und Urinproben von Crewmitgliedern und vereinzelt auch Passagieren nach Fume Events in Flugzeugen untersucht. Sie fand “Stoffe, die da nicht hingehören”, darunter Organophosphate und flüchtige organische Verbindungen, die toxische Wirkung entfalten können. Ihre Patienten haben regelmäßig Kopf- und Gliederschmerzen oder Atembeschwerden. Manche Patienten klagen sogar über Nervenschäden sowie Wahrnehmungs- und Erinnerungsstörungen.

    Markus Wahl, Sprecher der Piloten-Vereinigung Cockpit, fordert nun, aufzuklären, ob der Grund für die vielen Germanwings-Meldungen bei der Airline selbst zu suchen ist, “oder ob es daran liegt, dass andere Airlines nicht alle Vorfälle melden”. In jedem Fall müssten Flugzeuge generell mit Filtern und Sensoren ausgestattet werden. “Dies wird aber nur sehr langsam oder auch gar nicht umgesetzt.”

    Kritik aus der Bundespolitik: von Grünen und Linken

    Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Markus Tressel wirft den Fluggesellschaften vor, durch ihre passive Haltung das Wohl von Passagieren und Flugpersonal zu gefährden. „Die Fluggesellschaften zeigen sich häufig wenig kooperativ und streiten das Problem sogar ab, anstatt Lösungen in Angriff zu nehmen. Das muss sich ändern”, schrieb Tressel auf Anfrage per E-Mail. “Vor allem die Hersteller sind in der Pflicht, den Airlines Lösungen für die Problematik anzubieten.“ Tressel schrieb auch, dass “im Vergleich der deutschen Airlines das hohe Alter der Germanwings-Flotte” auffalle.

    Das Durchschnittsalter der Germanwings-Flotte beträgt der Seite planespotters.net zufolge rund 14,7 Jahre. Elf der derzeit betriebenen Flugzeuge sind demnach sogar schon älter als 25 Jahre. Das allein erklärt die Häufigkeit von Fume Events allerdings noch nicht. Ein Germanwings-Pilot, der aus Furcht vor rechtlichen Konsequenzen anonym bleiben möchte, sagte gegenüber Buzzfeed News, dass es auch auf die Pflege der Maschinen ankomme. “Früher waren die Wartungsintervalle kürzer. Inzwischen laufen die Triebwerke länger, bis sie überprüft werden. Da wird gespart.”

    Eurowings-Sprecher Burkard schreibt, dass es ihm schwer falle, zu anonymen Kommentaren Stellung zu beziehen. Die technische Betreuung erfolge aber “nach denselben sehr strengen Vorgaben wie bei anderen Airlines im Lufthansa-Konzern.” Zudem würden die Wartungsintervalle für die Flugzeuge grundsätzlich von den Herstellern vorgegeben. Und: “Im Lufthansa-Konzern werden diese bei Bedarf zusätzlich verkürzt, wenn dies besser zum operationellen Einsatzschema der Flugzeuge passt.”

    Zu wenig Zeit für die Wartung der Flugzeuge?

    Recherchen von BuzzFeed News zeigen allerdings, dass die Zeit für die Wartung der Maschinen zumindest in einem Fall offenbar nur sehr kurz war.

    Im Sommer 2016 ereigneten sich auf ein und demselben Germanwings-Flugzeug – einer Maschine mit der Kennung D-AIQH – drei Fume Events binnen vier Tagen: am 1., 2. und 4. Juni. Diese Vorfälle hat die zuständige Behörde BFU gegenüber BuzzFeed News bestätigt. Der Hersteller Airbus empfiehlt nach einem Fume-Event jedoch umfangreiche Checks an Triebwerken, Ölpumpen, Schläuchen, den Luftkanälen, der Hilfsturbine und den Klimaanlagenbauteilen. Der Pilot Michael Kramer, Sprecher der Patienteninitiative Contaminated Cabin Air, sagt, diese Arbeiten korrekt auszuführen und die Klimaanlage zu reinigen, kann drei bis vier Werktage dauern.

    Wurden diese Herstellerempfehlungen Anfang Juni 2016 ignoriert? Warum durfte das Flugzeug am nächsten Tag wieder starten? Und warum war die Zeit für Wartungsarbeiten auch nach dem zweiten Vorfall so kurz? Germanwings beantwortete entsprechende Nachfragen von BuzzFeed News nicht.