Die Familie des Germanwings-Copiloten Andreas Lubitz will gegen Gutachtenfehler klagen

    Auf 300 Seiten wirft Familie Lubitz den Behörden zahlreiche Fehler vor.

    Die Familie des Germanwings-Copiloten Andreas Lubitz hat die Bundesregierung aufgefordert, angebliche Fehler bei den Ermittlungen zum tödlichen Germanwings-Flug 4U9525 richtigzustellen. Konkret richten sich die Vorwürfe nach Informationen von BuzzFeed News gegen die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU), die dem Verkehrsministerium untersteht.

    Die Familie beruft sich dabei auf das von ihr in Auftrag gegebene und nun fertiggestellte Gutachten des Luftfahrtexperten Tim van Beveren. Dieses hat van Beveren jetzt an das Verkehrsministerium übermittelt, an die BFU und an die Internationale Zivilluftorganisation (ICAO), eine UN-Behörde, die weltweit verbindliche Standards für Flugunfalluntersuchungen festlegt. Das 300-seitige Gutachten samt 670 Seiten Anhang liegt auch BuzzFeed News vor.

    “Wir haben die BFU aufgefordert, ihre sachlich falschen Ausführungen zu korrigieren”, sagte Andreas Behr, der Berliner Anwalt der Familie. Diese Korrekturen solle die Behörde öffentlich machen und auch den zuständigen französischen Ermittlern mitteilen. Zudem solle die BFU darauf hinwirken, “dass die Untersuchungen zur Absturzursache wieder aufgenommen werden, damit die Umstände, die zum Absturz des Flugzeuges geführt haben, vollständig aufgeklärt werden können. Sollte dies nicht geschehen, werden wir die Ansprüche der Familie auf dem Rechtsweg geltend machen.”

    Die BFU bestätigte den Eingang des Schreibens der Familie. Die Prüfung werde aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen, schrieb Sprecher Germout Freitag auf Anfrage.

    Die Familie von Andreas Lubitz bezweifelt, dass ihr Sohn die Germanwings-Maschine im März 2015 absichtlich in die Alpen gelenkt hat. Sie ließ eigene Ermittlungen anstellen, um zu klären, ob er tatsächlich ein Mörder ist. Vor zweieinhalb Monaten machte Günter Lubitz seine Version des Unglücks erstmals öffentlich.

    Es war der 24. März, der zweite Jahrestag des Absturzes von Germanwings-Flug 4U9525. Die Angehörigen trauerten in Frankreich, der Vater des Copiloten saß im Maritim Hotel proArte in Berlin und erklärte vor Kameras und Dutzenden Journalisten, warum er an der offiziellen Absturzversion zweifelt.

    Günter Lubitz sagte, er habe seinen Sohn als lebensbejahenden Menschen in Erinnerung – und nicht als depressiven Massenmörder. Gutachter Tim van Beveren warf den Behörden zahlreiche Ermittlungsfehler vor. Schlagzeilen machte der Stil der Veranstaltung und der Zeitpunkt, genau zwei Jahre nach dem Absturz, den Opferanwalt Elmar Giemulla als geschmacklos bezeichnete.

    Nach Recherchen von BuzzFeed News kann Familie Lubitz den Behörden in ihrem Gutachten offenbar tatsächlich einige Fehler nachweisen, die wir in diesem Text einzeln erläutern. Ob das an dem Ergebnis der Ermittlungen grundsätzlich etwas ändern wird, scheint jedoch fraglich. Die zuständigen Ermittler rücken von ihren Schlussfolgerungen jedenfalls nicht ab.

    BFU-Behördensprecher Germout Freitag schrieb auf Anfrage, seine Behörde habe “keine Zweifel an dem Abschlussbericht der französischen Sicherheitsuntersuchungsstelle”. Auch die Franzosen hätten alle Fakten der deutschen Unfallermittler vorliegen gehabt. Die französische zivile Untersuchungsbehörde Bureau d’Enquêtes et d’Analyses (BEA) schrieb auf Anfrage, es gebe “absolut nichts, was unser Verständnis des Vorfalls in Frage stellt”.

    Derweil arbeiten noch zwei weitere Behörden an dem Fall. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hatte das Todesermittlungsverfahren zu Flug 4U9525 im Dezember bereits eingestellt, doch der Anwalt eines Angehörigen aus Haltern hatte dagegen Beschwerde eingelegt. Nun prüft die übergeordnete Behörde, die Generalstaatsanwaltschaft, ob der Einstellungsbeschluss rechtmäßig war. Das könne “mehrere Monate” dauern, sagte ein Pressesprecher der Düsseldorfer Behörde gegenüber Buzzfeed News. “Wir können aber nur nach Aktenlage prüfen.”. Neue Beweismittel würden nicht berücksichtigt, auch gehe es nicht um eine neuerliche Unfalluntersuchung. Juristische Ermittlungen laufen zudem noch bei der Staatsanwaltschaft in Marseille.

    Die Vorwürfe der Familie Lubitz richten sich vor allem gegen die BFU und deren stellvertretenden Behördenleiter Johann Reuß. Dieser habe der Familie zufolge falsche Tatsachenbehauptungen zu der medizinischen Vorgeschichte des Copiloten aufgestellt. Weder sei Andreas Lubitz zum Zeitpunkt des Unfalls depressiv gewesen, noch sei er jemals wegen einer psychischen Erkrankung stationär behandelt worden. Die Unfalluntersuchung sei zudem nicht im Einklang mit den Richtlinien der Zivilluftorganisation ICAO erfolgt.

    Die Arbeit der Behörde und ihres stellvertretenden Leiters Reuß ist auch in die Ermittlungen der französischen und der deutschen Justiz eingeflossen – sowie in die zivile Flugunfalluntersuchung. Und damit auch in den BEA-Abschlussbericht. So hätten sich “bei beiden Ermittlungen, der Flugunfalluntersuchung und in der Öffentlichkeit mehrfach falsche Eindrücke von Andreas Lubitz nachhaltig verfestigt“, sagt Gutachter Tim van Beveren. Er behauptet, alle seine Vorwürfe seien durch die Ermittlungsakten belegt. BuzzFeed News konnte Teile der Akten einsehen.

    Die BFU wies die Vorwürfe gegen sich und ihren stellvertretenden Behördenleiter auf Anfrage “insgesamt als falsch” zurück. Die Vorwürfe “entbehren jeglicher Grundlage”, schrieb Sprecher Germout Freitag. “Für die BFU ist das Untersuchungsverfahren, ebenso wie für die BEA, abgeschlossen.” Auf rund drei Dutzend Fragen von BuzzFeed News zu den einzelnen Vorwürfen und Unstimmigkeiten hat die Behörde nicht konkret geantwortet.

    Aber was ist dran an den Vorwürfen der Familie Lubitz? BuzzFeed News hat die vier Aspekte des Gutachtens zusammengefasst, die sich mit dem medizinischen Zustand von Andreas Lubitz befassen.

    Außerdem: Die Bild-Zeitung veröffentlichte ein Interview mit der angeblichen Geliebten von Andreas Lubitz – doch das ist nach BuzzFeed News-Recherchen offenbar erfunden.

    UPDATE

    Die Familie Lubitz hat inzwischen einige Teile des Gutachtens auf ihrer Webseite zur Verfügung gestellt. Wer sich dafür interessiert, findet hier die Originaldokumente.