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Dieses Dokument zeigt, wie Österreich das Asylsystem in der EU umkrempeln will

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BuzzFeed News veröffentlicht hier das Papier in voller Länge.

Die Innenminister von Deutschland, Österreich und Italien: Horst Seehofer, Herbert Kickl und Matteo Salvini. © Andreas Gebert / Getty Images

Die meisten Menschen sollen Asyl nur noch außerhalb der EU beantragen dürfen. Bis 2025 sollen die EU-Außengrenzen komplett geschlossen sein. Und in Drittstaaten außerhalb der EU sollen Lager entstehen, in die abgeschoben werden kann.

BuzzFeed.de © Screenshot aus dem österreichischen Dokument zum informellen COSI-Treffen.

Das sind einige der Punkte, mit denen Österreich einen kompletten Kurswechsel in der Asylpolitik der EU erreichen will.

Das geht aus einem internen Dokument hervor, dass Österreich als Mitglied des ständigen Sicherheitsausschusses in der Europäischen Union (COSI) bei einem informellen Treffen an die Sicherheitsbeauftragten der übrigen Mitglieder übergeben hat. Österreich hat am 1. Juli die Ratspräsidentschaft in der EU übernommen.

„Diesem Papier fehlt jeder Realitätsbezug. Es fehlt jeder Bezug auf europäische Partner. Und es fehlt jede Bezugnahme auf internationales Recht“, kritisiert Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“.

Einige der Forderungen dürften in Konflikt mit aktuell geltendem Recht geraten, vor allem mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Flüchtlingskonvention oder auch dem deutschen Grundgesetz. In Österreich hat - anders als zum Beispiel Deutschland - die Europäische Menschenrechtskonvention Verfassungsrang.

BuzzFeed News veröffentlicht das Dokument in Deutsch und in Englisch am Ende dieses Artikels in voller Länge.

1. Keine Asylanträge in der EU mehr

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Die österreichische Ratspräsidentschaft will erreichen, dass nur noch bestimmte Menschen auf EU-Boden einen Asylantrag stellen dürfen: Das sollen Menschen sein, die aus direkten Nachbarländern der EU kommen, oder Menschen, mit denen die EU eine Vereinbarung getroffen hat. Mit keinem der 8 häufigsten Herkunftsländer hat die EU ein Rücknahmeabkommen – die ganz überwiegende Mehrheit derjenigen, die bislang überhaupt Asyl beantragen, soll das nach dem Willen der österreichischen Regierung also nur noch außerhalb der EU tun dürfen.

Für diese Menschen würde das bedeuten: sie hätten in der EU kein Grundrecht auf Prüfung eines Asylantrages mehr - und wären folglich ohne jeden Status, was in letzter Konsequenz auf eine Inhaftierung hinausläuft.

In Deutschland ist das Recht auf einen Asylantrag im Grundgesetz verankert und damit Verfassungsrang. In Österreich ist das nicht der Fall.

2. Freiheitsentzug während eines Asylantrags

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Österreich kritisiert, dass Menschen nicht festgesetzt werden können, nachdem sie einen Asylantrag gestellt haben – und meint damit Freiheitsbeschränkungen „bis zum Abschluss von Registrierung, Sicherheitsüberprüfung und Zulässigkeitsprüfung“

Artikel 5 der Menschenrechtskonvention garantiert jedem Menschen – egal welcher Herkunft oder welcher Nationalität – den Schutz vor Freiheitsentzug. Ausnahmen sind nur in bestimmten Fällen möglich, von denen hier nur der 'Verdacht zur Begehung einer Straftat' oder die 'Pflicht zur Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung' infrage kämen. Die generelle Festsetzung von Asylantragstellern würde eine Vorverurteilung bedeuten, da man grundsätzlich und ausnahmslos allen die Absicht unterstellen würde, dagegen verstoßen zu wollen.

3. Hotspots: An den Außengrenzen prüfen, ob jemand für einen Asylantrag überhaupt in Frage kommt.

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.
BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Das Konzept der „Hotspots“ wird bereits seit Jahren auf den griechischen Inseln praktiziert. Dort werden Menschen - oft seit Jahren - unter äußerst kritischen Bedingungen in Lagern konzentriert, während geprüft werden soll, ob sie überhaupt berechtigt sind, einen Asylantrag zu stellen.

Eine solche Vor-Prüfung ist unter rechtlichen Gesichtspunkten sehr fragwürdig: Die Menschen befinden sich juristisch gesehen (de jure) bereits auf europäischem Boden, praktisch gesehen (de facto) gilt europäisches Recht für sie nicht. Denn grundsätzlich ist jeder berechtigt, einen Asylantrag zu stellen. Dieser kann auch abgelehnt werden. Eine vorgelagerte Prüfung aber würde zunächst einen - möglicherweise auch sehr langen - Freiheitsentzug bedeuten, und das verbietet Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention. In den bereits bestehenden Hotspots beispielsweise werden den dort konzentrierten Menschen schon heute keine Ausweise ausgestellt und sie dürfen nicht frei im Land bewegen – ein Verstoß gegen die Artikel 26, 27 und 28 der Genfer Flüchtlingskonvention.

4. Menschen sollen aus der EU in spezielle Lager in Nicht-EU-Ländern abgeschoben werden.

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.
BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Wenn ein Asylantrag abgelehnt wurde will Österreich diese Menschen in „Return Center“ genannte Lager abschieben. Dies gilt, wenn das Herkunftsland die betreffenden Personen nicht aufnehmen will oder man dorthin nicht abschieben kann, zum Beispiel aus Sicherheitsgründen oder weil das zuständige Land sich verweigert.

Das österreichische Papier spricht nur von 'Drittstaaten', nicht von 'sicheren Drittstaaten'. Je nachdem, wo diese Lager sich also befinden, könnte das einen Verstoß gegen Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention und gegen Artikel 3 der UN-Antifolterkonvention bedeuten: und damit gegen den „Grundsatz der Nichtzurückweisung“. Der verbietet die Rückführung von Personen in Staaten, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

5. EU-Außengrenzen bis 2025 schließen

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.
BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Die EU-Grenzschutzagentur „Frontex“ soll nach dem Willen der österreichischen Regierung massiv ausgebaut werden. Sie soll direkt mit Drittstaaten, also nicht EU-Mitgliedern, zusammenarbeiten, um Menschen wieder zurückzuführen. Und sie soll deutlich mehr Personal und Ausstattung bekommen. Was das konkret bedeutet und wie es finanziert werden soll, dazu sagt das Papier nichts.

6. Die Außengrenzen mit autonomen Systemen sichern – und Flüchtlinge mit Frontex direkt aus dem Meer zurückbringen.

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Momentan können Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen werden, nur nach Europa gebracht werden – auch wenn zum Beispiel Häfen in Tunesien, Libyen oder Ägypten viel näher sein sollten. Der Grund: alle diese Staaten sind nicht sicher, eine Rückführung dorthin würde Menschen in Gefahr bringen. Welche Staaten Österreich als sicher ansieht, geht aus dem Papier nicht hervor.

Ein „autonomes Grenzüberwachungssystem“ würde selbstständige technische Lösungen um die gesamte EU-Außengrenze herum benötigen: Zäune, Sensoren, Kameras, Drohnen – und auch Personal und möglicherweise Waffen. Entsprechende Tests laufen schon länger, auch Gelder sind bereits bewilligt. Bernd Mesovic, Leiter der Abteilung Rechtspolitik und stellvertretender Geschäftsführer von „Pro Asyl“, bezweifelt jedoch, dass eine komplette Grenzüberwachung technisch, personell und vor allem finanziell überhaupt zu leisten ist.

7. Österreich ist gegen die Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedsstaaten.

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Österreich glaubt, die Lage würde sich destabilisieren, wenn Menschen auf alle EU-Staaten verteilt werden. Von einer solchen Lösung profitieren all jene Staaten, die keine EU-Außengrenzen haben – also vor allem Deutschland, Tschechien und Österreich selbst.

8. Asyl beantragen soll kein Grundrecht mehr sein, sondern nur noch einer bestimmten Anzahl Menschen pro Jahr erlaubt sein.

BuzzFeed.de © Screenshot aus: Raumdokument "Österreichischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union 1. Juli bis 31. Dezember 2018". Markierung von BuzzFeed News.

Der Vorschlag, das Grundrecht auf Stellung eines Asylantrages nur noch einer bestimmten Anzahl von Menschen pro Jahr zu gewähren wurde unter dem Schlagwort der „Obergrenze“ bereits im letzten Wahlkampf heftig diskutiert – und abgelehnt. In Deutschland ist das Grundrecht auf Asyl per Grundgesetz garantiert, in Österreich nicht.

Ein Grundrecht wird verstanden als Menschenrecht, dass jeder unabhängig von Religion, Herkunft oder sonstigen Merkmalen innehat und niemals verlieren kann. Eine hier „Kapazitätsgrenze“ genannte, fest definierte Menge von Menschen, denen das gewährt wird, wäre mit dieser Vorstellung nicht vereinbar.

Deutliche Kritik von ProAsyl

Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“, sagte gegenüber BuzzFeed News:

„Diesem Papier fehlt jeder Realitätsbezug. Es fehlt jeder Bezug auf europäische Partner. Und es fehlt jede Bezugnahme auf internationales Recht. Es ist vollkommen defizit-orientiert und ignoriert all die unzähligen erfolgreichen Integrationsgeschichten, vor allem auch jene in Österreich.“

„Dort wird ein Krisenszenario schlimmster Sorte skizziert, das mit der Realität wenig zu tun hat. Statt sich an internationale Verträge und geltendes Völkerrecht zu halten, sollen die anderen EU-Mitglieder nur noch dieser österreichischen Krisen-Vorstellung folgen – das ist schon sehr anmaßend.“

„Und dass in diesem Dokument nicht ein Wort über den notwendigen Mitteleinsatz, die Kosten, das Personal und vor allem über die Länder, in denen die Flüchtlinge überhaupt in der EU ankommen, verloren wird, sagt alles über dessen Realisierbarkeit.“

„Das Papier kommentieren wir grundsätzlich nicht.“

Das Bundespresseamt erklärte auf Anfrage von BuzzFeed News, die EU sei in fortlaufenden Gesprächen über Migrationsfragen. „Der Bundeskanzlerin geht es um gemeinschaftliches Handeln – nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zu Lasten Dritter. Das von Ihnen angehängte Arbeitspapier kommentieren wir grundsätzlich nicht“, so ein Sprecher.

Das Dokument in voller Länge

Das Original-Papier in der englischen Fassung

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