1. BuzzFeed
  2. Recherchen

Deutsche Behörden suchen diesen Mann, der Fake News verbreitet und seinen Lesern Waffen verkaufte

KommentareDrucken

Mario Rönsch hat im Namen des Hackerkollektivs Anonymous Falschmeldungen verbreitet und illegale Waffen verkauft. Er ist auf der Flucht.

BuzzFeed.de
BuzzFeed.de © BuzzFeed News

Am Morgen des 24. Januar durchsuchten Beamte des deutschen Zolls 29 Häuser und Wohnungen nach illegalen Waffen, die aus einem ungarischen Internetshop stammen sollten. In 11 Bundesländern beschlagnahmten die Beamten Waffen, Munition und Computer.

Es gelang ihnen zwar, die Waffen sicherzustellen, doch der Betreiber des Internetshops ist weiter auf der Flucht. Er heißt Mario Rönsch und entzieht sich seit Monaten einer Befragung durch die Erfurter Ermittlungsbehörden, die wegen Volksverhetzung und Verleumdung nach ihm fahnden. Rönsch, 33 Jahre alt, wird beschuldigt, eine Facebook-Seite und eine Website für die massenhafte Verbreitung sogenannter Fake News, prorussischer Propaganda und flüchtlingsfeindlicher Äußerungen genutzt zu haben.

BuzzFeed.de © via compact-online.de

Rönschs Äußerungen und Handlungen sind so radikal, dass selbst die rechtspopulistische Zeitschrift Compact, die unlängst Angela Merkel mit Hitler-Schnurrbart auf ihr Titelblatt setzte, sich öffentlich von ihm distanzierte.

In dem Online-Artikel heißt es, man habe Rönsch im Frühsommer 2016 als Reaktion auf dessen Waffengeschäfte gefeuert. Compact habe mehrfach gewarnt, Rönsch und sein Waffenladen würden eine Gefahr darstellen.

Recherchen von BuzzFeed News zeigen, wie Rönsch soziale Netzwerke, das Internet und seine angebliche Verbindung zum Hackerkollektiv Anonymous nutzte, um Falschmeldungen zu verbreiten, verbotene Waffen zu verkaufen und sich einer Verhaftung durch deutsche Behörden zu entziehen. Mitten in der Debatte um die Frage, wie im Bundestagswahljahr mit der Zunahme volksverhetzender und verleumderischer Falschmeldungen umzugehen sei, zeigt Rönschs Fall wieder einmal, wie schwierig es für die Behörden oft ist, einschlägige Seiten zu sperren – selbst in einem Land, wo restriktive Gesetze gegen Hetz- und Hassäußerungen gelten.

Nach Informationen von BuzzFeed News vermuten die Behörden in Thüringen, dass sich Rönsch in Ungarn aufhält. Doch in einem nicht gelöschten Beitrag in dem russischen Social-Media-Netzwerk VKontakte (VK) sagte Rönsch kürzlich, er sei auf der Krim und die deutschen Behörden kümmerten ihn nur wenig.

Auf dem Foto steht Rönsch mit breitem Lächeln vor türkisfarbenem Wasser. Unter dem Bild steht „Viele Grüße aus Jalta! Merkel: Fuck u!”

BuzzFeed.de © http://VKontakte/anonymousnews.ru

Zum ersten Mal machte Mario Rönsch im Jahr 2014 von sich reden, als er Demonstrationen in Erfurt organisierte. In YouTube-Videos ist zu sehen, wie Rönsch mit einem Mikrofon in der Hand Sprechchöre anstimmt. „Geht nach Hause oder stellt euch mit auf die Straße, ihr Journalisten! Aber hört auf, diesen Mist zu berichten!”, sagt er in einem der Videos.

Zwar sind die Videos oft kurz und der Zweck der Kundgebungen nicht immer klar, aber die Demonstrationen fanden häufig statt. Die Erfurter Behörden sagten BuzzFeed News, 2014 hätten acht von Rönsch angemeldete Demonstrationen stattgefunden. Inhaltlich sei es stets um „Frieden” gegangen.

Die von Rönsch damals betriebene Website Anonymous.Kollektiv und die gleichnamige Facebook-Seite präsentieren jeweils eine andere Botschaft. Weder die Webseite noch Rönsch haben etwas mit dem Hackerkollektiv Anonymous zu tun.

Die Facebook-Seite von Anonymous.Kollektiv © http://Facebook/Anonymous.Kollektiv

Die Adresse Anonymous.Kollektiv war ebenso populär wie irreführend. Betrieben wurde die Seite von Rönsch und einem Mann namens Kai Homilius, wie aus einem Vice Deutschland zugespielten und inzwischen weit verbreiteten Screenshot hervorgeht. Homilius ist Verleger, der Bücher über Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 und zu vermeintlich giftigen Kondensstreifen herausgibt. Anfragen von BuzzFeed News bezüglich einer Stellungnahme ließ er unbeantwortet.

Berichten zufolge wurde auf der Seite offen für Hass, Gewalt und Selbstjustiz gegen Flüchtlinge geworben. In den Beiträgen auf Anonymous.Kollektiv soll häufig Bundeskanzlerin Angela Merkel verteufelt und Russlands Präsident Wladimir Putin verherrlicht worden sein. Demnach wurde Merkel mit Hitler verglichen; zudem waren häufig erfundene Geschichten zu lesen über Flüchtlinge, die angeblich Deutsche angegriffen und vergewaltigt hätten. Als Facebook die Seite im Mai sperrte, hatte sie mehr als eine Million „Gefällt mir”-Angaben.

Ein Screenshot, auf dem Rönsch und Homilius als Betreiber der Facebook-Seite von Anonymous.Kollektiv aufgeführt sind
Ein Screenshot, auf dem Rönsch und Homilius als Betreiber der Facebook-Seite von Anonymous.Kollektiv aufgeführt sind © Facebook

Vor der Deaktivierung seines Facebook-Kontos drohte Rönsch damit, jeden zu verklagen, der behauptet, er (Rönsch) habe etwas mit der Seite zu tun. Als die Seite dann am 19. Mai gesperrt wurde, war Rönschs Standort nicht mehr nachvollziehbar.

Chan-jo Jun ist Anwalt und vertritt einen syrischen Flüchtling, der gegen Facebook klagt, weil das soziale Netzwerk sich weigert, Bilder zu entfernen, die ihn fälschlicherweise als Terrorist zeigen. Chan-jo Jun sagt, er habe die Anonymous-Seite schon längere Zeit im Visier.

„In Deutschland gibt es gegen die Verbreitung falscher Fakten keinen Schutz”, meint Jun. „Öffentliche Verleumdungen sind durch nichts zu rechtfertigen.”

Als Anwalt geht Jun insbesondere gegen Hassäußerungen und Verleumdung vor. Die Seite Anonymous.Kollektiv mitsamt den dort veröffentlichten Geschichten hat er schon viele Male angezeigt. Schlussendlich bedurfte es erst einer Anzeige durch einen deutschen Politiker, damit die Seite gesperrt wurde.

Facebook hat gegenüber BuzzFeed News bestätigt, Anonymous.Kollektiv wegen Hassäußerungen vom Netz genommen zu haben. Facebook-Sprecher Richard Allan teilte der Bundesregierung im September mit, dass sein Unternehmen bisher etwa 100.000 Hassbeiträge gelöscht habe, sagte aber nicht, innerhalb welches Zeitraums.

Rönsch blieb zwar abgetaucht, war aber schon bald wieder online. Weniger als zwei Wochen nach der Sperrung von Anonymous.Kollektiv wurde bei einem russischen Domainhosting-Unternehmen eine neue Website namens AnonymousNews.ru registriert. Whois-Einträge deuteten auf eine Verbindung zwischen Rönsch und der neuen Website hin. Inhaltlich ähnelte diese der Seite Anonymous.Kollektiv und war mit denselben YouTube- und VK-Konten verlinkt.

Genau wie auf der alten Seite sind die deutschsprachigen Artikel auf „Anonymous News” eine Mischung aus Verschwörungstheorien, Falschmeldungen über Flüchtlinge und Verleumdungen gegen liberale Politiker wie Angela Merkel und Barack Obama.

Die Seite gibt vor, dem Hackerkollektiv Anonymous nahezustehen, was die Gruppe jedoch vehement bestreitet. Auf Facebook-Seiten, deren Ziel es ist, angebliche Anonymous-Aktionen auffliegen zu lassen, werden Rönsch und seine Komplizen erwähnt. Es gibt sogar ein Anonymous-Forum von 2015, wo diskutiert wird, wie man Rönschs Website und Social-Media-Präsenz zerstören könnte.

„Ich schlage eine Operation zum Hacken von Nazis und Nazi-Kriegsverbrechern vor”, heißt es in einem der Beiträge. „Ich habe auch von einem Konto namens annonymous [sic!] erfahren, das einem deutschen Nazi gehört.”

Anonymous News hat mit seinen Inhalten eine beträchtliche Aktivität auf Facebook ausgelöst. Während der letzten sechs Monate wurden frei erfundene Artikel über vergewaltigende Asylbewerber in Köln, einen deutschen General, der sich gegen Merkel gestellt haben soll, und einen „vergessenen” Genozid an Deutschen jeweils über 20.000-mal geteilt oder kommentiert. Das hat BuzzSumo ermittelt, ein Tool, welches die Beteiligung in sozialen Netzwerken misst. Darüber hinaus wurden diese Artikel von anderen rechtspopulistischen Autoren und Verschwörungs-theoretikern in ganz Europa zitiert.

Die neue (gefälschte) Anonymous-Seite ist in jeder Hinsicht eine Kopie der alten Seite, die von Rönsch betrieben wurde. Allerdings mit einer beängstigenden Ausnahme: Die Seite ist übersät mit Werbung für einen Internetshop namens Migrantenschreck.ru. Angeboten werden Waffen für jeden, der sich vor der vermeintlichen Bedrohung durch Migranten schützen will.

BuzzFeed.de © anonymousnews.ru

Das VK-Konto von Anonymous.Kollektiv existiert schon seit 2011, der Waffenshop wurde jedoch erst im Mai 2016 registriert. „Migrantenschreck” macht keinen Hehl daraus, wofür die Waffen gedacht sind: um Angehörige vor Einwanderern zu schützen, wie es in der Beschreibung der Waffen heißt. Auf der Webseite gibt es einen Blog, der, obwohl kaum gelesen, ebenfalls Falschmeldungen über Flüchtlinge verbreitet.

Es lässt sich unmöglich sagen, wie viele Kunden „Migrantenschreck" tatsächlich hat. Am Tag nach den Razzien durch deutsche Zollbeamte meldete DIE ZEIT jedoch, es hätten 198 Personen Waffen erworben. Die Behörden wollten sich mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern, stellten BuzzFeed News aber Fotos von den beschlagnahmten Waffen zur Verfügung. Für die Waffen wird zwar keine scharfe Munition verwendet – gleichwohl können die Projektile einen Menschen schwer verletzen oder sogar töten.

BuzzFeed.de © Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main
BuzzFeed.de © Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main
BuzzFeed.de © Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main
BuzzFeed.de © Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main

BuzzFeed News gelang es mit Hilfe von Domain-Registrierungsinformationen und ungarischen Unternehmensdatensätzen, die Verbindung zwischen Rönsch und „Migrantenscheck" nachzuweisen. Rönschs Name und seine ungarische Geschäftsadresse samt ungarischer Steuernummer stehen im Impressum der Website. Die Domain-Registrierungsinformationen für Migrantenschreck.ru sind zwar verborgen, doch die Registrierung für Migrantenschreck.net läuft auf Rönschs Namen und eine Anschrift in Erfurt.

BuzzFeed.de © migrantenschreck.ru

Im Impressum von AnonymousNews.ru steht ebenfalls eine ungarische Adresse, dagegen wird für die Seite Anonymous-news.de unter derselben IP-Adresse ein anderer Inhaber und eine andere Registrierungsadresse genannt: Dana Kamrad in Erfurt. Es gibt keinen Beweis für eine Verbindung zwischen Kamrad und Migrantenschreck. Mehrere Versuche von BuzzFeed, Kamrad ausfindig zu machen, um sie zu befragen, blieben erfolglos. Sowohl Rönschs als auch Kamrads E-Mail-Adresse sind auf Yandex.com, einem russischen Anbieter, registriert, aber keine von beiden ist aktiv.

Durch den Abgleich der Steuernummer auf Migrantenschreck mit einer öffentlichen Wirtschaftsdatenbank in Ungarn konnte BuzzFeed nachweisen, dass es sich bei dem Waffenshop um ein registriertes Unternehmen handelt. Den Unterlagen zufolge wurde die Firma im vergangenen September gegründet, befasst sich unter anderem mit der Wartung von Sicherheitssystemen sowie dem Verkauf von Maschinen und Zubehörteilen und ist verlegerisch aktiv. Seltsam ist, dass als eine der Tätigkeiten des Unternehmens auch Immobilienhandel genannt wird.

Die für Kamrad aufgeführte Adresse befindet sich in einer kopfsteingepflasterten Straße in der Erfurter Altstadt. Als BuzzFeed letzte Woche vorbeischaute, war Kamrad nicht auffindbar. Nachbarn, die anonym bleiben wollten, sagten, Kamrads Wohnung sei im März zwangsgeräumt worden. Rönsch, von dem BuzzFeed News ihnen ein Foto zeigte, kannten sie nicht. Sie sagten, es sei gut möglich, dass er dagewesen sei, denn Kamrad habe häufig Besuch erhalten. BuzzFeed News konnte weder Kamrads neue Adresse noch eine Online-Präsenz ermitteln.

BuzzFeed.de
BuzzFeed.de © Karsten Schmehl/BuzzFeed News
BuzzFeed.de © Karsten Schmehl/BuzzFeed News

Nicht weit entfernt befindet sich das vierstöckige Mietshaus, in dem Rönsch gewohnt hatte. Das Gebäude liegt im Zentrum der Erfurter Altstadt inmitten von Geschäften, Bäckereien und Restaurants. Sein Name steht längst nicht mehr an dem Klingelschild seiner ehemaligen Wohnung, das Gebäude ist frisch in weißer Farbe gestrichen. BuzzFeed News hat mit mehreren Nachbarn gesprochen, die sagten, das Haus sei neu gestrichen worden, weil es Farbattacken gegeben habe.

BuzzFeed.de © Karsten Schmehl/BuzzFeed News

Allerdings sagten die Nachbarn auch, sie wüssten nicht, wo Rönsch sich aufhält. Migrantenschreck und Social-Media-Konten, die nach den Razzien online geblieben waren, verschwanden plötzlich irgendwann zwischen Mittwoch und Donnerstag in derselben Woche.

Die Sache mit den illegalen Waffen ist ungewöhnlich. Doch in vielerlei Hinsicht zeigt der Fall Rönsch, mit welchen Herausforderungen Regierungen und soziale Netzwerke konfrontiert sind, was den Umgang mit Fake News und anderen Formen von Fehlinformation im Internet betrifft. Wurde ein Konto oder eine Seite gesperrt, treten zwei neue an ihre Stelle. Statt Facebook nutzte Rönsch YouTube und VK. Auch ohne seine populäre Facebook-Seite gelang es ihm, ein Publikum zu finden. Und nun wollen ihn Beamte von Zoll und Polizei verhören.

Der letzte Hinweis auf Rönschs Aufenthaltsort war der Beitrag in seinem VK-Profil, in dem er schrieb, er sei auf der Krim. Nachdem er das Foto hochgeladen hatte, wurde der Beitrag alsbald von der AnonymousNews.ru-Seite in demselben sozialen Netzwerk geteilt.

„Der Widerstand geht weiter! Der Kopf hinter anonymousnews.ru ist wohlbehalten in Russland gelandet”, heißt es in dem Beitrag auf Deutsch. Und dann, in gebrochenem Russisch: „Gott schütze das russische Volk und Wladimir Putin.”

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

Auch interessant

Kommentare