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Rechtsextreme Auschwitz-Gesänge bei einer AfD-Demo in Jena – und die Ordner greifen nicht ein

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Die Jüdische Gemeinde Thüringen und die Abgeordnete Katharina König haben Strafanzeige gestellt.

Bei einer Wahlkampf-Demo der AfD haben Demonstranten am Dienstag rechtsextremistische Parolen gesungen, darunter das antisemitische „U-Bahn-Lied“. In unmittelbarer Nähe der Gesänge liefen Demonstranten mit AfD-Fahnen sowie offizielle Ordner der vom AfD-Landesverband Thüringen organisierten Demonstration. Diese griffen nicht ein.

Die Jüdische Landesgemeinde Thüringen und die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Jena haben Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Die Demonstranten riefen: „Eine U-Bahn, eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir. Von der JG bis Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir.“ Diese volksverhetzenden Textzeilen werden sonst vor allem von rechtsextremen Fußballfans gebrüllt. Gleich nach dem Auschwitz-Gesang stimmten die Demonstranten ein „AfD, AfD, AfD“ an.

Adressat des „U-Bahn-Liedes“ war die JG, die Junge Gemeinde Stadtmitte. Sie ist das Jugendzentrum der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Jena. Die Junge Gemeinde ist dafür bekannt, sich bundesweit an Demonstrationen gegen Rechts zu beteiligen. Auch in Jena hat die Junge Gemeinde am Dienstag die Proteste gegen die AfD mit organisiert.

AfD-Ordner sind nicht eingeschritten

Die Demonstranten, die den volksverhetzenden Gesang angestimmt haben, waren dabei von mindestens vier Ordnern der Demonstration umringt, leicht erkennbar an ihren gelben Warnwesten mit dem Aufdruck der Partei. Eingeschritten sind diese nicht. Dabei ist das eigentlich ihre Aufgabe: Ordner werden vom Leiter einer Demonstration eingesetzt, um dafür zu sorgen, dass Demo-Teilnehmer sich an die Vorschriften halten.

Gelegenheiten zum einschreiten gab es genug. Nach dem „U-Bahn-Lied“ riefen Demonstranten nach Informationen von BuzzFeed News auch noch „Hier regiert der Nationale Widerstand“ und „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

Teilnehmer der AfD-Demo in Jena am Dienstag. Einige Menschen riefen rechtsextremistische Parolen, darunter das „U-Bahn-Lied“.
Teilnehmer der AfD-Demo in Jena am Dienstag. Einige Menschen riefen rechtsextremistische Parolen, darunter das „U-Bahn-Lied“. © Thomas Victor / BuzzFeed News

Der AfD-Bundesvorstand schrieb auf Anfrage von BuzzFeed News, die Partei verurteile „rechts- wie linksextreme Parolen und wollen mit den Menschen, die diese skandieren, nichts zu tun haben.“ Nicht beantwortet hat die Bundes-AfD, warum die Ordner die Rufe nicht unterbunden haben und die betreffenden Teilnehmer nicht von der Demonstration ausgeschlossen wurden.

BuzzFeed News wollte zudem wissen, nach welchen Kriterien die Ordner für die Demonstration ausgewählt wurden und wie die AfD gegen rechtsextreme und volksverhetzende Parolen auf eigenen Demonstrationen vorgeht. Der Bundesvorstand hat darauf ebenso wenig geantwortet wie der Landesverband Thüringen oder der Kreisverband Gera-Jena-Saale-Holzlandkreis, dessen Fahne in der Nähe der Gesänge zu sehen war. Wiebke Muhsal vom Kreisverband schrieb auf Anfrage, ihr seien die geschilderten Vorgänge „so nicht bekannt. Die AfD lehnt jeder Form von Extremismus ab.“

Zwei Strafanzeigen wegen Volksverhetzung

Gefilmt wurden diese Szenen unter anderem von Katharina König-Preuss, einer Thüringer Landtagsabgeordneten für die Linke und Tochter des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König. Die Videos sowie die Videos weiterer Beobachter liegen BuzzFeed News vor.

Die Videos liegen seit Mittwoch auch der Thüringer Polizei vor. Sowohl der Superintendent der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Jena, als auch der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen haben Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet.

In seiner Anzeige schreibt Superintendent Sebastian Neuss: „Der gesungene Liedtext bezieht sich auf eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung dieser Art, er billigt das Massenvernichtungsunrecht im Konzentrationslager Auschwitz.“

Zum Abschluss die Nationalhymne: Besucher der AfD-Demonstration in Jena am Dienstag.
Zum Abschluss die Nationalhymne: Besucher der AfD-Demonstration in Jena am Dienstag. © Thomas Victor / BuzzFeed News

Außerdem werde offenkundig zum Hass gegen den Stadtjugendpfarrer Lothar König, Mitarbeiter der Gemeinde und Jugendliche, die die Gemeinde besuchen, aufgestachelt. Die gerufenen Liedzeilen sieht Sebastian Neuss als Androhung der „physischen Auslöschung“ durch die Deportation in ein Konzentrationslager.

Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Professor Reinhard Schramm, äußert sich in einer Pressemitteilung zu den Geschehnissen: „Es ist empörend, dass diese antisemitische Äußerung, bei der die Vernichtung von Juden und anderen Menschengruppen verherrlicht wird und der Wunsch nach der Wiederinbetriebnahme der Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus laut wird, 2017 überhaupt noch hervorgebracht wird.” Ein noch größerer Skandal sei es aber, dass niemand eingegriffen habe. „Nicht die angeblichen Patrioten der AfD, nicht ihre Ordner und auch nicht die Polizei“.

Alice Weidel nahm am Dienstag ebenfalls an der Demo in Jena teil. BuzzFeed News sagte sie, sie haben von den rechtsextremen Parolen nichts mitbekommen. „Es ist natürlich so, dass ich erstmal für die Mitläufer nichts kann.“
Alice Weidel nahm am Dienstag ebenfalls an der Demo in Jena teil. BuzzFeed News sagte sie, sie haben von den rechtsextremen Parolen nichts mitbekommen. „Es ist natürlich so, dass ich erstmal für die Mitläufer nichts kann.“ © Thomas Victor / BuzzFeed News

Alice Weidel: „Ich kann für Mitläufer nichts“

Auch Spitzenkandidatin Alice Weidel nahm an der AfD-Demonstration teil. Weidel lief jedoch noch nicht in der Demo mit, als die rechtsextremen Parolen gerufen wurden. Sie gesellte sich erst später dazu, um dann auf der Abschlusskundgebung zu sprechen.

Auf die rechtsextremen Parolen angesprochen, sagte sie am Ende der Kundgebung gegenüber BuzzFeed News: „Also ich war nicht mit dabei, aber es ist natürlich so, dass ich erstmal für die Mitläufer nichts kann, niemand von uns.“ Es gebe bei Demonstrationen immer die Gefahr, dass sich Leute anschließen, die nicht zur Partei gehören. Die Basis der parlamentarischen Arbeit der AfD sei jedoch das Wahlprogramm, so Weidel.

Übergriffe auf Abgeordnete und Journalisten

Die rechtsextremen Parolen waren nicht der einzige vermutlich strafbare Vorfall auf der Demo der AfD in Jena. Schon zu Beginn der Demonstration wurde die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss mehrfach von Demonstranten beleidigt. Sie beobachtete die Demonstration und berichtete auf Twitter vom Geschehen.

Während der Abschlusskundgebung wurde sie von einem Demonstranten angegriffen, der nicht fotografiert werden wollte. Er rempelte König-Preuss an und versuchte, ihr gewaltsam das Smartphone zu entreißen. Als Polizisten ihn bereits wegdrängten, rief er noch laut: „Ich bin AfD!“

Menschen auf der Gegendemonstration. „Habt keine Angst.“
Menschen auf der Gegendemonstration. „Habt keine Angst.“ © Thomas Victor / BuzzFeed News

Auch diesen Übergriff hat Katharina König-Preuss in einem Video festgehalten, das BuzzFeed News vorliegt. Gegen den angreifenden Demonstranten hat sie ebenfalls Strafanzeige erstattet. Der Mann soll während der Demonstration eine Fahne des AfD-Kreisverbandes „Gera, Jena, Saale-Holzland-Kreis“ getragen haben, so König-Preuss. Auf seinem Pullover prangte plakativ der Aufdruck „Deutschland - Mein Stolz. Meine Liebe. Meine Heimat.“ Auch ein Journalist von „Thüringen24“ wurde während der Abschlusskundgebung von Demonstranten angegriffen.

Sollten sich AfD-Bundesvorstand, der Landesverband Thüringen oder der Kreisverband Gera-Jena-Saale-Holzlandkreis zu den Vorfällen äußern, trägt BuzzFeed News dies hier nach.

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