1. BuzzFeed
  2. Recherchen

Es passiert wirklich: Menschen fliehen wegen Trump aus den USA

KommentareDrucken

In Kanada soll eine Zeltstadt in der Nähe der US-Grenze Hunderte von Menschen beherbergen, die täglich aus den USA fliehen.

BuzzFeed.de
BuzzFeed.de © Christinne Muschi / Reuters

Es ist heiß, feucht und geisterhaft still. Die grünen Armeezelte sind in ordentlichen Reihen aufgeschlagen. Drinnen liegen Männer auf Feldbetten und starren an die Zeltdecke.

In der Nähe der kleinen kanadischen Stadt Saint-Bernard-De-Lacolle reißen sich Behörden darum, mit einem Zustrom von Flüchtlingen fertig zu werden, die aus den USA über die Grenze gegangen sind – und Kanada zu ihrer Heimat machen wollen.

Warum fliehen sie alle? "Trump", sagt Esse, ein haitischer Mann mittleren Alters, der nur seinen Vornamen nennen will, gegenüber BuzzFeed News.

Esse, der vor fünf Jahren erstmals in die USA kam, hat vorher in Florida gelebt. Er will nicht fotografiert werden und während er spricht und die Worte langsam und mit Bedacht wählt, lässt er die Mitarbeiter der Canadian Border Service Agency (CBSA) nicht aus den Augen. Sie wollen nicht, dass er mit Journalisten spricht, sagt er.

Seit vier Tagen sei er im Lager. Ja, man kümmere sich um ihn, sagt er, und ja, er sei "okay"; die Verhältnisse im Lager seien gut. Aber das Essen sei "so lala". Er zuckt mit den Achseln und lächelt.

Esse gehört zu einer unbekannten Anzahl von Haitianern, die aus den USA nach Kanada geflohen sind. Anfang des Jahres warnte Präsident Donald Trump, dass der Temporary Protected Status (TPS), der Haitianern nach dem Erdbeben von 2010 gewährt wurde, im Januar 2018 ungültig würde. Das kann bedeuten, dass 58.000 Menschen in ein Land zurückgeschickt werden könnten, das immer noch mit den Folgen eines Erdbebens zu kämpfen hat, das vor sieben Jahren 230.000 Menschenleben gefordert hatte.

Die Botschaft von Trump hat Haitianern in den USA Sorgen bereitet – viele warten noch immer auf einen offiziellen Greencard-Status – und eine unerwartete Migration nach Norden ausgelöst.

Nachdem sich die Nachricht mündlich, per SMS, über WhatsApp und Facebook verbreitet hatte, steuerten Haitianer einen bestimmten Punkt an der US-kanadischen Grenze an: Roxham Road.

Wer sich diesem von der kanadischen Seite nähert, schlängelt sich an ländlichen Dörfern mit kleinen geschindelten Häusern und sorgfältig bepflanzten Gärten vorbei. Es ist ein herzig unscheinbarer Ort – einer, der schlecht darauf vorbereitet ist, ein bedeutender, illegaler Grenzübergangspunkt zu werden. Letzte Woche sollen an einem Tag mindestens 400 Flüchtlinge über die Grenze gegangen sein und die Beamten überfordert haben.

Eine 72 Jahre alte Bewohnerin, die seit 20 Jahren in der Straße lebt, hat BuzzFeed News erzählt, dass sie noch nie so etwas erlebt habe.

"Es gab etwa zehn oder zwölf Menschen pro Woche. Für uns war das normal", sagt Helene. "Aber jetzt kommen sie alle hierher."

"Es ist schrecklich. Ich musste all meine Fenster schließen und im Haus bleiben. Es gab täglich ein Auto, jetzt sind es hunderte. Und Busse und Journalisten. Alles Mögliche." Sie fährt fort: "Jeder hat mir gesagt: 'Du lebst im Paradies!' Jetzt nicht mehr. Es ist die Hölle."

Unweit von ihrem Haus haben sich kanadische Behörden niedergelassen, um den Zustrom zu bewältigen. Sie haben ein weißes Zelt in einem Wäldchen aufgeschlagen, das auf beiden Seiten offen ist. Die Mitarbeiter des Canadian Border Services stehen davor. Im Zelt sitzen Erwachsene im Schatten, die Mütter beobachten sorgsam ihre draußen spielenden Kleinkinder.

Die Mitarbeiter der CBSA überprüfen die Ausweispapiere von Menschen, die aus den USA eintreffen. Dann werden die neuen Ankömmlinge in Schulbusse verladen und zum Hauptlager gefahren, das unweit des offiziellen Grenzübergangs Champlain-St. Bernard de Lacolle Border Crossing liegt.

Wenn die gelben Busse unweit der Zelte anhalten, werden die Flüchtlinge schnell in ein anderes Gebäude geführt. Sind ihre Papiere in Ordnung, werden sie dort sofort in größere Busse verladen und nach Montreal gebracht, wo sie entweder im Olympiastadion der Stadt oder in einem ehemaligen Krankenhaus untergebracht werden, das zu diesem Zweck wiedereröffnet wurde.

Jene, die zurückbleiben, werden zum Lager gebracht. Das liegt in einem kleinen Tal unter hohen Kiefern, die Käfer anlocken und nicht genug Schatten spenden.

Die Beamten der Canadian Border Service Agency (CBSA) vor Ort lehnen es ab, mit BuzzFeed News zu sprechen. Die Idee eines Zeltlagers, um Menschen unterzubringen, die aus den Vereinigten Staaten fliehen, ist ein umstrittenes Thema.

Ein Flüchtling aus Haiti tritt aus seinem Zelt.
Ein Flüchtling aus Haiti tritt aus seinem Zelt. © Christinne Muschi / Reuters

In einer Stellungnahme bestritt ein Sprecher, dass ein "Camp eingerichtet worden sei". Stattdessen beharrte man in der Stellungnahme darauf, dass "die Zelte den Asylbewerbern eine vorläufige Unterkunft vor den Einflüssen der Witterung bieten würden, so dass die CBSA mit der geordneten Sicherheitskontrolle fortfahren könne, sobald diese an der Grenze eintreffen."

Die Zelte, so fügt man in der Stellungnahme hinzu, dienen lediglich als Maßnahme zur Registrierung der Flüchtlinge. Jedoch werden keine weiteren Einzelheiten genannt, die erklären, wie lange sie in den Zelten bleiben oder was mit den dort untergebrachten Menschen geschieht, nachdem sie diese verlassen.

Carl Voisvert, ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes und Helfer vor Ort, ist sich im Gespräch mit BuzzFeed News nicht sicher, wie groß diese Krise wirklich ist. Er bestätigte, dass die Mehrheit der Menschen, die im Lager eintreffen, ursprünglich aus Haiti stammten. Er habe jedoch keine Vorstellung davon, um wie viele es sich handelt. Er verwies die Anfragen von BuzzFeed News zurück an den Grenzschutz, der wiederum eine Auskunft ablehnte.

Mitarbeiter des Roten Kreuzes, unter ihnen auch ein Amtsarzt, sind in dem Camp zu sehen. Doch die deutlichste und aktivste Präsenz geht vom Militär aus.

Ein Flüchtling steht in einem der Zelte, die am 10. August 2017 vom kanadischen Militär nahe der Grenze in Lacolle, Quebec, Kanada, aufgebaut wurde, um den Zustrom der Asylbewerber unterzubringen. REUTERS/Christinne Muschi - RTS1B98Y
Ein Flüchtling steht in einem der Zelte, die am 10. August 2017 vom kanadischen Militär nahe der Grenze in Lacolle, Quebec, Kanada, aufgebaut wurde, um den Zustrom der Asylbewerber unterzubringen. REUTERS/Christinne Muschi - RTS1B98Y © Christinne Muschi / Reuters
Ein Flüchtling erholt sich in einem Zelt, das am 10. August 2017 vom kanadischen Militär nahe der Grenze in Lacolle, Quebec, Kanada, aufgebaut wurde. REUTERS/Christinne Muschi - RTS1B98T
Ein Flüchtling erholt sich in einem Zelt, das am 10. August 2017 vom kanadischen Militär nahe der Grenze in Lacolle, Quebec, Kanada, aufgebaut wurde. REUTERS/Christinne Muschi - RTS1B98T © Christinne Muschi / Reuters

120 Soldaten, die meisten aus einer Kaserne in der Nähe von Quebec, werden auf dem Gelände eingesetzt. Den ganzen Tag lang sind im Camp Soldaten zu sehen, wie sie Materialien transportieren und Zelte aufbauen. Als BuzzFeed News vergangene Woche Donnerstag das Camp besucht, sind bereits 25 Zelte mit jeweils 16 Feldbetten aufgebaut. Vier davon – jene, in denen Menschen untergebracht waren – verfügen über einfache Holzfußböden und Beleuchtung.

Bis Donnerstagnachmittag werden weitere Zelte aufgebaut. Die Mehrheit von diesen bleiben bis dahin noch leer. Mit der Dämmerung treffen weitere Soldaten mit schwerem Gerät und Vorräten ein. Ein Ambulanzwagen parkt hinter den Bäumen und lässt seinen Motor im Leerlauf, während Soldaten in der Nähe ihrer Arbeit nachgehen.

Die Beauftragte für öffentliche Angelegenheiten, Navy Lieutenant Eliane Trahanaus der 2nd Canadian Divisio, betont, dass die Präsenz des Militärs logistischer Natur ist. Auf die Frage nach der Koordination zwischen den zuständigen Stellen, sagt sie, dass zwar Kontakt zu den verschiedenen Organisationen bestünde, die das Lager verwalten, jedoch gebe es wenig Informationen.

Eine internationale Präsenz soll es nicht geben. “Die UNO… Ich bin mir nicht sicher. Nein, keinerlei Kontakt zu ihnen. Ehrlich gesagt würde ich mich freuen, von ihnen zu hören."

In der Zwischenzeit wird das Camp straff kontrolliert. Reporter schauen hinter jede Ecke und rücken den Soldaten auf die Pelle, die in der schwülen Hitze arbeiten müssen. Gelegentlich trifft ein Bus ein und entlädt schnell eine Gruppe von Flüchtlingen, um dann in einer kreischenden Staubwolke wieder davon zu dröhnen.

Godfry aus Nigeria, der am gleichen Tag wie Esse eintraf, erklärt gegenüber BuzzFeed News, warum er über die Grenze kam. "In meinem Land gibt es unzählige Dinge, die falsch laufen. Ich bin bisexuell und in meinem Land ist dies nicht erlaubt. Wenn ich geblieben wäre, hätte man mich gelyncht oder für 14 Jahre ins Gefängnis gesteckt. Als ich die Möglichkeit hatte, musste ich einfach aufbrechen."

"Als ich in die Vereinigten Staaten kam, dachte ich, es würde einfacher für mich werden, aber so war es nicht. Doch dann habe ich gehört, dass Leute hierher kommen können."

"Ich will daran glauben, dass es in Kanada besser sein wird als in den USA", sagt Godfry. Esse wiederholt seine Gedanken, aber keiner von den beiden Männern weiß, was sie in den folgenden Tagen, Monaten, Jahren erwarten wird.

"Ich verlasse die Vereinigten Staaten, um nach Kanada zu kommen", sagt Esse erneut, aber mit etwas weniger Hoffnung in seiner Stimme.

BuzzFeed.de
BuzzFeed.de © Christinne Muschi / Reuters

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

Auch interessant

Kommentare