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Tausende Rechte und Rechtsextreme zogen durch Chemnitz, griffen Menschen an – und wollen wiederkommen

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Rechtsextreme warfen Flaschen und Böller, sie zeigten den Hitlergruß. Die Polizei war überfordert.

Rechte Demonstranten in Chemnitz warfen mit Pyrotechnik und Flaschen.
Rechte Demonstranten in Chemnitz warfen mit Pyrotechnik und Flaschen. © Jan Woitas / picture alliance/dpa

Nach einer rechtsextremen Demo in Chemnitz ist es zu mindestens 18 Verletzten auf Seiten von Demonstranten und zwei verletzten Polizisten gekommen. Das gibt die Polizei Sachsen an. Die Initiative „Pro Chemnitz“ hatte am Abend zu einer Kundgebung aufgerufen. Dem Aufruf waren tausende, teils gewaltbereite Rechte und Rechtsextreme gefolgt, darunter auch Nazi-Gruppierungen und NPD-Politiker.

Aktivisten und Journalisten berichteten in der Nacht von Jagdszenen. Die Polizei sei völlig überfordert gewesen. Die Nazis haben unterdessen angekündigt, in den kommenden Tagen erneut nach Chemnitz kommen zu wollen.

Die Polizei gab am Montagabend an, dass sie nicht mit so vielen Menschen gerechnet habe. Der Einsatz sei „nicht störungsfrei“ verlaufen, sagte ein Sprecher gegenüber der Deutschen Presseagentur. Polizeipräsidentin Sonja Penzel hatte noch am Nachmittag versichert, dass man ausreichend Kräfte angefordert habe.

Auch am Dienstagmorgen ist noch unklar, wie viele rechte und rechtsextreme Demonstranten vor Ort waren. „Pro Chemnitz“ sprach von 10.000 Teilnehmern. Journalisten vor Ort schätzten die Zahl auf zwischen 5000 und 8000. Die Polizei Sachsen hat bis zum Dienstagmorgen noch keine Zahlen bekannt gegeben. Bei der Gegendemonstration von „Chemnitz Nazifrei“ sollen 1000 Menschen mitgelaufen sein.

Unklar ist ebenfalls, wie viele Polizisten im Einsatz waren. Nach Angaben von Journalisten vor Ort sollen es nur wenige Hundert gewesen sein. Die Polizei sei nicht gut genug vorbereitet gewesen.

„Die Polizei hat die Lage meiner Einschätzung nach nicht mehr im Griff.“

Schon bevor sich die Demo von „Pro Chemnitz“ in Bewegung setzte, kam es laut Angaben von Journalisten zu Versuchen, die Gegendemonstration mit Flaschen und Feuerwerkskörpern anzugreifen.

Demonstranten zeigten den Hitlergruß und vermummten sich

Auf Fotos sind einzelne Demonstranten zu sehen, die den Hitlergruß zeigen, Banner mit der Aufschrift: „Bunt, bis das Blut spritzt“ hochhalten und sich vermummen. Mindestens ein Demoteilnehmer trug einen geschlossenen Stahlhelm. Auf den Fotos und Videos ist nicht zu erkennen, ob die Polizei dagegen vorgegangen ist.

Hier zeigt ein Demonstrant den Hitlergruß live bei RTL.

In Deutschland besteht auf Demonstrationen ein Vermummungsverbot. Es untersagt Demonstranten ihr Gesicht zu verdecken oder Gegenstände mitzuführen mit denen das geht – zum Beispiel Schals oder Sturmhauben. Auf Fotos von Gegendemonstranten ist zu auch sehen, dass rechte Demoteilnehmer Quarzhandschuhe getragen haben.

BuzzFeed News hatte den Pressesprecher der Polizei Sachsen unmittelbar nach Auftauchen der Fotos in einem Telefongespräch gefragt, welche Konsequenzen dieses Verhalten für den weiteren Verlauf der Demo hat. Man werde mögliche Straftaten auswerten, könne aber während eines laufenden Einsatzes keine weiteren Informationen zur Verfügung stellen, sagte der Sprecher.

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BuzzFeed.de © Jüdisches Forum e.V. / Via Twitter: @JFDA_eV

Nachdem die Demonstration von „Pro Chemnitz“ sich gegen 22 Uhr aufgelöst hatte, soll es zu Übergriffen gegen Gegendemonstranten gekommen sein. Auf Twitter berichten Aktivisten davon, dass sie von Rechtsextremen gejagt wurden, sich in Autos flüchten mussten und keine Polizei vor Ort gewesen sein soll, um sie zu schützen.

Einer Person soll die Nase gebrochen worden sein:

Neonazis sollen in Seitengassen auf Gegendemonstranten gewartet haben:

Die Polizei soll überfordert gewesen sein:

Auch Journalisten sollen von Neonazis bedroht und angegriffen worden sein

Johannes Grunert, der als freier Journalist bereits am Sonntag aus Chemnitz berichtet hatte, wurde nach eigenen Angaben von einem Neonazi angegriffen, der sein Handy beschädigte. Andere Journalisten zogen sich gegen 23 Uhr zurück, darunter Reporter vom Spiegel und von mehreren Agenturen. Sie gaben an, dass die „Lage unübersichtlich“ gewesen sei und sie sich nicht mehr sicher gefühlt hätten.

„Gefahr noch zu arbeiten zu groß“

„Du wirst sehen, dein Gehirn läuft auch noch aus“

Nach Tod eines 35-Jährigen hatten rechtsextreme Organisationen und Parteien zu der Demo aufgerufen

Auslöser für die Versammlung der rechten und rechtsradikalen Gruppen war der Tod eines Mannes Samstagnacht. Der 35-jähriger Mann wurde in Chemnitz erstochen, ein weiterer war schwer verletzt worden. Obwohl zu dem Zeitpunkt noch keinerlei Tathergang oder -motiv bekannt war, rief die Hooligan-Gruppe „Kaotic Chemnitz“ zu einer Kundgebung auf und setzte die Tat mit Migranten in Zusammenhang. Daraufhin jagte ein Mob rechter Hooligans Migranten durch Chemnitz und griff auch Polizeibeamte an.

Am Montag riefen rechte und rechtsextreme Organisationen und Parteien aus ganz Deutschland zu der Demonstration auf – darunter „Die Rechte“, die NPD, „Wir sind Deutschland“ und verschiedene rechtsradikale Kameradschaften. Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass im Zusammenhang mit dem Tod des 35-Jährigen Haftbefehle gegen einen Syrer und einen Iraker erlassen wurden.

Wer war in Chemnitz auf der Straße?

Unter den rechten Demonstranten waren Mitglieder der rechtsextremen Partei „Der Dritte Weg“, die „Jungen Nationalisten“ und auch einige bekannte Neonazis, wie David Köckert oder Tommy Frenck. Frenck ist ehemaliger NPD-Politiker und Besitzer des rechten Szenetreffs „Goldener Löwe“ im thüringischen Kloster Veßra. Frenck streamte auf Facebook live von der Demonstration, fast 200.000 Menschen schauten zu.

In dem Video sind Demonstranten zu hören, wie sie „Ausländer raus!“ „wir sind die Wende!“ und „wir kommen wieder“ rufen. Auch der Vorsitzende der NPD in Nordrhein-Westfalen, Claus Cremer lief auf der Demonstration mit. Fast zu deren Ende schreibt er auf Twitter:

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BuzzFeed.de © Screenshot BuzzFeed News / Via Twitter: @claus_cremer

Frontalkraft ist eine Neonazi-Band aus Cottbuss. Mit S.i.d.N. meint Cremer vermutlich deren Song „Schwarz ist die Nacht“. Darin heißt es: „Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen. Weiß sind die Männer die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut auf dem Asphalt.“

Kurz nach Mitternacht wurde nach Informationen von BuzzFeed News in rechten Telegram-Gruppen angekündigt: „Samstag geht es in Chemnitz weiter. Vielleicht auch schon Dienstag oder Mittwoch.“

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UPDATE

28.08.2018, 13:35

Die Zahl der Verletzten wurde nach Bekanntgabe durch die Polizei Sachsen ergänzt.

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