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Nach BuzzFeed-Recherchen haben zehn Frauen eine Erdbeerfarm angezeigt, doch offenbar ermitteln die Behörden nicht

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Die Frauen bekommen so wenig Unterstützung, dass sie derzeit auf dem Wohnzimmerboden ihrer Anwälte schlafen.

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Ein halbes Jahr nach einer Recherche von BuzzFeed News Deutschland zu sexuellem Missbrauch und Ausbeutung von Erntehelferinnen in Spanien kämpfen Betroffene noch immer um Gerechtigkeit – doch die strafrechtliche Aufarbeitung der Vorwürfe droht zu scheitern. Möglicherweise müssen die klagenden Frauen noch vor Beginn eines Prozesses zurück nach Marokko. Derweil machen sich fast alle Beteiligten gegenseitig Vorwürfe. Die Rede ist von Ausbeutung, Veruntreuung und Bedrohungen durch angebliche Religionskrieger.

BuzzFeed News hatte gemeinsam mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv aufgedeckt, wie schwerwiegend und verbreitet sexualisierte Gewalt und Nötigung von Erntehelferinnen in der mediterranen Landwirtschaft ist. Zehn Erntehelferinnen hatten ihren Arbeitgeber, den Erdbeerproduzenten „Doñana 1998“, daraufhin Ende Juli angezeigt. Die Frauen warfen ihren Vorgesetzten unter anderem sexuelle Belästigung und in einem Fall auch Vergewaltigung vor. „Doñana 1998“ lieferte nach Recherchen von BuzzFeed News auch Obst nach Deutschland. Aldi Süd hatte daraufhin angekündigt, keine Produkte mehr von diesem Erzeuger zu beziehen.

Der nationale Gerichtshof in Madrid, der Ende August geprüft hatte, ob er ein Verfahren einleitet, hat sich mittlerweile für nicht zuständig erklärt und den Fall zurück an das Lokalgericht La Palma verwiesen. Das geht aus einem Schreiben des Gerichts vom 2. Oktober hervor, das BuzzFeed News vorliegt.

Müssen die Klägerinnen zurück nach Marokko?

Das Lokalgericht hatte im Sommer bereits über einen Monat lang kein Verfahren eröffnet und auch auf mehrfachen Protest der Anwälte offenbar keine Ermittlungen aufgenommen. Die Frauen und ihre Anwälte befürchten deshalb nun, dass das Verfahren vor dem Lokalgericht verschleppt wird. Ihren Anwälten zufolge haben die Frauen zwar eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erhalten – unklar ist jedoch, wie lange diese gilt und ob die Frauen sich bis zum Beginn eines eventuellen Verfahren noch im Land aufhalten können.

„Wir fühlen uns völlig allein gelassen“, sagt die Anwältin der zehn Frauen, Bélen Lujan Saez, gegenüber BuzzFeed News am Telefon. Die Klägerinnnen leben mittlerweile im Haus der Anwälte, weil spanische Behörden sie nicht unterbringen. Die Anwälte betrachten die Frauen jedoch als Opfer von Menschenhandel, womit sie nach spanischem Recht Anrecht auf eine staatliche Unterbringung und Schutz hätten. Saez' Kollege Jesús Díaz Formoso hat BuzzFeed News ein Video geschickt, in dem zu sehen ist, dass die Erntehelferinnen auf dem Sofa und auf dem Boden schlafen. Aus einem ärztlichen Schreiben geht hervor, dass die Frauen wegen Angstzuständen in therapeutischer Behandlung sind.

Die Frauen haben auch Gewerkschafter angezeigt und wurden bedroht

Nach ihrer Anzeige waren die Marokkanerinnen zunächst von der Gewerkschaft „Sindicato Andaluz de Trabajadores“ (SAT) untergebracht worden. Diese hatte schriftlich versprochen, für Unterkunft und Versorgung der Frauen aufzukommen. Das geht aus einem Schreiben vor, das BuzzFeed News vorliegt. Dieses Versprechen habe die Gewerkschaft jedoch nicht eingehalten, sagten die Frauen ihren Anwälten. Die Anwälte hatten unterdessen mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne über 20.000 Euro für die Frauen und ihre Angehörigen in Marokko gesammelt.

SAT habe die Arbeiterinnen in Häusern untergebracht, zu denen sie keinen eigenen Schlüssel hatten. So hätten sie unter der ständigen Kontrolle eines Gewerkschafters gestanden. Außerdem hätten sie für die Gewerkschaft arbeiten müssen, seien aber nicht bezahlt worden. Sie erstatteten daher Anzeige gegen den Mann.

Eine der Arbeiterinnen, die Anzeige gegen „Doñana 1998“ erstattet hat.
Eine der Arbeiterinnen, die Anzeige gegen „Doñana 1998“ erstattet hat. © Cristina Quicler / AFP / Getty Images

Nachdem die Erntehelferinnen nicht mehr von SAT untergebracht wurden, kamen sie nach Angaben ihrer Anwälte zu einem „Unterstützer der Kampagne“. Dieser Mann jedoch soll in seinem Haus Waffen gehortet und die Frauen damit geängstigt haben. BuzzFeed News liegen Videos vor, die zeigen, wie der Mann mit den Frauen Schießübungen macht. Außerdem soll er sich als Anhänger des Jihad ausgegeben haben. Drei der Erntehelferinnen erstatteten daher auch Anzeige gegen ihn. Der Mann soll eine der betroffenen Frauen mit einer abgebrochenen Flasche bedroht haben und versucht haben, sie zu fesseln. Sein Sohn soll gesagt haben: „Wir legen hier Streit bei, indem wir auf die Leute schießen.“ Das geht aus Dokumenten der Anwälte hervor, die BuzzFeed News vorliegen.

Die Anwälte Formoso und Saez werfen den spanischen Behörden vor, monatelang nichts unternommen zu haben, obwohl die Vorwürfe gegen „Doñana 1998“ seit Ende April bekannt seien und nun auch Vorwürfe gegen zwei weitere Männer vorlägen. Außerdem fühlen sie sich gemeinsam mit ihren Klientinnen bedroht. „Wir sind auch besorgt. Wir wissen nicht, ob es eine polizeiliche Untersuchung gibt, wir wissen nicht, wie gefährlich diese Person ist“, sagt Saez über den Mann, der die Frauen mit Waffen bedroht haben soll.

Doch damit nicht genug: Gleichzeitig erheben Aktivistinnen, die eine Crowdfunding-Kampagne für die Frauen organisiert hatten, Vorwürfe gegen die Anwälte. Es sei unklar, was mit den mehr als 20.000 Euro passiert sei, die Menschen online für die Erntehelferinnen gespendet hatten. Die Anwälte weisen diese Vorwürfe von sich. BuzzFeed News haben sie als Beleg Überweisungsträger und Kontoauszüge geschickt. Diese Dokumente zeigen Überweisungen von insgesamt mehr als 12.000 Euro an die Familien der Erntehelferinnen in Marokko. Der restliche Betrag befindet sich den Dokumenten zufolge noch auf dem Konto von Anwältin Saez.

Anwalt Formoso spricht BuzzFeed News gegenüber von Verleumdung. „Wir werden weiter gegen diese Missstände kämpfen. Wenn es nicht anders geht, auch allein“, so der Anwalt in einer Email.

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Alle Artikel zu dieser Recherche:

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