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Facebook und Instagram haben – immer noch – ein Problem mit betrügerischen Coronavirus-Anzeigen

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Trotz eines vor Wochen angekündigten Verbotes verbreiten die Plattformen weiter Werbung für Masken und anderes medizinisches Zubehör.

Auf Facebook und Instagram kursieren weiterhin Anzeigen für Masken und andere medizinische Geräte – obwohl die Unternehmen schon vor Wochen versprochen hatten, diese zu löschen. Reporter von Investigate Europe haben für BuzzFeed News Deutschland in den vergangenen Tagen mehrere Dutzend solcher Anzeigen gefunden. Bei einigen haben wir deutliche Anzeichen für Betrügereien recherchiert: So behaupten viele der Verkäufer, der Bestand an Produkten gehe zur Neige oder sie täuschen ein Rückgaberecht vor, dass es de facto nicht gibt.

Bereits Anfang März hatten Facebook und Instagram angekündigt, Werbung für medizinische Gesichtsmasken zu verbieten, damit weniger Menschen mit der Angst vor dem Coronavirus ein Geschäft machen können. Facebook hatte zudem angekündigt, Werbung für Produkte zu verbieten, „die sich auf das Coronavirus in einer Weise beziehen, die Panik auslöst oder impliziert, dass ihre Produkte eine Heilung garantieren oder Menschen daran hindert, sich mit dem Coronavirus anzustecken.“

Eine von dutzenden Coronavirus-Anzeigen, die wir auf Facebook und Instagram gefunden haben. © Screenshot Investigate Europe

BuzzFeed News und Investigate Europe haben Facebook um eine Stellungnahme gebeten und dafür auf einige der von uns gefundenen, problematischen Anzeigen hingewiesen. Das Unternehmen entfernte diese Werbung daraufhin zügig. Dennoch sind bis heute viele andere Anzeigen auf Facebook und Instagram zu sehen. Dies wirft die Frage auf, wie wirksam die „automatischen Erkennungsmechanismen“ von Facebook wirklich sind.

Facebook schreibt auf Anfrage, dass das Unternehmen bereits „Millionen von Anzeigen und Angebote“ entfernt habe und sich Mühe gebe, die Ausnutzung der Krise zu verhindern. Das laufe nicht perfekt, verbessere sich aber weiter. „Wir haben mehrere automatische Erkennungsmechanismen eingerichtet, um dieses Material zu blockieren oder von unserer Plattform zu entfernen“, schreibt ein Facebook-Sprecher. Das Unternehmen schreibt, wegen der Pandemie seien die Mitarbeiter, die Inhalte prüfen, nach Hause geschickt worden. Mit weniger Mitarbeitern, die zudem auch noch im Home-Office arbeiten, sei es derzeit schwieriger, Inhalte zu prüfen.

Die Anzeigen für medizinische Atemmasken und anderes Zubehör sind ein doppeltes Problem. Zum einen fördern sie Profitmacherei und Panikkäufe und verschärfen damit den akuten Mangel an Mundschutz und anderen Produkten für medizinisches Personal. Zum anderen sind sie manchmal ganz einfach Betrug.

Die Häufigkeit von Betrügereien im Internet ist Behörden zufolge seit Beginn der Coronavirus-Krise offenbar deutlich gestiegen. Interpol hatte schon Mitte März vor immer mehr Online-Betrug im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie gewarnt. „Anstatt die versprochenen Masken und Vorräte zu erhalten, verschwand das Geld ahnungsloser Opfer in den Händen der beteiligten Kriminellen“, schreibt Interpol über die von ihnen entdeckten Betrugsmaschen. „Leider nutzen Kriminelle dies aus“, sagte vor wenigen Tagen auch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. „Unsere Angst wird zu deren Geschäftsmodell.“ Schwindelerregend sei die Zahl gefälschter Medikamente, Desinfektionssprays oder Wundermittel, die online verkauft werden.

Auf Facebook und Instagram werden jedem Nutzer individuell zugeschnittene Inhalte angezeigt. Deshalb haben Reporter von Investigate Europe und BuzzFeed News in verschiedenen europäischen Ländern im Internet aktiv nach medizinischer Ausrüstung gesucht. Dadurch wurden Cookies auf unsere Smartphones und Computer heruntergeladen – und für Unternehmen, die auf Facebook für medizinisches Zubehör werben, wurden wir zu potenziellen Käufern.

Reporter von Investigate Europe und BuzzFeed News bekamen daraufhin umgehend gesponserte Inhalte angezeigt, die eindeutig gegen das Verbot von Coronavirus-bezogener Werbung verstießen. Außerdem zeigten viele dieser Anzeigen deutliche Anzeichen für Betrug.

„Beeilung! Es sind nur noch 17 Stück auf Lager“

BuzzFeed.de © Screenshot Investigate Europe

Ein Beispiel ist eine Werbung für Masken, die mit einer Facebook-Seite namens Pautty verknüpft ist. Investigate Europe und BuzzFeed News haben die Anzeige Ende März von einem griechischen Internet-Zugang aus gefunden. Die Facebook-Seite zeigt als Profilbild die Silhouette eines Paares vor einem riesigen Mond. Sie gibt an, auf „hochwertigen personalisierten Schmuck“ spezialisiert zu sein – und hat vier Follower.

Sowohl die Anzeige als auch die Seite verweisen auf die Website „magicgifts.info“. Die Schutzmasken scheinen dort in aller Eile in den Shop gestellt worden zu sein – neben Artikeln wie einer individuell zu gestaltenden Mondlampe oder einem personalisierten Foto-Nachtlicht-Bluetooth-Musikgerät. Die Maske wird als Schutz gegen COVID-19 beworben. Eine 50er-Schachtel kostet knapp 50 Euro. Auf der Bestellseite unter dem Artikel warnt ein Countdown: „Beeilung! Es sind nur noch 17 Stück auf Lager“. Die Zahl zählt langsam abwärts – wenn die Zeit abgelaufen ist, beginnt der Zähler wieder von vorne.

Die Webseite, auf die von Facebook aus verwiesen wird. © Screenshot Investigate Europe

Investigate Europe und BuzzFeed News haben Dutzende ähnlich fragwürdige Webseiten gefunden, die Werbung für Masken und andere Coronavirus-bezogene Waren über Facebook und Instagram schalten. Wir haben Anzeigen auf Englisch, Deutsch, Polnisch und Griechisch gefunden. Im Kleingedruckten geben viele an, dass Rückerstattungen nur für Artikel ohne Rabatt erhältlich sind. Gleichzeitig sind alle Artikel im Preis reduziert. Andere bieten Testimonials von angeblichen Käufern an. Die Texte sind jedoch voller Grammatikfehler und eine Bildersuche zeigt schnell, dass die Bilder schon früher anderswo im Internet aufgetaucht sind.

Eine weitere Anzeige für Mundschutz-Masken, die mit einer Seite namens „GaowenWu Page“ verknüpft ist, zeigt als Profilbild eine Palme und als Titelbild einen Anime-Cartoon. In der Rubrik „About“ ist angegeben, dass dies die Seite eines Nachrichtensprechers sei. Die Anzeige selbst zeigt ein großes Bild einer Frau, die Mundschutz trägt. Darunter steht: „Beeilung! Medizinisch-chirurgische Einweg-Schutzmaske auf Lager verfügbar. 50Stk. pro Box. Unser Lagerbestand geht zur Neige!!! Unser Lagerbestand geht zur Neige!!!“

Eine weitere Beispiel-Anzeige, die ganz klar versucht, die Angst vor dem Coronavirus auszunutzen. © Screenshot Investigate Europe

Wonach suchen Facebooks Filter?

Die Schrift steht in für Computer lesbarer Formatierung auf dem Bild. Wenn eine solche Anzeige durch die automatischen Filter von Facebook schlüpfen kann, bleibt die Frage, wonach diese Filter suchen.

Für Investigate Europe und BuzzFeed News war es relativ einfach, Werbung für Mundschutz-Masken angezeigt zu bekommen. Gleichzeitig gibt es kaum eine Möglichkeit zu erfahren, wie viele solcher Anzeigen derzeit auf Facebook zirkulieren, wie viele Menschen diese Anzeigen sehen und anklicken – oder wie viel Geld Facebook für diese Anzeigen erhalten hat. Auf Nachfragen dazu hat das Unternehmen nicht geantwortet.

Außer Facebook selbst gibt es quasi keine Ansprechpartner, um missbräuchliches Verhalten zu melden. Auf Anfrage von Investigate Europe und BuzzFeed News wollten weder Interpol noch die Europäische Kommission Schätzungen über die Verbreitung dieser Anzeigen abgeben. Sowohl Interpol als auch die Kommission gaben an, dass sie Facebook nicht überwachen, sondern die Arbeit des Unternehmens lediglich unterstützen und koordinieren würden. „Die Kommission ist keine Vollzugsbehörde für Verbraucherrecht. Die Durchsetzung (Herausgabe von Bußgeldern usw.) bleibt auch in diesen Zusammenhängen in der Zuständigkeit der nationalen Behörden“, sagte ein Kommissionsbeamter gegenüber Investigate Europe und BuzzFeed News.

Die Europäische Kommission setzt auf Kooperation

Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Geldbußen oder andere Strafen im Fall von Facebook verhängt werden, scheint gering zu sein. Bislang hoffen die europäischen Regierungen darauf, dass sich Plattformen wie Facebook an den freiwilligen EU-Verhaltenskodex zur Desinformation halten.

Ende März traf sich die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Věra Jourová mit Vertretern der großen digitalen Plattformen, die den Kodex unterzeichnet haben – darunter Facebook, Twitter, Google und Microsoft. Bei dem Treffen diskutierte Jourová mit den Plattformen die Verbreitung von Coronavirus-Desinformationen. Im Anschluss sagte sie, dass „bei der vollständigen Durchsetzung dieser neuen Richtlinien noch Lücken bestehen“, und forderte die Plattformen auf, „mehr Beweise dafür zu liefern, dass die von ihnen getroffenen Maßnahmen gut funktionieren“.

Und: Jourová wies darauf hin, dass es für Betrüger derzeit lukrativ ist, besonders gefährdete oder ängstliche Menschen durch gezielte Facebook-Werbung anzusprechen. Diese Ansprache besonders gefährdeter Menschen müssten die Plattformen unbedingt verhindern. Das widerspricht allerdings dem Geschäftsmodell von Unternehmen wie Facebook und Google.

Außer Ermahnungen hat die Europäische Kommission offenbar kaum Möglichkeiten, gegen unwillige Plattformen vorzugehen. Der EU-Verhaltenskodex zur Desinformation mag zwar ambitioniert sein, aber er ist nicht bindend. Als er 2018 unterzeichnet wurde, warnten Kritiker die Kommission: Freiwillige Maßnahmen ohne konkrete Strafen seien ein Freibrief für die großen Unternehmen. Diese Zahnlosigkeit ist kein Zufall, sondern kam auch dank der intensiven Lobbyarbeit der digitalen Giganten zustande. Das hatten Recherchen von Investigate Europe und BuzzFeed News im Juni 2019 gezeigt.

Verbraucherschützer kritisieren Facebooks Geschäftsmodell

„Die Covid-19-Pandemie zeigt die Gefahren der Online-Fehlinformation“, schreibt Monique Goyens in einer E-Mail an Investigate Europe . Goyens ist Generaldirektorin der Europäischen Verbraucherschutzorganisation BEUC, einer Dachorganisation von 45 europäischen Verbrauchergruppen aus 32 Ländern. „Die Bekämpfung der Desinformation kann nicht losgelöst von der Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell der Plattformen erfolgen“, schreibt Goyens. Die Plattformen würden nun einmal davon leben, dass sich möglichst viele Menschen möglichst lange auf ihnen bewegen. Und gefälschte Nachrichten verbreiteten sich oft einfach schneller als echte Nachrichten, so Goyens, die glaubt, dass die aktuelle Situation eine härtere Linie gegenüber Facebook rechtfertigt.

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