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Diese Reporterin hat sechs Monate in einer polnischen Troll-Farm gearbeitet

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BuzzFeed.de © Alexia Barakou/Investigate Europe

Sechs Monate lang hat eine Reporterin undercover gegen LGBTs gehetzt, für Polens Staatsfernsehen und einen linken Politiker geworben.

Sechs Monate lang recherchierte Katarzyna Pruszkiewicz verdeckt in einer Troll-Farm in Warschau. Gemeinsam mit anderen Trollen hat sie in dieser Zeit fast 200 Profile bei Facebook, Twitter und Instagram bedient, hat tausende Nachrichten und Kommentare geschrieben, hat provoziert und für ihre Kund*innen geworben.

Pruszkiewicz hat als Troll für das Propaganda-Fernsehen der rechten polnischen PiS-Regierung gearbeitet und hat einen linken Politiker bei einem Wahlsieg unterstützt. Sie hat gegen LGBTs gehetzt, Lehrer*innen beschimpft und Zeitungen bezichtigt, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Nie hat sie ihren Leser*innen verraten, dass sie dafür bezahlt wurde. All das hat Pruszkiewicz für eine Recherche des Recherche-Kollektivs Investigative Europe und des Recherche-Büros Fundacja Reporterów getan.

Seit Jahren wird über Bots und Trolle geschrieben, geredet und spekuliert. Katarzyna Pruszkiewicz ist eine der wenigen Journalist*innen, die aus erster Hand erzählen können, wie eine Troll-Farm funktioniert. Eine kommerzielle Troll-Farm, in Polen, mit Verbindungen in die Rüstungsindustrie.

Die Recherche zeigt, dass Trolle im Netz nicht nur für eindeutige, politische Beeinflussung eingesetzt werden – sie können offenbar auch ein einträgliches Geschäftsmodell sein. Auf Kosten der Wahrheit. Für BuzzFeed News Deutschland hat Katarzyna Pruszkiewicz ihre Recherchen aufgeschrieben. Dieser Text wird auch von der polnischen Newsweek und vom britischen Guardian veröffentlicht.

Die Firma Cat@Net, in der Pruszkiewicz gearbeitet hat, hat nach der Veröffentlichung dieser Recherche ein Statement veröffentlicht, in dem die Firma bestreitet, eine Troll-Farm zu sein. Die Firma würde lediglich „Marketing-Aktivitäten auf Social Media outsourcen“. Dabei würden einige Mitarbeiter*innen der Firma ihre eigenen Social Media Profile weiter betreiben

Es ist Januar 2019 und Mitarbeiter*innen von Polens Anti-Korruptions-Behörde CBA durchsuchen ein altes Bürogebäude in Breslau im Südwesten Polens. Im dritten Stock befindet sich ein kleines Zimmer: zwei Tische, eine Garderobe, ein Schrank. Die Ermittler*innen tragen Aktenordner aus dem Raum. Über die Razzien wird in den Medien kaum berichtet. Eine der beiden durchsuchten Firmen ist Cat@Net. Eine PR-Firma, wenige Jahre alt. Auf ihrer Webseite wirbt Cat@Net mit vorsichtigem Vorgehen bei delikaten Angelegenheiten. „Wir versuchen, ein starkes, positives Image für Firmen, Personen und öffentliche Einrichtungen aufzubauen – vor allem in sozialen Medien.“

Uns fallen die Razzien der Anti-Korruptions-Behörde auf, weil sie einen kleinen, aber umso spannenderen Hinweis enthalten: Sie stehen in Verbindung mit der Verhaftung eines polnischen Politikers, Bartlomiej Misiewicz. Der ist ein Aktivist für die polnische Regierungspartei PiS und ein enger Vertrauter des Verteidigungsministers. Misiewicz hat keinen Uni-Abschluss und kaum Arbeitserfahrung. Trotzdem ist er Mitglied in mehreren Aufsichtsräten staatlicher Firmen, darunter auch bei einem der größten Rüstungskonzerne Europas PGZ.

Die Recherche beginnt mit Korruptionsvorwürfen

Im Januar 2019 wird Misiewicz wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet. Als die Ermittler in ihrer Pressemitteilung die Verbindung von Cat@Net zu Misiewicz erwähnen, schrillen bei uns im Büro von Fundacja Reporterów die Alarmglocken. Wir recherchieren für Investigate Europe schon länger zu Falschinformationen im Netz und Cat@Net kommt uns verdächtig vor. Wir befragen unsere Quellen. Und tatsächlich: Eine Quelle behauptet schließlich, Cat@Net sei eine klassische Troll-Farm.

Angeblich verbreite Cat@Net nicht nur Falschinformationen, die Firma lasse sich sogar vom Staat dafür bezahlen – indem sie Menschen mit Behinderungen anstellt und dafür Fördergelder bekommt. Das zumindest behauptet unsere Quelle. Und sie behauptet auch, dass die Firma für das polnische Staatsfernsehen TVP arbeite, ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender, der unter der rechten PiS-Regierung zu einem Propaganda-Kanal geworden ist. Wir vermuten eine spannende Geschichte und starten die Recherche.

Es ist März 2019 und wir versuchen, so viel wie möglich über Cat@Net zu erfahren. Online findet sich fast nichts. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Firma tatsächlich eine Troll-Farm ist – geschweige denn, für wen sie arbeitet. Was wir herausfinden: Die Firma gibt es seit mehr als zwei Jahren und ja, sie bekommt tatsächlich eine staatliche Förderung, weil sie Menschen mit Behinderungen im Home-Office anstellt. Das können wir aus offiziellen Dokumenten herauslesen. Unseren Recherchen zufolge hat die Firma seit Ende 2015 rund 350.000 Euro Fördergeld bekommen. Diese Informationen unserer Quelle haben sich also als richtig herausgestellt. Wir recherchieren weiter.

Zufällig finden wir im Netz ein Jobangebot. Cat@Net sucht Menschen, die im Home-Office für sie arbeiten möchten und den Kund*innen der Firma dabei helfen „ein positives Bild in sozialen Medien und im Internet“ aufzubauen.

Katarzyna bewirbt sich auf einen Job bei der Troll-Farm

Katarzyna Pruszkiewicz studiert seit einigen Monaten Journalismus und sucht einen Job. Wer im Netz sucht, findet noch keine Verbindungen von ihr zum investigativen Journalismus, zum Recherchebüro Fundacja Reporterów oder dem Recherche-Kollektiv Investigate Europe. Das macht Katarzyna unverdächtig. Sie schickt ihren Lebenslauf – und ein paar Wochen später trifft sie sich mit einer Mitarbeiterin von Cat@Net in einem Einkaufszentrum in Warschau. Dass Katarzyna keine Behinderungen hat, scheint kein Problem zu sein. Ihr wird eine dreimonatige Probezeit angeboten. Es gibt nur einen Haken: Cat@Net verrät nicht, für welche Kunden Katarzyna arbeiten wird. Zumindest jetzt noch nicht.

Im April beginnt Katarzyna bei Cat@Net. Ihre erste Aufgabe: Ein Twitter-Profil anlegen, auf dem sie „gesellschaftliche und politische Inhalte“ verbreitet. Katarzyna soll das Profil authentisch wirken lassen und schnell auf 500 Follower kommen. Sie nennt ihr Profil „Żoliborz Lass“, ein Bezug auf ein Viertel in Warschau. Ihr Profilbild ist eine polnische Flagge.

Schnell bekommt Katarzyna die nächste Aufgabe: Sie bekommt Zugang zu einem Fake-Twitter-Profil, das jemand für sie aufgesetzt hat. Mit dem Profil soll sie zeigen, dass ihr Theaterstücke auf TVP gefallen, dem polnischen Staatssender. Außerdem soll sie Beiträge von TVPKultura und TVPHistoria mit ihrem Kanal verbreiten, zwei weitere Staatssender. Katarzynas neue Chefin, Alicja, zeigt ihr Beispiel-Profile, an denen sie sich orientieren kann.

„Es wäre super, wenn Du die Staatssubventionen für TVP positiv kommentieren könntest“, schreibt Alicja per E-Mail. Das Narrativ: Medien wie TVP bräuchten unbedingt eine Unterstützung durch die Regierung, sonst würden sie untergehen und es gäbe nur noch trashige Reality-TV-Produktionen.

Andrzej Duda von der rechten PiS-Partei – hier nach seinem Wahlsieg im Jahr 2015 – ist Polens Präsident.
Andrzej Duda von der rechten PiS-Partei – hier nach seinem Wahlsieg im Jahr 2015 – ist Polens Präsident. © Wojtek Radwanski / Getty Images

Katarzynas Troll-Profil kommentiert einen großen Lehrerstreik in Polen und stellt sich auf die Seite der Regierung, denn Lehrer seien ein Haufen Diebe. Sie attackiert die liberale polnische Schauspielerin Maja Ostaszewska. Und sie schreibt, wie unglaublich langweilig eine TV-Doku über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche Polens angeblich gewesen sei. Als sich zwei Männer beim Eurovision-Contest küssen, ist das für das Troll-Profil natürlich abscheulich. Bei der Europawahl hat Katarzyna auf ihrem Profil die rechte PiS-Partei gewählt. Und: Alle Wähler der Opposition sind Feinde des Vaterlandes und unterstützen die deutsche Industrie. Zwischendurch verbreitet Katarzyna auch Fotos von Blumen, von ihrer Katze, von ihrer Lieblingsschokolade – damit das Profil authentisch wirkt.

Beförderung: Wir erweisen uns als vertrauenswürdiger Troll

Wenige Wochen später hat sich Katarzyna offenbar als vertrauenswürdiger Troll erwiesen. Im Juni wird sie in eine interne Chat-Gruppe von Cat@Net eingeladen. Die Gruppe nennt sich „Lame Rebellion“, hier geben zwei Manager*innen den Trollen spezifische Aufgaben: Etwa, unter welchen Beiträgen oder Profilen die Trolle etwas kommentieren sollen und was genau dort stehen soll.

Die Tage in der Troll-Farm beginnen mit einem „Guten Morgen“, einer Tasse Kaffee und einer Reihe von Trollen, die damit angeben, wie viele Leute sie gestern erreicht haben und welche Politiker*innen auf ihre Fake-Profile reagiert haben. Jedes Mal, wenn Politiker*innen auf einen der falschen Kommentare reagieren, rollt eine Lawine an Glückwünschen durch die interne Chat-Gruppe.

Einer der wichtigsten Kunden ist das Staatsfernsehen TVP. Seit September 2017 arbeiten die Trolle für den Sender, verteidigen ihn und seinen Präsidenten Jacek Kurski online. Ein besonders aggressives Troll-Profil wird von einer der Manager*innen selbst geführt.

Auf Anfrage bestreitet TVP, mit Cat@Net gearbeitet zu haben. Uns liegt jedoch ein Dokument vor, das zeigt, dass der Sender sehr wohl Kunde war. Dies geschah offenbar über eine Mittelsfirma, AM Art-Media PR. Der Vorsitzende der Mittelsfirma, Ignacy Krasicki, sagt auf Anfrage, er erinnere sich an eine Analyse von Medieninhalten, die er an Cat@Net vergeben habe. „Wir haben über mehrere Monate zusammengearbeitet, aber ich kann mich nicht an den genauen Zeitrahmen erinnern.“ Nach unseren Informationen hat Cat@Net bis in den Mai 2019 hinein für TVP gearbeitet hat.

Später, im September, sagt unsere Reporterin Katarzyna, dass ihr langweilig werde. Ihre Chefin schlägt daher vor, sie solle doch eines der Projekte leiten. Katarzyna akzeptiert und bekommt nun Zugriff auf eine offenbar vollständige Liste der Fake-Profile. Direkt unterstellt sind ihr nun acht Trolle. Diese kommentieren Beiträge eines bestimmten Kunden auf Facebook und Twitter. Als Managerin muss Katarzyna nun alle Kommentare in Excel-Tabellen sammeln und an ihre Chefs schicken – täglich, wöchentlich und monatlich.

14 Trolle bedienen fast 200 Fake-Profile

Bei einem Blick auf die Liste aller Troll-Profile zählen wir mindestens 179 Fake-Acccounts: 70 auf Facebook, 94 auf Twitter, elf auf Instagram und drei auf YouTube. Sie alle werden von insgesamt 14 Menschen betrieben. Viele der Profile haben tausende Follower, einige Beiträge wurden zehntausende Mal angesehen.

Einer der polnischen Troll-Accounts auf Twitter: ein Fan der rechten PiS-Regierung. © Screenshot BuzzFeed News

Die Profile orientieren sich entweder weit links oder weit rechts und sollen so Vertrauen in den jeweiligen Gemeinschaften aufbauen – eine typische Taktik für das effiziente Verbreiten von Falschinformationen.

Im Mai 2019 berichtet die Zeitung „Gazeta Wyborcza“ über eine wissenschaftliche Analyse der Uni Krakow, die negativ für TVP ausgefallen war und von den parteinahen Kontrollorganen zurückgehalten wurde. Die Trolle, so heißt es in der Anweisung im Cat@Net-Chat, sollen den Artikel teilen und dabei mit einer persönlichen Nachricht kommentieren. Die Recherche sei eine Verschwörungstheorie, verbreitet von einer untergehenden Zeitung. Die Zeitung wolle nur einen Skandal provozieren. Und überhaupt, vielleicht sollte mal jemand einen solchen Korruptionsreport über diese „Gossenzeitung“ machen?

„Bitte kopiert nicht meine Argumente, sondern findet eigene Ideen basierend auf dem, was ich Euch geschickt habe. Diese Anweisung gilt vor allem für unsere politisch rechten Profile“, schreibt ein Cat@Net-Manager.

Als die Trolle verwirrt nachfragen, weil der Artikel der „Gazeta Wyborcza“ hinter einer Paywall liegt, schreibt der Manager zurück: „Verlasst Euch einfach auf das, was ich geschrieben habe. Ich weiß, dass die Gossenpresse Paywalls nutzt, aber ich habe diese Anweisungen nunmal bekommen, also scheint jemand diesen Artikel gelesen zu haben.“

Der polnische Fernsehsender Telewizja Polska TVP ist unter der rechten PiS-Regierung zu einem Propaganda-Kanal geworden – und ist unseren Recherchen zufolge auch Kunde der Trollfarm Cat@Net gewesen.
Der polnische Fernsehsender Telewizja Polska TVP ist unter der rechten PiS-Regierung zu einem Propaganda-Kanal geworden – und ist unseren Recherchen zufolge auch Kunde der Trollfarm Cat@Net gewesen. © Janek Skarzynski / Getty Images

Die Trolle sollen ihre Kommentare auf Twitter verbreiten, aber nicht immer direkt unter den angegriffenen Artikeln. Jeder Troll muss Screenshots seiner Kommentare anfertigen, weil die Troll-Farm regelmäßige Berichte an TVP schickt. Dabei scheint Cat@Net seinen Kunden offenbar verschweigen zu wollen, dass all diese Kommentare von Fake-Profilen kommen. Ein Manager beschwert sich: „Ich habe Dir doch gesagt, dass Du die Namen und Profilbilder schwärzen sollst. Warum machst Du das nicht? Jetzt muss ich das alles selber machen.“

725 Beiträge schreiben die Trolle für TVP allein im Februar

Unsere Reporterin Katarzyna Pruszkiewicz bekommt Zugang zu einem der Berichte, die an die Kunden gehen. In diesem detaillierten Bericht beschreibt Cat@Net die Troll-Aktivitäten für den Fernsehsender TVP. Im Februar 2019 seien zum Beispiel insgesamt 725 Beiträge veröffentlicht worden.

Die Analyse von ISD Global zeigt: Rund 15.000 Beiträge haben die Trolle für den Staatssender TVP abgesetzt – und regelmäßig die Twitter-Profile des Senders erwähnt. © Screenshot BuzzFeed News

Und weiter: „Am 6. März wurde veröffentlicht, dass Piotr Owczarski, zuvor angestellt bei TVP, die Firma wegen Mobbing anklagen wird.“ Die rechten Cat@Net-Accounts hätten versucht, diese Klage lächerlich zu machen. „Die Aktion lief über 60 Accounts.“ Die Troll-Farm attackierte auch andere, private TV-Sender und Zeitungen sowie die Firma Nielsen, die in Polen die TV-Einschaltquoten misst – angeblich benachteilige sie TVP, schrieben die Trolle.

Das Recherche-Kollektiv Investigate Europe und das polnische Recherchebüro Fundacja Reporterów haben die Londoner Denkfabrik ISD Global beauftragt, die Troll-Kampagnen von Cat@Net zu analysieren. Laut ISD Global haben die Trolle in knapp zwei Jahren rund 15.000 Beiträge über TVP veröffentlicht, bis zu 15 Millionen Mal könnten diese Beiträge angesehen worden sein, schreibt ISD Global.

Eine weitere Kampagne der Troll-Farm machte für den polnischen Rüstungskonzern PZL Świdnik Stimmung. Die Trolle sollten den Verkauf von Hubschraubern des italienischen Herstellers Leonardo fordern, zu dem PZL gehört. Die Trolle starteten ihre Kampagne genau dann, als die PiS-Regierung einen Vertrag mit dem französischen Hubschrauber-Hersteller Airbus kündigt. Das zeigt eine Analyse der Troll-Profile durch ISD Global.

Die Trolle schicken von nun an rund zwei Jahre lang Kommentare an Entscheidungsträger und Experten wie den Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak, um einen Deal für PZL Świdnik wahrscheinlicher zu machen. „Jeder von Euch muss sich jetzt eine Person aus dem Wirtschaftsministerium suchen und diese attackieren“, heißt es in einer Anweisung an die Trolle.

Die Trolle unterstützen auch einen linken Politiker

Im Sommer beginnt die Troll-Farm dann, den linken Politiker und erfolgreichen Anwalt Andrzej Szejna zu unterstützen. Der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen SLD kandidiert für das polnische Parlament.

Andrzej Szejna (ganz rechts) im Gespräch mit anderen polnischen Europaabgeordneten.
Andrzej Szejna (ganz rechts) im Gespräch mit anderen polnischen Europaabgeordneten. © Gerard Cerles / Getty Images

Cat@Net setzt einen neuen Gruppen-Chat auf. Hier werden die linken Accounts der Troll-Farm koordiniert. Diese unterstützen Szejna jetzt, indem sie auf alles reagieren, was er online macht. Zusätzlich sollen einige rechte Troll-Accounts auf die linken Profile reagieren, um Interaktionen zu erzeugen. Damit soll Szejna interessant gemacht werden. Und tatsächlich: Als wir im Nachhinein die Äußerungen über Szejna analysieren, scheint es so, als seien die meisten Tweets über Szejna von den uns bekannten Troll-Profilen erstellt worden. „Wenn Szejna nur von unseren Profilen Reaktionen bekommt, ist das echt verdächtig“, schreibt eine der Mitarbeiterinnen im Gruppen-Chat.

Mindestens 60 Troll-Profile retweeten und kommentieren Szejnas Beiträge. Obwohl Szejna in Polen vor der Wahl nur wenig bekannt war, könnten seine Beiträge mehr als eine Millionen mal gesehen worden sein, auch dank der Troll-Unterstützung. Das zeigt die Analyse von ISD Global.

In Polen müssen alle Zuwendungen an Politiker und Parteien dokumentiert werden. In den entsprechenden Dokumenten zur polnischen Parlamentswahl findet sich jedoch keine Erwähnung von Cat@Net. Damit könnte Szejna gegen das polnische Gesetz verstoßen haben.

Am 13. Oktober wird Szejna offiziell zum Mitglied des polnischen Parlamentes ernannt. Als wir ihn mit unseren Recherchen konfrontieren, sagt Szejna, dass sein Twitter-Account von einem „früheren Präsidenten einer mächtigen Rüstungsfabrik“ geführt werde. Wir fragen Szejna, was er für die Kampagne bezahlt habe. „Das war kostenlos“, sagt Szejna. „Ich habe für meinen Online-Wahlkampf nichts investiert.“

Als wir nach Cat@Net fragen, ist es lange still. „Der Name dieser Firma sagt mir nichts. Sollte ich die kennen?“ Wir fragen nach, wer der frühere Präsident einer mächtigen Rüstungsfabrik“ sei. Szejna will zunächst keinen Namen nennen, gibt dann auf Nachfrage aber zu, dass es sich um einen Mann namens Krzysztof Krystowski handelt.

Berühmter Ex-Politiker und Rüstungs-Manager

Das ergibt Sinn: In einem internen Chat der Troll-Farm lesen wir, dass die Firma offenbar durch einen bekannten Ex-Politiker mit-gesteuert wird: Krzysztof Krystowski. Der frühere Chef der sozialdemokratischen Arbeitsunion Unia Pracy wird von den Cat@Net-Mitarbeitern in den Chats „Präsident“ genannt. Seit die rechte PiS-Regierung 2015 an der Macht ist, arbeitete Krystowski einige Jahre als Vizepräsident für die Hubschrauer-Sparte des Rüstungskonzerns Leonardo.

Krzysztof Krystowski sagt, er habe Szejna „ein bisschen instruiert. Was man macht, wie man es macht“. Angeblich sei diese Beratung gratis gewesen. Als wir ihn zu Cat@Net befragen, fängt er an zu stocken. „Cat@Net wird von einem Freund geführt, der…, der… ist einfach ein Freund von mir.“ Krystowski sagt, er selbst sei ein Marketing-Experte und berate deshalb den Besitzer von Cat@Net. Die Firma sei super spannend, cool, interessant. „Die Firma bleibt dabei natürlich immer bei der Wahrheit.“

Die beiden Besitzer der Firma Cat@Net wollten sich auf unsere Anfrage nicht äußern.

Und die Verbindung von Cat@Net zu Bartłomiej Misiewicz, dem jungen, in der Rüstungsindustrie gut vernetzten PiS-Aktivisten? Niemand aus dem Umfeld von Cat@Net will uns etwas zu Misiewicz sagen. Bartłomiej Misiewicz selbst sagt, dass er nicht für die Troll-Farm gearbeitet hat.

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Es ist Oktober. Nach sechs Monaten als Mitarbeiterin der Troll-Farm kündigt Katarzyna. Wenige Stunden nach unserer offiziellen Anfrage an Cat@Net für diesen Artikel werden die internen Chat-Gruppen der Mitarbeiter gelöscht. Nachdem Investigate Europe und Fundacja Reporterów diese Recherche vor wenigen Tagen mit „Newsweek Polen“ veröffentlicht haben, hat Cat@Net auch fast alle Inhalte von der eigenen Webseite genommen. Nur noch ein kurzer Eintrag bleibt online. Dort kündigt die Firma eine längere Erklärung zur Recherche an. Bisher ist diese ausgeblieben.

UPDATE

04.11.2019, 10:38

Cat@Net hat nach der Veröffentlichung ein Statement veröffentlicht, in dem die Firma bestreitet, eine Troll-Farm zu sein. Die Firma würde lediglich „Marketing-Aktivitäten auf Social Media outsourcen“. Dabei würden einige Mitarbeiter*innen der Firma ihre eigenen Social Media Profile weiter betreiben, das werde von der Firma unterstützt – auch mit Anregungen für mögliche, lohnende Diskussionen. „Diese Profile werden, so wie die meisten Influencer-Profile, nicht unter den echten Namen der Mitarbeiter*innen geführt.“ Cat@Net bestreitet, dass die von den Mitarbeitern betriebenen Profile Hass verbreiten würden. Die Firma habe keine Anweisung gehabt, Andrzej Szejnas Wahlkampf zu führen. Zudem sei der Umfang der im Artikel genannten Aktivitäten übertrieben. Cat@Net sei nicht die einzige Firma, die so arbeite und ihre Methoden seien legal.

„Investigate Europe“ ist ein paneuropäisches Journalistenteam, das gemeinsam Themen von europäischer Relevanz recherchiert und europaweit veröffentlicht. Investigate Europe wird von privaten Spendern und folgenden Stiftungen unterstützt: Schöpflin-Stiftung, Rudolf-Augstein-Stiftung, Hübner & Kennedy-Stiftung, Fritt Ord Foundation, Open Society Initiative for Europe, Gulbenkian Foundation, Cariplo Foundation. Mehr zum Projekt und zum kostenlosen Newsletter . Für diese Recherche kooperierte Investigate Europe mit dem polnischen Team von Fundacja Reporterów.

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