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Drei Rechte werden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie einen schwulen Mann brutal getötet haben

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Der Staatsanwalt sprach von „absolutem Vernichtungswillen“, doch weder rechte Gesinnung noch Homofeindlichkeit sind laut Gericht das Tatmotiv.

Drei Rechte sind am Freitag vom Landgericht Chemnitz zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie einen schwulen Mann getötet haben.

„Sie haben einen Menschen getötet auf menschenverachtende Weise“, sagte die Vorsitzende Richterin Simone Herberger. Die Prozessbeobachterin Anna Pöhl von der Opferberatung Chemnitz bezeichnete den Tod von Christopher W. als „folterartige Hinrichtung“. Staatsanwalt Stephan Butzkies sprach von „absolutem Vernichtungswillen“ und einem „Massaker“.

Ein rechtes Tatmotiv oder das Tatmotiv der Homofeindlichkeit sah der Staatsanwalt jedoch nicht, wie auch in Verhandlungen zuvor. „Ich scheitere daran, eine Erklärung für das ganze hier zu finden“, sagte Butzkies. Auch die Richterin Herberger sagte: „Wir können das Motiv nicht verstehen.“

Hassgewalt gegen Lesben, Schwule, Bi- und Intersexuelle oder trans Personen wird in Deutschland nur unzureichend erfasst. In einigen Bundesländern wird das Problem von Polizeibehörden ignoriert, nur wenigen Länder geben Geld für konkrete Präventionsprojekte aus. Auch deshalb ist die Dunkelziffer nicht erfassten Gewalttaten gegen LGBT*s enorm hoch, ergab eine bundesweite Recherche von BuzzFeed News.

Die Angeklagten Jens H. und Stephan H. wurden zu Freiheitsstrafen von 11 Jahren sowie die Überweisung in eine Erziehungsanstalt verurteilt. Der dritte Täter Terenc H. muss 14 Jahre in Haft, da er als Haupttäter und Organisator der geplanten Tat gilt. Alle drei wurden wegen Totschlags verurteilt. Staatsanwalt Butzkies hatte für Terenc H. eine Verurteilung wegen Mord gefordert, da er die Tat von Anfang an geplant und Christopher W. arglos gewesen sei – die Tat sei heimtükisch gewesen. Das Gericht blieb in allen drei Fällen leicht unter dem Strafmaß, das der Staatsanwalt gefordert hatte. Die Männer sind zwischen 22 und 27 Jahre alt.

Dutzende Menschen waren anwesend, als das Urteil gesprochen wurde, etliche Personen mussten im Flur vor dem übervollen Sitzungsaal warten. Anwesend war auch die Ziehmutter von Christopher W. Sie hofft nun, dass die Täter zur Vernunft kommen, sagte sie sichtlich emotional nach der Verhandlung.

Die verurteilten Täter Jens H. (li.) und Terenc H. (re) im Gerichtssaal des Chemnitzer Landgerichts © Juliane Löffler

Homofeindlichkeit und rechte Gesinnung spielten kaum eine Rolle

Im Prozess wurden klare Hinweise auf eine rechte Gesinnung der Täter deutlich. Das Bundesinnenministerium stufte die Tat bereits vor dem Urteil als rechtsextremen Mord ein – als einzigen im Jahr 2018. Vorschnell, wie Staatsanwalt Butzkies gegenüber der anwesenden Presse nach dem Urteil sagte.

Dabei wurde Christopher W. bereits vor der Tat wegen seiner Homosexualität beleidigt und angegriffen, auch von mindestens einem der Angeklagten. Der Prozess zeigt deshalb auch, wie selten gruppenbezogener Hass selbst heute noch von den Behörden als solcher erkannt und bewertet wird.

Ein Zeuge berichtete über Stephan H., dass dieser Christopher W. einmal aufforderte, er solle aufzuhören „zu tänzeln“ – sonst „ramme ich dir eine Flasche in den Hals.“ Auch soll er gedroht haben: „Die Schwuchtel ist auch noch dran.“ Die Verteidiger von Jens H. und Stephan H. wiederholten in ihren Schlussplädoyers, ihre Mandanten hätten keine Probleme mit Homosexualität. Man sei sich nicht „ins Gehege“ gekommen, so der Verteidiger von Jens H. Als Grund für ihr Handeln sagten die Täter, Christopher W. habe erzählt, sie nähmen Drogen. Auch sprachen sie darüber, dass er offenbar in die Trennung der Freundin von Terenc H. verstrickt gewesen sei.

„Nicht jeder, der rechts ist, wird bei all seinen Taten von diesem Gedankengut getrieben“, sagte Butzkies gegenüber der anwesenden Presse nach der Verhandlung. Es habe rechtes Gedankengut vorgeherrscht, jedoch handele es sich um ein Motivbündel. Dies gelte auch für die Homofeindlichkeit. „Bloß weil im Vorfeld schon Probleme damit aufgetaucht sind, gibt es für die Tat keinen konkreten homophoben Auslöser. [...] Mit solchen Dingen muss man gerade in der heutigen Zeit vorsichtig sein.“ Man müsse Statistiken ordnungsgemäß führen. Die Voreinstufung der Tat als politisch motivierte Kriminalität halte er deshalb für keine gute Entscheidung.

„Das ist sachlich und fachlich falsch“, sagt Andrea Hübler, Fachreferentin der Opferberatung Chemnitz, gegenüber BuzzFeed News. Der Verein hat den Prozess über Monate begleitet. Hübler verwundert, dass die niederen Beweggründe als Mordmerkmal auch in der Begründung keine Rolle spielten. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass Homophobie das Tatmotiv war.“ Der Gewaltexzess und die vorherigen Anfeindungen seien klare Indizien für ein rechtes Hassverbrechen und ein menschenverachtendes Motiv, das ausgeklammert worden sei.

„Der Staatsanwaltschaft erkennt die Menschenverachtung, die Brutalität, den Vernichtungswillen. Er erkennt aber nicht, dass das etwas mit einer inneren Einstellung gegenüber einem Menschen zu tun hat, dass es aus einer Abwertung resultiert. Da gibt es einen ganz großen Nachholbedarf in den Behörden bei Polizei und Justiz und auch in der gesellschaftlichen Lesart“, so Hübler.

In den Schlussplädoyers der Verteidiger spielte das Thema Homosexualiät und auch die rechte Gesinnung kaum eine Rolle.

Das Landgericht Chemnitz
Das Landgericht Chemnitz © Juliane Löffler

Christopher W. starb an einer Hirnzertrümmerung

Christopher W. wurde am 17. April 2018 in einem Abrissgebäude am ehemaligen Güterbahnhof in Aue totgeschlagen. Er wurde mit einer Eisenstange und einer Neonröhre malträtiert. Er wurde in einen etwa zwei Meter tiefen Schacht geworfen und offenbar wieder herausgeholt. Als er noch lebte, wurde sein Unterarm aufgeschnitten, dann wurde er mit dem Gesicht auf die Kante des Schachtes gelegt und auf seinen Hinterkopf getreten. Dann wurde Christopher W. offenbar erneut in den Schacht geworfen. Zu diesem Zeitpunkt habe einer der Angeklagten gesagt, man solle es zu Ende bringen.

Mit einer schweren Holztür wurde mehrfach auf Christopher W. eingeschlagen, die Kante direkt in sein Gesicht. Sein Gesicht soll regelrecht zertrümmert worden sein, berichteten die Staatsanwaltschaft und der Rechtsmediziner. Die Tat dauerte etwa 20 Minuten, Christopher W. starb an einer Hirnzertrümmerung. Der Staatsanwalt sagte, die Täter hätten die Schuhe von Terenc H. in einer nahen Grube versenkt, weil sie blutgetränkt gewesen seien. Danach sahen Zeugen den Mann barfuß in Aue.

Wer genau welches Maß an Verantwortung trägt, war für das Gericht nicht mehr zu rekonstruieren, da sich die Angeklagten im Prozess gegenseitig beschuldigten. Terenc H. gilt laut Urteil nun als Hauptorganisator der Tat.

Es existieren Fotos des Toten, welche nach der Tat unter Bekannten und Freunden in Aue zirkulierten. „Die Bilder bleiben nicht nur Ihnen in Erinnerung“, sagte die Richterin bei der Urteilsverkündung ans Publikum gewandt, sie seien auch außergewöhnlich für die Kammer. Der zuständige Rechtsmediziner sagte im Prozess, er habe in seiner 30-jährigen Berufserfahrung erst einmal eine ähnliche Tat erlebt.

Christopher W. war mit zwei der Angeklagten – Terenc H. und Jens H. – befreundet und lebte mit ihnen in einem Haus. Am 19. April, zwei Tage nach dem Totschlag, postete Terenc H. auf Facebook „Ich vermisse dich so Seher Christopher.“ In hunderten Kommentaren darunter spekulieren Personen aus seinem unmittelbaren Umfeld, wie es zu der Tat kam und äußern ihr Unverständnis und ihre Wut.

Das Umfeld der Gruppe war von Alkoholsucht und Drogen geprägt. Die Männer trafen sich regelmäßig mit anderen Personen am Postplatz in Aue, vor allem um zu Trinken. „Sie haben den Tag sinnlos verbracht“, sagte Richterin Herberger.

Dort kam es den Ermittlern zufolge mehrfach zu Gewalt gegen Christopher. Auch habe er Geld an die Angeklagten abgegeben und ihnen seine Wohnung zur Verfügung gestellt. André Löscher von der Opferhilfe Chemnitz, der den Prozess ebenfalls verfolgt hat, beschreibt Christopher W. als eine Art Sündenbock für den Rest der Gruppe.

Ein Screenshot des Facebook-Eintrags von Terenc H. vom 19. April 2018, zwei Tage nach der Tat © BuzzFeed News

Klare rechte Gesinnung

Im Prozess zeigte sich zudem bei allen drei Angeklagten eine deutliche rechte Gesinnung. Terenc H. hat ein Hakenkreuz auf der Brust tätowiert, Stephan H. schnitzte in einer Ausbildungswerkstatt der AWO offenbar ein Hakenkreuz aus Holz aus und hörte indizierte Rechtsrock-Musik. Zum Prozess-Termin am Freitag erschien Stephan H. in einem Thor Steinar Pullover. Auch die rechte Gesinnung von Jens H. ist eindeutig über sein Facebook-Profil zu erkennen. Auf einem Foto trägt er etwa einen „Landser“-Pullover der inzwischen als kriminelle Vereinigung verbotenen, gleichnamigen Rechtsrock-Band.

Aus einer kleinen Anfrage des Grünen-Abgeordneten Valentin Lipppmann im Sächsischen Landtag im Oktober 2018 ergibt sich ein langes Vorstrafenregister der Angeklagten. Darunter: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, eine Pöbelei und widerrechtlicher Aufenthalt in Behindertenwerkstatt, lautstarkes Äußern antisemitischer Parolen, ,„Heil Hitler“-Rufe in der Öffentlichkeit, Verkauf von explosiven Stoffen, Zeigen eines Hakenkreuzes auf dem Oberkörper.

Dass die Tat überhaupt politisch motiviert sein könnte, stand nicht von Anfang an fest. Der Grüne Landtagsabgeordnete erhielt am 10. Oktober die Antwort auf eine kleine Anfrage zum Fall Christopher W: „Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Straftat bestehen auf Grundlage der geführten Ermittlungen nicht“, schreibt darin das Sächsische Justizminsterium. „Das vornehmliche Motiv der Beschuldigten wird darin gesehen, dass sie dem Geschädigten vorwarfen, Unwahrheiten über diese verbreitet zu haben.“

Jens H. auf einem Foto auf Facebook vom 17. Dezember 2017 © BuzzFeed News

Bekannte von Christopher W. zeigen sich in Gesprächen mit BuzzFeed News irritiert darüber, dass seine Homosexualität so eine untergeordnete Rolle in dem Prozess spielte. Karin L. arbeitet im Hospizdienst und hat für Christopher regelmäßig gekocht sowie ihn mit Kleidung versorgt. In der Pause des Prozesses sagte sie zu BuzzFeed News, es habe eine erotische Beziehung zwischen Christopher W. und den Angeklagten Jens H. und Terenc H. gegeben.

Auch Sandra B., deren Partnerin mit dem Opfer befreundet war, bestätigte diese Vermutung. Christopher W. habe einer Bekannten anvertraut, dass er mit den Männern intim gewesen sei, dies habe die Bekannte auch als Zeugin ausgesagt.

Ob dies stimmt, ob Eifersucht zwischen den Männern oder eine Abwehrhaltung gegen das eigene Begehren ein Tatmotiv sein könnten, wurde in dem Prozess zu keinem Zeitpunkt thematisiert.

Homofeindlichkeit wird kaum erfasst

Wie wenig Homofeindlichkeit durch Strafverfolgung erfasst und thematisiert wird, zeigte eine Recherche von BuzzFeed News im vergangenen Jahr. Nur die wenigsten Betroffenen wenden sich an die Polizei, ergab eine Umfrage bei über 650 Personen. Sie gehen davon aus, dass sich ohnehin nichts ändern wird.

In Sachsen gibt es derzeit keine spezialisierten Ansprechpersonen bei der Polizei für das Thema. Zwischen 2001 und Ende 2017 seien laut Polizeilicher Kriminalstatistik 55 Fälle von Hassgewalt auf Grund der sexuellen Orientierung registriert worden, teilte das Sächsische Staatsministerium des Inneren BuzzFeed News auf Anfrage im vergangenen Jahr mit.

„Die Dunkelzahl ist weitaus größer“, sagte André Löscher von der Chemnitzer Opferberatung im Gespräch mit BuzzFeed News. Homofeindliche Übergriffe würden oft nicht als rechte Gewalttaten angesehen. Umgekehrt sei das Bild: Nur wenn es Nazis sind, ist es rechte Gewalt. „Das ist Quatsch“ so Löscher.

Auffällig sei auch, dass Schwule und Lesben in Chemnitz kaum sichtbar seien. Wie groß das Problem in Sachsen ist, zeigt eine Anekdote, die einige Jahre zurückliegt und von der Löscher erzählt.

Der queere Verein different people e.V., wollte herausfinden, was passiert, wenn sich Schwule in der Chemnitzer Innenstadt küssen und dafür einen Versuch starten. Sie fanden niemanden, der bereit war, das Experiment durchzuführen – nicht einmal Statisten. Die Menschen hatten Angst, Opfer von Gewalt zu werden.

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