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Im Bundestag startet eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung

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Bis heute fehlen im Bundestag Strukturen für Betroffene, um sich gegen Sexismus und sexuelle Belästigung zu wehren. Das soll sich mit #NotInMyParliament ändern

Erstmals seit der MeToo-Debatte im Herbst 2017 unternimmt der Deutsche Bundestag etwas für Betroffene innerhalb des Parlamentes: Am morgigen Donnerstag treffen sich deutsche und europäische Abgeordnete im Paul-Löbe-Haus, um sich zum Thema Sexismus und sexualisierte Gewalt zu organisieren.

Anfang des Jahres hatten Recherchen von BuzzFeed News Deutschland gezeigt, wie der Deutsche Bundestag Fälle sexueller Belästigung im eigenen Haus ignoriert. Rund ein dutzend Abgeordnete und Mitarbeiterinnen hatten BuzzFeed News in vertraulichen Gesprächen von sexueller Belästigung berichtet.

Deshalb initiierte das Büro des SPD-Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe zusammen mit der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVER) nun ein Treffen im Bundestag. Die Berichterstattung von BuzzFeed News habe dazu beigetragen, sich stärker Gedanken zu machen, wie man Belästigung im Parlament etwas entgegensetzen könne, schreibt eine Mitarbeiterin Schwabes.

„Mitarbeiterinnen von Abgeordnete sind besonders gefährdet und haben meist keinen oder nur sehr eingeschränkt Zugang zu unabhängigen Beschwerdestellen“, schreibt Schwabe. „Sie melden Vorfälle nur sehr selten, dies bleibt meist ohne Konsequenzen für die Täter.“

Schwabe will nun konkrete Schritte anstoßen. Ein Ziel könnte eine politisch unabhängige, vertrauliche Beschwerdestelle sein, an die sich vor allem auch Mitarbeiterinnen von Abgeordneten wenden können. Von ihnen gibt es knapp 3000 im Deutschen Bundestag.

Unterstützung bekommt Schwabe von der Vizepräsidentin des Bundestages, Claudia Roth. „Wer Frauen wirklich zuhört, weiß wie alltäglich Sexismus und sexualisierte Gewalt hierzulande sind – das macht auch vor Parlamenten nicht halt“, schreibt Roth auf Anfrage von BuzzFeed News. „Unsere Herzkammer der Demokratie ist daher gut beraten, sich auf allen Ebenen gegen patriarchale Gewalt und die strukturelle Ungleichbehandlung von Frauen einzusetzen: Nach innen wirkend durch die Veränderung der eigenen Strukturen und nach außen durch all seine Beschlüsse.”

Sexismus, Belästigung und Gewalt sind in europäischen Parlamenten keine Ausnahme

Die Kampagne #NotInMyParliament, die nun im Bundestag diskutiert wird, wurde vor einem Jahr von der PVER-Präsidentin Liliane Maury-Pasquier auf europäischer Ebene gestartet. Dort ist auch Frank Schwabe als stellvertretender Leiter der deutschen Delegation vertreten. Anlass für die Kampagne waren die drastischen Ergebnisse zweier Studien von 2016 und 2018. In diesen Studien hatte die Interparlamentarische Union (IPU) in 45 europäischen Parlamenten untersucht, wie häufig Frauen Sexismus, Belästigung und Gewalt erleben.

40 Prozent der befragten weiblichen Abgeordneten und Mitarbeiterinnen gaben an, dass sie während ihrer Arbeit sexuelle Belästigung erlebt hätten. In fast 70 Prozent der Fälle gaben die Betroffenen an, die Täter seien männliche Abgeordnete gewesen. Und fast die Hälfte der Befragten gaben an, Mord-, Gewalt- oder Vergewaltigungsdrohungen von Personen innerhalb und außerhalb des Parlamentes erhalten zu haben.

Es erscheint unrealistisch, dass der Deutsche Bundestag hier eine Ausnahme bildet. Doch eine Untersuchung gibt es hierzu bislang in Deutschland nicht – wie groß das Problem ist, weiß also niemand. Auch Hilfsstrukturen fehlen: Geeignete Anlaufstellen gibt es im Deutschen Bundestag bislang kaum.

Habt ihr persönlich Erfahrungen mit Belästigung im Bundestag gemacht, sind euch Fälle von MeToo bekannt oder habt ihr andere Hinweise in diesem Kontext für uns? Dann meldet euch bei

unserer Reporterin Pascale Müller

: pascale.mueller@buzzfeed.com

Pascale ist auch über WhatsApp und Signal zu erreichen: +4915758473789. Für Hinweise und vertrauliche Dokumente haben wir außerdem einen anonymen und

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In der vergangenen Legislaturperiode, von 2013 bis 2017, waren der Bundestagsverwaltung nur zwei Beschwerden wegen mutmaßlicher sexueller Belästigung gemeldet worden. Im Frühjahr 2018 habe eine Studentin zudem einen möglichen Vorfall durch einen Beschäftigten der Verwaltung gemeldet. Seitdem seien keine Verdachtsfälle eingegangen, teilte ein Sprecher auf Anfrage von BuzzFeed News mit.

Dass sich so wenige Betroffene gemeldet haben, könnte auch daran liegen, dass es kaum Möglichkeiten gibt, Beschwerden vorzubringen. Die Recherche von BuzzFeed News hatte gezeigt, dass tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum durch Betriebsräte oder Beschwerdestellen geschützt werden. Da sie direkt bei den Abgeordneten angestellt sind, sind weder die Fraktionen noch die Verwaltung für sie zuständig.

Wenn sich Mitarbeiterinnen über einen Abgeordneten beschweren wollen, können sie dies deshalb oft nur bei dem Abgeordneten selbst tun. Daran hat sich auch ein knappes Jahr später kaum etwas verändert. Das zeigen Anfragen bei allen sechs Bundestagsfraktionen. Von der AfD und der Linken liegen bislang keine Antworten vor, diese werden wir gegebenenfalls hier nachtragen.

Kaum Veränderungen in Deutschland

Einzig die FDP teilt Neuerungen mit: Derzeit wird ein Ombudssystem zusammen mit einer externen Anwaltskanzlei eingerichtet. Nicole Bauer, die frauenpolitische Sprecherin der FDP, schreibt, dies sei „ein guter und wichtiger Schritt, um betroffene Menschen nicht alleine zu lassen und auch innerhalb des Bundestages mit gutem Beispiel voran zu gehen.“ Allerdings ist das Problem auch hier: Der Zugang steht nicht allen offen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Abgeordnetenbüros bleibt diese Möglichkeit bislang verwehrt. Dies habe „rechnungshoftechnische Gründe”, so Bauer. Ein Sprecher des Bundesrechnungshof sagte hingegen am Telefon, man habe zu dem Problem keine Erkenntnisse.

„Es wäre wünschenswert, wenn der Deutsche Bundestag dem Beispiel des Europäischen Parlaments folgen würde und diese Lücke schließt. In Brüssel wurde – ich denke, nicht zuletzt wegen der Kampagne #NotInMyParliament – nämlich gehandelt“, so Bauer. Im Europaparlament können sich Betroffene an verschiedene Stellen wenden. Im Frühjahr etwa hatte BuzzFeed News darüber berichtet, dass der Beratende Ausschuss zu „Belästigung am Arbeitsplatz” festgestellt hatte, dass ein Politiker und Mitarbeiter der Piraten eine Mitarbeiterin einer EU-Abgeordneten sexuell belästigt habe. Eine solche Instanz für alle Beschäftigten des Parlaments gibt es in Deutschland schlicht nicht.

Während es in Deutschland kaum vorangeht, wurden in anderen Ländern und auch auf europäischer Ebene bereits konkrete Schritte eingeleitet, um Übergriffe zu untersuchen und zu bekämpfen. In Island und Norwegen werden laut Interparlamentarischer Union derzeit interne Prüfungsverfahren eingeleitet, um herauszufinden, wie verbreitet Sexismus und sexuelle Belästigung im Parlament sind. In Irland wurden kürzlich die Ergebnisse einer solchen Überprüfung geleakt: Acht Prozent der Abgeordneten gaben an, Belästigungen, Diskriminierung oder abfällige Kommentare erlebt zu haben. In Finnland und Schweden können interne Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, wenn es zu Vorwürfen innerhalb des Parlaments kommt.

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Neue Richtlinien gegen Sexismus und Belästigungen

Andere europäische Länder führten die MeToo-Debatte wesentlich konkreter und öffentlicher als Deutschland. Im Herbst 2017 hatten mehr als 80 Frauen und Männer, die im EU-Parlament arbeiten, anonym berichtet, dass sie dort Opfer von sexuellen Übergriffen und Sexismus geworden seien. In Frankreich, Großbritannien, Schweden und Österreich erhoben Frauen in den vergangenen Jahren Vorwürfe gegenüber teilweise hochrangigen Politikern wegen Belästigung, Übergriffen und Vergewaltigung.

Auch die Interparlamentarische Union hat nun eine internationale Richtlinie mit Handlungsanweisungen für die Parlamente entwickelt. „Wir wollen Parlamente dabei unterstützen, in ihren Häusern aufzuräumen und als Vorbilder zu fungieren“, schreibt Brigitte Filion, Programmleiterin zur Prävention von Gewalt gegen Frauen bei der IPU, auf Anfrage von BuzzFeed News.

Am 25. November 2019 soll die sogenannte IPU-Richtlinie zur „Bekämpfung von Sexismus, Belästigung und Gewalt gegen Frauen in Parlamenten“ veröffentlicht werden. Darin werden vorbildliche Beispiele aber auch Handlungsanweisungen genannt. So sollen etwa fraktionsübergreifende Arbeitsgruppen für das Thema gegründet und Beschwerdestellen mit medizinischer, psychologischer und rechtlicher Unterstützung eingerichtet werden.

„Wir glauben das ist notwendig, um mehr Frauen zu ermutigen, politisch aktiv zu werden – auch im Sinne einer starken und funktionierenden parlamentarischen Demokratie“, so Filion. Rechtlich bindend sind die Empfehlungen nicht, doch die IPU will anbieten, bei der Umsetzung zu helfen. Nach Vorstellung der Organisation soll es eine streng kontrollierte Umsetzung geben: In dem 68-seitigen Papier werden konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, sollten sich Parlamente nicht an die neuen Richtlinien halten. In Chile etwa werden Sanktionen auf der Webseite der Abgeordnetenkammer öffentlich gemacht.

UPDATE

14.11.2019, 10:40

Auf dem heutigen Treffen sagte der PVER-Delegationsleiter Andreas Nick (CDU), sexuelle Belästigung sei überall in der Gesellschaft ein Problem und mache auch vor den Räumlichkeiten des Parlamentes nicht halt. Die Bundestagsvizepräsidenten Claudia Roth (Grüne) sprach von einem „erheblichen Nachholbedarf“. Auch Personen, die nicht direkt vom Bundestag angestellt sind, wie etwa die Mitarbeitenden der Abgeordneten, müssten mitbedacht werden – ingesamt handele es sich um etwa 11.000 Personen. Die Rechtsstellungkommission sei damit beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten. Als Vorbild sollten etwa Beschlüsse aus dem Europäischen Parlament dienen, wie etwa verpflichtende Trainings oder die Überprüfung der Hilfs- und Beschwerdestrukturen.

Mehrfach betonten die Abgeordneten aus Deutschland, Schweiz und Island auch, dass eine mögliche neue Instanz gegen Sexismus und sexuelle Belästigung im Deutschen Bundestag unabhängig sein müsse. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe schlug vor, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu stellen, um das Thema voranzutreiben.

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