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Seit Jahren verhindert die Industrie besseren Schutz für deutsche Handwerker, zeigt ein interner Bericht

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„Unaussprechlich menschenverachtend“ nennt eine Gewerkschafterin die Blockade von Industrie- und Handwerksverbänden.

Neue Regeln sollen eigentlich dafür sorgen, dass weniger Handwerker sterben – doch Handwerks-Vertreter und Bauindustrie blockieren diese neuen Regeln seit Jahren. Das zeigt ein internes Papier, das BuzzFeed News Deutschland vorliegt.

Seit Ende 2016 versucht ein Arbeitskreis der Bundesregierung, Vorschriften für den Umgang mit Asbest zu finden. Doch nach zehn zweitätigen Sitzungen gibt es noch immer keinen Kompromiss.

Es geht um eine „Novellierung der Gefahrstoffverordnung“. Der Abschlussbericht dafür ist Ende 2018 erschienen und hat gut 60 Seiten. Darin: strengere Vorschläge für den Umgang mit Asbest. So soll es verpflichtende Lehrgänge und Prüfungen für Menschen geben, die mit Asbest arbeiten. Und die Behörden sollen über die Arbeit mit Asbest häufiger informiert werden.

Abschlussbericht nach drei Jahren ohne Kompromiss

Doch einige dieser neuen Regelungen werden anscheinend von der Bauindustrie und vom Zentralverband des Deutschen Handwerks blockiert. So zumindest steht es im Abschlussbericht. Die Industrie und der Handwerksverband scheinen bereits so lange zu blockieren, dass die übrigen Experten des Arbeitskreises – Wissenschaftler, Gewerkschafter, Behörden – nun offenbar nachgegeben haben: vieles bleibt im Abschlussbericht ungelöst oder wird als „Dissens“ bezeichnet. Die betreffenden Abschnitte sind mit gelb oder rot markiert – also als Streitpunkt, mit „Ansätzen zur Behebung“ oder sogar ganz ohne mögliche Lösungsansätze.

Hier findet ihr das Papier im Original. Besonders interessant sind die Seiten 8 bis 25. Die Konflikte sind gelb und rot markiert.

Die Regeln betreffen alle Handwerker in Deutschland: Denn in vielen denn älteren Häusern ist immer noch Asbest verbaut. Das Material wurde in Deutschland erst 1993 verboten. Da war schon Jahrzehnte lang klar: Asbest ist tödlich.

Mehr als 3.500 Produkte wurden in Deutschland mit Asbest hergestellt, vom Knopf bis zum Telefon. Handwerkern kann es im Dach entgegenkommen, in Schornsteinrohren, in Fußbodenbelägen, in Wänden oder Fliesenklebern.

Asbest ist extrem gefährlich: Bis heute sterben in Deutschland jedes Jahr mehr als 1.500 Menschen an Folgeerkrankungen ihrer Arbeit mit Asbest, so melden es die Berufsgenossenschaften. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher, längst nicht jeder meldet seinen Lungenkrebs als mögliche Berufskrankheit bei der Berufsgenossenschaft an.

Neue Todesopfer, noch in Jahrzehnten?

Das tückische an Asbest: Es ist fast überall verbaut worden, teils eingebaut in andere Materialien oder als Gemisch. Wer darüber nicht informiert wurde, kann nicht erkennen, wie gefährlich das Material ist, an dem er arbeitet. Und wer erkrankt, der merkt oft erst Jahrzehnte später die ersten Symptome. Denn so lange dauert es, bis sich Asbeststaublunge, Lungen- oder Kehlkopfkrebs bemerkbar machen.

BuzzFeed News hatte vor einigen Monaten über die vielen Asbestopfer des deutschen Wirtschaftswunders berichtet – und dazu auch eine fünfteilige Podcast-Serie veröffentlicht.

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Gewerkschafter befürchten deshalb, dass auch in Zukunft viele Menschen an asbestbedingten Krebserkrankungen sterben werden – unnötigerweise. Wenn Handwerker in Zukunft im sogenannten Rotbereich arbeiten dürften, also bei hoher Asbestbelastung, und das ohne Schutzanzüge, Mundschutz und Doppelkammerschleuse, dann sei das „unaussprechlich menschenverachtend“, sagte Annika Wörsdörfer vom Deutschen Gewerkschafts Bund schon Ende 2018 im Gespräch mit BuzzFeed News. „Da bleibt einem fast die Luft weg.“

Petra Müller-Knöß bezeichnet die Blockade der Bauindustrie und des Handwerksverbandes als höchstproblematisch und unverantwortlich. „Wir brauchen diese Regeln auf jeden Fall. Das betrifft insbesondere Jüngere, die keine Vorstellung davon haben, mit was für Stoffen sie da umgehen“, sagt Müller-Knöß. Sie arbeitet bei der IG Metall seit Jahren zu den Gefahren von Asbest.

Eine Baustelle in der Berliner Friedrichstraße. Wenn alte Gebäude abgerissen oder saniert werden, wird es für Handwerker besonders gefährlich.
Eine Baustelle in der Berliner Friedrichstraße. Wenn alte Gebäude abgerissen oder saniert werden, wird es für Handwerker besonders gefährlich. © John Macdougall / AFP / Getty Images

Auch Sönke Bock ärgert sich über die Blockadehaltung der Industrie. Er ist Vorsitzender des Bundesverbandes der Asbestose Selbsthilfegruppen. Alle derzeit noch blockierten Vorschläge findet Bock wichtig. Und obwohl sein Verein eigentlich eine Anlaufstelle für bereits Erkrankte ist, melden sich regelmäßig Menschen bei ihm, die ihre Häuser sanieren. „In der Hälfte der Anfragen geht es um Sanierung“, sagt Bock. „Häufig ist das Wissen nicht allzu groß.“

„Nichtstun ist auch keine Lösung“

Bock findet, es müsse viel besser informiert und kontrolliert werden. „Klar muss man Lösungen schaffen, so dass Handwerk und Bauindustrie damit umgehen können“, sagt Bock. „Aber Nichtstun ist keine Lösung.“

Die Vorsitzende des Arbeitskreises, Bettina Schröder vom Hamburger Amt für Arbeitsschutz, nennt den Arbeitskreis der Bundesregierung einen „geschäftigen Stillstand“. Vor wenigen Wochen veröffentlichte sie einen Beitrag in der Zeitschrift „Gute Arbeit“. Darin schreibt Schröder, die Kompromissfindung bleibe in weiten Teilen schwierig. „Als Erfolg muss am Ende gelten, den Dissens klarer herausgearbeitet zu haben.“ Auf Anfrage wollte Schröder nicht über die Konflikte im Arbeitskreis sprechen.

Auch der Zentralverband Deutsches Baugewerbe, der die Handwerker in der Arbeitsgruppe vertritt, will auf Nachfrage von BuzzFeed News keine Auskunft zu den einzelnen Streitpunkten geben. Eine Pressesprecherin schreibt, dem Verband sei es wichtig, dass die duale Ausbildung und die Meisterausbildung nicht entwertet werden dürfen. Das Mindestmaß an Schulungen könne besser in eigenen Ausbildungszentren durchgeführt werden.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie bestreitet auf Anfrage, dass er Vorschläge zum Arbeitsschutz abgelehnt und weniger strikte Lösungen gefordert habe. Der Verband habe „allerdings tatsächlich eindringlich vor einem enormen ungerechtfertigten Bürokratie- und damit auch entstehenden Vollzugsaufwand für die Behörden gewarnt“, schreibt eine Pressesprecherin. Das Arbeitsministerium werde die Argumente der Industrie „zu beachten haben“.

Das Bundesarbeitsministerium schreibt, die Diskussionen sei zwischenzeitlich fortgesetzt worden. „Viele Beteiligten haben im Verlauf ihre Forderungen, Vorschläge und Positionen überprüft oder geändert“, schreibt eine Pressesprecherin. Zum aktuellen Diskussionsstand könne sich das Ministerium aber nicht äußern.

Demonstration für besseren Arbeitsschutz

Der Abschlussbericht des „Arbeitskreis Asbest“ wird laut Bundesarbeitsministerium schon in gut zwei Wochen weiter diskutiert: Am 26. September, beim vierten Treffen des „Nationalen Asbest Dialogs“ im Bundesverkehrsministerium. Dort geht es darum, wie Deutschland insgesamt mit seinem Asbest-Problem umgehen kann, wie Handwerker, Immobilienbesitzer und Öffentlichkeit informiert werden und wie das Material entsorgt werden soll. Zeitnah nach Abschluss des Dialoges will das Ministerium einen Entwurf für neue Regeln veröffentlichen.

Die Asbestose-Selbsthilfegruppen um Sönke Bock werden ebenfalls dabei sein. „Wenn man irgendwo anders, zum Beispiel bei einer Chemikalie, mehr als 1.000 Tote im Jahr in Deutschland hätte, das wäre unvorstellbar“, sagt Bock. Dass bis heute jedes Jahr so viele Menschen an Asbest sterben, damit müsse irgendwann Schluss sein. Bock plant deshalb eine Demonstration: zwar nur mit 30 bis 40 Menschen, aber vielleicht, sagt er, lassen sich damit die Teilnehmer trotzdem ein bisschen aufrütteln.

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