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Kollegah mahnt unsere Undercover-Recherche zum „Alpha Mentoring“ ab, aber wir lassen den Artikel online

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Kollegah und seine Geschäftspartner haben mindestens 16 Abmahnungen verschickt – unserer Ansicht nach sind die Schreiben haltlos.

Kollegah und seine Geschäftspartner haben in den vergangenen Tagen elf Abmahnungen an BuzzFeed News Deutschland und VICE verschickt. In den Abmahnungen behaupten Anwälte, unsere Undercover-Recherche zu Kollegahs „Alpha Mentoring“ würde in Persönlichkeitsrechte eingreifen und wäre üble Nachrede und Diffamierung.

Zudem behalten sich Kollegah und die mit ihm arbeitende B. Consulting Schadensersatzansprüche vor – und haben weitere Medien abgemahnt, die über unsere Recherche berichtet haben.

Weder BuzzFeed News noch VICE werden die verlangten Unterlassungserklärungen unterzeichnen. Alle von Kollegah und seinen Geschäftspartnern angegriffenen Passagen sind unserer Ansicht nach entweder Meinungsäußerungen oder belegte Tatsachen.

Kollegah und B. haben weitere Abmahnungen an Medien geschickt, die über unsere Recherche berichtet hatten. Zum Teil sind dies kleine Medien, die selten mit Abmahnungen zu tun haben. Die Anwälte haben zudem sogenannte „presserechtliche Informationsschreiben“ an große Redaktionen geschickt. Die Kampagne soll offenbar Journalist*innen davon abhalten, über unsere Recherchen zu berichten.

Über Wochen hatte ein Rechercheteam von VICE und Buzzfeed News Kollegahs Online-Coaching-Programm „Alpha Mentoring“ beobachtet. Kollegah ist einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands. Seine letzten drei Alben landeten auf Platz eins der deutschen Charts. Unsere Recherche zeigt, dass Kollegah und die ihn unterstützende Beratungsfirma B. Consulting mit dem „Alpha Mentoring“ offenbar mehrere Hunderttausend Euro an Kollegah-Fans verdienen – dabei aber außer einiger Videocalls nur wenige Gegenleistungen anbieten.

Die Recherche zeigt auch, dass einzelne Mitarbeiter des Mentorings nicht zimperlich vorgehen: Während der Recherche sind unsere Undercover-Reporter massiv unter Druck gesetzt und getäuscht worden. Ein Mitarbeiter wollte uns selbst dann noch zu einem Vertragsabschluss drängen, als wir in einem Telefonat an einem späten Freitagabend 17 Mal sagten, dass wir keinen Vertrag eingehen wollen. Experten, die wir mit unseren Recherchen konfrontiert haben, nennen das Programm unseriös, sprechen von „klarer Täuschung“, von einer Guru-Bewegung und von Gehirnwäsche.

Kollegah will Rufschädigung abmahnen

Am Freitag veröffentlichte Kollegah ein 38-minütiges Video, in dem er sich mit unserer Recherche befasste. „Es verwundert nicht, dass das Vice Magazin so reißerisch und hetzerisch vorgeht. Das ist die Firmenphilosophie anscheinend“, sagte Kollegah. Die Berichterstattung sieht er offenbar als Teil einer andauernden Medienkampagne gegen ihn.

In seiner Abmahnung behauptet Felix Blume – so Kollegahs bürgerlicher Name – Ende vergangener Woche, wir betrieben Persönlichkeitsrechtsverletzung, Rufschädigung und Diffamierung. Kollegahs Anwälte greifen über insgesamt gut fünf Seiten zahlreiche Passagen unserer Berichterstattung an.

Einige der von Kollegah angegriffenen Passagen aus unserem Artikel. © Screenshot BuzzFeed News

BuzzFeed News und VICE haben über die uns beratenden Medienrechtskanzleien Raue LLP und „Spieß Schumacher Schmieg & Partner“ eine Schutzschrift hinterlegt, in der wir deutlich machen, dass wir die Vorwürfe für haltlos halten. „Die Berichterstattung ist rechtmäßig. Bei den beanstandeten Äußerungen handelt es sich nahezu ausschließlich um zulässige Meinungsäußerungen. Soweit es sich vereinzelt um Tatsachenbehauptungen handelt, sind diese wahr.“

Andreas B. ist nicht unter, sondern gerade 30

Zusätzlich zu Kollegah haben sich auch die B. Consulting GmbH und ihr Geschäftsführer Andreas B. mit jeweils fünf Abmahnungen an BuzzFeed News, VICE sowie die drei Autoren Paul Schwenn, Johann Voigt und Daniel Drepper gewendet. Die zehn Schreiben sind in weiten Teilen identisch und fordern uns neben Änderungen im Artikel auch dazu auf, jeweils zwischen gut 1000 und knapp 4000 Euro Gebühren an die Kanzlei zu zahlen.

Die Anwälte schreiben, wir würden die B. Consulting und ihren Geschäftsführer abwerten wollen, in dem wir schreiben, er würde wie das Klischeebild von Wall-Street-Brokern mit dicken Uhren und Philipp Plein-Hemden herumlaufen, aber Hundetrainerinnen aus Kulmbach und Creußen beraten. B. besitze gar keine Philipp Plein-Hemden, schreiben die Anwälte. Zudem bestreiten sie, dass die von uns zitierte Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz die zitierten Aussagen tatsächlich getroffen hat.

Ein Foto von Andreas B. mit Philipp Plein-Hemd.

Es gibt ein Foto von Ende Juni 2019, in dem Andreas B. ein Philipp Plein-Polohemd trägt. Mit den Hundetrainerinnen werben die B. selbst auf ihrer Webseite und das Zitat hat uns die Verbraucherzentrale per E-Mail geschickt.

Zudem mahnen die Anwälte ab, Andreas B. sei nicht wie von uns geschrieben unter 30 Jahre alt. Das stimmt. Stattdessen ist er Ende April 30 Jahre alt geworden. Wir haben das im Artikel korrigiert. Unsere Anwälte schreiben jedoch: „Durch die unwesentliche Unschärfe in der Berichterstattung wurde sein Persönlichkeitsrecht nicht verletzt.“

Zahlreiche Medien hatten über unsere Recherchen berichtet, darunter der Tagesspiegel, 1Live, der Deutschlandfunk oder die Kieler Nachrichten, aber auch viele Musikmedien wie Musikexpress, 16bars oder rap.de. Kollegah und B. Consulting haben dies dafür genutzt, auch einige dieser Medien abzumahnen.

rap.de ist eines der betroffenen Medien. Seit fast 20 Jahren berichtet die kleine Redaktion kritisch über HipHop und Rap. „Mit klarer Haltung, kein unkritisches Durchwinken“, so beschreibt Chefredakteur Oliver Marquart die Redaktionslinie im Telefonat mit BuzzFeed News. Zwei Redakteure arbeiten für das Magazin.

Lange Jahre hatte rap.de kaum Probleme mit Abmahnungen. „Eine ganz lange Zeit lang gab es nur einen Rapper, der das gerne gemacht hat. Das war Bushido. Der hat das dann allerdings bei allem gemacht, selbst wenn mal jemand einen Namen falsch geschrieben hatte, dann gab es eine Abmahnung.“ Früher hätten die meisten Rapper einfach angerufen und gedroht. „Sowas wie 'Pass mal auf auf dem Heimweg', das kam schon vor, etwa in der ersten Aufregung über eine schlechte Review“, sagt Marquart.

rap.de wird Artikel vorerst online lassen

Erst in diesem Frühjahr habe sich das geändert. Erst haben die Rapper GZUZ und Bonez Abmahnungen geschickt, nun Jigzaw und Kollegah. Die ersten Artikel hat rap.de einfach runtergenommen, die Unterlassungserklärungen unterschrieben. „Da hat sich am Anfang keiner getraut, wegen 300 Euro vor Gericht zu ziehen“, sagt Marquart. Stattdessen habe man lieber Schadensbegrenzung betrieben.

„Wenn man das mitmacht, dann kann man in Zukunft ja gar nichts mehr schreiben.“

„Jetzt ist das aber eine neue Situation: Die Rapper scheinen entdeckt zu haben, dass es ein sehr einfaches Mittel ist, um schnell Ergebnisse zu erzielen. Aber wenn man das mitmacht, dann kann man in Zukunft ja gar nichts mehr schreiben.“ Der Verlag hinter rap.de gibt auch weitere HipHop-Zeitschriften heraus wie die Juice. Den Artikel über unsere Kollegah-Recherche will Marquart nun bis auf Weiteres online lassen.

Weitere Abmahnungen an Redaktionen

Nach Informationen von BuzzFeed News haben mindestens vier weitere Medien Abmahnungen erhalten, darunter der Cicero sowie die GWUP – eine Organisation, die sich kritisch mit Verschwörungstheorien oder Homöopathie auseinandersetzt. Der Cicero hat seinen Artikel nach der Abmahnung zunächst vom Netz genommen, prüft laut Chefredakteur Christoph Schwennicke aber, ob er ihn wieder online stellen kann.

Zusätzlich zu den Abmahnungen haben Kollegahs Anwälte auch verschiedene Redaktionen angeschrieben. In einem „presserechtlichen Informationsschreiben“ behaupten die Anwälte, unsere Berichterstattung greife in das „allgemeine Persönlichkeitsrecht“ von Felix Blume ein. Damit wollen sie die Medien offenbar davon abhalten, über unsere Recherche zu berichten. Nach Informationen von BuzzFeed News haben große Medien wie Axel Springer Verlag und die Süddeutsche Zeitung diese Schreiben erhalten.

Aggressive Anwälte bedrohen Medien seit Jahren mit oft übertriebenen Schreiben und Argumenten – und wollen damit journalistische Berichterstattung einschränken oder Medien dazu bringen, Artikel nicht zu veröffentlichen. Am heutigen Donnerstag hat die Otto-Brenner-Stiftung gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte in Berlin eine Studie zu aggressivem Vorgehen von Anwälten gegen Medien vorgestellt. Der Titel: „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“ In der Studie sind zahlreiche weitere, zum Teil ähnlich gelagerte Fälle beschrieben.

Hier findest Du alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschland. Mehr Recherchen von BuzzFeed News Deutschland findest Du auch in unserem Podcast, auf Facebook und Twitter oder im RSS-Feed.

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