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Dieser Boxclub hilft Transmenschen, ihren Körper zu akzeptieren

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Für diejenigen, die transgender, nicht-binär oder gendernonkonform sind, kann sogar der Gang ins Fitnessstudio eine fast unüberwindbare Hürde sein. Deshalb gründete Nola Hanson New Yorks Transgender Boxing Collective.

Liv trainiert das Kollektiv und geht mit Jessica und einer weiteren Person im Ring Übungen durch.
Liv trainiert das Kollektiv und geht mit Jessica und einer weiteren Person im Ring Übungen durch. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Zwei Personen in Boxkluft stehen sich unter einem winzigen Kristall-Leuchter gegenüber. Nola Hanson, halb so groß wie Muhammad Ali, doch mit seinem lässigen und zugleich hart erkämpften Selbstvertrauen, hält zwei gepolsterte Handflächen hoch. Nicky Smith, 23 Jahre alt, mit raspelkurzem gelben Haar, richtet eine Handschuhfaust aus, die wie ein Geschoss in Hansons offene Hand fliegt und versucht zu bestimmen, wo die weiteren Schläge landen sollen.

Während sie sich durch den Ring kämpfen, versucht Smith, Augenkontakt zu halten und dabei ständig gezielte Schläge auszuteilen.

"Behalte deine Hände oben, so ist es gut", sagt Hanson mit ruhiger und fester Stimme. "Nicht nach unten schauen – genau so, weiter so!"

Smith und Hanson sind Mitglieder des Transgender Boxing Collective, einer Gruppe von transgender, gendernonkonformen und nicht-binären Freizeit-Boxer*innen, die sich einmal pro Woche im Overthrow Boxing Club in Downtown Manhattan treffen. Das Gebäude gehörte früher der Youth International Party, einer Bewegung aus den 60er Jahren. Jetzt ist es eine Boxhalle für das Instagram-Zeitalter, mit Neonschildern, Vintage-Plakaten und Bühnenbeleuchtung. Das Transgender Boxing Collective mietet den Raum für eine Stunde zu einem stark reduzierten Preis; die Mitglieder bekommen Platz zum Trainieren und der Boxclub kann seine transgressiven Wurzeln feiern. Auf einer Backsteinwand, die zum Trainingsraum im Keller führt, stehen in dicken weißen Buchstaben die Worte: "Die einzige Möglichkeit, eine Revolution zu unterstützen, ist deine eigene zu machen."

Hanson, jemand, der genderneutrale Pronomen verwendet (they/them), gründete das Transgender Boxing Collective im Juli 2017. Vierzehn Leute kamen zur ersten Stunde und etwa 20 kommen regelmäßig zu den wöchentlichen Treffen. Einige Sessions haben fast fünfmal so viele Teilnehmer*innen angezogen. Außerhalb vom Overthrow studieren sie oder schaffen Kunst; arbeiten im Dienstleistungssektor oder im Sozialwesen. Sobald sie die Schwelle des Sportstudios überschreiten, gehen die Mitglieder nach oben in den Umkleideraum, wo Hanson vor jedem Training ein Schild mit der Aufschrift "All-Gender Locker Room" anbringt.

Bevor das Training beginnt, hilft Hanson den Leuten geduldig, bunte Sportbandagen über ihre Handflächen und durch ihre Finger zu wickeln. Dies hilft, die empfindlichen Knochen zusammenzuhalten, die die Hände durchziehen, und verhindert, dass die Muskeln zu locker oder zu steif werden. Die meisten Mitglieder der Gruppe sind Neulinge im Sport und müssen sich die Bandagen nicht nur leihen, sondern auch gezeigt bekommen, wie man sie richtig anlegt. Diese Aufgabe obliegt, als erfahrenstem Mitglied der Gruppe, das diese auch anführt, oftmals Hanson.

Nola Hanson bandagiert die Hände eines Mitglieds vor Beginn des Trainings.
Nola Hanson bandagiert die Hände eines Mitglieds vor Beginn des Trainings. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Das Leben als transgender oder nicht-binäre Person bedeutet, auf große und kleine Weise gegen Feindseligkeit anzugehen, so Hanson. Man habe es mit haufenweise Mikroaggressionen und beklemmenden Situationen zu tun. Und für den Umgang damit gibt es keine klare Anleitung. "So etwas wie Boxen ist wirklich befreiend, denn es ist ungefähr so wie: 'Okay, deshalb wurdest du verletzt. Damit das nicht nochmal passiert, kannst du Folgendes tun'."

Bisher hat das Kollektiv die Teilnehmer*innen vor allem durch Beiträge in queeren Facebookgruppen und durch Mundpropaganda gewonnen. Alle Mitglieder identifizieren sich als transgender oder gendernonkonform, was bedeutet, dass sie sich – anders als diejenigen, die cisgender oder "cis" sind – nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Diejenigen, die gendernonkonform sind, können sich mit mehreren Geschlechtern oder gar keinem Geschlecht identifizieren.

Die weitläufige Sportwelt hingegen hält sich hartnäckig an das System "männlich/weiblich", und der Profi-Bereich kann für Transathlet*innen ein schwieriges Terrain sein. Insbesondere Boxen wird normalerweise als männlich kodiert. Es war die letzte Sportart bei den Olympischen Spielen, die schließlich auch für Teilnehmerinnen geöffnet wurde und der USA-Boxsport hatte bis 1993 Richtlinien ausschließlich für Männer. Boxen ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Wrestling (Gewichtsklassen, durchchoreografierte Fernsehübertragungen, die entscheidende Kollision eines Körpers mit dem anderen), wobei ersteres in der amerikanischen Psyche eine wesentlich größere Rolle spielt. Es galt schon immer als gewalttätiger, männlicher – sozusagen der Antiheld der Sportwelt.

Brycen Gaines traut sich aus Angst vor Diskriminierung nicht, ein normales Boxstudio zu betreten. Hier wartet das Mitglied des Kollektivs gerade auf den Trainingsbeginn.
Brycen Gaines traut sich aus Angst vor Diskriminierung nicht, ein normales Boxstudio zu betreten. Hier wartet das Mitglied des Kollektivs gerade auf den Trainingsbeginn. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Natürlich ist die Mehrheit der Mitglieder des Kollektivs, die erst am Anfang stehen, nicht bestrebt, Profi zu werden. Ein echtes Sparring im Ring – die Art, in der die Fäuste auf die Wangenknochen treffen – übersteigt noch immer das, wofür sie bereit sind: Hanson und Liv, die das Kollektiv trainieren, bestehen darauf, dass die Mitglieder regelmäßig auftauchen und viel Übung bekommen, bevor sie ein Sparring machen können. Die wenigen, die soweit sind, tragen einen Kopfschutz. Bei den meisten Trainings führt Liv paarweise Abwehrübungen durch oder lässt die Teilnehmer*innen an den gefütterten schweren Säcken üben, die von der Decke hängen.

"Ich denke, viel von dem, was man in traditionellen Boxhallen erfährt, ist dieses wirklich rigorose, harte und kritische Training, das die Leute zu Profi- und Amateurboxkämpfen bringt, aber das Kollektiv ist ein wenig anders", erzählt mir Hanson. "Wir haben die Freiheit, nicht wirklich auf diese Weise an die Leute herantreten zu müssen."

"Wenn wir boxen, insbesondere wenn ich immer besser werde, fühlt es sich gut an, die Kontrolle zu haben."

Was für diese Amateure auf dem Spiel steht, ist eher etwas Persönliches. Es geht um das Innere und nicht um Preisgelder oder Fernsehruhm. Das Boxen ist für die Mitglieder des Kollektivs zu einer Methode geworden, ihr eigenes Verständnis des Männlichen, des Weiblichen und des Dazwischen zu beugen und zu formen. Es bietet ihnen eine Möglichkeit, sich mit ihrer Form und ihren Muskeln auseinanderzusetzen, sowie mit dem, wer sie in ihrem Körper sind. Hansons Ziel – langfristig betrachtet – ist es, die Mitglieder des Kollektivs dazu zu bringen, das innerliche Paradoxon anzunehmen, mit dem sich alle Boxer auseinandersetzen müssen: Um sich vom Körper lösen zu können, müssen sie fähig und gewillt sein, ihn zu bewohnen.

"Ob es nun um uns selbst oder um Dinge um uns herum geht, es ist schwer, die Kontrolle über seinen Körper zu behalten", sagt Anna L., ein Mitglied, das im Grafikdesign arbeitet und seit dem Herbst regelmäßig mit dem Kollektiv trainiert. "Wenn wir boxen, insbesondere wenn ich immer besser werde, fühlt es sich gut an, die Kontrolle zu haben. Das Gefühl zu haben, dass sie mein ist und zu mir gehört."

Liv beaufsichtigt die Mitglieder beim Schattenboxen mit Sandsäcken.
Liv beaufsichtigt die Mitglieder beim Schattenboxen mit Sandsäcken. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

An einem kühlen Abend im späten Frühjahr drängen sich 15 aufstrebende Boxer*innen nach dem Training langsam in ein Café in der Nähe vom Overthrow für das vierteljährliche Treffen des Kollektivs. Viele von ihnen kommen aus einer nahegelegenen Bar, wo sich die Mitglieder in der Regel zum Trinken und Reden versammeln, nachdem sie gegeneinander geboxt haben.

Hanson verteilt die Tagesordnung mit Themen, die von der Zulassung von Cis-Frauen zum Training von Mitgliedern bis hin zu gezielten Workshops für bestimmte unterrepräsentierte Gruppen reichen. Viele im Kollektiv identifizieren sich als männlich oder "männlich zentriert", wie Smith es ausdrückt, und das Kollektiv wolle auch Möglichkeiten diskutieren, einen Raum für diejenigen zu schaffen, die sich eher als weiblich identifizierten.

Während alle auf den Beginn warten, beschäftigten sich die versammelten Mitglieder damit, sich scherzhaft über Hansons BlackBerry lustig zu machen. "Ich glaube nicht, dass man Tumblr-Pornos auf diesem Ding überhaupt anschauen kann", so Liv, ein New Yorker Original mit einem trockenen Sinn für Humor. Liv lebt und atmet Boxen. Das Mitglied des Transgender Boxing Collective boxt entweder selbst, im berühmten Gleason's Gym, oder trainiert andere in drei verschiedenen Sportstudios in der Stadt.

Sobald der Tisch komplett besetzt ist und die freundlichen Sticheleien aufhören, eröffnet Hanson das Meeting. Eines der ersten Themen auf der Agenda ist, wie das Kollektiv über Wasser gehalten werden kann. Gegenwärtig läuft es mithilfe von Spenden, entweder über die Zahlungsapp Venmo oder mit Geld, das in einen Metalleimer auf der Theke vom Overthrow gesteckt wird. Hanson zahlt die Gebühren oft aus der eigenen Tasche und hofft einfach, dass sie später zurückerstattet werden. Einige Mitglieder schlagen regelmäßige Erinnerungen am Ende des Trainings oder das Versenden von gelegentlichen Folge-E-Mails vor.

In der klassischen Boxhalle, so Hanson, "gibt es keinen Diskussionsspielraum, es ist kein demokratischer Bereich, es gibt kein Hin und Her." Das Kollektiv hingegen ist mehr oder weniger eine Demokratie und alle Anwesenden haben bei dem Treffen ein Mitspracherecht. Doch als Gründungsmitglied des Kollektivs, das dieses organisiert und leitet, ist Hanson eindeutig federführend. Hanson lehnt sich in einem Stuhl weit nach hinten und wirft lässig einen Arm über die Lehne – wie jemand, der genau weiß, wie man sich durchzusetzen und einen Raum einzunehmen gedenkt.

Hanson beim Schattenboxen.
Hanson beim Schattenboxen. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Hanson hat einen identischen Zwilling, eine Cis-Frau, und als sie sich beide noch im Mutterleib befanden, nahm ihre Mutter an, dass Hanson ein Junge sein würde: eine vorausschauende Vorahnung, die Hanson als "verdammt abgefahren" beschreibt.

"Seit ich ein Baby war, seit ich reden und mich ausdrücken konnte, war ich immer ein Junge", erklärt Hanson. Beim Spielen von Vater-Mutter-Kind bestand Hanson darauf, der Vater oder der Bruder zu sein und weigerte sich, Kleider oder Schleifen zu tragen. Doch, so Hanson, "wusste ich, dass ich kein Junge war. Ich wusste, wer Jungs sind, und ich wusste, dass ich keiner bin, aber ich fühlte mich auch nicht wie ein Mädchen."

Hanson hatte sich schon als Kind immer mit Sport, Skateboarding und Basketball beschäftigt. Nach dem Umzug aus der Heimatstadt in Wisconsin nach New York trat Hanson einer Basketball-Liga für Gay-Frauen bei. Aber Hanson hatte nie das Gefühl, dazuzugehören – zum großen Teil, weil das Mädchen- oder Frauenlabel auch da nicht besser passte, als es in der Kindheit der Fall war. Der Boxsport hingegen erlaubte es Hanson, ein Individuum zu sein, das noch immer Dinge herausfindet.

"Es war immer etwas, zu dem ich mich hingezogen fühlte", erzählt der Box-Fan. "Ich entdeckte das Sportstudio, in dem ich jetzt bin, und fing an, jeden Abend nach der Arbeit hinzugehen." Damals hatte Hanson sich mit der Atelier-Arbeit auf dem Gebiet der bildenden Kunst zunehmend isoliert und unbefriedigt gefühlt. "Aber ins Sportstudio zu gehen und eine Fähigkeit, eine Fertigkeit zu entwickeln und zu sehen, wie ich mich verbessere – auf diese Weise in meinem Körper zu sein, war etwas, das ich tun wollte", so Hanson.

Darum folgte vor zwei Jahren der Wechsel zu dieser Sportart, denn Hanson schätzt dessen Vereinigung von Geist und Körper: die Art und Weise, wie jemand sein Muskelgedächtnis umformulieren kann, damit die ersten Instinkte bei jeder Bedrohung nicht von Angst oder gar Wut, sondern eher von Klarheit geprägt sind. Beim Boxen muss der Körper nach und nach kalibriert werden. Wenn eine Faust nicht da ist, wo sie sein sollte, wenn ein Ellenbogen um 30 Grad verschoben ist, ist ein Preis zu zahlen, der in Prellungen berechnet wird. Es wird unmöglich, seinen Körper auszublenden oder zu missachten, wenn dieser so bewusst eingesetzt wird.

"Ich begann zu begreifen, wie gut der Sport mir tut und konnte nicht ignorieren, wer davon ausgeschlossen war und wem der Zugang verwehrt wurde", erzählt Hanson. Darum entschied sich das Box-Talent einen Raum zu schaffen, der andere Transmenschen und Nicht-Binäre ermutigt, sich mit dem Boxen zu beschäftigen und mit ihren Körpern so auseinanderzusetzen, wie es Hanson tut.

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BuzzFeed.de © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Hanson hängt vor jedem Training im Overthrow ein genderneutrales Schild an der Umkleidekabine auf.

"Ich bin ein ziemlich sanfter Mensch", erzählt Anna an einem frühen Wintermorgen in einem voluminösen weißen Zelt im Bryant Park. Betrachtet man diese ruhige und zierlich Person mit ihrem leichten Lächeln, hätte niemand einen Grund, etwas anderes zu denken. Aber beim Boxen "macht es einfach Spaß, Dinge zu schlagen: die Pads zu boxen und so Energie abzulassen", erklärt das Mitglied.

Anna, macht seit einem Jahrzehnt Karate und ist somit mit dem Kampfsport vertraut. Doch die Uniformen, Gürtel und das Rankingsystem empfindet das Mitglied des Kollektivs einschränkend und spricht von "militärischer Disziplin". Anna hat den Besuch eines Boxkurses schon seit mehreren Jahren als reizvoll empfunden, sich jedoch zuvor von der Darstellung des Sports als "machohaft und männlich und hart" abgeschreckt gefühlt.

Nicht alle im Kollektiv haben eine klar abgegrenzte Genderidentität, und Anna spricht davon, sich ebenfalls noch mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Anna glaubt, dass das Kollektiv zum großen Teil wegen der Bindung beliebt ist, die zwischen Menschen entsteht, "die sich vielleicht nicht immer in ihrem Körper zu Hause gefühlt haben und versuchen, damit etwas wirklich Bewusstes zu tun und sich darin wohlzufühlen".

Anna hat vom Boxen nicht viel erwartet, aber bemerkt, dass der Sport die Art verändert hat, über Gliedmaßen und Muskeln nachzudenken. Boxen macht den Körper stärker, schneller und agiler. "Ich persönlich fühle mich seit langem sehr abgekoppelt von meinem Körper und denke nicht zu viel über ihn nach", so Anna. "Das Gefühl von Selbstvertrauen ist etwas Neues."

Hanson hilft einem Mitglied im Boxkollektiv, die Schattenboxtechnik zu verfeinern.
Hanson hilft einem Mitglied im Boxkollektiv, die Schattenboxtechnik zu verfeinern. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Im Overthrow beraten Hanson und Liv die Boxer*innen einige Wochen später, nicht nur auf den Körper zu hören, sondern ihn auch zu überwinden. "Die Natur wird dir sagen, dass du deine Augen schließen sollst", ruft Hanson, als die Leute Schläge austeilen und sich unter dem lilafarbenen Licht ducken und rollen. "Tu es nicht."

Angst abzubauen ist ein Geschenk für die Trans-Community

Nach dem Training gibt Hanson in der Bar noch einen weiteren nützlichen Tipp: Indem sie die Schultern unten und die Augen oben behalten, können Boxer*innen ihren Körper austricksen, um keine Angst zu haben. Und Angst abzubauen ist ein Geschenk für diejenigen in der Trans-Community, für die das Betreten eines Trainingsbereichs wie eine fast unüberwindbare Hürde erscheinen kann.

"Ich wollte so gern boxen", erzählt Brycen Gaines mir wehmütig. Sowohl in seiner Statur als auch in seiner Größe würde Gaines einem Türsteher ähneln, wenn sich um seine Augen und seinen Mund nicht ständig freundliche Fältchen bilden würden. Seine Handbandagen für das Boxen, die er jetzt ohne Hilfe anlegen kann, sind mit dem Louis Vuitton-Monogramm versehen. Gaines ist ein Künstler und viele seiner Gemälde zeigen Transkörper, die in Farbe und mit dicken Pinselstrichen ausgearbeitet sind. "Ich hatte jedoch immer zu viel Angst, ein normales Boxstudio zu besuchen", sagt er. "Ich dachte, sie würden mich diskriminieren, weil ich trans bin."

"Selbst in einem anonymem höhlenartigen Ort wie Planet Fitness sind die Umkleideräume genderspezifisch", fügt Anna hinzu. "Es ist schön, sich nicht grundsätzlich auf der Hut und unwohl fühlen zu müssen. Wenn du am verwundbarsten bist – splitternackt, verschwitzt und müde – willst du nicht denken, gafft mich irgendjemand an oder verurteilt mich oder wird jemand etwas sagen?"

Als Teenager an einer katholischen High School hat Smith sich zunächst für eine lesbische Cis-Frau gehalten. "Aber ich habe mich nie wirklich wohl dabei gefühlt, 100 Prozent Weiblichkeit zu zeigen", so Smith. "Erst als ich zum LGBTQ-Zentrum an der New York University ging und jemand mit mir über Gender sprach, sagte ich: 'Ich weiß nicht, ich will irgendwie genderneutrale Pronomen ausprobieren.' Und sie sagten: 'Was hält dich auf?'

Smith hat in einem Fitnessstudio in der Bronx trainiert und erinnert sich an ein Gefühl, der Anspannung, das das Mitglied beim Training mit dem Kollektiv nie spürt. "Ich war mir meiner weiblichen Seite bewusster, weil es so viele Männer in diesem Sportstudio gab", so Smith. "Wenn ich beim Boxkollektiv bin, denke ich nicht wirklich darüber nach. Ich will achte nur darauf, in Form zu kommen."

Hanson hofft, dass Boxer*innen, wenn sie lernen, was ihr Körper kann, nie das Bedürfnis verspüren werden, zu flüchten oder sich selbst zu verleugnen. Einer der herausforderndsten Aspekte des Trans-Daseins ist, dass es keine klaren oder einfachen Meilensteine gibt, um mit dem eigenen Körper oder dem Ausdruck des eigenen Genders zurechtzukommen, so Hanson. Deshalb gehe es beim Boxen also nicht nur darum, einen Körper zu formen, sondern ihn vollständig und mutig bewohnen zu können. Gewollt. Hanson will eine Community schaffen, in der Transgender und nicht-binäre Menschen über ihren Körper hinauswachsen können, indem sie ihn akzeptieren.

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BuzzFeed.de © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Nicky Smith macht Dehnübungen vor dem Training im Overthrow.

Dass Boxen ein "safe space " sein könnte, mag für eine Sportart, die darauf ausgerichtet ist, den Gegner zu schlagen, bis dieser buchstäblich das Handtuch wirft, widersprüchlich erscheinen. Aber Boxen und Boxhallen fungieren schon lange als Zufluchtsort. In Amerika hat das Boxen seine Wurzeln in der Arbeiterklasse, in den Communities der Minderheiten: schwarz, italienisch, irisch, lateinamerikanisch. Es hat genau die Leute aufgenommen, die die Gesellschaft ablehnt, fürchtet oder brutalisiert.

"Ich kann die Aggression, die ich für die Leute empfinde, die grausam zu mir sind, in die Boxhalle bringen."

Jetzt aber spricht das Boxen auch die Massen an; in den letzten zwei Jahren ist der Sport zunehmend modern geworden. Es gibt Boxhallen in ganz New York City, die Kurse zu stetig steigenden Preisen anbieten. Hanson kritisiert diese aufkeimende Bewegung und nennt diejenigen, die Boxen als Fitnesstrend betrachten, "eine Yuppie-, Bourgeoisie-Klasse von Menschen".

"Das sind nicht die Menschen, für die dieser Sport bestimmt ist", betont Hanson. "Menschen in dominanten Gruppen – cis, hetero, weiß, männlich – sind es nicht gewohnt, sich unwohl zu fühlen. Sie sind es nicht gewohnt, sich nicht okay zu fühlen. Und wenn man boxt, muss man daran gewöhnt sein, sich nicht okay zu fühlen. Es fühlt sich oftmals nicht okay an. Das ist der Grund, warum dieser Sport für People of Color so riesig ist. Und das ist es, was ich versuche, den Leuten zu vermitteln: Dieser Sport passt so gut zu euch, weil wir es gewohnt sind, uns unwohl zu fühlen."

Hanson erläutert die Agenda des Trans Boxing Collective während des vierteljährlichen Treffens der Gruppe.
Hanson erläutert die Agenda des Trans Boxing Collective während des vierteljährlichen Treffens der Gruppe. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Eine Umfrage des US-amerikanischen National Transgender Discrimination Survey ergab, dass 78 Prozent der transgender und gendernonkonformen Schüler zwischen Kindergarten und der 12. Klasse Schikanen erlitten haben. Eine Studie der Human Rights Campaign and Trans People of Color Coalition schätzt, dass Transgender-Frauen in den USA mit einer 4,3-mal höheren Wahrscheinlichkeit ermordet werden als Cisgender-Frauen und dass fast 90 Prozent der von 2013 bis 2015 ermordeten Transgender People of Color waren.

"Ich werde oft von Leuten angegriffen", so Gaines. "Und ich habe keine Möglichkeit, damit umzugehen. Für mich ist Boxen eher psychologischer Natur. Hier kann ich mir das zurückholen, was mir die Leute täglich wegnehmen. Ich kann die Aggression, die ich für die Leute empfinde, die grausam zu mir sind, in die Boxhalle bringen."

Gegen Ende des Treffens schlägt Jessica, ein Mitglied, das häufig mit einem Shirt mit der Aufschrift "Gender Is Over" zum Training kommt, vor, dass neue Trainer*innen aufgefordert werden, die Leute in der Gruppe geschlechtsneutral anzusprechen, um unbeabsichtigte Gender-Fehldeutungen zu vermeiden.

Ohne Vorwarnung beginnt ein älterer Mann, der am Nachbartisch sitzt, die Gruppe mit homophoben Beleidigungen zu beschimpfen. Alle am Tisch sind angespannt; ein paar Leute schauen bewusst nach unten, andere richten ihren Blick sofort auf den Mann. "Es ist okay – das ist es nicht wert", sagt jemand leise.

Hanson wartet einige Minuten, der Körper in Alarmbereitschaft, die Situation abschätzend, und geht dann los, um einen Security-Angestellten zu finden, der den Mann hinausbegleitet.

"Jeder kann schlagen", hat Hanson mir zuvor erzählt. "Beim Boxen geht es nicht ums Schlagen. Es geht darum, den Körper zu bewegen, sich zu verlagern, Schläge auszulassen." Zu lernen, sich durch die Welt zu navigieren.

Nachdem der Mann gegangen ist, widmet Hanson sich für ein paar Minuten wieder der Tagesordnung, hält dann inne und blickt auf: "Sind alle okay?"

Zu sehen sind Lächeln, einige zittrig. Jeder am Tisch nimmt ein paar Atemzüge, um sich vom Schlag zu erholen und dann machen sie weiter. ●

Ein Mitglied des Kollektivs macht eine kurze Wasserpause im Overthrow Boxing Club.
Ein Mitglied des Kollektivs macht eine kurze Wasserpause im Overthrow Boxing Club. © Teresa Mathew for BuzzFeed News

Teresa Mathew ist Autorin und Fotojournalistin mit den Schwerpunkten Race, Religion und Resilienz.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

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