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Monsanto kann offenbar nicht sagen, ob Roundup Krebs verursacht, zeigt ein Leak der Chemieindustrie

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Lässt die EU das Glyphosat-Produkt weiter zu? Interne Papiere zeigen jetzt: Monsanto hat Studien manipuliert.

Mehr als 30 Jahre lang sprüht Bernhard Brown in Kalifornien täglich Pestizide. Brown ist Gärtner und nutzt fast immer Roundup, das Monsanto-Mittel, das den Stoff Glyphosat enthält. Brown trägt einen Rucksack bei sich, der bis zu 22 Liter fasst. Und er sprüht per Hand, manchmal bis zu drei Stunden am Stück. Im Oktober 2016 wird bei Brown ein bösartiges Lymphknotengeschwulst entdeckt, ein sogenanntes Non-Hodgkin-Lymphom, ein schwerer Krebs.

Browns Fall ist Teil einer Sammelklage gegen Monsanto, die mehr als 60 Krebskranke im März eingereicht haben. Seine Akte ist in den Poison Papers veröffentlicht, einem Leak mit Dokumenten aus der Chemie- und Pharmaindustrie. Der durchsuchbare Datensatz umfasst rund 100.000 Papiere und reicht zurück bis ins Jahr 1920. Die Poison Papers sind eine Initiative des Bioscience Resource Projects und des Center for Media and Democray. BuzzFeed News hat einen Teil der Dokumente ausgewertet und bereits beschrieben, wie deutsche Chemiekonzerne über Jahre Erkenntnisse zu hochgiftigem Dioxin verheimlicht haben.

Browns Anwalt Eric D. Holland glaubt, die Erkrankungen seiner Mandanten sei eine direkte Folge der „gefährlichen Natur“ von Roundup und des „falschen sowie fahrlässigen“ Umgangs des Herstellers Monsanto mit dem Produkt. Er zitierte eine Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Vereinten Nationen, die 2015 feststellte, dass Glyphosat möglicherweise karzinogen ist. Dafür gebe es „begrenzt Beweise“.

Das Mittel Roundup, das unter anderem wegen seiner Zutat Glyphosat in der Kritik ist.
Das Mittel Roundup, das unter anderem wegen seiner Zutat Glyphosat in der Kritik ist. © Philippe Huguen / AFP / Getty Images

Umweltaktivisten in der EU berufen sich auf diese Bewertung und fordern ein Verbot von Glyphosat. Sie wollen verhindern, dass die EU-Kommission das Mittel für weitere zehn Jahre zulässt; ein Expertenausschuss tagt derzeit und soll bis September oder Oktober darüber entscheiden.

Monsanto bestreitet nicht nur, dass Glyphosat „das Non-Hodgkin-Lymphom oder andere Krebsarten auslöst“. Der Pestizidhersteller bezweifelt auch, dass die IARC für ihre Bewertung den Stand der Wissenschaft richtig abgebildet habe. Sowohl die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als auch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) folgten dieser Auffassung.

Monsanto hat mehrere wissenschaftliche Studien beeinflusst

Nun zeigt sich: Monsanto hat über eine Beraterfirma selbst wissenschaftliche Studien beeinflusst – und eigene Mitarbeiter dafür eingesetzt. Das traf etwa auf einen Aufsatz im Fachmagazin „Critical Reviews in Toxicology“ zu, wie aus E-Mails hervorgeht, die Anwälte im Internet veröffentlicht haben und die Bloomberg Businessweek Mitte August ausgewertet hat.

Der beeinflusste Fachaufsatz stellte die kritischen Erkenntnisse der Internationalen Agentur für Krebsforschung in Frage. Die epidemiologische Daten hätten keinen kausalen Zusammenhang zwischen Glyphosatkontakt und dem Non-Hodgkin-Lymphom ergeben.

In der Erklärung zu dem Fachartikel über Glyphosat heißt es, die Autoren – Experten der Beraterfirma Intertek – seien zwar von Monsanto beauftragt worden, es hätten aber „weder Monsanto-Firmenangestellte noch Anwälte irgendwelche Teile des Manuskripts“ vor der Abgabe überprüft.

Die an Bloomberg geleakten E-Mails erzählen aber eine ganz andere Geschichte. Demnach waren Monsantos Chef für Regulierungswissenschaften, William Heydens, und weitere Firmenforscher stark an der Textarbeit beteiligt.

Ein Landwirt versprüht Unkrautvernichter.
Ein Landwirt versprüht Unkrautvernichter. © Philippe Huguen / AFP / Getty Images

„OK, ich habe an einigen Stellen ein bisschen was bearbeitet.“

So schreibt ein Intertek-Wissenschaftler: „Eine weitgehende Überarbeitung des zusammenfassenden Artikels ist nötig.“ Sein Kollege leitet das an Monsanto weiter: „Bitte werfen Sie einen Blick auf das Neueste von der Epidemiologie Gruppe!“ Heydens antwortet: „OK, ich habe an einigen Stellen ein bisschen was bearbeitet.“ Die Monsanto-Änderungen bleiben im Wesentlichen so stehen.

Die Firma erklärte gegenüber Bloomberg, sie habe nur kosmetische Veränderungen vorgenommen und nichts substanziell verändert.

Doch die Studie ist kein Einzelfall. Schon 2011 soll sich die Cheftoxikologin von Monsanto, Donna Farmer, Bloomberg zufolge bei einer anderen Studie ähnlich stark eingemischt haben. Es ging um einen Aufsatz im Fachmagazin Journal of Toxicology and Environmental Health, in dem Befunde angezweifelt werden, denen zufolge Glyphosat die menschliche Fortpflanzung und Entwicklung behindert. Farmer machte Änderungen in dem Text – verschwand aber als Co-Autorin aus dem Papier.

Verursacht Roundup Krebs? Monsanto weiß es nicht

Cheftoxikologin Farmer hat einem Leak aus der Chemieindustrie zufolge zudem eingeräumt, dass sie gar nicht sagen könne, dass Roundup keinen Krebs verursache. Denn Monsanto habe nie wissenschaftlich getestet, ob möglicherweise die Gesamtformel von Roundup – das ja den Lymphdrüsenkrebs von Bernhard Brown verursacht haben soll – Krebs erzeugen könnte. Das geht aus den Gerichtsakten in den Poison Papers hervor, die BuzzFeed News ausgewertet hat. Eine solche Krebs-Studie habe es in den 35 Jahren seit Markteinführung für Roundup nicht gegeben, weil die US-Umweltbehörde EPA das für die Zulassung nie verlangt habe, sagte Farmer einem Schreiben der Kläger zufolge vor Gericht.

Der Screenshot stammt aus einem Schreiben der Kläger an das zuständige Gericht. Fragen von BuzzFeed News zu diesem Schreiben beantwortete Monsanto nicht.
Der Screenshot stammt aus einem Schreiben der Kläger an das zuständige Gericht. Fragen von BuzzFeed News zu diesem Schreiben beantwortete Monsanto nicht. © Screenshot BuzzFeed News / Via poisonpapers.org

Monsanto äußerte sich trotz mehrfacher Anfrage von BuzzFeed News nicht zu den Vorwürfen. Der Leverkusener Pharmahersteller Bayer, der Monsanto übernimmt, teilte mit, er könne sich zu Glyphosat nicht äußern, weil es sich dabei nicht um ein hauseigenes Produkt handle. Die Übernahmeverhandlungen seien voraussichtlich erst zum Jahresende abgeschlossen. Auch die EPA beantwortete Anfragen von BuzzFeed News trotz mehrerer Anfragen nicht.

Bayer möchte Monsanto übernehmen, bisher aber keine Fragen zu Monsanto-Produkten beantworten.
Bayer möchte Monsanto übernehmen, bisher aber keine Fragen zu Monsanto-Produkten beantworten. © Patrik Stollarz / AFP / Getty Images

Arbeitsmediziner sieht Zusammenhang mit Glyphosat

Der Arbeitsmediziner Professor Xaver Baur, der bis zu seiner Pensionierung vor wenigen Monaten an der Berliner Charité forschte und weiterhin Patienten behandelt, sieht Roundup ganz klar als Grund für das vermehrte Auftreten von Krebserkrankungen. Er behandelt rund ein Dutzend Patienten mit verschiedenen Pestizid- und Herbizid-bedingten Krankheiten. Zwei leiden an vergrößerten Lymphknoten – dem sogenannten Non-Hodgkin-Lymphom – sowie starkem Gewichtsverlust.

„Das sind überwiegend Landwirte oder in der Landwirtschaft Beschäftigte, und Anwender von Pestiziden und Herbiziden“, sagt Baur im Gespräch mit BuzzFeed News. „In der Überhäufigkeit, wie man das beobachtet, sehe ich sehr wohl einen Zusammenhang mit dem Herbizid Glyphosat.“ Auch die Landesärztekammer Baden-Württemberg warnte vor einer zweiten Zulassung von Glyphosat in diesem Jahr.

In der EU bewerten EFSA und ECHA nur die einzelnen Wirkstoffe, während die Pflanzenschutzmittel selbst national zugelassen werden. In Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zuständig. Ob es Monsanto aufforderte, entsprechende Krebs-Studien vorzulegen, beantwortete das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium auf Anfrage von BuzzFeed News nicht direkt. Es sei aber vertretbar, „dass Antragsteller eigene Unterlagen zur Zulassung einreichen, die sie auch selbst zu finanzieren haben und nicht etwa der Steuerzahler“. Dies sei auch etwa bei Arzneimitteln üblich.

Experte: Aktuelle Bewertung von Glyphosat irreführend

Der Protest gegen Monsanto läuft schon seit Jahren.
Der Protest gegen Monsanto läuft schon seit Jahren. © Fabrice Coffrini / AFP / Getty Images

So stützte sich auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf Monsanto-Studien, als es feststellte, Glyphosat sei unbedenklich. Die BfR-Analyse diente der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als Entscheidungsgrundlage. Christopher Portier, einer der führenden Krebsforscher und früherer Experte der UN-Agentur IARC, warnte im Mai in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsident Juncker, die BfR-Bewertung sei „irreführend“.

Schon 2015 hatte Portier zusammen mit 16 unabhängigen Wissenschaftlern die EFSA- und BfR-Methodik kritisiert. In dem Aufsatz monierten die Forscher vor allem, dass die Institute die Rohdaten nicht veröffentlicht hatten.

Wie wichtig „Originaldaten und nicht die Interpretationen anderer“ seien, beteuerte auch die ECHA auf Nachfrage von BuzzFeed News. Da die ECHA Rohdaten verwende, sei es trotz der Monsanto-Redigate nicht nötig, etwas an der Glyphosat-Bewertung zu ändern. Auch die EFSA betonte, dass sie sich an Rohdaten und nicht an die „Kritiken wissenschaftlicher Studien“ halte.

Politiker fordert „Reform der Risikoprüfung von Pestiziden“

Im Juli 2017 protestieren Menschen in Brüssel gegen Roundup. Mehr als 1,3 Millionen Menschen hatten eine Petition gegen das Monsanto-Produkt unterschrieben.
Im Juli 2017 protestieren Menschen in Brüssel gegen Roundup. Mehr als 1,3 Millionen Menschen hatten eine Petition gegen das Monsanto-Produkt unterschrieben. © Thierry Charlier / AFP / Getty Images

Sollte die EU Glyphosat erneut zulassen, so dürfe die Bundesregierung dem Vorschlag „keinesfalls zustimmen“, sagte der Grünen-Politiker Harald Ebner zu BuzzFeed News. „Die Enthüllungen über Einflussnahme auf Zulassungsverfahren durch Monsanto zeigen einmal mehr, dass wir über eine Reform der Risikoprüfung von Pestiziden nachdenken müssen.“ Die Konzerne sollten nur für die Finanzierung, aber nicht für die Durchführung beziehungsweise Beauftragung der Studien sorgen. „Diese könnten unabhängig über eine staatliche Stelle in einem anonymisierten Verfahren ausgeschrieben werden“, sagt Ebner.

Ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben, sagte Ebner, „auch aus Respekt vor dem Votum von über 1,3 Millionen EU-BürgerInnen“. So viele Menschen hatten sich in einer Europäischen Bürgerinitiative gegen den Einsatz des Unkrautvernichters ausgesprochen.

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