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Frauen kritisieren den Chaos Computer Club für seinen Umgang mit Übergriffen und Belästigungen

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„Es ist Zeit für den Kongress, sich endlich klar gegen Belästigung und Übergriffe zu positionieren.“

Teilnehmerinnen und Mitglieder der internationalen Hacking-Community werfen den Organisatoren des Chaos Communication Kongress (34c3) schwere Versäumnisse im Umgang mit Belästigung und Übergriffen vor.

Am Dienstag hatte die Programmiererin „Thomas Covenant“ auf Twitter öffentlich einen Übergriff bekannt gemacht. Ein Mann habe sie vergangenes Silvester in Amsterdam mehrmals „gewürgt bis sie nicht mehr atmen konnte“, so Covenant auf Twitter.

Obwohl sie dies den Organisatoren bereits am 31. August mitgeteilt sowie Krankenhaus- und Polizeiberichte zu Verfügung gestellt habe, sei der mutmaßliche Täter zum Kongress zugelassen worden, so Covenants Vorwurf. Sie selbst sei davon erst am Weihnachtsabend in Kenntnis gesetzt worden.

Der Beschuldigte sei demnach ihr ehemaliger Partner und Software-Entwickler für das als „ethisch korrekt” beworbene Fairphone. BuzzFeed News steht in Kontakt mit „Thomas Covenant“, die einem Interview jedoch nicht zustimmte, aus Angst, das könnte noch laufende Polizeiermittlungen beeinflussen.

Auf Anfrage von BuzzFeed News am Mittwoch antwortet Dirk Engling vom CCC: „Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der betroffenen Personen wollen und können wir zu dem Fall keinen Kommentar abgeben.”

Dem Online-Nachrichtenportal Gizmodo sagte Dirk Engling, der Sprecher des CCC, sobald der Club über Vorwürfe informiert werde, solle es einen Untersuchungsprozess geben. Im Fall von Thomas Covenant, habe es Gespräche mit allen betroffenen Personen sowie eine detaillierte Überprüfung des gesamten durch die Programmiererin zur Verfügung gestellten Materials gegeben. „Das Ergebnis war, dass kein Verbot ausgesprochen wurde”, so Engling gegenüber Gizmodo.

Für die Betroffene sowie viele andere Teilnehmer ist das unverständlich. „Was hätte es noch gebraucht?”, wenn der Polizeibericht und eine Dokumentation ihrer Verletzungen durch das Krankenhaus nicht ausreichen, fragt Covenant auf Twitter. „Inklusion ist ein wichtiger Teil unserer Gemeinschaft, aber ist extreme Gewalt es auch?“ Auf Twitter forderte sie eine öffentliche Stellungnahme der Organisatoren - die bisher ausblieb.

Am Donnerstagmorgen wandte sich „Thomas Covenant“ nach eigenen Angaben erneut an das Organisationsteam des Kongresses, mit dem Hinweis darauf, dass sie sich auf dem Gelände nicht sicher fühle, weil sie jederzeit ihrem Angreifer begegnen könne. Ihren Angaben zufolge reagierte das Organisationsteam darauf nicht.

Dirk Engling schreibt dazu auf Anfrage von BuzzFeed News: „Wir haben ein dediziertes Team, das sich 24 Stunden am Tag um die Belange von Menschen kümmert, die sich unwohl oder bedroht fühlen. Dieses Team ist auf mehreren Wegen direkt und persönlich zu erreichen. Diese Information findet sich unter anderem zentral auf unseren Infoflyern. Selbstverständlich geben wir grundsätzlich keine Auskunft darüber, ob, wie und von wem dieses Team kontaktiert wurde. Öffentliche Quellen wecken jedoch den Eindruck, dass sich die Bedrohungssituation für Thomas Covenant im weiteren Verlauf geklärt hat - das freut und beruhigt uns.“

Der Kongress hat seit Jahren mit Sexismus-Vorwürfen zu kämpfen

Kurz nachdem Covenant ihre Vorwürfe twitterte veröffentlichte die Tor-Entwicklerin Isis Agora Lovecruft einen Blog-Post mit der Überschrift: „Der CCC - Männer die Frauen hassen.” Darin wirft sie dem CCC vor, mutmaßliche Vergewaltiger seien auf dem Kongress willkommen und Belästigungen und Übergriffe würden ignoriert.

Lovecruft war eine der Frauen, die 2016 Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Tor-Entwickler Jacob Appelbaum öffentlich machte. Appelbaum sowie zwei weitere Mitglieder der Tor-Community sollen sich der Vergewaltigung schuldig gemacht haben. Appelbaum hat diese Vorwürfe bestritten.

In ihrem Blogpost wirft Lovecruft dem CCC vor, einen der mutmaßlichen Vergewaltiger in diesem und im vergangenen Jahr als Redner eingeladen zu haben.

Vom CCC heißt es dazu: „Die Vorwürfe sind von der Tor-Community in den USA selbst abschließend beraten und als haltlos verworfen worden. Der Chaos Computer Club muss sich daher auf diese Aussagen von Tor verlassen und ist selber bass erstaunt, dass dieser bereits ausgeräumte Vorwurf erneut aufgebracht und nun gegen uns verwendet wird.”

Lovecruft behauptet in ihrem Post ebenfalls, dass auf der Konferenz im vergangenen Jahr „jeder Tor-Vortrag still vom CCC entfernt wurde“. Ziel sei es gewesen, Kontroversen um die sexuellen Missbrauchsvorwürfe gegen Jacob Appelbaum „zu vermeiden”.

Dirk Engling schreibt dazu: „Diese Behauptung weisen wir entschieden zurück und verweisen auf die Unabhängigkeit der Content Track Teams.“ Die Content Track-Teams sind für die Auswahl der Vorträge und das Programm zuständig.

BuzzFeed News hat Isis Agora Lovecruft für ein Interview angefragt, Lovecruft lehnte dieses jedoch ohne Begründung ab.

Die Journalistin Bethany „Lorax“ Horne bestätigt auf Anfrage von BuzzFeed News Lovecrufts Vorwürfe bezüglich eines „stillen Sprechverbots” für Opfer von Jacob Appelbaum auf dem Kongress.

„Einige Wochen vor dem 33C3 (dem Kongress 2016) habe ich einen Anruf von Linus Neumann vom CCC erhalten, indem er mir von dem Shadowban erzählt hat”, schreibt Horne. Der Begriff Shadowban bezeichnet das Blockieren einer Person aus einer Community, ohne dass diese Person etwas davon bemerkt. „Er hat mir gesagt, ich sollte niemandem davon erzählen, und dass er es leugnen würde, würde man ihn fragen, aber die Opfer von Jacob würden nicht auf der Bühne sein.”

Gleichzeitig habe eine Person, die im Zusammenhang mit Übergriffen durch Jacob Appelbaum ebenfalls unter Verdacht stand, auf dem Kongress sprechen dürfen. Horne habe Neumann gefragt: „Warum sollten die mutmaßlichen Vergewaltiger noch sprechen dürfen, aber nicht die mutmaßlichen Opfer?“ Darauf habe Linus Neumann nicht geantwortet.

Linus Neumann weist diese Darstellung zurück: "Meine Gespräche mit Bethany Horne beschränkten sich auf meine Bemühungen, einen Workshop-Tag zum Thema sexualisierte Gewalt auf dem 33C3 zu realisieren. Ich habe Bethany Horne nie gesagt, dass ich Aussagen leugnen würde. Ich habe mit Bethany Horne nie über Interna des CCC gesprochen", erklärte Neumann gegenüber BuzzFeed News.

Auch Dirk Engling vom CCC widerspricht der Darstellung von Horne: „Das Gegenteil ist der Fall: In der besagten Reihe an Telefonaten haben wir B. Horne angeboten, am 33C3 einen ganzen Workshop-Raum für einen Tag zu reservieren und diesem Thema zu widmen. Auch ein dediziertes Security-Team wurde dafür angeboten. Das Angebot wurde ohne Angabe von Gründen nicht angenommen.“

Im Zeitraum zwischen 33C3 (dem Kongress im Jahr 2016) und 34C3 in 2017 habe es kein Telefonat zwischen Horne und Linus Neumann gegeben, so Dirk Engling.

Horne selbst entgegnete diesbezüglich, auf dem 33C3 habe zwar ein Workshop zum Thema Belästigung stattgefunden. Allerdings sei dafür nur der kleinste Raum auf dem Gelände zur Verfügung gestellt worden.

„Es ist Zeit für den Kongress, sich endlich klar gegen Belästigung und Übergriffe zu positionieren“

Am Donnerstagabend kündigte das Navigationsteam an, nicht länger für den Kongress zu arbeiten. Das Navigationsteam ist für die Entwicklung der App verantwortlich, mit der die Kongressteilnehmer sich auf dem Gelände zurechtfinden können.

„Angesichts der jüngsten Nachrichten darüber, wie schlecht der 34c3 das Opfer eines Übergriffs behandelt hat, dass der verantwortliche Täter auf dem Kongress willkommen war und weil wir gesehen haben, wie andere bekannte Täter hier eine Bühne bekommen, können wir unsere Arbeit nicht mit gutem Gewissen fortsetzen”, schrieb das Team auf Twitter.

Es sei Zeit für den Kongress, sich endlich klar gegen Belästigung und Übergriffe zu positionieren und die Probleme anzugehen, anstatt diese zu „überdecken und darauf zu warten, dass die Leute sie vergessen.“

Einige Frauen reisten erst gar nicht erst an

Die Leiterin für Cybersicherheit einer sehr renommierten Non-Profit-Organisation erklärte BuzzFeed News gegenüber, sie sei nicht zum Kongress gekommen, weil sie sich bei der Vorstellung „nicht wohlgefühlt habe”. Sie habe bereits ein Ticket gekauft, in letzter Minute aber ihre Teilnahme abgesagt. Sie spiegelt damit die Aussagen vieler Frauen und LGBT* auf Twitter wider, die sich auf dem Kongress nicht willkommen fühlen.

Weitere Kritik gab es an den Assemblies der dem CCC nahestehenden Wau Holland Stiftung, und der Community Berndcon, die auf dem Kongress „code of conduct free zones” errichtet hatten. Assemblies sind Interessengruppen, die auf dem Kongress eigene Stände errichten und Workshops durchführen. Über die Einführung eines „Code of Conduct”, also eines Verhaltenscodex, wurde bereits im vergangenen Jahr diskutiert.

Die Wau Holland Stiftung schreibt auf Anfrage von BuzzFeed News: „Mit der „CoC free-zone' hatten wir bewußt provoziert, um innerhalb des CCC einen offenen Diskussionsprozess darüber anzustoßen. Dass unser knapper Satz in unserer Assembly-Anmeldung so hohe Wellen schlagen würde, hat uns allerdings überrascht. Kurz: Die Provokation hat besser funktioniert, als wir gedacht hatten.”

Einen Verhaltenscodex gäbe es bisher nicht, so die Stiftung weiter. Man habe sich mit der Provokation „dagegen verwahren wollen, dass uns irgendein CoC übergestülpt wird.” Im Gegensatz dazu findet sich auf der Seite des Events allerdings ein „Code of Conduct”, in dem es unter anderem heißt: „Be excellent to each other“.

Dirk Engling schreibt dazu: „Die Wauland-Assembly hat inzwischen ihre Zurückweisung eines US-zentrischen CoC präzisiert und akzeptierte natürlich unsere seit Jahren kristallklaren Ansagen zum Verhältnis des Congress und des CCC zu Gewalt, Diskriminierung und Belästigung.”

Vorträge zum Thema häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung wurden abgelehnt

Lovecruft hatte in ihrem Blogpost außerdem behauptet, der CCC habe in diesem Jahr Vorträge über Belästigung und Missbrauch abgelehnt. Mehrere Kongressteilnehmer, darunter Caroline Sinders von Wikimedia und Joseph Cox, Journalist beim US-Medium „Daily Beast“, bestätigen, dass ihre Vorschläge zu diesen Themen nicht angenommen wurde.

Caroline Sinders, die bei Wikimedia zu Belästigung im Internet forscht, hat drei Vorträge eingereicht, die alle abgelehnt wurden. Dabei ging es unter anderem um Reduktion von Belästigung durch Machine Learning, sowie um Memes und Hatespeech auf Twitter.

Auf Anfrage von BuzzFeed News schreibt Sinders, eine dem Organisationsteam nahestehende Person habe ihr erklärt, dass alle Vorträge zum Thema Belästigung abgelehnt worden seien. Ob dies mit deren Inhalt zu habe, wisse sie nicht. „Wir vermuten das, weil es keine Vorträge über häusliche Überwachungssoftware, queere Themen, Design, Belästigung gibt”, so Sinders. „Und es gab mehrere Einreichungen von bekannten, guten Rednern, Journalisten und Forschern.” Der Auswahlprozess sei undurchsichtig, schreibt sie.

Cox schreibt auf Twitter: „Mein Vortrag zu Spyware und häuslicher Gewalt, den ich anderswo gehalten habe, wurde abgelehnt. Ich sage nicht, dass es da einen Zusammenhang gibt (vielleicht war mein Vorschlag schlecht), aber vielleicht ist das ein weiterer hilfreicher Anhaltspunkt.“

Vom CCC heißt es dazu, dass es nur wenige Einreichungen zu dem Thema gegeben hätte. „Eine schnelle Suche über die 566 Submissions nach den Schüsselworten „harassment“, „abuse“ oder „sexual“ zeigt eine niedrig einstellige Anzahl von möglichen Treffern”, so Dirk Engling.

Die Vorträge seien nicht deshalb abgelehnt worden seien, weil sie sich mit Belästigung auseinander setzen. „Über Ablehnung oder Annahme entscheidden sechs unabhängige Track-Teams“, so Dirk Engling. Von insgesamt 566 Einreichungen seien nur rund 170 angenommen worden, in einigen Track-Teams hätten fünf bis sechs Vorträgen um einen Vortrags-Slot konkurriert. Die Ablehnungen würden nicht öffentlich diskutiert.

UPDATE

29.12.2017, 21:37

Der Text wurde um Zitate von Caroline Sinders ergänzt, die uns erst nach Veröffentlichung die Antwort auf unsere Anfrage zusenden konnte.

UPDATE

30.12.2017, 11:56

Der Text wurde um eine Erklärung von Linus Neumann ergänzt, in der dieser die vom CCC bisher übermittelten Antworten zum Teil korrigiert.

UPDATE

30.12.2017, 15:27

Der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Dirk Engling, hat seine Aussage bezüglich eines Telefongesprächs zwischen Bethany Horne und Linus Neumann nachträglich korrigiert. Der Text wurde entsprechend angepasst, auch wurde der Name des Sprechers korrigiert.

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