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Was man aus diesem Bundesparteitag über die AfD lernen kann

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Nach zwei Tagen zeigt sich: gegen den Osten, mit ruhigen Tönen und vor allem ohne die Völkischen geht in der AfD zur Zeit nichts.

Die "Alternative für Deutschland" hat sich erstmals nach der erfolgreichen Bundestagswahl zusammengefunden. Rund 600 Delegierte trafen sich in Hannover. Es war kein Programmparteitag, es ging um Personalfragen. In dem Zustand, in dem sich die Partei derzeit befindet, hätten inhaltliche Debatten auch gar keinen Sinn. Das zeigte schon die große Überraschung am ersten Tag.

1. Der neue Bundesvorstand

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Bundessprecher

- Jörg Meuthen (trat ursprünglich gemäßigt auf, hatte sich im Wahlkampf aber nach rechts geöffnet und radikalere Positionen eingenommen)

- Alexander Gauland (gilt als Fan und Schutzpatron des AfD-Rechtsaussen Björn Höcke und hat durchaus Lust an der Provokation (zuletzt mit seiner Forderung, die Deutschen sollten "stolz sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei WeltkriegeN" - BuzzFeed News hatte zuerst über aufgetauchtes Video berichtet). Für eine Regierungsbeteiligung will er warten, bis die Partei auf Augenhöhe mit SPD und Union steht, und bis dahin Bürgerbewegungen wie Pegida, Umweltaktivisten und Tierschützer in die Partei integrieren)

Stellvertreter

- Albrecht Glaser (eher Liberaler, der dem Islam das Grundrecht auf Religionsfreiheit "entziehen" will)

- Georg Pazderski (Berliner Landevorsitzender und Gemäßigter, der die AfD zeitnah in eine Koalition führen will. War ein enger Verbündeter von Petry

und unterstützt das Parteiausschlussverfahren gegen Höcke.)

- Kay Gottschalk (sitzt für die AfD im Bundestag und gilt als Vertreter des eher gemäßigten Spektrums)

Beisitzer

- Alice Weidel (wird dem wirtschaftsliberalen und gemäßigten Flügel zugeordnet. Sie hatte sich für die Wahl von Pazderski stark gemacht und war damit in Opposition zu Parteichef Meuthen getreten.)

- Beatrix von Storch (zählt zum rechtskonservativen Flügel der Partei)

- Guido Reil (ehemaliger SPD-Stadtrat aus Essen, der die „Entdämonisierung der AfD“ als seine Aufgabe sieht)

- Andreas Kalbitz (Brandenburger) Landeschef, zählt zum rechtsnationalen "Flügel" um Höcke)

- Stephan Protschka (Nationalkonservativer und Vorsitzender des Bezirksverbands Niederbayern)

- Steffen Königer (Sprecher der "Alternativen Mitte" in Brandenburg)

Bundesschatzmeister

- Klaus-Günther Fohrmann (Wirtschaftsliberaler, der sich mit klaren Positionierungen allerdings zurückhält und darum auch viele Unterstützer aus dem rechtsnationalen Flügel um Höcke hat)

stellv. Bundesschatzmeister

- Frank Pasemann (Mitglied der "Patriotischen Plattform", gilt als Verbindungsmann in die "Identitäre Bewegung")

Schriftführer

- Joachim Kuhs (hat 10 Kinder und leitet die "Christen in der AfD")

2. Es gibt keine starke Frau in der AfD

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Im kurzzeitigen Chaos nach dem Überraschungsauftritt von Sayn-Wittgenstein war auf dem Parteitag auch Alice Weidel als neue Bundessprecherin im Gespräch. Die aber wollte nicht. Von einer Delegierten erfuhr BuzzFeed News, dass Weidel "gute und auch persönliche Gründe" geltend gemacht habe, um nicht für den Posten des Bundessprechers antreten zu müssen.

Warum, das zeigte sich schon bald: an Tag 2, als es um die Beisitzer im Bundesvorstand ging. Björn Höcke (der sich mit öffentlichen Wortmeldungen zurückhielt, auffällig oft jedoch mit Alexander Gauland und André Poggenburg abseits stand und tuschelte) fragte Weidel nach ihrer Bewerbungsrede, ob die Machtfülle von Fraktionsvorsitz im Bundestag plus Sitz im Bundesvorstand nicht ein Problem sei - manche Delegierte würden sie schon "Beinahe-Sonnenkönigin" nennen, baute er mit auffällig kühler Freundlichkeit ein.

Dabei ging es hier "nur" um den Posten des Beisitzers. Man kann sich ausmalen, was Weidel auf diesem Parteitag und die kommenden Jahre erwartet hätte, wäre sie neben dem gemäßigten Meuthen Bundessprecherin geworden. Mit Querschüssen und Störfeuern aus dem völkischen Flügel um Höcke wäre jederzeit zu rechnen gewesen.

Nun sitzt mit Alexander Gauland der Mann im Bundesvorstand, der entscheidet, was aktuell in der AfD geht und was nicht. Dass Gauland auch Spitzendkandidat im Wahlkampf war und nun Fraktionsvorsitzender im Bundestag ist, wird überdies helfen, größere Konflikte zwischen Partei- und Fraktionsführung zu verhindern.

3. Der "Flügel" um Höcke steht stärker da, als zuvor

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Tagelang hatten sich Beobachter gefragt, ob Björn Höcke womöglich selbst für einen der Posten im Bundesvorstand antreten würde. Der gab am Vorabend des Parteitags schonmal einen Hinweis, wie er das so sieht: er müsse gar nicht im Vorstand sitzen, um dort Einfluss zu nehmen. "Ich habe auch Vertreter, die das für mich im Bundesvorstand machen können", sagte er vor Journalisten.

Dann nutzte Bundessprecher Jörg Meuthen - der lange Zeit als Gemäßigter auftrat, im Wahlkampf aber begonnen hatte, sich nach rechts zu öffnen - seine Rede, um klar zu machen: "Der Flügel gehört zur Partei". Ein Zugeständnis und eine Verneigung vor Höcke, finden viele.

Doris von Sayn-Wittgenstein, die die meisten gar nicht kannten und die erst seit einem Jahr in der Partei ist, war mit einer wenig kreativen, dafür umso einfacher gestrickten Rede in der Lage, die Stimmung im Saal in kürzester Zeit zu drehen und damit die Wahl des gemäßigten Georg Pazderski zu verhindern. Sie war allem Anschein nach vom Flügel genau damit betraut worden. Nachdem die Aufgabe erfüllt war, trat sie von ihrer Kandidatur wieder zurück.

Gauland musste dann kandidieren, um die Liberalen, Gemäßigten und die Völkisch-Nationalen zusammenzuhalten, glauben die einen. Gauland hat das selbst so eingefädelt, glauben die anderen. Sicher ist nur eins: Für die Rechten in der Partei ist seine Wahl ein Triumph. Denn Gauland hatte sich immer schützend vor Höcke und den Flügel gestellt.

Dabei sah es zu Beginn des Parteitags noch anders aus. Nach quälend langen Debatten um formale Fragen ging es darum, ob Armin-Paul Hampel jetzt nun ein Grußwort halten soll, oder nicht. Hampel ist Landesvorsitzender in Niedersachsen - und in der Partei umstritten. Manche fürchteten, Hampel könne sein Grußwort missbrauchen, um Einfluss auf Stimmung zur Vorstandswahl zu nehmen. In Wahrheit aber kam es hier zum ersten Kräftemessen zwischen den rechts-liberalen und den völkisch-nationalen.

Ein Grußwort des gastgebenden Landesverbands sei Tradition, meldete sich hier auch erstmals Höcke zu Wort, und ging gleich in die vollen: das Ganze sei ein "schwerwiegendes Versäumnis des Bundesvorstands". Doch die Abstimmung darüber geht verloren - auch dann noch, als Höcke fordert, ein zweites Mal und elektronisch abstimmen zu lassen.

Später wurde auch André Poggenburgs Antrag auf ein Ende der Doppelspitze abgelehnt. Bei der Wahl zum stellvertretenden Bundessprecher fiel Poggenburg ebenfalls durch.

Man hätte also annehmen können, es stünde nicht so gut um den Flügel. Am Ende des Parteitags aber war klar: das Gegenteil ist der Fall.

4. Parteiausschluss von Höcke? Nicht jetzt - und vielleicht nie.

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Das Verfahren, um Björn Höcke aus der AfD auszuschließen, war noch unter Frauke Petry angeschoben worden. Seitdem spaltet diese Frage die Partei in zwei Lager. Doch ausgelebt wurde der Konflikt dahinter bislang nicht.

Das Verfahren ist zwar beschlossene Sache, wurde bisher aber nicht durchgeführt - und wird es womöglich auch nie. Denn immer wieder ist auch eine vorzeitige Einstellung im Gespräch. Womöglich aber sorgt Höcke selbst dafür, es durchgezogen wird. Er sagte am Vorabend das Parteitages, er wolle gar keine vorzeitige Einstellung: "Das wäre für mich ein Freispruch zweiter Klasse".

Zuständig ist das Landesschiedsgericht Thüringen. Eine Entscheidung von dort wird erst 2018 erwartet - vermutlich zu seinen Gunsten. Ob die Causa danach in die nächste Instanz geht, entscheidet der Bundesvorstand.

5. Das Misstrauen in der Partei ist groß.

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Da kann noch so viel beteuert oder relativiert werden: von einer vertrauensseligen Stimmung innerhalb der Partei ist die AfD weit entfernt. Ständig ziehen sich Grüppchen zu Beratungen zurück, sondieren die Lage - während gleichzeitig im Saal je nach Jubel-Vorlage mal die Völkischen und mal die Gemäßigteren applaudieren.

Sogar Doris von Sayn-Wittgenstein, die mit ihrer Überraschungs-Rede die Bundessprecher-Wahl gekippt hatte, hat ihrem Landesverband davon vorher nichts erzählt, berichtet der Spiegel. Dabei ist sie in ebenjenem ohnehin schon eher unbeliebt.

Und so machte sich gelegentlich auch ein grundsätzliches Misstrauen der Delegierten und Parteimitglieder gegenüber den Mandatsträgern und Führungsfiguren in der Partei bemerkbar. Wer für ein Amt in der Partei kandidieren will, muss drei Fragen öffentlich beantworten.

- Waren Sie vorher schon in einer anderen Partei?

- Haben Sie alle Ihre Mitgliedsbeiträge bezahlt?

- Hat Ihr polizeiliches Führungszeugnis Einträge?

Die Befragung der Kandidaten durch die Sitzungsleitung kippte mitunter in eine verhörartige Stimmung ab.

6. Darüber liegt die Partei im Clinch

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Der künftige Kurs

Wer bestimmt, wohin die Partei sich bewegt? Drei größere Gruppierungen ringen um diese Frage:

a) Die Gemäßigten und Wirtschaftsliberalen

Hierzu zählen die Anhänger der "Alternativen Mitte" sowie die Wirtschaftsliberalen, die der Partei eher angehören, weil Sie Euro und Globalisierung ablehnen und weniger aus völkisch-nationakonservativen Überlegungen heraus.

b) Die Nationalkonservativen

Sie vertreten traditionelle christliche Werte, sehen Deutschland vom Islam gefährdet, fürchten Veränderung und wollen ein traditionelles Familienbild als Ideal für die Gesellschaft.

c) Der Flügel rechtsaußen

Die rechten Hardliner um Björn Höcke. Sie scheuen sich nicht, mit bewussten Anspielungen auf das Dritte Reich zu arbeiten, vertreten nicht selten Auffassungen von einer deutschen Überlegenheit und finden, Deutschland werde mit einem "Schuldkult" mundtot gemacht.

Regieren: Ja oder nein und wann?

Diese Frage lässt sich auch am zentralen Duell des Parteitags erzählen:

- Georg Pazderski steht für den pragmatischen Kurs, der die AfD als rechtskonservative Kraft auf absehbare Zeit in die Regierungsverantwortung führen soll

- Sayn-Wittgenstein erntete tobenden Applaus mit ihrer Forderung, nicht die AfD solle Koalitionen anbieten, sondern die anderen Parteien sollten die AfD um Koalitionsgespräche anbetteln

Mandatsträger und das Verhältnis zur Basis

Die AfD professionalisiert sich. Auf diesem Parteitag wurden entscheidende Fragen hinter den Kulissen vorbereitet und nicht ellenlang auf offener Bühne diskutiert - wie bei anderen Parteien auch. Doch dass die Basis das nicht nur gut findet, war auch hier deutlich zu spüren, und dass obwohl es ein Delegierten- und kein Mitgliederparteitag war. Es ging um Ämterhäufung, Doppelmandate, Mandatsträger-Abgaben (Zwangs-Spenden an die Partei für Mitglieder, die in ein Parlament gewählt wurden).

7. EU-Parlament? Naja.

Jörg Meuthen, alter und neuer Bundessprecher der Partei, geht nach Brüssel. Er wolle dort Vorbereitungen für eine starke AfD-Gruppe ab 2019 treffen, sagte er.

Offenbar wird es hier als nicht unmöglich empfunden, im fernen Brüssel zu sitzen und gleichzeitig die Partei zu führen.

Auch Alexander Gauland erklärte am Rande des Parteitages, dass er ein Europa-Mandat als nicht sonderlich zentral empfindet: "Ich weiß das von Beatrix von Storch. Da muss man mal eine Minute reden und dann ist wieder gut."

8. Der Spruch "Ich komme aus dem Osten" zieht immer.

Vielleicht sind die Landesverbände aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen auch "nur" die lautesten, aber auf diesem Parteitag war klar: gegen den Osten ist in der AfD auf Dauern nicht zu arbeiten. Wo immer der Spruch "Ich komme aus dem Osten" oder "Ich will mich für den Osten einsetzen" eingebaut wurde, gab es Applaus.

9. Die Presse bleibt der Buh-Mann.

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Parteitage sind anstrengend. Es ist laut, Menschen reden dazwischen, nicht jeder kennt den Unterschied zwischen Geschäftsordnungs- und sonstigem Antrag - man versteht, dass sich da der Frust bei der Versammlungsleitung auch mal entladen muss.

Gegen wen das passierte, war dann weniger überraschend: gegen die anwesenden Journalisten und Fotografen im Saal. Dass es bei der Pressekonferenz mit den beiden neugewählten Vorsitzenden dann nichtmal Stühle gab und die Journalisten auf dem Boden knien mussten, während Gauland und Meuthen vor ihnen standen, sorgte ebenfalls für Unmut - bei den anwesenden Journalisten allerdings.

Heiko Hessenkemper, der bei der Wahl für den 2. Beisitzer antrat, erntete viel Applaus, als er davon sprach, die AfD müsse die Machtbasis der derzeitigen Politik "angreifen und schwächen", allen voran "die beiden M's dieser Machtbasis: die Medien und den öffentlich-rechtliche rot-grüne Propaganda-Apparat"

(Zieht man den Show-Effekt allerdings ab, zeigt sich: hinter den Kulissen werden viele freundliche Gespräche geführt, die Zusammenarbeit ist meist freundlich und für die Medienvertreter gab es auf dem Parteitag sogar ziemlich gutes Essen).

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