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Sigmar Gabriel bei BuzzFeed News: "Erdogan hält Deniz Yücel als Geisel"

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Der Außenminister findet im Interview klare Worte. Donald Trumps Reaktion auf die Nazi-Gewalt in Charlottesville mache ihn fassungslos. Und Sigmar Gabriel hofft, dass die AfD noch unter 5 Prozent rutscht.

BuzzFeed.de © © 2020 BuzzFeed

Sigmar Gabriel greift im Interview mit BuzzFeed News sowohl den amerikanischen Präsidenten Trump als auch den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan scharf an. Zu rechtspopulistischen Tendenzen in Deutschland sagte Gabriel: "Wir haben kein Problem mit Linksterrorismus in Deutschland. Aber wir haben über 200 Tote von Rechtsterroristen."

Fassungslosigkeit über Trump

Sigmar Gabriel kritisiert im Interview mit BuzzFeed News den US-Präsidenten Donald Trump scharf. Dass Trump sich nach den Ausschreitungen im Umfeld rechtsextremistischer Demonstrationen in Charlottesville in den USA nicht klar gegen Extremismus von Rechts positionierte, sei nicht akzeptabel.

"Ich war erstmal fassungslos", sagte Gabriel. "Er hat ja in seinem Umfeld einen echten Rechtsradikalen, den Bannon, als einen seiner Berater. Und das wird der Grund sein, warum er so reagiert hat. Ich finde das skandalös."

Gabriel freute sich über Bewegungen wie "Pulse of Europe", die rechten Strömungen ein Gegengewicht entgegensetzen wollen. Das zunehmende Selbstbewusstein der rechten Gruppen sei unbegründet. „Leider fühlen die sich in einer Situation, wo sie den Eindruck haben, sie sind international im Aufwind. Das ist ja gebremst worden", sagte Gabriel. "Herr Wilders hat in den Niederlanden nicht zugelegt. Die Rechtsradikalen in Österreich haben nicht die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Frau Le Pen ist nicht Präsidentin geworden. Das ist schon eine reale Gefahr, das darf man nicht verniedlichen. Aber sie sind nicht im Aufwind. Nur mit Trump glauben die, es gäbe so etwas wie eine rechte Internationale."

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Rechtsextremismus: "Die sind nicht Deutschland"

Gabriel äußerte die Sorge, dass rechte Populisten auch Einfluss auf die deutsche Innenpolitik und den Wahlkampf nehmen könnten. "Ich würde mich trotzdem nicht einlassen auf einen Wettbewerb mit Rechtsradikalen und übrigens auch nicht mit Linksradikalen. Warum nicht? Die appellieren an Vorurteile, an Ressentiments."

Gabriel äußerte die Hoffnung, dass der rechtspopulistischen AfD der Einzug in den neuen Bundestag möglicherweise nicht gelingen könnte. "Die sind nicht mehr bei 15 Prozent wie vor ein paar Monaten, sondern bei 7 Prozent. Und es gibt sogar die Chance, die unter 5 zu kriegen."

"Wir haben kein Problem mit Linksterrorismus"

Auch die Fokussierung auf linken Aktivisten nach dem G20-Gipfel habe ihn geärgert. "Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Hamburg ist bei uns auch so getan worden, als sei linke und rechte Gewalt identisch", so der Außenminister.

"Ich persönlich habe überhaupt keine Sympathie für Gewalt von Autonomen. Obwohl wir heute wissen, dass die meisten in so einer Art Hooligan-Art herumgerannt sind – ich finde, die muss man auch hart bestrafen. Aber klar ist mal eins: Wir haben kein Problem mit Linksterrorismus in Deutschland", sagte Gabriel. "Aber wir haben über 200 Tote von Rechtsterroristen. Und deswegen darf man jetzt auch nicht so tun, als ob wir ein gleichgelagertes Problem hätten." Man müsse "die Kinder beim Namen nennen. Und das ist: rechter Terror."

"Erdogan hält Yücel als Geisel"

Auf die Frage, warum der deutsche Journalist Deniz Yücel noch nicht frei ist, sagte Gabriel: „Weil die Türkei, nach meiner Einschätzung, ihn als Geisel in Gefangenschaft hält. (…) Wir haben letztlich nur diplomatische und wirtschaftliche Mittel. Die setzen wir auch ein. Wir können ja nicht in der Türkei einmarschieren.“

Nachdem man es lange anders probiert habe, sollte Europa nun darüber nachdenken, Erdogan deutlich weniger Beachtung zu schenken. "Ich glaube, was wichtig ist: vielleicht auch der Regierung Erdogan nicht jeden Tag die Ehre zu geben, auf alles zu reagieren, was die machen", sagte Gabriel. "Wir haben lange versucht, mit ihm vernünftig umzugehen. Manchmal ist vielleicht ganz gut, ihm auch weniger Wichtigkeit zu geben."

Entscheidet der Stahl die Wahl?

Sigmar Gabriel warnte im Interview mit BuzzFeed News davor, aus Trumps Wahl nichts für die deutsche Politik und den laufenden Wahlkampf zu lernen. In den USA sei der sogenannte "rust belt" – Stahlarbeiter, die ihre Jobs verloren haben – vergessen worden. Ein ähnlicher Fehler dürfe in Deutschland nicht passieren.

"In der ganzen Diesel-Affäre muss die SPD auch eine Partei sein, die sich um die Sorgen der Facharbeiterinnen und Facharbeiter kümmert. Die sollen doch nicht die sein, die die Zeche für die Sauereien ihrer Vorstände zahlen. Also sich um die Leute kümmern, die den Eindruck haben, die Politik vergisst sie – das müssen wir schon."

In der Diskussion um Elektromobilität allerdings dämpfte Gabriel die Erwartungen auf schnelle Lösungen. "Mit den heutigen Netzen geht das nicht. Wir werden da ganz schön etwas ändern müssen. Aber wogegen ich was habe: wenn wir komplizierte Fragen so sehr vereinfachen, dass am Ende dann eine Lüge herauskommt. Ohne eine verbindliche Quote, glaube ich, wird das nichts."

Man müsse stattdessen auch auf Erdgas, synthetische Kraftstoffe und verbesserte Otto- und Dieselmotoren als Brückentechnologie setzen. Und die Autoindustrie solle weiter in die bestehenden Motoren investieren – "weil wir für eine 100% E-Quote noch viele, viele Jahre brauchen werden."

Die aktuell größte Gefahr für Deutschland sieht Gabriel in der internationalen Rüstungsspirale und der Reaktion seiner politischen Konkurrenz darauf. "Das wichtigste Thema, dass wir gerade haben, ist, dass CDU und auch FDP sich der Aufrüstungslogik von Donald Trump unterwerfen", sagte Gabriel.

Hier findet ihr das gesamte Interview mit Sigmar Gabriel.

Zur Person

Sigmar Gabriel war von 2009 bis 2017 Vorsitzender der SPD. Seit dem 27. Januar 2017 ist er Außenminister, zuvor war er von 2013 bis 2017 Wirtschaftsminister und von 1999 bis 2003 Ministerpräsident von Niedersachsen.

Am Mittwoch war Sigmar Gabriel für ein halbstündiges Interview bei BuzzFeed News Deutschland zu Gast – und damit der erste deutsche Spitzenpolitiker, der sich den Fragen von BuzzFeed-Nutzern und -Redakteuren gestellt hat. Bis zur Wahl werden weitere Politiker-Interviews bei BuzzFeed News folgen.

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