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Der türkische Geheimdienst operiert auch in Deutschland und in diesem Dokument bestätigt die Bundesregierung das

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Neun internationale Medien berichten über Foltergefängnisse und davon, dass weltweit Menschen in die Türkei verschleppt werden.

Eine bislang nicht veröffentlichte Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag bestätigt, dass der türkische Geheimdienst MIT auch in Deutschland operiert. Gleichzeitig zeigt eine internationale Recherche, was konkret dahinter stecken könnte: Foltergefängnisse, Entführungen und Menschen, die ohne jeden Prozess verschwinden.

Die FDP-Fraktion wollte wissen, welche Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes der Bundesregierung bekannt sind und wie verhindert werden soll, dass Mitarbeiter des Geheimdienstes sich in deutsche Sicherheitsbehörden einschleusen.

Vier der 23 Antworten erklärte die Bundesregierung zur Verschlusssache, wollte sie also nicht der Öffentlichkeit zugänglich machen. Wir veröffentlichen sie trotzdem, denn auch wenn die Antworten auf die vier Fragen eher allgemein gehalten sind, haben sie eine gewisse Sprengkraft.

In den Antworten heißt es zunächst:

- Die Aufgaben des MIT seien „Terrorismusabwehr, Technische Aufklärung, Proliferationsbekämpfung, Cyberabwehr, Geheimschutz einschließlich Sicherheitsüberprüfungen, Spionageabwehr sowie sicherheitsrelevante bzw. nachrichtendienstliche Nachforschungen jeglicher Art gegen Angehörige des türkischen Verteidigungsministeriums und der türkischen Streitkräfte“

- Ferner führt die Bundesregierung allerdings auch aus, dass der türkische Staatspräsident den MIT „zusätzlich zum im Gesetz festgeschriebenen Aufgabenprofil mit weiteren Aufgaben (...) betrauen“ kann.

- Und schließlich: „Nach Einschätzung der Bundesregierung führt der MIT die entsprechenden Maßnahmen (...), sofern aus türkischer Sicht notwendig, auch auf deutschem Boden aus.“

Hier findet ihr das komplette Dokument zum Nachlesen:

Türkischer Geheimdienst „auch auf deutschem Boden“

Gerade der dritte Satz – „auch auf deutschem Boden“ – lässt aufhorchen. Denn schon länger hält sich hartnäckig das Gerücht, in der Türkei würden Listen von Menschen geführt, die man im Ausland verfolgen lassen will – darauf angeblich: kurdische und türkische Oppositionelle und Anhänger der Gülen-Bewegung in Europa, auch und vor allem in Deutschland.

Vor einem Jahr hatte Garo Paylan, Politiker der türkischen Oppositionspartei HDP, dazu öffentlich erklärt: „Ich habe aus verschiedenen Quellen die Information zugespielt bekommen, dass aus der Türkei heraus operierende Auftragskiller in Europa, insbesondere in Deutschland, zuschlagen wollen und über eine entsprechende Todesliste verfügen.“

Jetzt, fast auf den Tag genau ein Jahr später, berichten neun internationale Redaktionen in einer gemeinsamen Recherche, was sich hinter den allgemeinem Antworten der Bundesregierung verstecken könnte: Foltergefängnisse, Entführungen und Menschen, die ohne jeden Prozess verschwinden.

Die Recherche ist ein Kooperationsprojekt von 9 Medien aus 8 Ländern – aus Deutschland waren Correctiv und Frontal21 beteiligt.

Internationale Recherche berichtet von Folter

Von „Kidnapping im Staatsauftrag“ ist dort die Rede. Das macht deutlich, wo das Problem liegt: Denn geheim sind die Entführung oft nicht. Das unterstreicht auch die bislang geheime Antwort der Bundesregierung, die BuzzFeed News nun vorliegt.

Fragen zum Vorgehen der Türkei musste die Bundesregierung schon mehrfach beantworten. Auf eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag fasste sie das Vorgehen der türkischen Behörden am 31. Oktober 2018 so zusammen:

„In den allermeisten Fällen dürfte es sich bei den zwangsweisen Rückführungen nach Kenntnis der Bundesregierung jedoch um offizielle Maßnahmen der jeweiligen Gastländer handeln, die von türkischer Seite aus zwar initiiert, von dieser aber nicht eigenständig auf fremdem Staatsgebiet durchgeführt wurden.“

-

Für die Reporter von Correctiv eine Wortwahl, die angesichts ihrer Recherche mehr Fragen aufwirft als beantwortet. „Eine ziemlich verklausulierte Beschreibung für einen fragwürdigen Prozess: Im Grunde sagt die Regierung nur, dass der türkische Geheimdienst nicht selbst die neuen Staatsfeinde in schwarze Transporter zwingt“, schreibt Correctiv.

Erdogans Griff reicht bis nach Deutschland

Immer mal wieder ist von „Erdogans langem Arm“ die Rede und dass der auch bis nach Europa und Deutschland reiche. Mit der nun veröffentlichten Recherche wird einmal mehr deutlich, wie stark sein Griff sein kann: Entführungen auf offener Straße; lokale Sicherheitsbehörden, die das für die Türken übernehmen; Privatflugzeuge, die auf Tarnfirmen zugelassen sind und Entführte binnen kürzester Zeit außer Landes schaffen – all das passiert offenbar, und es passiert offenbar auch in Deutschland.

„Über mögliche Entführungsversuche von Gülenisten in Europa ist bislang wenig bekannt. Vollkommen sicher sind sie auch hier nicht, wie die gemeinsame Recherche zeigt“, kritisiert Correctiv.

Warnung vor Missbrauch der Polizeiagentur Interpol

Dass die Türkei sich zur Verfolgung von ins Ausland geflohenen Oppositionellen gern der internationalen Staatengemeinschaft bedient, ist nicht neu – und nicht wenig davon passiert vollkommen öffentlich: Schon länger warnen Menschenrechtsaktivisten vor einem Missbrauch der internationalen Polizeiagentur „Interpol“ durch die Türkei.

Jedes Interpol-Mitglied kann Menschen über sogenannte „Red Notices“ zur Fahndung ausschreiben lassen. Andere Mitgliedsstaaten müssen diese Menschen dann festnehmen und gegebenenfalls ausliefern, wenn sie im eigenen Land aufgegriffen werden.

Interpol selbst hatte bereits davor gewarnt, dass sich die Türkei dieser Methoden bei der Verfolgung von Dissidenten und Oppositionellen bedienen könnte: Einer internen Untersuchung zufolge wertet Interpol seit 2014 insgesamt mehr als 130 Fahndungsersuchen als politische Verfolgung.

Doch das BKA schrieb fünf dieser Personen auch weiterhin in Deutschland zur Fahndung aus, wie netzpolitik.org berichtete. Auch auf die Frage, welche Staaten Interpol-Fahndungsersuchen für eigene politische Zwecke missbrauchen, wollte die Bundesregierung nicht antworten.

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