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Die AfD will den Volksverhetzungs-Paragraphen ändern - um „Biodeutsche“ zu schützen

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Die AfD stellt den Volksverhetzungs-Paragraphen in Frage. Um ihn zu ändern wird die Partei einen Antrag in den Bundestag einbringen. Der verantwortliche Politiker spricht sogar vom „Abschaffen“.

Die AfD will den Volksverhetzungs-Paragraphen ändern und wird dazu einen Antrag im Bundestag einbringen. Das bestätigten mehrere AfD-Abgeordnete im Gespräch mit BuzzFeed News.

Volksverhetzung ist bislang nur dann strafbar, wenn eine konkrete Gruppe innerhalb des Volkes beleidigt oder Hass gegen sie geschürt wird. Beleidigt jemand die Deutschen als Ganzes, so ist dies keine Volksverhetzung, weil nicht klar ist, gegen wen sich der Angriff richtet.

Die AfD will das ändern. Schon „in den kommenden Wochen“ will sie einen entsprechenden Antrag im Bundestag einbringen, erklärte Stephan Brandner im Gespräch mit BuzzFeed News. Brandner ist Mitglied der AfD-Fraktion und Vorsitzender des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag. Der Antrag sei „in Arbeit“, ein entsprechender Beschluss in der „Arbeitsgruppe Recht“ der Fraktion bereits ausgearbeitet.

Stephan Brandner, für die AfD im Bundestag und dort Vorsitzender des Rechtsausschusses
Stephan Brandner, für die AfD im Bundestag und dort Vorsitzender des Rechtsausschusses © Achim Melde / Alle Rechte beim Dt. Bundestag / Via bilderdienst.bundestag.de

Wie Roman Reusch, ehemals leitender Oberstaatsanwalt in Berlin und für die AfD im Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestags, bestätigte, liegt der Entwurf derzeit bei der Fraktionsspitze der Partei. Dort könnten noch Änderungen vorgenommen werden, er rechne aber „relativ schnell“ mit einer Bearbeitung.

Initiiert hatte den Antrag der Dresdner AfD-Politiker Jens Maier, der ebenfalls für die AfD im Bundestag sitzt. Auf einer Veranstaltung mit dem Titel „AfD Klartextrunde“ des Kreisverbandes Sächsische Schweiz/Osterzgebirge hatte Maier Ende Januar das Vorhaben angekündigt. Dem dortigen Publikum erklärte er: „Ich bin grad an der Volksverhetzung dran“ woraufhin im Saal großes Gelächter ausbrach. „Meines Erachtens nach müsste dieser Paragraf komplett gestrichen werden“, so Maier damals.

Von BuzzFeed News auf diese Veranstaltung angesprochen sagte Maier, er habe „schon befürchtet, dass das mal jemand ausbuddelt“. Es ginge ihm lediglich um „die Abschaffung des Paragraphen als politisches Kampfmittel.“ Er fühle sich beim §130 an den DDR-Straftatbestand 'Schwere staatsfeindliche Hetze' erinnert und glaubt, dass „durch eine immer extensivere Auslegung des Paragraphen die Gefahr droht, dass praktisch jede missliebige Meinung als Volksverhetzung betrachtet wird. Das Strafrecht darf jedoch kein politisches Kampfmittel sein. Vor diesem Hintergrund wäre es an und für sich konsequent, den §130 zu streichen, um nicht große Teile der Gesamtbevölkerung zu kriminalisieren“, so Maier.

Maier selbst hatte eingeräumt, „dass eine Abschaffung der Norm nicht machbar ist.“ „Das ist ja auch gar nicht mehrheitsfähig“, so der Abgeordnete weiter. Maier war von 1997 bis 2017 Richter am Amtsgericht Dresden und hatte sich in einem AfD-internen Machtkampf in der Sachsen-AfD gegen Frauke Petry durchgesetzt.

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, bestätigte gegenüber BuzzFeed News die Existenz des Entwurfs: „Der dreht bei uns gerade Runden, also das wird jetzt nicht diese oder nächste Woche", so Baumann am Rande der Bundespressekonferenz am 12. März.

Warum der §130 nicht für die Mehrheit da ist

Baumann verwies auf einen Antrag, den er in seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender der AfD in der Hamburgischen Bürgerschaft eingebracht hatte und der sich mit dem gleichen Anliegen beschäftigt hatte. Auch im Landtag von Sachsen-Anhalt hatte die AfD bereits versucht, einen solchen Antrag durchzubringen. Dort wird jeweils ausgeführt, was auch dem jetzt kommenden Antrag im Deutschen Bundestag als Argumentation zugrunde liegt: Die Rechtsprechung in Deutschland verurteilt nur dann wegen Volksverhetzung, wenn eine identifizierbare Gruppe innerhalb der deutschen Bevölkerung angegriffen wird.

Beleidigt man die Deutschen als Ganzes, ist dies keine Volksverhetzung, so der Jurist Thomas Fischer:

Thomas Fischer, Bundesrichter a.D., findet den Vorstoß der AfD zwar „recht interessant“, konstatiert aber auch: „Hinter der verdrehten Logik steckt natürlich der übliche rassistische Ansatz“.
Thomas Fischer, Bundesrichter a.D., findet den Vorstoß der AfD zwar „recht interessant“, konstatiert aber auch: „Hinter der verdrehten Logik steckt natürlich der übliche rassistische Ansatz“. © Wikimedia - CC BY-SA 4.0: creativecommons.org / Via commons.wikimedia.org

„Es ist abwegig zu sagen, die ganze deutsche Bevölkerung sei als "Teil der deutschen Bevölkerung" geschützt. Das ist keine abgrenzbare Gruppe. Genauso wenig "die Schüler", "die Frauen" oder "die Soldaten". So ist der §130 nicht gemeint“. Fischer hat nicht nur zum Volksverhetzungs-Paragraphen promoviert, er war bis 2017 auch Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof und ist seit 1993 Autor des Standard-Kommentars zum deutschen Strafrecht.

Fischer sagte, beim Volksverhetzungs-Paragraphen gehe es nicht um einen Mehrheitenschutz: „Es geht darum, Gruppen, die man als Minderheit in der Gesamtgesellschaft identifizieren kann, vor einer Stimmung von Gewalttätigkeit, Ausgrenzung und Pogrom zu schützen. Und das funktioniert, finde ich, auch einigermaßen“, so Fischer weiter.

Die Angst vor dem Verschwinden der Deutschen

Roman Reusch, ehemaliger Oberstaatsanwalt und Mitglied der AfD-Fraktion.
Roman Reusch, ehemaliger Oberstaatsanwalt und Mitglied der AfD-Fraktion. © Achim Melde / Alle Rechte beim Dt. Bundestag / Via bilderdienst.bundestag.de[page]=2

AfD-Politiker Roman Reusch zufolge sei der Vorstoß der AfD-Fraktion auch vor dem Hintergrund einer angeblichen Entwicklung zu lesen, wonach Deutsche im eigenen Land mittelfristig in der Minderheit sein könnten: „Der Anwendungsbereich muss auch auf Biodeutsche, die hierzulande noch die Bevölkerungsmehrheit darstellen, ausgeweitet werden.“

Für Bundesrichter a.D. Thomas Fischer nicht mehr als „ein Argument ohne jede Logik: Wenn es so wäre, wie die AFD behauptet, bräuchte man ja einfach nur den bestehenden Paragraphen 130, so wie er ist, beibehalten. Denn dann würde die Minderheit der "Deutschen“, die da offenbar gemeint ist, ja ganz automatisch in den Schutzbereich des Paragraf 130 hinein-schrumpfen. Hinter der verdrehten Logik steckt natürlich der übliche rassistische Ansatz.“

Außerdem, so Fischer weiter, könne sich der einzelne Deutsche auch heute schon jederzeit juristisch wehren: über den Tatbestand der Beleidigung. „Wenn die AfD meint, man müsse "das bio-deutsche Volk" vor Beschimpfung durch einzelne schützen, ist das eher eine zynische Umdrehung des Sinnes der Vorschrift. Man muss nicht die 95 Prozent Mehrheitsgesellschaft vor der Beschimpfung durch ein paar Spinner schützen, damit das deutsche Volk gerettet wird.“

Die Idee trifft auf wenig Gegenliebe

Friedrich Straetmanns, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion sagte gegenüber BuzzFeed News: „Wir sehen keinen Änderungsbedarf, ganz sicher nicht. Und wir sehen schon gar keinen Bedarf, den Schutz auf das deutsche Volk insgesamt zu erstrecken. Der §130 soll ja die Minderheiten schützen. Also: das ist nicht notwendig und zeigt im Grunde nur, wes Geistes Kind die Antragsteller sind.“

Die rechtspolitischen Sprecher von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wollten sich auf Anfrage nicht äußern. Auch das Bundesministerium der Justiz lehnte einen Kommentar ab, ebenso wie der Deutsche Richterbund.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisierte auf Anfrage von BuzzFeed News den Vorstoß der AfD-Fraktion. Die Vorschrift sei eines von vielen Mitteln, um das friedliche Zusammenleben in Deutschland zu gewährleisten. Für eine Änderung der Vorschrift sehe man keinen Anlass, so Stefan König, ehemaliger Vorsitzender des DAV-Gesetzgebungsausschusses Strafrecht und mehrfach als Sachverständiger für den Deutschen Bundestag tätig. „Für einen Schutz der gesamten deutschen Bevölkerung gegen die in §130 StGB umschriebene Hetze besteht – über den ohnehin bestehenden strafrechtlichen Schutz der persönlichen Ehre (§§ 185 ff. StGB) hinaus – keine Veranlassung. Mangels Abgrenzbarkeit der gesamten deutschen Bevölkerung als Personengruppe in Deutschland ist das auch nicht möglich.“ Der Volksverhetzungs-Paragraph diene dem Schutz von Teilen der Bevölkerung, die aber nicht unbedingt Deutsche sein müssten. „Auch das Aufhetzen von beispielsweise Kurden gegen Türken oder umgekehrt ist, soweit es in Deutschland geschieht, strafbar“, so König weiter.

Die AfD und die Volksverhetzung

Angehörige der AfD sehen sich immer wieder Anzeigen und Verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegenüber. So wurde AfD-Chef Alexander Gauland nach seiner Äußerung, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung könne man „in Anatolien entsorgen“, mehrfach wegen Volksverhetzung angezeigt, unter anderem auch von Bundesrichter a.D. Thomas Fischer.

Auch Beatrix von Storch sieht sich einer Vielzahl von Anzeigen gegenüber, ebenso wie André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt. Der Berliner Abgeordnete wurde zu einer Geldstrafe von 7.000 Euro verurteilt. Jeanette Ihme, AfD-Politikerin aus dem Saarland wurde ebenso schuldig gesprochen wie ein AfD-Kreisvorstand aus Salzwedel oder der ehemalige AfD-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern.

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