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Der erfolgreichste Artikel über Angela Merkel auf Facebook ist eine Fake News

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Die Geschichte dieser Fake News führt dich auf einen katholischen YouTube-Klon, dessen Server in Moldavien registriert ist und aus Moskau betrieben wird. Ja, ernsthaft.

Der erfolgreichste deutschsprachige Artikel über Angela Merkel auf Facebook ist ein aus dem Zusammenhang gerissenes Kurz-Video, das gegen Migranten hetzt. Das geht aus einer Analyse von BuzzFeed News hervor. Mit Hilfe einer Software hat BuzzFeed News Artikel über Angela Merkel der vergangenen fünf Jahre ausgewertet und die Artikel gesucht, die auf Facebook am meisten Aufmerksamkeit generiert haben. Die Analyse zeigt, dass der Großteil der erfolgreichsten Artikel über Angela Merkel auf Facebook Falschmeldungen sind. Und dass in sozialen Netzwerken einzelne, bewusst verbreitete Fake News sich offenbar deutlich weiter verbreiten können, als tatsächliche Nachrichten.

Jeden Tag werden hunderte Texte und Videos über Bundeskanzlerin Angela Merkel im Netz veröffentlicht, egal ob von Journalisten oder Nicht-Journalisten. Aber kein Artikel hat in den vergangenen fünf Jahren mehr Aufmerksamkeit auf Facebook erzeugt, als dieser:

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Dieser Artikel der Seite "Gloria.tv" hat auf Facebook rund 273.000 Interaktionen, das ist die Summe aus Reaktionen, Kommentaren und Shares. Damit ist er sogar mit weitem Abstand der erfolgreichste Artikel über Angela Merkel auf Facebook.

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Das sind die drei erfolgreichsten Artikel der vergangenen fünf Jahre über Angela Merkel auf Facebook, nach Auswertungen von BuzzSumo. Unsere gesammelten Rohdaten sind hier einzusehen.

Rund 273.000 Facebook-Interaktionen sind viel, gemessen daran, dass im gleichen Zeitraum die erfolgreichsten Artikel von großen deutschen Medien deutlich weniger Interaktionen hatten, zum Beispiel bei der Bild (230.000), der Welt (142.000) oder dem Spiegel (122.000).

Der Artikel auf Gloria.tv zeigt einen 7-sekündigen Video-Clip, in dem Angela Merkel nur einen Satz sagt.

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Seit Veröffentlichung im Januar 2015 hat der Clip auf Gloria.tv – eigenen Angaben zufolge – 639.400 Klicks erzeugt. Der Videotitel lautet: "Angela Merkel: Deutsche müssen Gewalt der Ausländer akzeptieren".

Aber fordert Angela Merkel tatsächlich die Akzeptanz von Ausländergewalt, so wie es in der Überschrift steht? Nein, denn der Satz im Video ist aus dem Zusammenhang gerissen und die Überschrift dreht ihre eigentliche Aussage ins Gegenteil.

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BuzzFeed.de © Gloria.tv / BuzzFeed

Der Videoclip ist ein Ausschnitt aus Angela Merkels Video-Podcast aus dem Jahr 2011, wie die Kollegen von Mimikama herausgefunden haben.

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Die Aussage von Angela Merkel lautet hier im Ganzen:

"Hierbei geht es darum, Sicherheit vor Ort zu gewährleisten, und gleichzeitig die Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft zu bekämpfen. Das gilt für alle Bereiche der Gesellschaft, aber wir müssen akzeptieren, dass die Zahl der Straftaten bei jugendlichen Immigranten besonders hoch ist. Deshalb ist das Thema Integration verbunden auch mit der Frage der Gewaltprävention in allen Bereichen unserer Gesellschaft."

Damit meint Merkel nicht, dass wir die Gewalt von Einwanderern akzeptieren müssen. Stattdessen sagt sie, dass die hohe Zahl der Straftaten von Migranten akzeptiert werden muss, oder anders gesagt: Dass wir davor nicht die Augen verschließen dürfen.

Eigentlich geht es in Merkels Aussage darum, wie man Integration fördern und die Gewalt unter jugendlichen Gewalttätern reduzieren kann. Aber durch die Kürzung und die Überschrift "Deutsche müssen Gewalt der Ausländer akzeptieren", wurde die Aussage von Angela Merkel ins Gegenteil gedreht.

Der gekürzte Videoclip wird auf Facebook immer wieder geteilt. Hier sind beispielhafte Kommentare, die Facebook-Nutzer zu diesem Video schreiben:

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Gloria.tv wirbt mit dem Spruch "the more catholic the better" und ist eine Video-Plattform, ähnlich wie YouTube, auf der Nutzer Videos hochladen können.

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Im Jahr 2013 nennt Die Zeit Gloria.tv aggressiv und rechtsradikal, nachdem unter anderem deutsche liberale Priester, die für die Pille danach warben, mit Hakenkreuzen gezeigt wurden. Gegründet hat das Portal der römisch-katholische Priester Reto Nay aus der Schweiz. Seit 2014 wird Nay aber nicht mehr im Impressum von Gloria.tv genannt.

Seit 2014 fehlt im Impressum von Gloria.tv die Angabe, wer der Betreiber ist. Aktuell ist die Domain von Gloria.tv in Moldawien registriert und eine Kontaktadresse führt nach Moskau.

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Und so sieht das Gebäude aus, in dem sich die Ansprechpartner befinden sollen. Eine E-Mail Adresse oder Telefonnummer gibt es auf den Seiten von Gloria.tv nicht. BuzzFeed News hat Gloria.tv einen Brief nach Moskau geschrieben, bisher aber keine Antwort erhalten.

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Wir haben unter anderem gefragt, ob Videos vor oder nach dem Hochladen auf die Verbreitung falscher Tatsachen kontrolliert werden und ob es zu dem Merkel-Video in der Vergangenheit Beschwerden gegeben hat. Wir haben zudem gefragt, wer das Portal derzeit betreibt und finanziert.

BuzzFeed News hat die Person kontaktiert, die das gekürzte Video auf Gloria.tv hochgeladen hat. Sie bestritt, die Urheberin des Videos zu sein.

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"Liebe Grüße und (Gottes) Segen" ist eine übliche Verabschiedung in diesem sozialen Netzwerk. Die von Tina 13 angehängten Smileys tragen die Namen "smiley-pope-38x32.gif" und "smiley-cardinal-48x31.gif".

Aber wenige Minuten nach unserer Anfrage löschte Tina 13 das Video von ihrer Seite.

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Die Seite ist im Google Cache weiterhin hier auffindbar.

Wir halten es für unwahrscheinlich, dass Gloria.tv-Nutzerin "Tina 13" die Person ist, die das gekürzte Merkel-Video angefertigt hat. Auf YouTube findet sich das Video unter anderem hier aus dem Jahr 2014, also ein Jahr zuvor. Allerdings hat dieses Video mit rund 50.000 Facebook-Interaktionen deutlich weniger Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken erhalten, wie das Video auf Gloria.tv.

BuzzFeed News hat die CDU um einen Kommentar gebeten aber hat bis zur Veröffentlichung dieses Artikel keine Antwort erhalten.

UPDATE

26.07.2017, 19:55

Die CDU-Zentrale antwortete BuzzFeed News:

„Uns ist bewusst, dass im Wahlkampf 2017 auch durch das Mittel von gefälschten Zitaten, Bildern und sogar Videos versucht wird, die Wahlentscheidung der Bürger zu beeinflussen. Einzelne Fälle und Beispiele von Fälschungen und Falschnachrichten kommentieren wir jedoch grundsätzlich nicht.“

BuzzFeed.de © -

Wie BuzzFeed News die Daten gesammelt hat:

BuzzFeed News hat das Content-Analyse-Tool BuzzSumo genutzt. Dieses Tool erlaubt es, nach bestimmten Schlagworten, URLs oder Zeiträumen zu suchen und die Ergebnisse nach Anzahl ihrer Interaktionen auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder YouTube zu sortieren.

BuzzFeed hat in BuzzSumo nach allen deutschsprachigen Artikeln gesucht, die "Angela Merkel", "Merkel", "Bundeskanzlerin" oder "Kanzlerin" im Titel tragen. Hierbei ist es möglich, dass BuzzSumo oder wir Artikel über Angela Merkel übersehen haben, die besonders viel Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken erhalten haben. In diesem Fall freuen wir uns über Hinweise.

Mit BuzzSumo lassen sich nur die vergangenen fünf Jahre durchsuchen. Wir haben unsere Daten zwischen dem 17. Juli 2017 und 26. Juli 2017 erhoben.

An dieser Stelle ist es noch einmal wichtig zu betonen, dass Facebook-Interaktionen sich nicht automatisch in Webseiten-Traffic umrechnen lassen. Diese Analyse war auf die erfolgreichsten Einzelartikel über Angela Merkel fokussiert. Das bedeutet nicht, dass alternativen Medien insgesamt mehr Traffic erzeugen als die Webseiten von traditionellen Medien.

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