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So wenig wissen Behörden und Polizei über die Angriffe auf Lesben und Schwule

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Homo- und transphoben Strafanzeigen haben im Vergleich zu Vorjahr bislang nicht zugenommen, meldet die Berliner Polizei. Ob das eine gute Nachricht ist, kann sie nicht beurteilen, weil belastbare Zahlen fehlen.

Die Anzeigen wegen homo- und transfeindlicher Übergriffe sind in Berlin im Vergleich zum Vorjahr nicht gestiegen. Das sagte Wolfram Pemp, Landespräventionsbeauftragter der Polizei Berlin heute auf einer Preisverleihung im Kampf gegen Homophobie.

Für die ersten drei Quartale verzeichnet die Berliner Polizei 121 Fälle von Hasskriminalität auf Grund der sexuellen Orientierung, im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum 123. Darunter seien auch etliche Fälle von Beleidigungen im Internet.

Ob diese Zahlen jedoch ein Hinweis auf das gesellschaftliche Klima sind, ist unklar. Es fehlt dafür schlicht an statistischem Wissen.

2017 hatte das Innenministerium einen Anstieg der Straftaten für das erste Halbjahr gemeldet, die sich gegen die sexuelle Orientierung eines Opfers richten: 130 Fälle, 27 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahlen stammen aus der Statistik des BKA und sind vorläufige Zahlen, die sich bis zum Meldeschluss am 31. Januar 2018 noch verändern könnten.

Auch 2016 hatte das Bundesinnenministerium einen Anstieg der Hasskriminalität gegen LGBT* um 50 Prozent registriert. Anders als in vielen Medienberichten oder auch queeren Fachtagungen suggeriert, bedeuten sie jedoch nicht zwangsläufig, dass die Übergriffe auch tatsächlich zunehmen.

Das bestätigt Markus Ulrich, Sprecher des Lesben und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD):

„Die Zahlen können bedeuten, dass die Sensibilisierung der Polizei gestiegen ist, und mehr Übergriffe auch als solche registriert werden.“ Es könne sich aber auch um reellen Zuwachs von Homofeindlichkeit handeln. „Schwule und Lesben werden selbstbewusster, das passt nicht allen“, sagt Ulrich. Letztlich fehlten einfach die Zahlen, um das zu beurteilen: „Wir wissen es einfach nicht“.

Wolfram Pemp bestätigt das. Die Anzahl der Übergriffe ist so klein, dass schon wenige Meldungen mehr oder weniger eine Zunahme im zweistelligen Prozentbereich bewirken können. Das, so der Berliner Kriminaldirektor, gelte auch für die Zahlen des Bundesinnenministeriums.

Die Dunkelziffer liegt bei 80 bis 90 Prozent

Klar ist nur: All diese Zahlen sind weit von der Anzahl der tatsächlichen Angriffe und Anfeindungen gegen LGBT* entfernt. Der LSVD geht von einer Dunkelziffer von 80 bis 90 Prozent aus. „Die veröffentlichten Zahlen sind die Spitze des Eisberges“, sagt Markus Ulrich BuzzFeed News.

Das hat zwei Gründe. Erstens werden viele Übergriffe nicht zur Anzeige gebracht. Laut LSVD können Scham und Angst dabei kann eine Rolle spielen, oder auch dass Menschen ungeoutet leben. Zudem kann es Vorbehalte gegenüber der Polizei geben.

„Die Anzeigenbereitschaft ist das ganz große Problem“, sagt auch Pemp von der Berliner Polizei. Gerade die älteren Betroffenen hätten die Polizei noch als Teil der staatlichen Verfolgung kennengelernt und seien deshalb misstrauisch. „Wir müssen Vertrauensarbeit leisten und wir appellieren, dass Straftaten auch zur Anzeige zur bringen. Das ist eine Daueraufgabe.“

Zweitens tauchen auch angezeigte Fälle nicht in den Statistiken an. Teilweise zeigen Betroffene einen Vorfall zwar an, geben aber nicht an, dass es sich um einen homo- oder transphoben Übergriff handelt. Etwa, weil den Betroffenen nicht klar sei, dass es für die Verurteilung relevant sein kann, so Ulrich vom LSVD.

In Brandenburg werden Zahlen zu homofeindlichen Übergriffen gar nicht erhoben

In anderen Fällen fehlt es der Polizei an Sensibilisierung oder an dem politischen Interesse. Aus Brandenburg etwa fehlen die Zahlen komplett, trotz einer kleinen Anfrage im Landtag. „Es gibt kein Erkenntnisinteresse von Seiten des Innenministeriums“, sagt Jörg Steinert, Sprecher des LSVD Berlin-Brandenburg.

Bei der Polizei gibt es in Brandenburg einen Ansprechpartner zu dem Thema, dem würden jedoch die Fälle schlicht nicht zugeleitet. „Das ist ein strukturelles Problem“, so Steinert.

Berlin ist das einzige Bundesland in Deutschland, in dem die Polizei regelmäßig die Zahlen der Übergriffe auf Grund der sexuelle Orientierung meldet. Zudem gibt es eine Staatsanwaltschaft für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Die Zahlen der Strafanzeigen die dort eingehen bewegen sich in einem ähnlichen Bereich: 208 Anzeigen liegen dieses Jahr vor, teilt die zuständige Staatsanwältin BuzzFeed News auf Anfrage mit, die meisten davon seien Beleidigungsdelikte.

Bei Maneo, einem schwulen Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, wurden 2015 in Berlin 259 Fälle gemeldet, mehr als dem Bundesinnenministerium für ganz Deutschland. Maneo erfasst jedoch auch Fälle von Diskriminierung und Mobbing, die nicht in der Kriminalstatistik des BKA auftauchen.

Immer wieder hatte der LSVD in der Vergangenheit die Bundesregierung dafür kritisiert, dass effektive Maßnahmen zum Schutz sexueller Minderheiten fehlten und forderte ein umfassendes Bund-Länder-Programm, welches bis heute aussteht.

Geschlagen und als "Drecksschwuchtel" und "Hure" beschimpft

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Übergriffe als Ausdruck einer homophoben Haltung der Gesellschaft

Marcus Ulrich, Bundessprecher des LSVD sieht in Übergriffen auch den Ausdruck einer homophoben Haltung, die gesellschaftlich noch immer weit verbreitet ist. „Homosexualität ist sozial noch immer unerwünscht und gilt als Sünde, Krankheit, eklig oder Phase“, sagt er BuzzFeed News.

Erst vor wenigen Wochen hatte eine bundesweite Umfrage gezeigt, dass weniger als die Hälfte des Lehrpersonals an den Schulen geoutet sei. Knapp ein Drittel erlebte innerhalb der letzten zwei Jahre Diskriminierung. Das ergab eine Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

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