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So müssen homosexuelle Iraker in Deutschland um ihr Leben fürchten

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Im Irak stehen sie angeblich auf Todeslisten, weil sie homosexuell sind – trotzdem sollen manche Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben werden.

Im Mai 2017 erreichte Dom* (Name geändert) Deutschland, nachdem er aus dem Irak geflüchtet war. Er berichtet, dass sein Name auf einer Todesliste einer bewaffneten Gruppierung auftgetaucht ist und er wurde von Extremisten gejagt wurde. Trotzdem hat er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nun einen Ablehnungsbescheid erhalten und muss Deutschland verlassen. Dom ist nicht der einzige. Insgesamt fünf schwule Iraker sind von der Abschiebung bedroht.

Mit einer Petition an das BAMF versucht die Bewegung "All Out" in Kooperation mit dem Netzwerk "Queer Refugees Network Leipzig" und der Organisation Queer Refugees For Pride den Männern zu helfen. Im Irak seien LGBT*-Personen ständig der Gefahr ausgesetzt sind, angegriffen, gefoltert und ermordet zu werden, heißt es in der Petition. "Ich fordere Sie auf, diesen Männern Sicherheit zu gewähren."

In Bagdad kursieren angeblich Todeslisten mit den Namen homosexueller Männer. Diese Listen würden öffentlich ausgehängt. Dem Queer Refugees Network Leipzig liegt nach eigenen Angaben eine der Listen vor.

Auf Anfrage von BuzzFeed News nimmt das BAMF zu den Fällen Stellung. Das Bundesamt nehme die Pressemitteilung des Queer Refugee Networks Leipzig zur Kenntnis und sehr ernst. "Bereits in der vergangenen Woche haben wir den Kontakt zu den Initiatoren der Kampagne hergestellt und darum gebeten, uns die Aktenzeichen der betroffenen Personen zukommen zu lassen, um uns deren Fälle nochmals ansehen zu können. Bislang haben wir keine entsprechenden Aktenzeichen erhalten."

Zwei der fünf Männer sollen nach der Dublin-Regelung nach Dänemark und Norwegen zurück, das BAMF fühlt sich für sie nicht zuständig, da sie in diesen Ländern bereits registriert wurden. Dort wurden ihre Asylanträge bereits abgelehnt, Klageverfahren verloren. Es droht ihnen deshalb nach Aussage des Leipziger Netzwerkes die Abschiebung in den Irak. Das Leipziger Netzwerk berichtet, dass LGBT*-Aktivisten aus Norwegen eine Abschiebung direkt vom Flughafen aus befürchten.

Zwei weitere Iraker erhielten die Ablehnung für Deutschland und haben bereits dagegen geklagt. Sie sind damit ausreisepflichtig. Einem der Männer droht die unmittelbare Abschiebung, der zweite ist während des laufenden Klageverfahrens vor der Abschiebung geschützt. Ein fünfter Iraker, der sich erst kürzlich meldete, hat bereits Klage gegen die negative Entscheidung eingereicht.

Es gibt Chancen, die Abschiebung zu verhindern

Das Queer Refugee Network Leipzig widerspricht dem BAMF. Eines der Aktenzeichen sei bereits übermittelt worden, in einem zweiten Fall sei die Anwältin eingeschaltet. Nun hofft das Netzwerk, dass das BAMF seine Entscheidung revidiert, wie bereits in anderen Fällen zuvor.

In den Dublin-Fällen, also den Irakern, die nach Norwegen und Dänemark zurückgeschickt werden sollen, könnte die Übermittlung der Aktenzeichen die Abschiebung jedoch noch beschleunigen, sagt das Leipziger Netzwerk. Deshalb haben die Aktivisten zunächst angefragt, wie wahrscheinlich es ist, dass das BAMF die Zuständigkeit für die Fälle wieder übernimmt.

Das Netzwerk möchte nun wissen, wie das BAMF generell über Fälle aus dem Irak entscheidet. "Wir fordern das Bundesamt auf, uns die momentanen Entscheidungsrichtlinien für lsbti* Geflüchtete aus dem Irak zukommen zu lassen und zu diesen Stellung zu nehmen", schreiben die Aktivisten auf Anfrage.

Mit dieser Pressemitteilung kämpft das Queer Refugee Network Leipzig gegen die drohenden Abschiebungen

Wie viele LGBT*-Flüchtlinge in Deutschland sind, erfasst das BAMF statistisch nicht. Auf Nachfrage von BuzzFeed News schreibt die Behörde, die Informationen der Antragsteller seien "so vielschichtig, dass es nicht möglich ist, diese auf eine statistische Komponente zu reduzieren." Der LSVD, Lesben und Schwulenverband in Deutschland, schätzt die Anzahl von LGBT*-Flüchtlingen auf etwa zehn Prozent.

Allein in Leipzig erhalten angeblich rund drei Viertel aller LGBT*-Flüchtlinge Ablehnungsbescheide, schätzt Sabrina Latz vom Queer Refugees Network. "Diese Menschen leben in ständiger Angst, einer ist psychisch bereits sehr labil", sagt Latz. Die Fälle seien alle hochkomplex, die Ablehnungsbescheide des BAMF teils haarsträubend.

Einer der Iraker etwa sei zwangsverheiratet und habe ein Kind, seine Frau habe ihn bei der Flucht unterstützt, deshalb sei sein Fall für das BAMF nicht überzeugend. Im negativem Bescheid zu seinem Asylverfahren schrieb das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge, „dass er [nicht] von einer menschenrechtswidrigen Behandlung unmittelbar bedroht wäre“.

Mit der Petition geht es den Leipziger Aktivisten vor allem darum, mehr Aufmerksamkeit für die Fälle zu bekommen.

Im Fall eines Tunesiers hatte das Leipziger Netzwerk Erfolg

In einem anderem Fall Anfang des Jahres sei eine LGBT*-Person in ihrem Heimatland Tunesien von der Polizei körperlich und sexuell misshandelt worden, berichten die Aktivisten. Im Ablehnungsbescheid habe es zur Begründung geheißen, der Mann hätte sich an eine andere Polizeistelle wenden können.

Dabei wurde die Strafe von einem Gericht angeordnet – der Mann hatte also von Anfang an keine Chance, bei einer anderen Behörde Schutz zu bekommen. Das BAMF nahm seine Entscheidung schließlich zurück und erkannte die Person als Flüchtling an.

Aus der Pressemitteilung von Queer Refugees Network Leipzig

"Immer wieder werden bei den Ablehnungsbescheiden das geltende EU-Recht und die BAMF-Richtlinien nicht eingehalten", sag Sabrina Latz vom Leipziger Netzwerk in einem Telefonat mit BuzzFeed News. "Die Anhörungen der Refugees sind nicht sensibel und die BAMF-Entscheidungen werden oft auf Grund von Kriterien getroffen, die nicht auf dem neuesten Stand sind."

Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ist laut der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU ein anerkannter Asylgrund. Im Irak stehen seit 2003 homosexuelle Handlungen zwar nicht mehr unter Strafe, jedoch außereheliche Beziehungen. Dies wird genutzt, um rechtlich gegen Homosexuelle vorzugehen. Trotzdem werden Ablehnungsbescheide des BAMF auch gegen homosexuelle Iraker mit der fehlenden gesetzlichen Diskriminierung begründet.

"Immer wieder gibt es Berichte über eine sehr restriktive Vergabe von
Asyl aufgrund der Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung und der
Geschlechtsidentität", schreibt dazu der LSVD, Verband für Schwule und Lesben. "Die Lage im Herkunftsland wird verharmlost oder ihnen wird gesagt, dass sie ungeoutet leben sollen." Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshof von 2013 ist letztere Begründung für einen Ablehnungsbescheid rechtlich nicht zulässig.

Erst am Wochenende demonstrierten LGBT*-Flüchtlinge auf dem CSD in Hamburg für gleiche politische Rechte, unabhängig vom Aufenthaltstitel sowie für mehr Sichtbarkeit und Anerkennung in Deutschland.

Queer Refugees for Pride

Das BAMF stand in der Vergangenheit wegen der Behandlung von LGBT*-Flüchtlingen immer wieder in der Kritik. So musste sich ein Pakistaner laut Medienberichten die Frage stellen, lassen: "Wie oft hatten Sie mit Ihrem Freund Geschlechtsverkehr?" Solche intimen Fragen sind nach Ansicht des LSVD unzulässig.

Problematisch ist zudem, dass LGBT*-Flüchtlinge auch in Deutschland nicht sicher sind. Viele verstecken aus Angst weiterhin ihre sexuelle Identität, zeigt eine nicht-repräsentative Umfrage der Queer Refugees for Pride. Auch innerhalb der Flüchtlingsunterkünfte kommt es immer wieder zu Übergriffen gegen LGBT*.

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