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Diese Behörden blockieren die Umsetzung des Gesetzes zum Schutz von Prostituierten

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Eine bundesweite Recherche von BuzzFeed News zeigt: Das Prostituiertenschutzgesetz ist so chaotisch, dass viele Behörden es nicht umsetzen können – oder wollen.

Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sollen ab 2018 besser geschützt werden. Doch Recherchen von BuzzFeed News zeigen: viele der zuständigen Behörden haben keine Ahnung, wie sie das Gesetz umsetzen sollen.

Die wichtigsten deutschen Gesundheitsämter blockieren das neue Gesetz komplett. Sie rechnen vor, dass die Kosten für die verpflichtende Gesundheitsberatung mehr als vier Mal so hoch sein werden, wie geplant.

Und selbst wenn die Behörden mitmachen wollten: Die bundesweit benötigte Software ist längst nicht überall betriebsbereit – ebensowenig wie das Personal eingestellt ist, das die Software bedienen soll.

Auch Fachgesellschaften und Experten halten das Gesetz für einen Fehler.

„Die Bundesregierung hat den Rat der gesamten Fachwelt in den Wind geschlagen und ein Gesetz gemacht, dass schadet, statt zu nützen."
(Holger Wicht, Deutsche Aidshilfe)

BuzzFeed News hat in den vergangenen Wochen detaillierte Fragebögen an alle Bundesländer sowie die wichtigsten Städte versendet, hat mit Behörden, Fachverbänden, Experten und Betroffenen über das Gesetz gesprochen. Das Ergebnis: Das vom Familienministerium verabschiedete Prostitutiertenschutzgesetz ist zum Scheitern verurteilt.

Erst mit viel Druck durchgesetzt, jetzt nicht umgesetzt

Offiziell gilt mit dem neuen Gesetz bereits seit 1. Oktober eine Anmeldepflicht für Bordellbetreiber. Bis Ende des Jahres müssen sich alle Sexarbeiter*innen in Deutschland anmelden und eine Gesundheitsberatung machen, für die sie eine Bescheinigung erhalten. Haben sie die nicht, dürfen sie nicht arbeiten. Es drohen Bußgelder von bis zu 1.000 Euro. Doch viele Städte wissen überhaupt nicht, wie sie diese neuen Vorschriften umsetzen sollen.

Das Gesetz wird – anders als ursprünglich geplant – in ganz Deutschland extrem unterschiedliche Auswirkungen haben. In jedem Bundesland ist ein anderes Ministerium zuständig, weil die Bereiche Arbeit, Gewerbe und Gesundheit betroffen sind.

Ein Problem sind etwa die Informationsgespräche. Nach diesen soll entschieden werden, wer in Deutschland als Sexarbeiter*in arbeiten darf. Doch wer soll diese Gespräche führen und wo? Wie viele Personen sind überhaupt betroffen? Es ist ein Flickenteppich aus Spekulationen, Schätzungen und Unsicherheit.

Sogenannte „Hurenpässe“ können noch nicht gedruckt werden

Zentral erfasst werden sollen alle Daten über eine Software der Bundesdruckerei. Doch die ist vielerorts noch gar nicht in Betrieb. Die Stadt Köln teilt etwa auf Nachfrage mit, dass bislang weder die amtlichen Vordrucke noch die entsprechende Software der Bundesdruckerei vorliegen. Deshalb können die vom Gesetz geforderten "Hurenpässe" nicht gedruckt werden. Auch die Behörden in Schleswig-Holstein und Thüringen wissen nicht, wann die Software einsatzbereit sein wird.

So sieht der sogenannte "Hurenpass" aus

Auf dem Pass werden Vor- und Nachnamen, Geburtsdatum und Geburtsort,Staatsangehörigkeit und Wohnsitz eingetragen. © Bundesdruckerei
Auf dem Ausweis kann ein sogenanntes Alias eingetragen werde, ein Pseudonym. Da jedoch auch ein Foto obligatorisch ist, ist die Person trotzdem gut erkennbar. © Bundesdruckerei

Die Anleitung dazu von der Bundesdruckerei

BuzzFeed.de © Bundesdruckerei

Alle Sexarbeiter*innen sowie Gewerbestätten müssen sich mindestens alle zwei Jahre registrieren lassen, verpflichtend ist außerdem eine jährliche Gesundheitsberatung. 200.000 Menschen betrifft das Gesetz laut Bundesfamilienministerium, andere Schätzungen gehen von doppelt so vielen oder noch mehr Personen aus. Das Gesetz betrifft zudem auch Personen, die BDSM, Tantra oder andere Formen erotischer Dienstleistungen anbieten.

Damit müssen die Behörden jedes Jahr Hunderttausende Menschen aus dem Sexgewerbe gesundheitlich beraten. In Hessen zeigt sich, wie unglaublich schwierig es sein wird, diese Aufgabe zu lösen.

Hessen hat keine einzige Rückmeldung der Kommunen

Die Beratungsgespräche und die Registrierung delegieren die Bundesländer mit sogenannten Zuständigkeitsverordnungen nach unten weiter, an die Städte und Gemeinden. Das funktioniert längst nicht überall. In Hessen zum Beispiel fühlt sich überhaupt niemand zuständig.

Das hessische Sozialministerium argumentiert, das Gesetz falle unter das Gefahrenabwehrrecht und sei deshalb Aufgabe der Kommunen. In einem Schreiben gibt das Ministerium die Informationen sowie die Verantwortlichkeit an die Gemeindevorstände und Gemeinden ab. Manuela Siedenschnur vom Hessischen Städte- und Gemeindebund sagte gegenüber BuzzFeed News hingegen, ohne eine Verordnung des Ministeriums könne man gar nicht tätig werden. Deshalb sei auch noch immer unklar, welche Behörden überhaupt zuständig seien.

Das Schreiben des Hessischen Sozialministeriums

„Wir haben noch von keiner Kommune eine Rückmeldung, dass sie bisher irgendetwas unternommen hat“, sagt Siedenschnur. „Es ist ein Dilemma.“ Dass das Gesetz rechtzeitig umgesetzt werden kann, hält sie für unwahrscheinlich.

Die Umsetzung läuft in zahlreichen Bundesländern schleppend. Bis Anfang Oktober hatten nach Recherchen von BuzzFeed News erst 7 der 13 Flächenländer eine sogenannte Durchführungsordnung erlassen.

Auch in Sachsen-Anhalt ist noch unklar, wann überhaupt eine Durchführungsverordnung erlassen wird, schreibt das zuständige Ministerium auf Anfrage. Es brauche laut Landesgesetzgebung dafür ein eigenes Gesetz. Doch bis das verabschiedet werde, könne es noch dauern.

Das größte Problem haben die Betroffenen selbst

Nach Recherchen von BuzzFeed News melden sich bislang kaum Sexarbeiter*innen an. Das liegt nicht nur daran, dass sie es an vielen Orten noch nicht können – sondern dass sie auch nicht wollen.

„Diese Registrierungspflicht ist ein absolutes Horrorszenario“, erzählt Lucia, deren Namen wir geändert haben. Sie ist 32, studierte Soziologin und arbeitet rund 80 Stunden im Monat freiberuflich als Sexarbeiterin in Sachsen und Berlin.

Bis zum 31. Dezember 2017 gilt noch eine Übergangsfrist. Doch Lucia hat jetzt schon entschieden, sich nicht in Deutschland anzumelden, sondern nach Österreich oder in die Niederlande auszuweichen. „Sexarbeiterin ist mein Traumjob, ich arbeite seit 10 Jahren sehr erfolgreich in diesem Beruf“, sagt sie - aber:

„Ich habe extreme datenschutzrechtliche Bedenken und möchte meinen Namen nicht auf irgendeiner Liste sehen. Wer weiß, wie sich künftig die Politik verändert – was passiert dann mit meinen Daten?“

In ihrem Umfeld kennt sie niemanden, der sich bis jetzt registriert hat. „Das ist nur eine weitere Stigmatisierung und ein Problem, weil viele die Tätigkeit vor ihren Familien und Freunden geheim halten. Ich bin privilegiert. Aber viele Frauen können auf das Geld nicht verzichten und werden deshalb illegal auf Straßenstrichs gehen“, vermutet Lucia. „Und dann gibt es ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden.“

Beruf aufgeben, auswandern oder Illegalität

Auch Heike Müller vom Zentrum für sexuelle Gesundheit aus Berlin fürchtet, dass sich viele Sexarbeiter*innen nicht anmelden werden. „Sie haben Angst vor einem Zwangsouting.“ Und auch sie erwartet, dass viele Personen entweder ihren Beruf aufgeben werden „oder sie gehen irgendwo hin, wo sich noch ungeschützter sind.“

„Da tun sich illegale Märkte auf“, warnt auch Marianne Rademacher von der Deutschen Aidshilfe im Gespräch mit BuzzFeed News. Sie arbeitet seit Jahrzehnten zu Prostitution und berät in einer Arbeitsgruppe die Berliner Gesundheits- und die Senatsverwaltung.

Christine Rotraut, die seit zehn Jahren die Beratungsstelle Pia für Sexarbeiterinnen in Salzburg leitet, bestätigt diese Sorgen. Sie weiß von von mehreren Frauen, das diese ihren Betrieb jetzt auflösen werden – zum Beispiel Personen aus dem Süden Deutschlands, die nun illegal in Hotels in Österreich arbeiten. „Das ist eine Welle“, sagt Rotraut, die zusammen mit 23 anderen Menschen eine Verfassungsbeschwerde eingereicht hat.

Rotrauts Anwalt Meinhard Starostik sieht in dem Gesetz eine „unmittelbare Diskriminierung“. Als besonders problematisch stuft er die Registrierung der Sexarbeiter*innen, die Missachtung des Datenschutzrechts und die sogenannten Betretungsrechte ein. Denn: mit dem neuen Gesetz ist die Polizei jederzeit berechtigt, Arbeitsorte von Sexarbeiter*innen zu durchsuchen.

Die Klage von Starostik und seinen 23 Mandanten wird zumindest kurzfristig jedoch nichts ändern können. Das Bundesverfassungsgericht muss die Beschwerde zunächst einmal annehmen. Allein das könne ein Jahr dauern, sagt Starostik.

Kaum jemand meldet sich bei den Behörden an

In Schleswig-Holstein haben sich bislang 100 Sexarbeiter*innen bei den Behörden gemeldet. Das zuständige Justizministeriums schätzt jedoch, das von dem Gesetz 8.000 bis 14.000 Personen betroffen sind.

In Mecklenburg-Vorpommern können Betreiber*innen seit dem 1. Juli ihr Prostitutionsgewerbe anmelden. Bis jetzt hat das Bundesland 115 Gewerbetreibende registriert. Sind das jetzt alle? Und wie wird überprüft, ob nicht-angemeldete Gewerbe in der Zukunft einfach illegal weiterarbeiten? „Wir wissen es einfach nicht“, sagt eine Sprecherin des Sozialministeriums.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern schätzt die Zahl der Prostituierten auf 4.000. Termine für Prostituierte werden seit dem 4. Oktober vergeben – Angaben über die Anzahl der Termine wollte das Landesamt für Gesundheit und Soziales nicht machen.

In Köln haben sich bislang 22 Prostituierte und 28 Bordellbetriebe für eine Erlaubnis angemeldet. Die Stadt kalkuliert mit 5.000 Sexarbeiter*innen.

In der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration beginnt die Registrierung Mitte Oktober. Zahlen will die zuständige Behörde auch auf mehrfache Nachfrage nicht herausgeben.

Das in Rheinland-Pfalz zuständige Familienministerium rechnet erst gar nicht damit, dass sich alle Betroffenen anmelden und schreibt:

„Der tatsächlich entstehende Verwaltungsaufwand kann nur schwer geschätzt werden. Dies auch aus dem Grund, weil davon ausgegangen werden muss, dass sich nicht alle als Prostituierte tätige Personen anmelden werden.“

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Die Frauenministerin Anne Spiegel aus Rheinland-Pfalz bezeichnete das Gesetz als „bürokratisches Monster, welches allen Beteiligten sehr viel Arbeit verursachen und viel Geld kosten wird.“

Staatssekretärin Christiane Rohleder teilt BuzzFeed News auf Anfrage mit, sie sehe den Schutzgedanken im Gesetz nur unzureichend berücksichtigt: „Insbesondere sehe ich in der Anmeldepflicht für die Prostituierten eher die Gefahr der Stigmatisierung als einen Schutzfaktor.“

Das wird teuer

Laut Bundesfamilienministerium kostet das Gesetz allein im Jahr 2017 knapp 65 Millionen Euro. Danach entstehen den Behörden jedes Jahr Kosten von etwa 13,4 Millionen Euro, schreibt das Ministerium auf Anfrage von BuzzFeed News. Diese Kosten entfallen vollständig auf die Länder und Kommunen. Darunter fallen auch die Kosten für die verpflichtende Gesundheitsberatung.

Für die gesundheitliche Beratung werden im Gesetzesentwurf 5,6 Millionen Euro eingeplant. BuzzFeed News liegt jedoch eine Stellungnahme der Großgesundheitsämter vor, in dem die Kosten für die gesundheitliche Beratung diese Summe um mehr als das Vierfache übersteigen: 24 Millionen Euro mindestens wird diese Beratung kosten, rechnen die Großstadtgesundheitsämter vor. Allein die Stadt München rechnet mit Kosten von 1,5 Millionen Euro im Jahr.

„Selbst bei einer vorsichtigen Schätzung ist von etwa 25 Millionen Euro tatsächlicher zusätzlicher Kosten auszugehen“, heißt es in dem Schreiben. „Die aufgeführte Kostenkalkulation [in dem Gesetzesentwurf] ist nicht fundiert.“

Auf Rückfrage beim Bundesfamilienministerium heißt es in einer Antwort an BuzzFeed News lediglich, die Zahlen basierten auf Schätzungen, da keine verlässlichen Grunddaten verfügbar seien.

So sträuben sich die Gesundheitsämter

Ohnehin wollten viele der Gesundheitsämter von Anfang an nicht mitmachen. Das zeigt ein Brief der Großstadtgesundheitsämter vom August 2015, der BuzzFeed News vorliegt. Darin heißt es:

„Die vorgesehene Anmelde- und Beratungspflicht für Prostituierte stellt einen erheblichen Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar. [...] Eine Mitwirkung von Gesundheitsämtern bei der Umsetzung des Entwurfs stimmt nicht mit den geltenden Rechtsnormen überein, da sie im Widerspruch zum bewährten IfSG [Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen] steht.“

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Die Stellungnahme der Großstadtgesundheitsämter

Auch die Beratungsstellen von elf Gesundheitsämtern aus Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Nord, positionierten sich schon 2015 in einem Brief an das Bundesfamilienministerium gegen das Prostitutionsschutzgesetz.

„Wir verfolgen mit Besorgnis die derzeitigen Planungen bzgl. der den Prostitutionsbereich betreffenden Gesetzesänderungen“, heißt es darin. Und weiter:

Auch die Mitglieder der AG Nord lehnen die geplante Anmeldepflicht und medizinische Pflichtberatung für Sexarbeiter_innen ab und schließen sich der Stellungnahme der Großstadtgesundheitsämter in vollem Umfang an.

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Ähnlich deutlich wird die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit in einem Schreiben vom April 2017 an das Bundesfamilienministerium, das BuzzFeed News vorliegt.

„Wir bleiben bei unserer Auffassung, dass das ProstSchG sich schädlich für die Sicherheit und auf die Gesundheit von Menschen in der Sexarbeit auswirken wird. [...]

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Zudem verstößt das Gesetz nach Ansicht verschiedener Fachgesellschaften (DSTIG und Deutsche Aidshilfe) gegen das Infektionsschutzgesetz, weil Sexarbeiter*innen gezwungen werden, über ihre sexuelle Gesundheit Angaben zu machen. Das sagt auch Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe gegenüber BuzzFeed News:

Es ist erschütternd: Die Bundesregierung hat den Rat der gesamten Fachwelt in den Wind geschlagen und ein Gesetz gemacht, dass schadet, statt zu nützen. Es schützt Menschen in der Sexarbeit nicht, sondern gefährdet ihre Gesundheit.

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In Berlin führte der Widerstand aus den Gesundheitsämtern dazu, dass sie die Beratung nicht übernehmen werden. Das bestätigt Heike Müller aus dem Zentrum für sexuelle Gesundheit aus Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf BuzzFeed News. „Alle Großstadtgesundheitsämter haben gesagt, dass sie das Gesetz für falsch halten. Für Gesundheitsprävention nützt eine Zwangsberatung gar nichts.“

Die Arbeitserlaubnis könnte Geld kosten

Um die Kosten zu refinanzieren, planen einige Bundesländer, Gebühren zu erheben – Sexarbeiter*innen müssten dann Geld zahlen, um sich anmelden zu können. So sieht es auch das Gesetz vor.

Nach Informationen von BuzzFeed News erwägen einige Landesregierungen, für das Informationsgespräch und die Gesundheitsberatung jeweils 35 Euro zu erheben. Die meisten Bundesländer planen außerdem hohe Gebühren für die Betriebserlaubnis der Betreiberinnen und Betreiber. In Niedersachsen könnten das 500 bis 2.500 Euro pro Jahr sein. Auch Sachsen und Rheinland Pfalz arbeiten derzeit an einer Gebührenverordnung.

In Köln soll die Anmeldung und Gesundheitsberatung für Prostituierte kein Geld kosten – die Erlaubnis für die Bordellbetriebe jedoch schon. Dort ist eine Bearbeitungsgebühr von 500 bis 2.500 Euro zuzüglich 350 bis1.000 Euro für die Zuverlässigkeitsprüfung der Betriebsleitung geplant. Auch in Hamburg sollen die Sexarbeiter*innen selbst keine zusätzlichen Kosten tragen.

Noch ein weiteres Problem könnte auf Deutschland zukommen: Auch in Österreich wurden in der Vergangenheit Gebühren für verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen kassiert. Nach der Klage eines Betreibers entschieden zwei Ministerien jedoch, dass das illegal ist. Das Bundesland Salzburg musste deshalb Entschädigungen im Höhe von vier Millionen Euro zahlen.

Wer soll das umsetzen?

Die meisten Bundesländer machten auf Nachfrage keine Angaben, wie viel Personal eingestellt werden muss. Für die Umsetzung werden Leitungspersonen, Verwaltungsassistenzen, Sozialpädagogen und Ärzt*innen benötigt. Ziel der Informationsgespräche ist vor allem, herauszufinden, ob Prostituierte von Menschenhandel betroffen sind.

Solange es jedoch keine Zuständigkeiten gibt, kann auch niemand geschult und eingestellt werden. In Thüringen etwa. Dort führt jetzt ein Verwaltungsjurist die Gespräche mit den Prostituierten: der Referatsleiter Jörg Siegmann aus dem Landesverwaltungsamt.

Er sagte BuzzFeed News am Telefon, es fehle „eventuell der Sozialarbeiterhintergrund, aber das muss sich eben noch einspielen“. Eine Fortbildung in der „Vernehmungstaktik“ sei wahrscheinlich sinnvoll. Bislang sei jedoch nur eine Sexarbeiterin zum Gespräch gekommen. Schriftlich teilt das Amt mit: „Der praktische Vollzug des ProstSchG ist für die Verwaltung Neuland.“ Nach Schätzungen gibt es 180 Prostitutionsstätten und rund 750 Prostituierte in Thüringen.

In größeren Städten ist die Planung wesentlich weiter. In Hamburg etwa wird derzeit im Bezirksamt Altona eine sogenannte „1 Stop Agency“ eingerichtet, in welcher der gesamte bürokratische Ablauf abgewickelt wird. Auch in Berlin wird über eine ähnliche Lösung beraten.

Nach Informationen von BuzzFeed News sind in Hamburg derzeit mindestens 15 Personalstellen geplant: Sozialpädagoginnen, Sachbearbeiter, Teamleitung, Verwaltungsmanagement. Sie erhalten gesonderte Schulungen und Fortbildungen. Ab Mitte Oktober soll hier mit der Registrierung begonnen werden.

Deutsche Aidshilfe: „Keiner will dieses Gesetz“

Laut Landeskriminalamt arbeiten in Hamburg rund 2.500 Prostituierte. Sollten für 2.500 Prostituierte tatsächlich 15 Behördenmitarbeiter benötigt werden, dann bräuchten deutsche Behörden für geschätzte 200.000 Betroffene deutschlandweit bis zu 1.200 Personalstellen.

Mecklenburg-Vorpommern kalkuliert derzeit mit mindestens drei Sozialarbeiterstellen. Wie das für die geschätzten 4.000 betroffenen Personen reichen soll? Nach Angaben des Ministeriums soll möglichst kurzfristig geplant werden. Eine Sprecherin teilt auf Anfrage mit:

„Wo sie sich anmelden, wird die Praxis zeigen. Mecklenburg-Vorpommern bereitet sich darauf vor, bei Bedarf sehr schnell weitere Sozialarbeiter-Stellen zu schaffen. Es soll aber auch vermieden werden, dass solche Stellen geschaffen werden, ohne dass der Bedarf tatsächlichbesteht.“

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In Schleswig-Holstein sind acht Stellen geplant, die aktuell teilweise in Teilzeit besetzt sind, der Großteil davon am Landesamt für soziale Dienste in Neumünster.

In Köln übernehmen 4 Verwaltungsmitarbeiter und 2,5 Sozialarbeiterstellen im Gesundheitsamt die Umsetzung für geschätzt 5.000 Sexarbeiter*innen.

In Bremen sollen 7 Personen für etwa 900 Prostituierte und 310 Gewerbestätten zuständig sein.

Ob das reichen wird? Die Rückmeldungen aus Städten und Bundesländern zum Prostituiertenschutzgesetz sind widersprüchlich und sie verunsichern jene, die es umsetzen sollen und die davon betroffen sind. Dass bis zum 31. Oktober 2017 alle Sexarbeiter*innen in Deutschland registriert sind, ist unmöglich. Dass sie danach besser geschützt sind, unwahrscheinlich. Marianne Rademacher von der Deutschen Aidshilfe fasst es so zusammen: „Keiner will dieses Gesetz und wir sitzen da und versuchen, dass es nicht ganz so schlimm wird. Aber es ist eine Katastrophe.“

UPDATE

07.11.2017, 15:27

Stephanie Klee, Sexarbeiterin und Sprecherin der Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt“ reagiert gegenüber BuzzFeed News auf die Recherche:

„Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des ProstSchG zeigen

schon nach den ersten Monaten die weiteren Problematiken: es

kommt auf keinen Fall zum Schutz von Schutzbedürftigen,

sondern zu enormen Umsetzungsschwierigkeiten bei den

Bundesländern und Kommunen und zu einem

deutschlandweiten Flickenteppich. Das verunsichert

Sexarbeiter*innen wie Bordellbetreiber*innen, wie auch die

fehlenden Informationen und untergräbt jegliches Vertrauen in

den Staat.“

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