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Das Familienministerium fordert ein drittes Geschlecht für Deutschland – aber ist damit noch allein

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Fünf Ministerien. Drei Jahre Arbeit. Kein gemeinsames Ergebnis.

Das Bundesfamilienministerium fordert, ein drittes Geschlecht einzuführen. Außerdem sollen geschlechtszuweisende Operationen an Kindern verboten werden. Das steht in einem bisher weitgehend unbeachteten Positionspapier des Ministeriums „zum Schutz und zur Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt“. Andere Ministerien weigerten sich jedoch, das Papier zu unterschreiben.

Seit 2014 forschten fünf Ministerien gemeinsam zur Situation von trans- und intergeschlechtlichen Personen in Deutschland. Ein gemeinsamer Abschlussbericht scheiterte jedoch, weil die Ministerien sich nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen konnten. Nun hat das Bundesfamilienministerium sein Papier kurz vor der Wahl im Alleingang veröffentlicht.

Auf Anfrage von BuzzFeed News schreibt das Familienministerium:

„Die an der Diskussion zur Situation und Rechtslage von Trans* und Inter* Personen beteiligten Ressorts konnten sich in einigen Fragen nicht auf Festlegungen verständigen, die über Grundsatzpositionen hinausgehen und deren Relevanz im Ressortkreis unterschiedlich bewertet wurde.“

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Die Bundesvereinigung Trans* bezeichnete das Ergebnis der drei Jahre andauernden Arbeitsgruppe als „sehr enttäuschend“.

Wenn ein Kind nicht mit eindeutig männlichem oder weiblichem Geschlecht auf die Welt kommt, kann in Deutschland derzeit die Angabe im Geburtenregister freigelassen werden. Ein Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte ergab jedoch, dass diese Möglichkeit in der Praxis nur in vier Prozent der Fälle genutzt wird. Stattdessen würden Kinder sehr früh operiert, um ihre Geschlechtsmerkmale anzugleichen. Das will das Bundesfamilienministerien möglichst gesetzlich verbieten.

Das Positionspapier mit dieser und anderen Forderungen wurde vom Bundesfamilienministerien im Alleingang veröffentlicht, ebenso wie eine Zusammenfassung von Forschungsergebnissen und Erkenntnissen der vergangenen drei Jahre.

2014 richtete das Familienministerium eine Arbeitsgruppe ein, um die Situation und Rechtslage von inter- und transgeschlechtlichen Menschen genauer zu erforschen. Zudem sollten Vorschläge entstehen, wie die Lebensgrundlage der Betroffenen verbessert werden kann. Beteiligt waren neben dem Familienministerium das Bundesinnenministerium, das Bundesjustizministerium, das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesverteidigungsministerium.

Kern der Unstimmigkeiten zwischen den Ministerien waren offenbar die Haltung gegenüber einer dritten Geschlechtskategorie sowie die Frage nach Operationen an intergeschlechtlichen Kindern.

Das Bundesfamilienministerium teilte BuzzFeed News auf Anfrage per E-Mail mit:

„Zu personenstandsrechtlichen Details war eine gemeinsame Festlegung nicht möglich. [...]“

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„[...] Das Bundesfamilienministerium spricht sich daneben dringend für eine Verbotsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch aus, wonach Eltern nicht in medizinische Maßnahmen einwilligen dürfen, die ausschließlich dazu dienen, den Körper des mit Variationen der Geschlechtsmerkmale geborenen Kindes weiblicher oder männlicher erscheinen zu lassen, solange das Kind nicht selbst in einem einwilligungsfähigen Zustand ist. Die Notwendigkeit eines solchen Verbotes – das international von Deutschland gefordert wird – wurde nicht von allen Ressorts gesehen.“

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Laut Bundesinnenministerium kam die Arbeitsgruppe zu insgesamt zwölf Sitzungen zusammen. Das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium schickten jeweils zwei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den Treffen, die Sitzungen dauerten nach Angaben des BMI rund 5 Stunden. Auf die Nachfrage von BuzzFeed News hatten die anderen Ministerien bis zum Termin der Veröffentlichung dieses Beitrags noch keine Zahlen geliefert. Eventuelle Rückmeldungen werden wir hier nachtragen.

Hochgerechnet kommt man damit auf mindestens 600 Arbeitsstunden für ein Papier, hinter das sich am Ende nur eines der Ministerien stellen wollte. Der tatsächliche Arbeits- und Zeitaufwand dürfte jedoch deutlich höher liegen. 18 Publikationen wurden zum Thema veröffentlicht, außerdem waren Sachverständige und Expertinnen beteiligt, etwa die Bundesvereinigung Trans*.

Die begrüßt das Positionspapier des Bundesfamilienministeriums und lobt das „partizipative Vorgehen“ und den „bemerkenswerten Einsatz des Ministeriums“. Gleichzeitig zeigt sich die Bundesvereinigung enttäuscht über das fehlende Ergebnis. In einer Pressemitteilung kritisiert Mari Günther vom Vorstand der Bundesvereinigung Trans*:

„Wir finden dieses Ergebnis sehr enttäuschend und zu mager, insbesondere hinsichtlich des von allen Beteiligten auf den ministeriellen Ebenen und von den Interessenvertretungen aufgewendeten hohen zeitlichen und personellen Einsatzes. Wir hätten erwartet, dass alle beteiligten Ministerien das Positionspapier mitzeichnen und damit eine gemeinsam Linie aufzeigen.“

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Weiterhin fordert die Bundesvereinigung Trans* die zukünftige Bundesregierung auf, den Prozess weiterzuführen und vor allem „die sich daraus ergebenden Forderungen auch konsequent umzusetzen.“

Einig sind sich die Ministerien immerhin dabei, dass das Transsexuellengesetz reformiert werden muss. Das Bundesfamilienministerium sprach von „grundsätzlich dringendem gesetzgeberischen Handlungsbedarf in Bezug auf die Novellierung des TSG“. Auch alle Parteien mit Ausnahme der AfD sprachen sich bereits vor der Bundestagswahl für die Novellierung des TSG aus.

Zudem wollen alle Ministerien die Beratung für trans- und intergeschlechtliche Menschen und ihre jeweiligen Angehörigen verbessern.

Positionspapier des Familienministeriums „Schutz und Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt“.

Die Zusammenfassung der Forschungsergebnisse.

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