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Diese Frau wurde sexuell belästigt und ihre Reaktion ist extrem mutig

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Eine Frau wird in der U-Bahn angegrapscht. Dann wehrt sie sich. Dafür bekommt sie extrem viel Zuspruch auf Facebook.

Auf der Straße als Nutte beschimpft zu werden, von einer Gruppe bis nach Hause verfolgt zu werden, in der U-Bahn an den Arsch gefasst werden – all das sind Dinge, die für Frauen in Deutschland zum Alltag gehören. Besonders mies daran: Meistens stellt man sich hinterher vor, wie man besser hätte reagieren können. Auch wenn es in Wahrheit die Täter sind, die ihr Verhalten ändern sollten.

Wenn es aber Menschen gelingt, sich angemessen zu wehren, kann sich das extrem ermutigend anfühlen. Und andere Menschen inspirieren. So wie bei Pina Charlotte. Eigentlich wollte sie vergangene Woche mit Freundinnen im Treptower Park in Berlin klettern gehen. Auf Facebook beschreibt sie, was ihr auf der Fahrt dorthin passiert ist.

"Die s9 fährt bereits ein. Aus einer der Türen löst sich aus einer Gruppe Jungs (18-21) einer, ohne dass ich wirklich Notiz davon nehme -warum auch?! Nur spüre ich Sekunden später einen kräftigen Schlag auf und Kniff in den Hintern."

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Die Jungs hauen ab, während Pina Charlotte noch am Fahrkartenautomaten steht.

"Beim Umdrehen sehe ich noch wie einer der Jungs sich unter dem Gejohle und Gelächter der anderen 6-7 wieder in die Gruppe einreiht. Meine EC-Karte steckt noch im Automaten - ein "sag mal bei dir hackt's wohl" ist also alles, was erst mal Zeit hat."

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Sie steigt in dieselbe U-Bahn ein und sie ist richtig wütend.

"Und ich bin sauer - also so richtig. So mir pochender Schläfe und Rauch aus den Ohren. Und ich sehe keinen Grund diese Wut für mich zu behalten."

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Also macht sie ihnen eine Ansage.

"Bereits im Zugehen auf das Grüppchen sprudelt es aus mir heraus. -laut so, dass es in der ganzen Bahn sehr leise wird: "So Jungs jetzt reden wir mal! Das kann ruhig die ganze Bahn hören! Wer von euch Muttersöhnchen haut wildfremden Frauen auf den Arsch?

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Das ist der Post von Pina Charlotte

"Wichtig ist, dass ich etwas gesagt habe"

Was genau sie gesagt hat, sei eigentlich nicht wichtig, schreibt Pina Charlotte.

"Wichtig ist, dass ich etwas gesagt habe. Einfach um die Wut los zu werden, dass da jmd ankommt der meint mich zum Gegenstand einer Wette Machen zu können. Über meinen Körper zu verfügen, um Testosteronstände zu vergleichen. Dem offensichtlich jeder Respekt vor der Selbsbestimmtheit einer Frau fehlt."

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Direkt danach reagieren vor allem Frauen anerkennend auf Pina Charlottes Reaktion. Noch in der S-Bahn und auf dem Weg zurück zu ihrem Fahrrad hätten sie Nicken und zustimmende Daumen nach oben begleitetet, schreibt sie auf Facebook. Zwei Frauen seien unabhängig voneinander auf sie zu gekommen und hätten ihr ihre Anerkennung ausgedrückt, berichtet sie weiter.

Eine EU-Studie zeigte erst 2014, dass jede dritte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr schon einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren hat. Auf öffentlichen Veranstaltungen wie dem Oktoberfest kommt es jährlich zu vielfachen Vergewaltigungen. In Deutschland ist jede 7. Frau von sexueller Gewalt betroffen, 13% der in Deutschland lebenden Frauen haben seit dem 16. Lebensjahr strafrechtlich relevante
Formen sexueller Gewalt erlebt. Nur 5 Prozent der Sexualstraftaten werden angezeigt.

Feminist*innen in Deutschland kritisieren immer wieder den Zusammenhang zwischen Sexismus und sexualisierter Gewalt: "Feminist_innen kritisieren das ganze Jahr, dass wir nicht genügend über Sexismus sprechen, dass sexualisierte Gewalt tagtäglich passiert und wir ein so großes gesamtgesellschaftliches Problem trotzdem kaum öffentlich diskutieren, geschweige denn Lösungen thematisieren." schreibt die Aktivistin Anne Wizorek dazu.

Umso wichtiger ist es, Sexismus und sexualisierte Gewalt öffentlich zu thematisieren. Der Post von Pina Charlotte wurde mittlerweile mehr als 1.600 Mal geteilt und hat mehr als 600 Kommentare. Dort bekommt sie jede Menge Zuspruch.

So reagieren die Menschen auf Facebook.

BuzzFeed.de © Facebook

Warum sie ihre Reaktion geteilt hat? Pina Charlotte hofft, damit in Zukunft einen Unterschied zu machen:

"Zwar werd ich diese scheiß Exemplare an verkannter Männlichkeit nicht ändern. Aber die Gesellschaft ändert sich. Wir ändern sie. Und ich habe die Hoffnung, dass vlt meine Tochter in einigen Jahren aufwächst, ohne sich zu fragen ob ein bauchfreies Shirt sie in den Augen einiger Männer zum Gegenstand degradiert."

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"Macht den Mund auf!"

Und sie beendet ihren Beitrag mit einem Plädoyer dafür, in solchen Situationen einzuschreiten.

BuzzFeed.de © Facebook

Der Titel des Beitrags von Pina Charlotte lautet übrigens:

HEUTE IST EIN GUTER TAG.
HEUTE WURDE ICH SEXUELL BELÄSTIGT

Ein guter Tag war es für Pina Charlotte nicht deshalb, weil sie sexuell belästigt wurde. Ein guter Tag war es, weil sie es geschafft hat, nicht als Opfer dazustehen, sondern gestärkt aus der Situation hervorzugehen.

UPDATE

18.08.2017, 17:06

BuzzFeed News hat Pina Charlotte am Freitagnachmittag erreicht. Sie ist 23 und studiert derzeit Sportmanagement in Leipzig, nebenher arbeitet sie als Boulder-Trainerin für Kinder. Auf die Frage, wie es zu dem Post kam, sagt sie BuzzFeed News am Telefon: "Das hat mit den direkten Rückmeldungen der Frauen nach dem Vorfall zu tun. Und ich habe in letzter Zeit so viel über das Thema gesprochen, und immer wieder höre ich: Es geht uns doch gut. Alltagssexismus ist kein Problem mehr. Aber das stimmt nicht. Alltagssexismus gibt es noch – und wir müssen uns gegenseitig helfen".

Sie habe Vergewaltigungsopfer im engen Freundeskreis, erzählt Pina Charlotte BuzzFeed News. "Je mehr man darüber spricht, umso mehr neue Geschichten erfährt man, über die auch im Freundeskreis noch nicht gesprochen wurde."

Ihre Haltung zum Thema Sexismus und Feminismus habe sich auch mit der Wahl von Donald Trump verändert. "Ich frage mich: In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?", so die Studentin. Seit der Veröffentlichung ihres Posts musste sie ihre Privatsphäreeinstellungen bei Facebook stärker regulieren, vor allem, weil zu viele Freundschaftsanfragen kamen. Sie hofft, mit ihrem Post weiterhin Jungen und Mädchen zu erreichen, und damit auch im Kleinen etwas verändern zu können.

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