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Ein Brief an die Eltern, deren Kinder mich in der Öffentlichkeit anstarren

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Oder: Wie ihr mit euren Kindern über nicht genderkonforme Menschen reden könnt.

Liebe Eltern dieser Welt: Als nicht genderkonformer Mensch erfahre ich stets viel Beachtung – sowohl erwünschte, als auch unerwünschte – wenn ich in der Öffentlichkeit unterwegs bin.

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BuzzFeed.de © Jacob Tobia

Das fängt an bei Personen, die mich auslachen, verbal angreifen oder mich ohne meine Zustimmung fotografieren, und endet bei jenen, die mich auf der Straße anhalten und mir zurufen: „Oh mein Gott, ich liebe dein Outfit” oder fragen: „WO hast du diesen Lippenstift her?!?”

Aber eine Art der Aufmerksamkeit sticht besonders hervor: die Beachtung von irritierten Kindern. Das fiel mir erstmals auf, als ich im Alter von 22 Jahren nach New York City umzog.

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Kinder sahen mich mit Bart und Lippenstift in der U-Bahn und wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. Sie machten keinerlei Anstand, ihre Irritation, ihr Staunen oder ihre Überraschung darüber zu verbergen, wie ich meine Gender-Identität ausdrücke. Kinder sind alles andere als subtil, wenn ihr Interesse erst einmal geweckt ist.

Ich wurde an diese Art von Aufmerksamkeit erst letztes Wochenende wieder erinnert, als ich für eine Queer-Konferenz von Los Angeles nach Florida flog.

Die eine Hälfte des Hotels war voller Queers, die versuchten zu lernen, wie wir der Jugend besser helfen können; die andere Hälfte bestand aus Familien, die nach Orlando kamen, um Minnie und Elsa und Goofy in Disney World zu treffen. Das ergab eine interessante Mischung.

Nach meiner Keynote Speech begab ich mich mit kräftig geschminkten lila Lippen, Badehose und Bademantel zum Pool des Hotels. Da bemerkte ich die vertrauten Augen, die mir folgten; die Kinder taten es wieder: mich unverblümt und nach Herzenslust anstarren.

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Sie haben noch nie jemanden wie mich gesehen. Manche Kinder glotzen stumm, andere waren erstaunt, andere wiederum kicherten nur ganz leise.

Aber die üblichste Reaktion der Kinder war, dass sie sich, nachdem ich ihnen auffiel, zu euch umdrehten und etwas riefen wie: „Mama, der Junge trägt Lippenstift!” oder: „Papa, schau mal! Schau mal was er anhat!”

Nachdem eure Kinder euch auf den Ausdruck meiner Gender-Identität aufmerksam machten, habt ihr alle ziemlich genau dasselbe getan. Ihr habt in meine Richtung gesehen, Blickkontakt zu mir hergestellt, euch augenblicklich dafür geschämt und euren Kindern gesagt: „Es ist nicht höflich, über Fremde zu reden.”

Eure Kinder drehten sich, nachdem sie eure Scham in dieser Situation bemerkten, weg und wurden selbst ganz verlegen. Wenige Minuten später, als sie sich von dem unangenehmen Moment erholt hatten, planschten sie weiter im Pool herum. Diese Art von Interaktion wiederholte sich im Verlauf dieses Wochenendes in dutzende Male.

Liebe Eltern, ich habe entschieden, dass wir uns mal unterhalten müssen, denn ihr könnt das besser. Ihr müsst besser sein. Das seid ihr mir, der Trans-Community und der emotionalen Entwicklung eurer Kinder schuldig.

Es fängt damit an, zuzugeben, dass es gar nicht darum geht, euren Kindern beizubringen, nicht über Fremde zu reden, sondern tatsächlich um etwas viel Grundsätzlicheres.

In Wirklichkeit hat euer Kind nämlich eine Frage gestellt, als es sich zu euch wandte und meinte: „Schau mal, der Junge trägt Lippenstift!”

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Jeder Beobachtung von Andersartigkeit liegt doch die Frage zugrunde, ob diese Andersartigkeit akzeptabel ist oder nicht. Als euer Kind den Umstand kommentierte, dass ein Junge Lippenstift trägt, hat es doch eigentlich gefragt: „Mama/Papa/Eltern, ist es für Jungen in Ordnung Lippenstift zu tragen? Ist das, was diese Person dort tut, akzeptabel?”

Als ihr euch zu eurem Kind gedreht und peinlich berührt gesagt habt: „Es ist nicht höflich über Fremde zu reden”, habt ihr nicht nur die Frage nicht beantwortet, sondern auch ein potentiell produktives und unterstützendes Gespräch abgewürgt.

Ihr habt diesen Augenblick zu einer trivialen Lektion über das Benehmen in der Öffentlichkeit reduziert. Dabei hätte euer Kind eine wichtige Lektion über den Respekt gegenüber der großen Vielfalt der Gender-Identiäten lernen können.

Außerdem habt ihr euer Kind mit eurem eigenen Unbehagen verunsichert – und damit unbeabsichtigt das kulturelle Stigma und Unwohlsein bestärkt, mit dem nicht-genderkonforme Menschen konfrontiert sind.

Liebe Eltern dieser Welt, ich möchte euch einen besseren Umgang mit solchen Situationen vorschlagen. Das nächste Mal, wenn sich euer Kind zu euch dreht und sagt: „Schau mal! Der Junge trägt Lippenstift!“ oder „Das Mädchen trägt eine Krawatte!“, würgt das Gespräch nicht ab und sagt ihm ausweichend, es solle nicht über Fremde sprechen.

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Versucht stattdessen die Frage zu beantworten, die euer Kind in Wahrheit stellt und sprecht mit ihm über die wundervoll vielfältige Art und Weise, auf die Menschen ihre Identität zum Ausdruck bringen können.

Ich verspreche euch, es ist nicht schwer. Ihr könntet sagen:, „Ja, Tim, manchmal tragen Jungs Lippenstift und das ist völlig in Ordnung. Du kannst auch Lippenstift tragen, wenn du möchtest!” Oder ihr könntet sagen: „Ja, Sarah, sie trägt eine Krawatte. Sowohl Jungs, als auch Mädchen können Krawatten tragen. Hättest du gerne eine?”

Oder, falls euer Kind hochbegabt ist: ”Ja, Marie. Obwohl wir häufig mit der eingeschränkten Vorstellung konfrontiert werden, dass die Gender-Idenität biologisch bestimmt sei, so ist sie doch in Wahrheit ein gesellschaftlich konstruiertes, performatives/diskursives System, das eine Hegemonialmacht innerhalb der Gesellschaft errichtet und abhängig von Kultur, Zeit und anthropologischen Raum variiert. Das lernst du noch, wenn du mit einem Stipendium auf die Universität gehst, deinen Abschluss in Gender Studies machst und auf dem Weg zu deiner Abschussarbeit Judith Butler und Michel Foucault liest."

Und um Himmels willen, ganz egal für welche Antwort ihr euch entscheidet, fühlt euch nicht unbehaglich dabei.

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Kinder können elterliches Unbehagen auf Millionen Kilometer Entfernung riechen. Falls ihr eurem Kind zeigt, dass ihr euch in Anwesenheit einer nicht-genderkonformen Person unwohl fühlt, dann lernt es, euer Verhalten zu imitieren. Und das ist nicht in Ordnung.

Seid einfach entspannt, okay? Das ist doch nicht zuviel verlangt, oder?

Jede dieser Antworten (insbesondere die letzte) beantwortet nicht nur die Frage, die euer Kind euch wirklich stellt, sondern macht ihm auch von Beginn an klar, die natürliche Gender-Vielfalt unserer Welt zu respektieren. Ebenso wichtig ist, dass ihr eurem Kind so die Chance gebt, um seine eigene Identität in einem fördernden Klima zu erkunden, sobald es soweit ist.

Also, liebe Eltern, über Fremde zu reden mag zwar unhöflich sein, aber ich sehe euren Kindern das mal nach. Es ist für mich in Ordnung, wenn eure Kinder über mich in der Öffentlichkeit reden, solange ihr auch willens seid, mit ihnen in der Öffentlichkeit über mich zu reden.

Wenn euer Kind mich also das nächste mal in Stöckelschuhen in der U-Bahn oder mit lila Lippenstift am Pool herumlaufen sieht und etwas dazu sagt, gebe ich euch die uneingeschränkte Erlaubnis, mich als lehrreiche Gelegenheit zu sehen.

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Ihr könnt so viel über mich reden, wie ihr gerne möchtet. Ihr könnt mit euren Kindern gerne über den wundervollen Regenbogen der diversen Gender-Indentitäten reden, den es auf der Welt gibt. Ihr könnt ihnen gerne erzählen, dass sie sein dürfen, wer immer sie sein möchten und sich auf jede Art ausdrücken dürfen, die sie glücklich macht. Ihr habt meine begeisterte Unterstützung und meine freundliche Erlaubnis, genau das zu tun.

P.S. Falls ihr ein schlechtes Gewissen habt, dass ihr meine Existenz als einen lehrreichen Moment nutzt, werde ich Entschädigungen in Form eines Tageskarte für Disney World akzeptieren. Ich konnte als Kind nie den Space Mountain erleben, insofern ...

P.P.S. Ich werde ebenfalls kostenlose Drinks von der Poolbar annehmen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

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