Eine Star-Wissenschaftlerin der Max-Planck-Gesellschaft soll über Jahre ihre Mitarbeiter schikaniert haben

    Neun Wissenschaftler beschuldigen die Astrophysikerin Guinevere Kauffmann gegenüber BuzzFeed News.

    Dieser Artikel erschien auch auf Englisch.

    „Verschwende nicht weiter deine Zeit mit ihm. Er ist ein Betrüger. Er weiß nicht mal, was ein Computerprogramm ist.“

    Betreff: Inder. „...ständig unehrlich. Machen mich verrückt!“

    „...das sind schlechte chinesische Angewohnheiten“

    Das sind Emails, die Guinevere Kauffmann, Direktorin des Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, an Studierende und Mitarbeiter geschrieben hat.

    BuzzFeed News liegt rund ein Dutzend solcher Emails der Professorin vor. In diesen Emails geht es nicht um fachliche Kritik. Es geht um Macht, Erniedrigung und auch um Rassismus.

    Guinevere Kauffmann ist eine international bekannte Forscherin und Trägerin des Leibniz-Preises, des wichtigsten Forschungsförderpreises in Deutschland. Seit Jahren soll sie Studierende und Wissenschaftler mobben. Das sagen insgesamt neun Doktoranden und Post-Doktoranden gegenüber BuzzFeed News Deutschland.

    Kauffmann leitet das Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching gemeinsam mit ihrem Ehemann Simon White und zwei weiteren Professoren. Ihr Ehemann ist einer der bedeutendsten Astrophysiker weltweit. Die Lebensläufe der beiden lesen sich wie ein Katalog der renommiertesten Forschungsinstitute und Universitäten der Welt: Cambridge, Berkeley, Princeton, University of California Santa Barbara, National Observatory Peking.

    Kauffmann und White haben die Macht, Karrieren zu ermöglichen – und sie zu zerstören.

    Deshalb fürchten sich viele der jungen Wissenschaftler vor Konsequenzen. Der Einfluss von Kauffman und White reicht weit über die Grenzen von Garching hinaus. Er sei „fast schon ein Gott in China“, sagt ein Betroffener über Kauffmanns Ehemann White. BuzzFeed News zitiert die Wissenschaftler daher unter verändertem Vornamen.

    In den vergangenen drei Monaten hat BuzzFeed News mehrfach mit neun aktuellen und ehemaligen Doktoranden und Post-Docs gesprochen, zahlreiche E-Mail-Wechsel zwischen Kauffmann und Studierenden ausgewertet, sowie Beschwerde-Dokumente von Angestellten an das Institut gelesen.

    Die Recherche zeigt, wie innerhalb einer der angesehensten Forschungseinrichtungen der Welt mit Mitarbeitern und Studierenden umgegangen wird. Während sich das Institut in Garching nach außen als Speerspitze deutscher Forschung präsentiert, erzählen junge Wissenschaftler von Willkür, Angst vor Vorgesetzten und zerstörten Karrieren.

    Die Vorwürfe gegen die Direktorin sind nur der neueste Teil einer weltweiten Debatte über Mobbing und Machtmissbrauch in der Wissenschaft. Unter dem Hashtag #AstroSH machen Physikerinnen und Astrophysikerinnen Übergriffe und systematisches Mobbing öffentlich. Der bekannteste Fall ist der renommierte Physiker Lawrence Krauss, den die Arizona State University nach Vorwürfen sexueller Belästigung vorläufig beurlaubt hat, aber auch der Fall der Astrophysikerin Rachael Livermore, die von einem Kollegen in einem Fachartikel so schikaniert wurde, dass sie nun aus der Wissenschaft ausscheidet.

    Anfang Februar hatte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel bereits über ähnliche Vorwürfe im Max-Planck Institut für Astrophysik in Garching berichtet, jedoch ohne den Namen des Instituts oder der Professorin zu nennen.

    BuzzFeed News Deutschland nennt die Namen des Instituts und der Professorin, weil das Institut im Anschluss an die Berichterstattung des Spiegels nach Ansicht der betroffenen Wissenschaftler nur unzureichende Maßnahmen getroffen hat, um die Vorwürfe aufzuarbeiten und Studenten zu schützen. Trotz der Vorwürfe ist Kauffmann weiterhin als Direktorin des Instituts tätig und betreut nach Angaben der Max-Planck-Gesellschaft, die das Institut in Garching betreibt, derzeit einen Doktoranden und zwei Post-Doktoranden.

    Die Vorwürfe  sind nur der neueste Teil einer weltweiten Debatte über  Machtmiss-brauch in der Wissenschaft.

    Ein für Kauffmann angesetztes Coaching soll ihr Verhalten gegenüber Studierenden nicht verbessert haben, geben Betroffene an. Erstmals äußert sich deshalb eine Wissenschaftlerin gegenüber BuzzFeed News unter ihrem echten Namen mit Vorwürfen gegen Kauffmann.

    Ein angestellter Wissenschaftler am Institut bezeichnet das Vorgehen der Max-Planck-Gesellschaft BuzzFeed News gegenüber als „Vernebelungstaktik“. Er schreibt: „Ich hätte mir disziplinarische Maßnahmen für den Fall solcher Ereignisse gewünscht, für alle Personen, die derartiges unwürdiges Verhalten zeigen.“

    BuzzFeed News hat der Professorin ein Gespräch angeboten, um zu den Vorwürfen gegen sie Stellung zu nehmen. Guinevere Kauffmann stimmte einem Treffen zunächst zu und schrieb in einer Email: „Ich glaube es wird Zeit, dass ich auf diese Vorwürfe persönlich reagiere.“ Und weiter: „Ich habe viel über führende Frauen in der Wissenschaft zu sagen, wie sehr sie unter Beschuss stehen.“

    Zu einem Treffen ist es nicht gekommen. Die Max-Planck-Gesellschaft riet Kauffman davon ab und schickte stattdessen eine Stellungnahme, in der die Gesellschaft auch für das Max- Planck-Institut für Astrophysik sowie die Professorin antwortet.

    Wann wusste die Max-Planck-Gesellschaft von den Vorwürfen?

    Darin heißt es, dass die Max-Planck-Gesellschaft Vorwürfen zu Fehlverhalten jedweder Art – sofern sie hinreichend konkretisiert sind – unmittelbar nachgeht, um diese dann abzustellen. Die Vorwürfen gegen Guinevere Kauffmann seien seit Januar 2016 intern bekannt. Kauffmann besuche seitdem ein Coaching und es habe daraufhin keine Beschwerden mehr gegeben.

    Damit widerspricht die Max-Planck-Gesellschaft ihrer eigenen Aussagen, die sie gegenüber dem Spiegel und BuzzFeed News nur wenige Monate zuvor getätigt hatte. Ende März gab die Gesellschaft an, erst im Juni 2016, im Rahmen einer Begutachtung über Mobbing-Vorwürfe, informiert worden zu sein – also fünf Monate später.

    Nach dieser Begutachtung über Mobbing-Vorwürfe vergingen zwei Jahre, in denen die Max-Planck-Gesellschaft und das Institut offenbar keine Änderungen in den Beschwerdestrukturen vornahmen. Einem internen Rundschreiben der Institutsleitung vom 5. April 2018 zufolge wurde die Änderung des Code of Conduct erst als Reaktion auf die Berichterstattung im Spiegel diskutiert.

    Das Interesse an einer öffentlichen Aufklärung dieser Vorwürfe ist daher besonders hoch. Ohne die klare Benennung von Institut und Professorin ist diese Aufklärung so gut wie unmöglich.

    Im April 2018 schickt der Direktor Eiichiro Komatsu ein Rundschreiben an Mitarbeiter und Doktoranden des Instituts. Darin gesteht er ein, dass es schwierig ist, sich in der Max-Planck-Gesellschaft über Professoren zu beschweren. Er schreibt: „Während wir verschiedene Mechanismen haben, um Probleme anzugehen, scheinen sie nicht immer zu funktionieren.“

    Und weiter: „Die derzeitige Ombudsperson gibt an, dass sie in den vergangenen sechs Jahren, seit sie das Amt angetreten hat, nur von zwei Personen aufgesucht worden ist. Es wäre naiv zu glauben, dass die Abwesenheit von Beschwerden bedeuten würde, dass es keine Beschwerden gibt.“ Bevor die Frau zur Ombudsperson ernannt wurde, seien nämlich viel mehr Menschen zu ihr gekommen.

    BuzzFeed News liegen Emails vor, die zeigen, dass sich mindestens zwei junge Forscher mit Bedenken und Hinweisen über Fehlverhalten von Vorgesetzten am Institut an verschiedene Stellen gewandt haben, darunter unter anderem die Gleichstellungsbeauftragte der Max-Planck Gesellschaft und den Vorsitzenden des Betriebsrats des Max-Planck-Instituts für Astrophysik.

    Außerdem liegen BuzzFeed News Emails und Aussagen von Kauffmann gegenüber Studierenden vor, in denen sie diese als „Betrüger“ bezeichnet, ihnen vorwirft, sich Daten auszudenken und sie vor anderen Kollegen bloßstellt. Vorwürfe, die – ausgesprochen von einer so einflussreichen Forscherin – Karrieren massiv beschädigen können.

    Über einen indischen Studenten schreibt sie, dass man Indern nicht trauen könne. Chinesische Forscherinnen wirft sie deren „schlechte chinesische Angewohnheiten“ vor und schickt ihnen Links zu einem medizinischen Ratgeber, um „endlich erwachsen zu werden“.

    Ein anderes Mal schreibt sie an eine Studentin: „Wir alle wissen, dass junge Frauen Älteren nicht zuhören.“ Oder: „Schwule Männer haben auch so ihre Probleme.“

    Kauffmann soll Studierende aber nicht nur beleidigt, sondern sie auch massiv unter Druck gesetzt und ihnen damit gedroht haben, ihren Vertrag nicht zu verlängern oder ihnen zu kündigen. Emails mit persönlichen Attacken gegen die Mitarbeiter gingen nach Angaben mehrerer Empfänger in Kopie auch an internationale Kollegen und damit mögliche zukünftige Arbeitgeber der Nachwuchsforscher.

    „Die Leute hängen von Empfehlungsschreiben ab. Wenn dich jemand schneidet, kann das sehr schlecht für dich sein“, sagt Hans, der in Garching promoviert. In seinem ersten Telefonat mit BuzzFeed News sagt er gleich zu Beginn: „Ich will, dass das alles öffentlich wird.“ Damit steht er im Institut fast alleine da. All seine Versuche, Betroffene an BuzzFeed News zu vermitteln, scheitern. In der Mehrzahl der Fälle, weil die Personen sich fürchten, sagt er.

    In einer späteren Email schreibt Hans: „Es macht mich wütend und traurig, dass wir nicht mehr tun können. Wir sind jeden Tag damit konfrontiert und meine Freunde müssen es aushalten.“

    Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Max-Planck-Instituts in Garching schreibt, dass sie von dem Mobbing durch Kauffmann wusste und zukünftige Studierende vor der Professorin gewarnt hat. „Leider haben sie die Stelle dann doch angenommen“, schreibt sie.

    „Ich habe mich geschämt und mich wertlos gefühlt“

    Einer der Studenten, der trotz Warnungen ans Institut kam, ist Nils. Er war von 2013 bis 2014 Doktorand bei Kauffmann. Noch heute ist es für ihn schwer, über diese Zeit zu sprechen. Das ist das Erste was er sagt, als BuzzFeed News ihn anruft.

    Im ersten Jahr am Institut sei noch alles gut gelaufen. Doch im zweiten Jahr steht er vor einem wissenschaftlichen Problem, das er allein nicht lösen kann. Statt ihn zu unterstützen, habe Kauffmann ihn unter Druck gesetzt.

    „Sie hat mir gesagt ich sei zu langsam, das hat mich eingeschüchtert”, sagt er. Hilfe habe er keine bekommen. „Ich habe mich in meinem Büro isoliert.“ Rückblickend sei das ein Fehler gewesen.

    „Ich dachte, das bin nur ich. Der Doktorand, der es nicht kann.“

    Irgendwann löst Nils sein Problem auf eigene Faust, programmiert einen Code, schreibt ein wissenschaftliches Papier. Such dir einen anderen Beruf, das soll Kauffmann trotzdem immer wieder zu ihm gesagt haben.

    „Ich habe mich dumm gefühlt und unfähig. Sie hat mir immer wieder Ultimaten gestellt, obwohl ich eigentlich noch genug Zeit hatte, um meinen Doktor in der Regelzeit abzuschließen“, sagt Nils.

    Schließlich kündigt ihm das Institut 2014 das Stipendium. Damit steht er innerhalb von zwei Wochen ohne Einkommen da. Als internationaler Student war das für ihn fatal. „Ich hatte gar keinen Schutz. Ich war in Deutschland einfach abgeschnitten, ohne Geld und ich konnte kein Arbeitslosengeld beantragen“, sagt er.

    2015 wurde diese Regelung geändert. Heute haben auch internationale Doktoranden am Institut Arbeitsverträge und damit auch einen besseren Kündigungsschutz.

    Nils gibt an, auch mit Kauffmanns Ehemann Simon White und der damaligen Ombudsperson über das drohende Ende seines Stipendiums gesprochen zu haben. Doch die beiden hätten ihm nicht helfen wollen oder können. Besonders problematisch: In dem Kommittee, das seine Doktorarbeit begleiten sollte, saßen nur Guinevere Kauffmann, ihr Ehemann und ein Angestellter der beiden. Nils wusste nicht, an wen er sich wenden kann. Der Fall ähnelt dem Mobbing-Skandal an der ETH Zürich, wo ebenfalls ein Ehepaar an der Spitze einer Forschungseinrichtung stand.

    „Ich habe mich geschämt und mich wertlos gefühlt“, sagt Nils heute.

    Nur ein Jahr später promovierte er erfolgreich an einem anderen europäischen Forschungsinstitut. Als er beginnt über seine Erfahrung mit Kauffman zu sprechen merkt er: Mit dem, was ihm passiert ist, steht er nicht alleine da.

    „Ich dachte, das bin nur ich. Der Doktorand, der es nicht kann.“

    Beschwerden schon im Januar 2016

    Die Brasilianerin Andressa Jendreieck hat bis Sommer 2017 am Institut gearbeitet und ist mit Nils befreundet. Heute ist sie aus der Wissenschaft ausgeschieden, deshalb hat sie keine Bedenken, ihren Namen zu nennen. Sie sagt: „Ich habe Guinevere Kauffmann in ihrem Büro schreien sehen. Und sie hat Nils Emails geschickt, die ihn wirklich zerstört haben.“

    Betroffene Wissenschaftler sind sich sicher, dass die Max-Planck-Gesellschaft über die Vorwürfe Bescheid wusste – wenn auch nicht in schriftlicher Form. „Die Max-Planck-Gesellschaft muss davon wissen. Weil es so viele Beschwerden gegeben hat“, sagt Sebastian, der in einer Forschungseinrichtung in Garching arbeitet, die viele personelle Überschneidungen mit dem Max-Planck-Institut hat.

    Die Max-Planck-Gesellschaft gibt gegenüber BuzzFeed News in einer ersten Stellungnahme an, dass sie erst durch den Besuch des Fachbeirats im Juli 2016 von Vorwürfen gegen Kauffmann in Kenntnis gesetzt wurde. Der Fachbeirat ist ein Gremium von externen Professoren, die alle drei Jahre die Max-Planck-Institute besuchen und die dortige Forschung evaluieren. Vor diesem Besuch im Jahr 2016 habe es keine Beschwerden gegeben, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft Ende März 2018 auf Anfrage.

    BuzzFeed News konfrontierte die Gesellschaft daraufhin mit Emails, die belegen, dass sich Wissenschaftler bereits im Januar 2016 über Mobbing durch die Direktorin beschwert haben, also sechs Monate vor dem Besuch des Fachbeirats. Die E-Mails zeigen, dass sich Wissenschaftler an den damaligen Vorsitzenden des Betriebsrats, Ewald Müller, gewandt haben. Daraufhin schreibt die Max-Planck-Gesellschaft in einer zweiten Stellungnahme:

    „Nach Auskunft des Max-Planck-Instituts hatte sich ein halbes Jahr vor der Fachbeiratssitzung ein Postdoc wegen Problemen an ein Betriebsrats-Mitglied gewandt, das daraufhin auch den Vorsitzenden des Betriebsrats eingeschaltet hat. Es gab verschiedene Gespräche zwischen dem damaligen Geschäftsführenden Direktor Eiichiro Komatsu und der Direktorin mit und ohne Betriebsrats-Beteiligung.“ Die betroffene Wissenschaftlerin sagt gegenüber BuzzFeed News, dass es im Gegensatz dazu mit ihr selbst kein Gespräch gegeben habe.

    BuzzFeed News hat den ehemaligen Vorsitzenden des Betriebsrates, Ewald Müller, um ein Gespräch gebeten, bisher aber keine Antwort erhalten.

    „Diese Sache mit Guinevere Kauffmann und ihrem Ehemann ist bei weitem die Schlimmste. Aber es herrscht eine schlechte Kultur im gesamten Institut. Da passieren Dinge, die nicht okay sind“, sagt Hans. Das sieht auch Andressa Jendreieck so. „Ich habe den Eindruck, viele der Betreuer mobben ihre Angestellten.“

    Alle neun Wissenschaftler mit denen BuzzFeed News gesprochen hat, sagen: Das Institut ist zutiefst hierarchisch. Entweder man hält das aus – oder man bricht.

    Dabei gibt es am Max-Planck-Institut in Garching und auch innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft theoretisch viele Möglichkeiten, sich zu beschweren. Es gibt jeweils eine Gleichstellungsbeauftragte. Es gibt „thesis committees“, die Doktoranden durch die Promotion begleiten. Es gibt Ombudspersonen. Und es gibt den Fachbeirat, der alle drei Jahre ans Institut kommt.

    Allerdings haben alle diese Beschwerdewege ein Problem: Studierende vertrauen ihnen nicht.

    „Du kannst entweder gehen oder weiter leiden“


    Erstens seien einige Mitglieder des Fachbeirats privat mit Kauffmann und ihrem Ehemann befreundet, sagen Wissenschaftler, mit denen BuzzFeed News gesprochen hat. Man könne sich daher nie sicher sein, ob die Informationen vertraulich behandelt würden.

    Zweitens werden die Mitglieder der Fachbeiräte vom Präsidenten der Max-Planck Gesellschaft auf Grundlage von Vorschlägen aus den Instituten ausgewählt. Sie sind also keine vollständig unabhängigen Beobachter.

    Von der Max-Planck-Gesellschaft heißt es hierzu: „Die zentrale Aufgabe des Fachbeirats ist die Evaluation der wissenschaftlichen Arbeit am Institut. Die Auswahl der Fachbeiratsmitglieder erfolgt daher vor dem Hintergrund, dass sie selbst wissenschaftlich exzellent ausgewiesen sind und über die entsprechende wissenschaftliche Expertise in dem Fachgebiet verfügen. Vor diesem Hintergrund ist der Präsident auf Vorschläge aus dem MPI angewiesen und es gibt somit eine wissenschaftliche Nähe zum Institut.“

    Drittens sei der Fachbeirat als Kontrollgremium auch aus anderen Gründen unzureichend, sagt Ondra, die bis vor Kurzem am Institut gearbeitet hat: „Wir können nicht drei Jahre warten, damit dann jemand kommt und wir sagen können, dass etwas nicht stimmt.“

    Als der Fachbeirat 2016 das Institut besucht, sagt sie, habe sie gemeinsam mit anderen Studenten auch den Vizepräsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Ferdi Schüth, auf die Probleme mit Kauffmann angesprochen. Dieser soll gesagt haben, dass die Professorin ein „Recht auf Doktoranden“ habe und er nichts dagegen tun könne.

    BuzzFeed News hat Ferdi Schüth um eine Stellungnahme gebeten, daraufhin aber keine Antwort erhalten. Die Max-Planck-Gesellschaft schreibt: „Der Vizepräsident Professor Ferdi Schüth wurde im Rahmen der Fachbeiratssitzung 2016 auf Defizite in der Doktorandenbetreuung in der Abteilung der Direktorin hingewiesen und hat umgehend das Gespräch mit ihr gesucht.“

    Viertens könne man auch gegenüber den Wissenschaftlern der „thesis committees“ keine Kritik an den Betreuern üben. „Dein Betreuer ist deren Kollege und deshalb mischen sie sich nicht allzusehr ein, wenn die Studenten unglücklich sind. Es gibt nicht viel, das sie tun können“, sagt Ondra. „Du kannst entweder gehen oder weiter leiden.“

    „Es gibt niemanden mit dem man sprechen kann und bei dem man sich nicht fürchtet“

    „Die Max-Planck-Gesellschaft preist den Fachbeirat als etwas an, mit dem alle Probleme aufgedeckt werden, aber meiner Erfahrung nach ist es ein zutiefst mangelhafter Prozess und er ist letztendlich nutzlos, um schwerwiegende Probleme zu melden und junge Mitarbeiter zu schützen”, schreibt Kaleigh, deren Zeit am Institut schon einige Jahre zurückliegt, BuzzFeed News in einer Email.

    Während eines Besuchs des Fachbeirats im Jahr 2007 beschwert sich Kaleigh in einem Gespräch darüber, dass ihre Vorgesetzten ihr keine Empfehlungsschreiben ausstellen. Ohne dieses Schreiben hat Kaleigh auf dem Arbeitsmarkt keine Chance. Das Gespräch, da ist sie sicher, ist vertraulich.

    „Nach dem Besuch wurde deutlich, dass die Direktoren alle wussten, dass dieses Problem angesprochen wurde und dass ich es angesprochen habe – die Vertraulichkeit wurde offensichtlich nicht respektiert“, sagt sie BuzzFeed News.

    Weil herauskam, dass sie sich beschwert hatte, sei Kaleigh ins Büro des Direktors Simon White zitiert worden. Dort habe White ihr klar gemacht, dass er irritiert gewesen sei, dass sie das Problem extern angesprochen habe. Man habe ohnehin Zweifel daran gehabt, sie einzustellen.

    „Das war ziemlich vernichtend“, sagt Kaleigh.

    Sie versucht danach so schnell wie möglich, eine neue Stelle zu bekommen. Sie hat das Gefühl: Kritik wird am Institut nicht toleriert. „Mitarbeiter und Studenten, die Probleme aufzeigen, werden ausgeschlossen und man behandelt sie, als hätten sie das Team verraten.“

    Das kann erklären, warum der Max-Planck-Gesellschaft und dem Institut kaum schriftliche Beschwerden vorliegen. Laut den Wissenschaftlern, mit denen BuzzFeed News gesprochen hat, ist das Fehlen von schriftlichen Beschwerden aber noch lange kein Beleg dafür, dass es diese Probleme nicht gibt.

    „Wenn sich jemand beschwert, dann mündlich“, sagt Ondra. „Selbst wenn man mit der Ombudsperson spricht, ist das noch keine offizielle Beschwerde, weil es ja geheim ist. Das Problem ist also, dass niemand weiß, was genau eine offizielle Beschwerde sein soll.“

    Auch im Fachbeiratsbericht von 2016 wird das kritisiert. Dort heißt es: „Die derzeitige Form der Ombudsposition ist nicht ausreichend, um schwierigen Situationen zu begegnen: Sie werden aus den Mitarbeitern des Instituts ausgewählt und sind möglicherweise weniger geneigt, Probleme den Direktoren gegenüber anzusprechen, aus Angst vor Konsequenzen für ihre eigene Karriere.“

    Andressa Jendreieck sagt: „Es gibt niemanden mit dem man sprechen kann und bei dem man sich nicht fürchtet.“

    „Die Missstände sind abgestellt worden“


    „Ich habe meine Freude an der Astronomie noch nicht wiedergefunden“, sagt Amanda. Sie erforscht Galaxien hinter der Milchstraße, sogenannte benachbarte Galaxien. Das ist alles, was für normale Menschen sehr weit weg, aber für Astrophysiker recht nah dran ist. Sterne, die man gerade noch sehen kann, wenn man sich in einer klaren Sommernacht in seinem Garten auf den Rücken legt und in den Himmel schaut.

    Wenn Amanda davon spricht, spürt man die Faszination, die sie für ihren Beruf einmal hatte. Sie erzählt von Gasen, die sich ausdehnen, die das All formen. Die für die Entstehung von Sternen und die Geburt des Weltalls verantwortlich sind. Sie wollte immer Wissenschaftlerin werden, schon als Kind. Sie war sich ganz sicher mit ihrem Beruf. Dann kam Guinevere Kauffmann.

    Amanda hat direkt für Kauffmann gearbeitet und war neben Ondra eine der Wissenschaftlerinnen, die 2016 beim Fachbeirat vorgesprochen hatten. Kauffmann wirft ihr in Emails Fehler vor, die sie nicht gemacht hat. BuzzFeed News liegen Emails von Kauffmann vor, die Studierende und Post-Docs mit der Fachbeiratsbeschwerde eingereicht hatten. „Werde endlich erwachsen“, steht dort, oder „der kann nicht mal ein Computerprogramm verstehen.“

    Nach dem Fachbeiratsbesuch habe die Leitung der Max-Planck-Gesellschaft umgehend das Gespräch mit ihrer Direktorin gesucht, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft. Diese habe die Vorwürfe sehr ernst genommen und sich sofort bereit erklärt, sich durch ein „professionelles Coaching“ unterstützen und im beruflichen Alltag begleiten zu lassen.

    Die Max-Planck-Gesellschaft schreibt BuzzFeed News, es sei rechtswidrig, über die Vorwürfe zu berichten. 

    „Wir haben seither keine neuerlichen Beschwerden erhalten. Der Geschäftsführende Direktor hat uns noch im vergangenen Jahr bestätigt, dass sich die Situation seither verbessert hat“, schreibt die Max-Planck-Gesellschaft.

    Die wissenschaftliche Mitarbeiterin, die vor Kauffmann gewarnt hat, schreibt BuzzFeed News, dass die Professorin nun „sehr genau überwacht“ werde. Sie habe den Eindruck, das habe die Situation verbessert.

    Die Max-Planck-Gesellschaft schreibt: „Mangels Aktualität der Anschuldigungen wäre eine identifizierende Berichterstattung auch aus diesem Grund rechtswidrig.“

    Journalisten können auch über Vorfälle aus der Vergangenheit berichten, erst recht wenn diese erst wenige Jahre zurückliegen. Zudem sagen Wissenschaftler gegenüber BuzzFeed News, dass Kauffmann nach wie vor Mitarbeiter und Studierende schikaniert.

    Das Coaching habe gar nichts verändert, sagt Ondra. „Was sich geändert hat, ist, dass sie an den meisten Meetings nicht mehr teilnimmt. Ihr Verhalten ist deshalb weniger sichtbar, aber sie ist immer noch problematisch.“

    Auch ein angestellter Wissenschaftler findet, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen: „Die Max-Planck-Gesellschaft hat meines Wissens keinerlei Maßnahmen außer diesem angesprochenen Coaching ergriffen, über welches offiziell kaum jemand im Institut in Kenntnis gesetzt wurde. Ich finde diese Vernebelungspolitik schädlich und unangemessen“

    BuzzFeed News hat die Max-Planck-Gesellschaft und das Institut gefragt, ob neben dem geschäftsführenden Direktor auch Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter und andere Angestellte zu Kauffmann befragt wurden. Und ob auch diese eine Verbesserung des Verhaltens ihnen gegenüber festgestellt haben.

    Auf diese Frage ging die Max-Planck-Gesellschaft in ihrer Antwort nicht ein.


    Diese Recherche kam zustande, weil sich mehrere Personen bei BuzzFeed News meldeten. Diese Personen hatten nach dem Spiegel-Artikel nicht das Gefühl, dass die Max-Planck-Gesellschaft die Vorwürfe ausreichend aufgearbeitet hat. Wir sind auf solche Hinweisgeber angewiesen, um über Machtmissbrauch in Institutionen zu berichten. Wenn ihr einen Tipp für uns habt, könnt ihr euch bei Pascale Müller melden: pascale.mueller@buzzfeed.com.

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