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Dieses Gesetz hätte geflüchtete Frauen vor Gewalt geschützt – aber es wurde schon wieder vertagt

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Schutz vor Gewalt in Unterkünften? In Deutschland gibt's den bisher kaum.

Eigentlich sollte es schon lange existieren – ein Gesetz, das geflüchtete Frauen und Kinder in Unterkünften besser vor Gewalt schützt. Schon vor zwei Jahren hatte die EU die deutsche Regierung verpflichtet, solch ein Gesetz zu verabschieden. Und beinahe wäre es in dieser Woche so weit gewesen.

Doch am Freitag hat der Bundesrat das „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen“ überraschend von der Tagesordnung verbannt – bereits zum zweiten Mal. Damit droht dem Gesetz das Aus.

In diesem Gesetz sollte auch der Schutz von geflüchteten Frauen und Kindern vor Gewalt in Unterkünften geregelt werden. Für Frauenrechtsorganisationen ist das drohende Scheitern ein ernüchterndes Ergebnis angesichts eines drängenden Problems.

Hunderte Opfer von Gewalt in Berliner Unterkünften

Ein mobiles Team der Berliner Frauenorganisationen Lara hat seit Oktober 2016 hunderte geflüchteter Frauen beraten, die in den Unterkünften Opfer von Gewalt wurden. Drei Viertel davon waren Fälle von sexualisierter Gewalt, schätzt die Sozialarbeiterin Elnaz Farahbakhsh. Auch die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) hat von Januar bis August 2017 insgesamt 90 Frauen beraten, die von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen waren.

Die Pressestelle des Bundesrates sagt auf telefonische Anfrage lediglich, es gäbe „weiteren Beratungsbedarf“. Da das Gesetz vom Bundestag verabschiedet wurde, ist es nicht vollends gescheitert, müsste aber nach der Wahl von der neuen Bundesregierung überarbeitet werden. In seiner jetzigen Form ist es in jedem Fall vom Tisch.

Das ist auch ein Rückschlag für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMfSJ). Die bis Juni amtierende Ministerin Manuela Schwesig hatte den Gesetzesentwurf eingebracht. Auf eine Anfrage von BuzzFeed News reagiert das Ministerium nicht.

Keine bundesweiten Standards für Gewaltschutz

Bisher gibt es keine gesetzlichen Mindeststandards, die Gewaltschutz in Unterkünften bundesweit regeln. Das BMfSJ arbeitete 2016 gemeinsam mit Unicef Leitlinien für diesen Schutz aus: Mitarbeiter in Einrichtungen sollen in Gewaltprävention geschult werden, heißt es dort. Es solle Beschwerdestellen und spezielle Ansprechpartnerinnen geben. Die mobilen Teams der Frauenberatungen entstanden auch auf Anstoß des Ministeriums.

Allerdings sind die Leitlinien für die Unterkünfte nur lose Empfehlungen – sie wurden lediglich in einige Betreiberverträge aufgenommen und sind nicht bindend. Die Sicherheit von Frauen hat sich dadurch nicht entscheidend verbessert, so die Einschätzung der Frauenberatungsstellen. „Die Zahlen sind gleichbleibend hoch“, sagt Sarah Trentzsch von BIG.

Auch Elnaz Farahbakhsh hat in ihrer Arbeit keinerlei Veränderung wahrgenommen. „Ich höre immer davon, aber in der Praxis ist Prävention kaum spürbar“, sagt sie. Ein Gesetz, so die Sozialarbeiterin, würde die Betreiber auch verpflichten, geschultes Personal für den Bereich sexualisierte Gewalt einzustellen. Aber ohne klare Regelung der Kosten arbeitet auch Farahbakhsh nur auf Zeit – die Finanzierung des mobilen Teams von Lara durch den Berliner Senat ist nur bis Ende 2017 gesichert.

Verstoß gegen zahlreiche internationale Abkommen

Deutschland verstößt damit gegen zahlreiche internationale Konventionen und Abkommen, wie die UN-Frauenrechtskonvention CEDAW, die Istanbul-Konvention sowie die EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU), die Schutzmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Personengruppen vorsieht.

Bereits im September 2015 rügte die EU-Kommission die deutsche Regierung, weil sie gegen die EU-Aufnahmerichtlinie verstößt – und leitete ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Deutschland steht damit nicht alleine, die Kommission eröffnete insgesamt 40 Verfahren gegen 19 EU Länder.

Die Bundesregierung verweist darauf, dass nationale Gesetze die in der Richtlinie geforderten Rechte abdecken. Die EU hält dagegen. Der nächste Schritt wäre damit eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die deutsche Regierung.

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