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Ein junger Mann wird in der Markthalle Neun brutal festgehalten. Das sagen die Beteiligten.

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Am 21. April 2015 berichtete BuzzFeed Deutschland über ein Video, das im Internet kusiert und zeigt, wie ein Junge von mehrerer Männern brutal festgehalten wird.

Als wir Mittwoch über dieses Video berichteten, hat uns vor allem die unverhältnismäßige Gewalt erschreckt. Mehrere Männer stehen um einen jungen Mann und halten ihn fest, ohne dass er sich wehren kann.

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Außerdem wurde die Filmerin, die dem jungen Mann helfen wollte, von einem der Männer rassistisch beleidigt.

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Im Video kann man hören, wie eine Frau sagt, der junge Mann habe nur ein Brötchen geklaut. Die Markthalle Neun schreibt auf ihrer Facebookseite, es wäre Geld gestohlen worden.

Wir sind nach Kreuzberg gefahren, um der Sache auf den Grund zu gehen und mit allen Beteiligten zu sprechen.

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Als erstes haben wir uns mit B. getroffen, die den Vorfall gefilmt hat.

Wir treffen uns mit B. in einem arabischen Café am Lausitzer Platz in Kreuzberg, fast in Sichtnähe zur Markhalle Neun. B. ist klein, zierlich und trägt ein Kopftuch. Wir bitten sie, ihre Sicht auf die Dinge zu schildern und zu erzählen, was am 21. April 2015 in der Markthalle passiert ist.

B. ist am 21. April 2015 gegen 17 Uhr in der Markthalle Neun und bemerkt mehrere Männer, die sich über einen jungen Mann beugen.

"Ich kam aus dem Kik-Markt und sah die Männer, die um den Jungen herum stehen. Ich dachte, der Junge hat Herzprobleme, weil der so komische Geräusche gemacht hat. Mein Tochter hat auch Herzprobleme und wenn es ihr schlecht geht, hört sich das genauso an. Ich wollte eigentlich nur helfen."

"Es standen abwechselnd fünf Menschen um diesen Jungen und haben seinen Kopf gegen den Tisch gepresst. Drumherum standen aber noch mehr Leute, sowohl Standbetreiber als auch Augenzeugen. Einer hat seelenruhig weitergeputzt. Keiner hat was gemacht."

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Gefunden in der Markthalle Neun

“Ich habe die Männer angesprochen, dass sie den Jungen loslassen sollen. Der eine Mann ist ein Mitarbeiter aus dem Aldi in der Markthalle. Der hat dem Jungen die Luft abgedrückt und gesagt: 'Ich weiß wie weit ich gehen kann. Ich war im Kosovo.'

Zu mir haben sie nur gesagt, dass ich ich nicht einmischen soll. Und dass ich abhauen soll. Und die Fresse halten. Es hat niemand außer mir geholfen. Alle haben nur zugesehen."

“Erst dann habe ich mein Handy rausgeholt. Ich habe zu denen gesagt: “Ich filme Euch jetzt und lade das hoch.” Ich bin erst gegangen, als die Polizei eingetroffen ist und den Jungen mitgenommen hat.”

Sie weiß nicht, wer der Junge ist und auch nicht, was er gemacht hat.

"Alle, die da waren, haben etwas anderes behauptet. Eine Frau hat gesagt, der Junge hätte ein Brötchen geklaut. Ein Mann hat gesagt, er hat eine Frau geschlagen. Ein anderer hat gesagt, er hätte Geld geklaut. Der Junge war vollkommen verstört. Er hat bis zum Schluß nicht gesprochen und die ganze Zeit über stumm vor sich hingeweint. Später hat mir eine Frau auf Facebook geschrieben, dass sei die Betreuerin des Jungens sei, dass er 15 Jahre alt und geistig behindert ist und dass sie ihn schon länger sucht. Ich habe davon aber nichts bemerkt."

B. sagt, sie ist nicht diejenige, die das Video auf Youtube hochgeladen hat.

B. hat das Video öffentlich auf Facebook gepostet. Kurz darauf wurde ihr Account gesperrt. Sie vermutet, dass er gemeldet wurde. Wer das Video zusätzlich auf YouTube hochgeladen hat, wisse sie nicht, sagte sie uns. Dort ist das Video mittlerweile auch gelöscht.

"Kreuzberg verändert sich."

"Das ist nicht das erste Mal, das es in der Markthalle Probleme gab. Ich bin schon ein paar Mal mit meinen Kindern weggeschickt worden, weil die dort gespielt haben, ich aber nichts gegessen oder getrunken habe. Das ist keine Markthalle für alle. Die haben keine Lust auf Kopftuch-Frauen wie mich. Nicht nur die Markthalle, der ganze Kiez verändert sich. Auf dem Lausitzer Platz spielen die türkischen Kinder auf der einen, die deutschen auf der anderen Seite. Der Kiez ist nicht mehr so gemischt, so sozial wie früher."

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Nach dem Treffen mit B. gehen wir in die Markthalle Neun, um mit den Betreibern zu sprechen.

Wir treffen uns mit Nikolaus Driessen, einem der drei Betreiber der Markthalle Neun. Wir bitten ihn, uns zu erzählen, was am 21. April 2015 passiert ist. Driessen sagt: "Alles, was wir zu sagen haben, steht auf unsere Facebook-Seite."

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Gewalt wollen sie nicht beantworten.

Wir fragen ihn, was gestohlen wurde. Er sagt: "Die Tageseinnahmen von einem unserer Stände." Wir fragen, ob in die Kasse gegriffen oder die ganze Kasse geklaut wurde. Wir fragen, wessen Kasse geklaut wurde. Auch dazu möchter er nichts sagen.

Wir fragen, wer die Männer auf dem Video sind und wie er dazu steht, dass der Junge so brutal festgehalten wird. Driessen sagt: "Wir finden das nicht gut. Aber wir waren nicht dabei und wir wollen unseren Händlern auch nicht rein reden. Das sind unsere Mieter. Wir sind nicht deren Chefs."

"Das war kein Rassismus. Das war im Eifer des Gefechts."

Wir fragen Driessen, wie die Betreiber der Markthalle Neun damit umgehen, dass B. rassistisch beleidigt wurde, als sie den Übergriff filmte. Er sagt: "Das war doch nicht so gemeint. Das war im Eifer des Gefecht." Wir haken nach und zitieren den Händler aus dem Video, der zu B. sagte: "Da wo du herkommst, würdest Du ganz anders behandelt werden." Wir fragen: "Werdet ihr den Betreffenden zu Rede stellen?" Er sagt: "Der Betreffende hat sich entschuldigt." Wir fragen, bei wem er sich entschuldigt hat. Darauf bekommen wir keine Antwort.

"Wir versuchen hier was aufzubauen."

Driessen ist sicherlich überfordert mit der Situation. Zum Abschied sagt er: "Das hat uns alles überrollt. Wir versuchen doch hier nur was Gutes aufzubauen."

Das sind die Betreiber der Markthalle Neun

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Von links nach rechts: Nikolaus Driessen, Florian Niedermeier und Bernd Maier.

"Dann kommt diese Verrückte und schreit irgendwas von Menschenrechten."

Als wir die Markthalle Neun verlassen, sehen wir einen der Männer aus dem Video. Er erzählt laut, wie das Ganze aus seiner Sicht abgelaufen ist: "Der Junge hat in die Kasse von Glut und Späne gegriffen. Da sind wir natürlich gleich hinterher und haben den gepackt. Einmal hat er sich noch losgerissen. Dann kam auf einmal diese Verrückte und schreit irgendwas von Menschenrechten. Die hat uns gefilmt und jetzt ist hier auf einmal die Hölle los."

Das Gleiche sagte auf Nachfrage auch ein Mitarbeiter von Glut und Späne, einem der festen Stände in der Markthalle.

"Der Junge hat in diese Kasse gegriffen und Scheine rausgenommen. Mittlerweile ist das Geld aber wieder da."

Als letztes sprechen wir mit der Polizei.

Frau Ziesener von der Pressestelle der Berliner Polizei bestätigte gegenüber BuzzFeed Deutschland, dass der junge Mann 25 Jahre alt ist. Es wurde Anzeige wegen einfachen Diebstahls erstattet. Der junge Mann wurde nach der Festnahme verhöhrt und wieder freigelassen.

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Wie kann es zu so vielen unterschiedlichen Versionen der Geschichte kommen?

Die einfache Antwort: wenn verschiedene Menschen in so einer aufgeladenen Situation aufeinander treffen, erleben sie ein und diesselbe Situation sehr unterschiedlich.

Die kompliziertere Antwort: Berlin verändert sich und das bringt Konflikte mit sich. B. ist im Kiez aufgewachsen. Sie lebt hier mit ihrer Familie und erlebt die Entwicklungen als Verdrängung. Menschen wie Nikolaus Driessen, der aus Augsburg nach Berlin gezogen ist, eröffnen Läden, die die ursprünglichen Bewohner des Kiezes nicht nutzen oder brauchen. Die einzigen beiden Läden, die B. in der Markthalle nutzt, sind der Aldi und der Kik-Modemarkt. Der Mietvertrag vom Kik-Modemarkt wurde mittlerweile von den Betreibern der Markthalle gekündigt. Driessen erlebt das anders. Er möchte die Markthalle als Raum für nachhaltiges Wirtschaften und Slow Food etablieren. Das sind Themen, die für B. und vielleicht auch für den jungen Mann auf dem Video nicht wichtig sind.

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