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Für den Podcast der Bundeskanzlerin sind eine Million Euro an eine Firma geflossen, die der Union nahesteht

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Das Geld ging elf Jahre lang an eine Firma, die offenbar Edmund Stoibers Schwiegersohn und dem Politikberater Roland Berger gehörte. Jetzt prüft die Medienaufsicht.

UPDATE: Medienaufsicht prüft Bundespresseamt

03.07.2018, 10:27

Die "Kommission für Zulassung und Aufsicht" (ZAK) der Medienanstalten prüft als Reaktion auf diese Recherche die Angebote des Bundespresseamts und damit die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeskanzlerin. Das berichten die Zeitungen der Funke Mediengruppe und die FAZ.

Das Bundespresseamt hat in den Jahren 2006 bis 2017 mehr als eine Million Euro für den Podcast der Bundeskanzlerin ausgegeben. Der zwei- bis vierminütige Podcast der Bundeskanzlerin, der auch als Video produziert wird, kostet damit im Schnitt 750 Euro pro Minute.

Rundfunkrechter sind sich darüber hinaus uneinig, ob die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung überhaupt erlaubt ist. Sollte es sich dabei um Rundfunk handeln, könnte sie illegal sein: Denn der Staat darf weder Rundfunk veranstalten, noch Staatspresse verbreiten.

Die größten Fragezeichen aber wirft das Netzwerk hinter der Firma auf, die den Podcast der Bundeskanzlerin seit elf Jahren produziert.

Ein Dossier in drei Teilen.

Teil 1: Das Geld für den Podcast der Bundeskanzlerin floss elf Jahre lang in eine Firma, die offenbar zur Hälfte Deutschlands wichtigstem Politikberater Roland Berger gehörte und zu weiteren 40 Prozent dem Schwiegersohn von Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber.

Teil 2: Journalisten finden, die Kanzlerin spricht zu wenig mit der Presse. Ihre Auftritte in sozialen Netzwerken aber nehmen stetig zu.

Teil 3: Der Podcast der Bundeskanzlerin zeigt: die alten Rundfunk-Gesetze passen nicht mehr zum Internet-Zeitalter. Denn die Bundesregierung nutzt mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit geschickt eine Lücke aus.

BuzzFeed.de © Die Podcasts der Bundeskanzlerin. / Screenshot Bundespresseamt / Via bundesregierung.de

Teil 1:

Das Geld für den Podcast der Bundeskanzlerin floss elf Jahre lang in eine Firma, die offenbar zur Hälfte Deutschlands wichtigstem Politikberater Roland Berger gehörte und zu weiteren 40 Prozent Edmund Stoibers Schwiegersohn.

Das Bundespresseamt hat in den Jahren 2006 bis 2017 mehr als eine Million Euro für den Podcast der Bundeskanzlerin ausgegeben. Der zwei- bis vierminütige Podcast der Bundeskanzlerin kostet damit im Schnitt 2.250 Euro pro Episode. Vergeben wird er seit Jahren an eine Firma, die Verbindungen zur Union hat. Das geht aus Antworten des Bundespresseamts auf eine Anfrage von BuzzFeed News sowie aus Ausschreibungs- und Vertragsunterlagen der Jahre 2006 bis 2017 hervor, die BuzzFeed News vorliegen.

Kosten für den Podcast der Bundeskanzlerin pro Jahr

Ist der Podcast zu teuer? Oder ist er ein Schnäppchen?

Der Podcast der Bundeskanzlerin ist genau genommen ein kurzes Video von zwei bis vier Minuten Länge. Ausgespielt wird er als Video, aber auch als abonnierbares Audio. Pro Jahr erscheinen durchschnittlich 40 Folgen. Bislang hat das Bundespresseamt rund 480 Episoden von „Die Kanzlerin direkt“ veröffentlicht.

Im Schnitt kostet eine Minute Merkel-Podcast rund 750 Euro - nicht eingerechnet: der Imagegewinn für die Firma, Hausproduzent der Kanzlerin zu sein. Wir suchen nach Vergleichszahlen. Der komplette Betrieb des Deutschlandradios mit drei Programmen kostet statistisch gesehen 470 Euro pro Minute (für alle drei Programme), eine Sendeminute „NDR Info“ liegt bei 63 Euro.

Das Bundespresseamt teilt auf Anfrage von BuzzFeed News mit, die Ausgaben für den Podcast seien wirtschaftlich gewesen: „Die jeweils beauftragten Unternehmen wurden durch vergaberechtskonforme Ausschreibungsverfahren ermittelt. Den Zuschlag erhielten die zum Vergabezeitpunkt wirtschaftlichsten Angebote“, schreibt eine Sprecherin.

Doch die Frage liegt auf der Hand: Muss „Die Kanzlerin direkt“ wirklich eine externe Firma produzieren? Mit rund 90.000 Euro im Jahr könnte das Bundespresseamt ein bis zwei Personen in Vollzeit bezahlen, die mit dem Podcast sicher nicht ausgelastet wären. Angesichts des Formates (zwei bis vier Minuten Länge, kaum Schnitte, wenig redaktionelle Vorbereitung) ist ein Arbeitsaufwand von ein bis zwei Tagen pro Episode anzunehmen – für ein eingespieltes Team vielleicht auch weniger. Mit anderen Worten: Es wäre ohne Zusatzkosten möglich, mindestens eine Person im Bundespresseamt zu beschäftigen, die an ein bis zwei Tagen pro Woche den Podcast erstellt – und in der restlichen Zeit für andere Tätigkeiten zur Verfügung stünde.

Ist der Podcast wenigstens erfolgreich?

Das Bundespresseamt veröffentlicht zwei regelmäßige Formate: den Podcast „Die Kanzlerin direkt“ und das Format „Live aus dem Kanzleramt“.

Nach Informationen von BuzzFeed News wurde der Podcast im Bundespresseamt vor allem von einem ehemaligen Abteilungsleiter forciert: von Uwe Spindeldreier. Spindeldreier ist seit diesem Jahr nicht mehr auf seinem Posten. Zeitgleich wechselte auch die Zuständigkeit für den Podcast. Für diesen Wechsel gebe es keinen Zusammenhang, schreibt das Bundespresseamt auf Nachfrage. Nun wird der Podcast – nach immerhin zwölf Jahren – intern produziert, also vom Bundespresseamt selbst. „Das Bundespresseamt hat eigene Kompetenz und Kapazitäten zur Produktion des Podcasts aufgebaut“, schreibt eine Sprecherin dazu.

Angeblich soll Spindeldreier Erfolgszahlen für den Podcast verbreitet haben, die niemand im Bundespresseamt so richtig habe nachvollziehen können. Schon 2007 behauptete er in der „Süddeutschen Zeitung“: „Die Zahl der Abonnenten sei in den vergangenen sieben Monaten von rund 122.000 auf 366.000 gestiegen, (...). Der Merkel-Podcast werde (...) im Schnitt 200.000 mal pro Woche abgerufen“. 2007 wurde das iPhone gerade vorgestellt, YouTube war in den Kinderschuhen, kaum jemand hatte Flatrates oder schnelles Internet. Und auch in sozialen Netzwerken liefen die Produktionen damals noch nicht. Können Spindeldreiers Zahlen also stimmen?

Wie viele Menschen einen Podcast abonnieren, lässt sich von außen nicht einsehen. BuzzFeed News liegen allerdings die Ausschreibungsunterlagen für die Produktion bis ins Jahr 2016 vor. Bis in das Jahr 2013 schreibt das Bundespresseamt darin, es rechne mit 10.000 bis 20.000 Abrufen pro Folge. In den Folgejahren schreibt es von bis zu 100.000 Abrufen in den ersten 24 Stunden. Darin auch erfasst: diejenigen Nutzer, die den Podcast zwar abonniert haben, aber weder hören noch schauen.

Auf YouTube erreichen die Folgen des Merkel-Podcasts jeweils zwischen 1.000 und 1.500 Menschen, was auch im Bundespresseamt nicht als Erfolg gelten dürfte. Seit April landen die Videos des Kanzlerinnen-Podcasts nun auch auf Facebook und Instagram - angeblich das bevorzugte soziale Netzwerk der Kanzlerin. Auf Instagram werden die Podcasts rund 50.000 mal aufgerufen. Auf Facebook kratzen erfolgreiche Videos auch mal an der 100.000er-Marke.

Es folgt also einer gewissen Logik, dass sich das Bundespresseamt mehr den sozialen Netzwerken zuwendet. Doch wie sinnvoll war das Geld für den Podcast in den vergangenen zwölf Jahren, als er weder auf Instagram noch auf Facebook landete?

Wer steckt hinter der Evisco AG?

Den Zuschlag für die Produktion des Merkel-Podcasts erhielt bislang jedes Jahr die Evisco AG aus München – mit Ausnahme des Jahres 2008: Damals gewann die Orgeldinger Media-Group GmbH die Produktion.

Bei der Evisco AG handelt es sich um eine Medienagentur aus München. Als nicht an der Börse gehandelte Aktiengesellschaft muss sie öffentlich nichts über ihre Eigentümer bekanntgeben. Die Datenbank Orbis, ein privates Auskunftssystem für Unternehmensinformationen, listet für Ende 2016 drei Anteilseigner auf: Die beiden Vorstände der Firma und den bekannten Münchner Unternehmensberater Roland Berger.

Auflistung der Anteilseigner der Evisco AG, basierend auf den Daten des Auskunftssystems Orbis. Roland Berger hat seine Anteile inzwischen verkauft. © © 2020 BuzzFeed
Liste der im Handelsregister hinterlegten Aufsichtsratsmitglieder der Evisco AG. Mittlerweile ist Burkhard Schwenker nicht mehr Mitglied des Aufsichtsrats. Seinen Posten hat seit 2017 Florian Wurm eingenommen. © BuzzFeed News

Ende 2016 gehörten laut „Orbis“ 50 Prozent der Evisco-Aktien dem Münchner Unternehmensberater Roland Berger, 40 Prozent dem Vorstand Jürgen Hausmann und die restlichen 10 Prozent dem anderen Vorstand Götz Schulz-Temmel.

Nachdem die Evisco AG im Jahr 2008 die Produktion des Kanzlerinnen-Podcasts an eine andere Firma verloren hatte, gewinnt sie seit 2009 wieder alle Ausschreibungen. Im gleichen Jahr wird ihr Stammkapital laut Handelsregister von 100.000 Euro auf 300.000 Euro erhöht – das Sechsfache des für eine AG nötigen Mindestkapitals.

Auf Anfrage von BuzzFeed News ließ Roland Berger ausrichten, er besitze mittlerweile keine Aktien der Evisco AG mehr. Wie groß seine Anteile an dem Unternehmen waren und wann er diese abgestoßen hat, will sein Büro auch auf mehrfache Nachfrage nicht beantworten.

Die Köpfe hinter der Evisco AG sind laut „Orbis“ – zumindest bis Ende 2016 – diese:

- Vorstand Jürgen Andreas Hausmann: Er ist verheiratet mit Constanze, der Tochter von Edmund Stoiber. Vor Evisco hat Hausmann bei der Unternehmensberatung Roland Berger gearbeitet. Ihm gehörten laut Orbis 40 Prozent der Evisco-Aktien.

- Vorstand Götz Schulz-Temmel: Er hat ebenfalls vor Evisco bei Roland Berger gearbeitet. Ihm gehörten laut Orbis 10 Prozent der Evisco-Aktien.

- Aufsichtsrat Martin Imbeck: Imbeck hat eine Anwaltskanzlei, in der Constanze Hausmann arbeitet – die Frau von Vorstand Jürgen Hausmann und Tochter Edmund Stoibers. Auch Stoibers zweite Tochter hat hier gearbeitet.

- Aufsichtsrat Christian Rockstroh: Rockstroh ist Partner bei der Schweizer Vermögensverwaltung „Swisspartners“ (siehe unten). In seinem Xing-Profil bietet er „kreative rechtlich und steuerlich abgesicherte (...) Vermögensstrukturierung (...) für internationale Privatkunden und ihre Familien“ an.

- Aufsichtsrat Burkhard Schwenker: Schwenker wurde nach dem Rückzug des Gründers Roland Berger Chef der gleichnamigen Unternehmensberatung. Burkhard Schwenker hat sein Aufsichtsratsmandat zwischenzeitlich niedergelegt, sein Nachfolger wurde der Steueranwalt Florian Wurm.

Und so zeichnet sich ein Geflecht aus Bekanntschaften, Verwandtschaften und geschäftlichen Beziehungen, in das seit 2006 auch das Geld des Bundespresseamts fließt.

BuzzFeed.de © Verbindungen der Evisco AG zwischen 2009 und 2016. Grafik: BuzzFeed News / Paul E. Schallmo / Via BuzzFeed News

Sowohl der FC Bayern München als auch der bekannte Unternehmensberater Roland Berger sind Teil dieses Geflechts. Denn die Evisco AG produziert auch „FCBayern.tv“, den offiziellen Web-Fernsehsender des Fußballriesen, der unter anderem über die Telekom vermarktet wird.

Edmund Stoiber wiederum, Schwiegervater des Evisco-Vorstands Hausmann, ist Vorsitzender des Aufsichtsrats der FC Bayern AG und des Verwaltungsbeirats des FC Bayern e.V. Ebenfalls im Verwaltungsbeirat des FC Bayern saß: Roland Berger.

Bei Roland Berger wiederum haben zuvor beide Vorstände der Evisco AG gearbeitet. Zudem machte Berger nach seinem Rückzug aus dem Tagesgeschäft Burkhard Schwenker zum Chef seiner Unternehmensberatung. Schwenker wiederum war damals Aufsichtsrat der Evisco AG.

Roland Berger gehörte laut Orbis-Datenbank zumindest bis Ende 2016 die Hälfte der Evisco-Aktien. Geld, das in die Firma floss, machte damit auch seine Anteile wertvoller. Besonders fragwürdig wäre diese Konstruktion gewesen, hätte Roland Berger oder eine seiner Firmen auch die Kanzlerin oder das Bundespresseamt beraten. BuzzFeed News hat das Bundespresseamt hiernach gefragt. Ein Sprecher antwortete schriftlich: „Solche Beratungen der Bundeskanzlerin hat es nicht gegeben.“ Man könne für das Bundespresseamt „keine Aufträge an Herrn Roland Berger bestätigen“, weder persönlich noch über mit Roland Berger verbundene Unternehmen.

Interessant ist auch der Arbeitgeber des zweiten der drei Evisco-Aufsichtsräte, von Christian Walter Rockstroh. Rockstroh ist Partner bei der Schweizer Vermögensverwaltung Swisspartners. Swisspartners besteht aus neun Tochterfirmen: sechs sitzen in der Schweiz, zwei in Liechtenstein und eine auf den Cayman Islands. 2014 ermittelte die Abteilung „Criminal Investigations“ des US-Justizministeriums gegen Swisspartners wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung (genauer: gegen swisspartners Investment Network AG, swisspartners Wealth Management AG, swisspartners Insurance Company SPC Ltd., und swisspartners Versicherung AG). Gegen eine Zahlung von 4,4 Millionen Dollar und die Übergabe von Daten zu 110 Kunden wurden die Ermittlungen eingestellt.

Der dritte Aufsichtsrat, Martin Imbeck, betreibt in München eine Rechtsanwaltskanzlei und fiel hier nicht nur als Arbeitgeber für beide Töchter von Edmund Stoiber auf, sondern laut Orbis-Datenbank auch mit Verbindungen zu einem Netzwerk aus Dutzenden Beteiligungs- und Verwaltungsfirmen.

Weder Martin Imbeck noch Christian Rockstroh oder Edmund Stoiber antworteten auf Fragen von BuzzFeed News. Die Vorstände Jürgen Hausmann und Götz Schulz-Temmel antworten gemeinsam: in einer knappen Mail heißt es, ihre Firma vermarkte „ihre Leistungen in einem kompetitiven Umfeld mit Erfolg, der seine Ursache in der Qualität unserer Arbeit hat“. Nachfragen von BuzzFeed News wurden nicht mehr beantwortet.

In dieses Netzwerk ist seit 2006 mehr als eine Million Euro an Steuergeld geflossen.

Teil 2:

Journalisten finden, die Kanzlerin spricht zu wenig mit der Presse. Ihre Auftritte in sozialen Netzwerken aber nehmen stetig zu.

Journalistinnen und Journalisten bemängeln seit Jahren, es sei nahezu unmöglich, ein Interview mit der Bundeskanzlerin zu bekommen. Gleichzeitig macht das Kanzleramt reichlich staatliche Öffentlichkeitsarbeit – und die wird immer mehr. Der Etat des Bundespresseamtes ist in nur fünf Jahren um 150% Prozent gewachsen: auf nun 100 Millionen Euro jährlich.

Die Frage, was die Bundesregierung im Netz so treibt, war 2013 schon eimal aktuell. Damals wollte die Kanzlerin Live-Video-Gespräche mit Bürgern übertragen und nutzte die Plattform „Google Hangout“ für Video-Streams. Dagegen regte sich Widerstand. Manche argumentierten, das sei Rundfunk und der ist dem Staat verboten (mehr dazu unten). Die zuständigen Landesmedienanstalten aber winkten die Idee damals durch. Erst kürzlich, und damit fünf Jahre später, brachte Jan Böhmermann die Frage in seiner Sendung „Neo Magazin Royal“ wieder auf den Tisch.

„Wie komme ich denn (...) an ein Interview mit Frau Merkel? Gar nicht, ist die Antwort. Aber ich darf Videos gucken.“

Unter dem Titel „Dürfen die das?“ wurde all das in diesem Jahr dann auch auf der Konferenz „re:publica“ diskutiert. Die Moderatorin des Panels sagte dort, sie habe in der Vorbereitung von einem Journalisten zu hören bekommen: „Ich sehe Frau Merkel öfter im Internet als in der Bundespressekonferenz.“ Und Nicola Balkenhol, die die Multimedia-Abteilung beim Deutschlandfunk leitet, schlug in die gleiche Kerbe: Es sei schon so, „dass Frau Merkel dem Deutschlandfunk nicht für Interviews zur Verfügung steht, während das Ministerinnen und Minister schon tun. Wie komme ich denn als Journalistin an ein Interview mit Frau Merkel? Gar nicht, ist die Antwort. Aber ich darf Videos gucken.“

BuzzFeed News hat das Bundespresseamt gebeten, die Anzahl der Interviewanfragen und der geführten Interviews der Bundeskanzlerin in den vergangenen Jahren aufzuschlüsseln. Im Jahr 2016 soll die Kanzlerin 42 Interviews gegeben haben, im Wahljahr 2017 mit insgesamt 80 Interviews laut Bundespresseamt fast doppelt so viele. Die Summe der Anfragen konnte man nicht benennen; auch Zahlen für die Jahre vor 2016 lagen nicht vor.

Dass die Kanzlerin in einem Wahljahr mehr als doppelt so viele Interviews gibt, ist möglicherweise nicht ganz unkritisch. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 1977 ziemlich deutlich klargestellt, dass Verfassungsorgane keinen Einfluss auf Wahlen nehmen dürfen. Das Bundespresseamt sagt hierzu: „Es besteht keine Diskrepanz; die Praxis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.“

BuzzFeed News hat daraufhin auch ausgewertet, wie viele Beiträge das Bundespresseamt in den vergangenen beiden Jahren in den verschiedenen sozialen Netzwerken veröffentlicht hat:

Die Anzahl der Posts, Videos und Fotos auf den Profilen des Bundespresseamts haben wir mit „Crowdtangle Investigate“ ausgewertet. Informationen über die Anzahl der Interviews stammen vom Bundespresseamt. © BuzzFeed News

Teil 3:

Der Podcast der Bundeskanzlerin zeigt: die alten Rundfunk-Gesetze passen nicht mehr zum Internet-Zeitalter. Und die Bundesregierung nutzt mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit geschickt eine Lücke aus.

Aus dem Bundespresseamt kommen zwei regelmäßige Formate: der Kanzlerinnen-Podcast „Die Kanzlerin direkt“ und ein Format namens „Live aus dem Kanzleramt“.

Livestreams im Internet sind nach den Vorgaben des „Rundfunkstaatsvertrags“ dann Rundfunk, wenn sie an einem Sendeplan orientiert und journalistisch-redaktionell gestaltet sind. Soweit die Theorie. In der Praxis sind sich Rundfunkrechtler und Landesmedienanstalten nicht wirklich einig, was genau das bedeutet. Über Einzelheiten und die genaue gesetzliche Herleitung gibt es Diskussionen - zuletzt, als die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen einige Gamer zu einer Lizenz verpflichtete.

Ein Sendeplan beispielsweise ist dann gegeben, wenn der Stream regelmäßig erfolgt und zeitlich planbar ist, also ein Programmschema existiert. Von einer redaktionellen Gestaltung spricht man, wenn Themen und Inhalte vorab redaktionell bearbeitet und aufbereitet werden. Publizistische Relevanz ist dann gegeben, wenn ein Stream die Meinung einer größeren Gruppe von Menschen beeinflussen könnte.

Auf die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeskanzlerin trifft vieles davon zu: Der Podcast erscheint immer samstags (was manche Juristen schon als Sendeplan ansehen), es gibt ein Angebot "Live aus dem Kanzleramt", die Inhalte werden vorab redaktionell erarbeitet - und sie können beeinflussen, wie Menschen über die Politik der Bundesregierung denken. Doch ist das in der Summe damit schon Rundfunk?

Live aus dem Kanzleramt? Das könnte Rundfunk sein - sagt Prof. Caroline Volkmann.

Caroline Volkmann, lange Justiziarin im ZDF und seit vergangenem Herbst Professorin für Informationsrecht an der Hochschule Darmstadt, hat weniger den Podcast im Blick. Das Angebot "Live aus dem Kanzleramt" allerdings wirft für sie schon Fragen auf:

„Die Rundfunkvoraussetzungen scheinen – soweit in gewisser Regelmäßigkeit live aus dem Bundeskanzleramt berichtet wird – meines Erachtens erfüllt zu sein“, sagt sie. „Denn schon alleine die Auswahl der Themen, die live gesendet werden, sind als redaktionelle Tätigkeit zu werten. Die publizistische Relevanz des Livestreams der Bundeskanzlerin ist nach meinem Dafürhalten gegeben, da meist ein politisch-aktueller Kontext vorzuliegen scheint.“

„Eine Prüfung des Livestreams der Bundeskanzlerin wäre also angebracht.“

Einzig ob das Angebot einem Sendeplan folgt, ist für Caroline Volkmann nicht eindeutig. „Eine Prüfung des Livestreams der Bundeskanzlerin wäre angebracht, insbesondere auf die Regelmäßigkeit des Livestreams hin. Die Staatsferne des Rundfunks verbietet aber, dass die Bundeskanzlerin Rundfunk veranstaltet. Eine andere Frage ist die, ob den Videoangeboten der Kanzlerin, die nicht live erfolgen, neben rundfunkrechtlichen Grenzen in anderer Hinsicht Grenzen zu setzen sind.“

Volkmann nennt das Urteil zu den Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverfassungsgerichtes als die zweite Leitplanke für das, was die Bundesregierung im Netz tut. Doch auch dieses Urteil ist schon mehr als 40 Jahre alt. Die Richter konnten damals nicht vorhersehen, wie einfach viele Millionen Menschen in der gesamten Republik über soziale Netzwerke und das Smartphone zu erreichen sein würden.

Nein, das ist Öffentlichkeitsarbeit, sagt Prof. Hubertus Gersdorf.

Professor Hubertus Gersdorf, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig, ist sich dagegen ziemlich sicher: „Es handelt sich um (moderne) Öffentlichkeitsarbeit des Bundeskanzleramts und der Bundeskanzlerin – und zwar unabhängig davon, ob die audiovisuelle Öffentlichkeitsarbeit linear oder auf Abruf verbreitet wird.“

„Öffentlichkeitsarbeit des Staates ist nicht nur zulässig, sondern sogar unter dem Gesichtspunkt der Demokratie geboten.“

Bloß weil etwas Öffentlichkeitsarbeit ist, falle es nicht automatisch aus dem Rundfunkstaatsvertrag heraus. Natürlich, so Gersdorf bei einem Vortrag auf der diesjährigen re:publica, sei es so, dass der Staat weder im Rundfunk noch in der Presse etwas zu suchen habe. Doch könne auch eine Öffentlichkeitsarbeit, die nicht Rundfunk ist, eventuell lizenzpflichtig sein: als Telemedium – und eine Telemedienlizenz für den Staat wäre ebenso unzulässig. „Wenn die Prüfung ergibt, dass das, was der Staat macht, eigentlich ein Telemedium ist, was nicht linear verbreitet wird, aber auf Abruf im Internet zur Verfügung gestellt wird, dann müssten die Landesmedienanstalten hier eigentlich auch intervenieren. Wenn sie also sagen: Das ist ein unzulässiges Staatsmedium, dann müssten sie dagegen vorgehen – und dieses verbieten.“

Unterm Strich aber fällt für Hubertus Gersdorf das, was das Bundespresseamt veröffentlicht, unter die Öffentlichkeitsarbeit des Staates. Und die sei „nicht nur zulässig, sondern unter dem Gesichtspunkt der Demokratie sogar geboten. Die Demokratie möchte einen transparenten Staat. Der Staat soll für seine Position werben und auch nicht nur reagieren auf Kritik.“ Das Bundesverfassungsgericht habe einen informierenden Staat als Grundkonsens ausgemacht, der für eine Demokratie erforderlich sei. In diesem Sinne dürfe der Staat nicht nur informieren, er solle das sogar.

Die Frage stellt sich nicht, denn das ist Bundesrecht, sagt Prof. Kai von Lewinski.

Kai von Lewinski, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht an der Universität Passau, sagt hingegen: Die Frage, ob das Rundfunk ist oder nicht, führe zu nichts, denn der Rundfunkstaatsvertrag sei gar nicht anwendbar. Schließlich seien die Länder für das Rundfunkrecht zuständig und könnten das Bundespresseamt nicht mitregulieren.

„Das, was die Bundeskanzlerin macht, ist natürlich durch Bundesrecht geregelt oder wäre durch Bundesrecht zu regeln. Und das hat jedenfalls zur Folge, dass der Rundfunkstaatsvertrag als Recht der Bundesländer die politische Kommunikation von Bundesorganen gar nicht erfassen kann.

„Auf die Frage, ob die Kanzlerin eine Rundfunklizenz braucht, würde ich sagen: Nein. Das heißt aber noch nicht, dass die Kanzlerin alles darf.“

Ob das im Falle von Landespolitikern wie Ministerpräsidenten dann auch so gelte, sei eine andere Frage. „Auf die Frage aber, ob die Kanzlerin eine Rundfunklizenz braucht, würde ich sagen: Nein. Das heißt aber noch nicht, dass die Kanzlerin alles darf. Jetzt stellt sich die Frage: Was sind die Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit? Das Bundesverfassungsgericht ist da seit Jahrzehnten eisern und sagt: Nein, es braucht kein Gesetz, was das erlaubt.“

Dennoch seien natürlich rechtliche Kriterien anzuwenden: Sachlichkeit, Richtigkeit und Neutralität. Und vor allem auch das Transparenzgebot: Ein Medienakteur muss deutlich machen, ob er als Repräsentant des Staates spricht – oder als Parteipolitiker. „Also die staatliche Legitimation ist gleichzeitig auch eine Selbstlimitierung. Der Staat darf sich selbst darstellen und für seine Positionen werben – aber er darf nichts darüber hinaus. Unterhaltung darf er zum Beispiel nicht machen“, so Kai von Lewinski.

Auch die Frage, ob die Kanzlerin zu wenig mit Journalisten spricht, stellt sich dem Juristen nicht: „Das muss man, rein juristisch gesehen, für unproblematisch halten, da die Journalisten als Gatekeeper durch die technischen Entwicklungen der letzten 10 Jahre zunehmend überholt wurden. Die Funktion, die sie lange Zeit exklusiv hatten, ist so nicht mehr ungeteilt da, weil man sich heute als Sender direkt an die Rezipienten wenden kann. Und wenn die Bundesregierung sich dazu entscheidet, über Twitter, Facebook, YouTube und so weiter zu kommunizieren, dann ist das die freie Entscheidung des jeweiligen Verfassungsorgans.“

Dass man eine Privilegierung von Journalisten in Form von Presseterminen, Hintergrundgesprächen und ähnlichem, nicht mehr fortführe, sei juristisch gesehen nicht zu beanstanden. Zwar habe man 150 Jahre lang Journalisten benötigt, um die große Öffentlichkeit zu erreichen. Daraus sei aber kein Rechtsanspruch erwachsen. Und durch den Medienwandel brauche man Journalisten zunehmend weniger – zumindest für eine funktionierende Kommunikationsbeziehung zwischen den politischen Akteuren und dem Souverän, dem Volk. „Rein demokratietheoretisch könnte man durchaus sagen: Je direkter der Kontakt zwischen politischen Organen und dem Souverän ist, desto besser“, so von Lewinski.

Fazit:

Wenn das Gesetz der Realität hinterherhinkt...

Richter und Behörden sind an Recht und Gesetz gebunden. Und hier liegt die Herausforderung. Denn der Rundfunkbegriff passt für vieles von dem, was wir heute kennen, nicht mehr.

Die Bundesregierung darf sich – juristisch gesehen – im Netz verbreiten, auf Facebook, Twitter, Instagram oder YouTube. Doch wie oft, wie umfangreich, wie überhaupt: all das ist unreguliert. Und dagegen regt sich Widerstand, auch wirtschaftlich: „Mit all dem nagt die öffentliche Hand an den Lebensgrundlagen der freien Medien. Je mehr sich der Staat selbst darstellt, desto geringer ist die Notwendigkeit, sich durch die Medien darstellen zu lassen“, fasst Prof. Hubertus Gersdorf 2016 in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht AfP das Dilemma zusammen.

„Bisher hat die Gesellschaft das hingenommen...“

Thomas Fuchs, der Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, forderte auf der re:publica, das Thema nun nicht länger zu ignorieren: „Die Debatte über das Thema ist wichtig. Bisher hat die Gesellschaft das hingenommen, was da passiert, teilweise auch Gutes passiert. Und jetzt müssen wir darüber reden: Ist das in dem Ausmaß und in dieser Intensität richtig?“

Fuchs sagte, der von 40 Millionen auf 100 Millionen gestiegene Etat des Bundespresseamts sei „ein gutes Beispiel dafür, in welcher Lage wir sind. Wir haben eine große Akzeptanz dafür, dass es keine Staatspresse und keinen Staatsrundfunk gibt. Und es gibt ein sehr breites, unreguliertes Tätigwerden im Netz. (...) Aber was kein Mensch weiß, weil es bisher niemand definiert hat: Gibt es da eigentlich irgendeine Grenze?

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