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Nachspiel bei G20: Was hat die Polizei mit den Handys gemacht?

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Berliner Polizisten halten in Mecklenburg-Vorpommern einen Reisebus an, eskortieren ihn bis nach Brandenburg, durchsuchen dort alle Insassen und kontrollieren Handys. Jetzt wird wegen Körperverletzung und Beleidigung gegen die Polizisten ermittelt.

Sonntagmittag, 13 Uhr. Ein Reisebus fährt von Hamburg nach Berlin, darin: Mitglieder der Hochschulgruppen von Linkspartei und Grünen, die in Hamburg bei G20 demonstriert hatten. Der Bus hält an der Raststätte Stolpe Süd in Mecklenburg-Vorpommern. Bis hierhin langweilig – ab hier nicht mehr.

Denn Berliner Polizisten halten den Bus dort an, obwohl sie sich als Berliner Beamte gerade auf fremdem Hoheitsgebiet befinden. Ein Amtshilfeersuchen oder eine anderweitige Anforderung, die für einen solchen Einsatz nötig gewesen wären, gab es nicht, bestätigt ein Sprecher des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern auf Anfrage von BuzzFeed News. Allerdings sei von der "BAO Michel" – so nennt sich der Gesamteinsatz zu G20 im Polizeisprech – der Hinweis gekommen, dass da ein Reisebus unterwegs sei, den die Polizei Mecklenburg-Vorpommern doch mal kontrollieren sollten.

Die Fahrgäste des Busses - manche auf Toilette, andere in der Raststätte - wurden ziemlich rabiat eingesammelt und zurück in den Bus gebracht. Lucas Kannenberg, Bundessprecher der Linksjugend, berichtet im rbb, ein Beamter habe ihm das Handy aus der Hand geschlagen, als er einen Anwalt anrufen will. Caspar Schumacher vom Landesvorstand der Grünen Jugend Berlin erzählt, er sei am Hals gepackt worden, habe Schläge auf den Rücken bekommen und sei mit den Worten "Lauf weiter, du Fotze!" an den Haaren aus der Tankstelle gezogen worden.

Beamten aus Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls treffen den Bus schon nicht mehr an, so der Sprecher des dortigen Innenministeriums. Offenbar hatten es die Berliner Polizisten irgendwie eilig. Sie eskortierten die Berliner den Bus nach Brandenburg. Ein Mannschaftswagen davor, drei dahinter. Als zwischendurch ein Stau auftaucht sogar mit Blaulicht und Sirene. So beschreiben es Menschen, die in dem Bus saßen.

Am Rastplatz Stolpener Heide – in Brandenburg und immer noch nicht auf Berliner Hoheitsgebiet – kommt dann die Ansage an die Insassen im Bus: alle sollen einzeln raus, Personalien aufnehmen und alle Gegenstände zur Kontrolle abgeben. Sollte das nicht freiwillig geschehen, würde unmittelbarer Zwang angewendet. Wer damit nicht einverstanden sei, könne die Zulässigkeit dieser Maßnahme später gerichtlich überprüfen lassen. So steht es im Gedächtnisprotokoll eines der Insassen, das BuzzFeed News vorliegt.

Warum hat die Polizei den Fahrgästen die Handys abgenommen?

Draußen, so die Beschreibungen der Businsassen, durchsuchen Beamte dann das Gepäck, tasten die Personen ab, fotografieren Personalausweise. Manchen wird das Mobiltelefon abgenommen – wie vielen, darüber gehen die Schilderungen auseinander. Die Handys seien in einem Transporter verschwunden und fünf bis zehn Minuten später ihren Besitzern zurückgegeben worden. Was in dieser Zeit mit den Telefonen passiert, ist unklar. Fest steht nur, dass die Besitzer sie eine geraume Zeit nicht im Blick hatten. Und dass sie vorher weder aufgefordert wurden, die Geräte anzuschalten, noch, sie zu entsperren.

"Es ist zumindest denkbar, dass die Handys mit spezieller Forensik-Software ausgelesen wurden", sagt André Meister, Experte für digitale Freiheitsrechte bei netzpolitik.org. "Oder die Beamten haben die IMEI und IMSI-Nummer ausgelesen", sagt Meister, also die Gerätenummer des Handys und die Nummer der eingelegten SIM-Karte. "Die könnten dann mit Daten abgeglichen werden, die man schon vorliegen hat - um eventuell nachzuvollziehen, ob jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem Ort war, an dem es zu Straftaten kam."

Ausgelesene Daten könnten dabei Nachrichten, Telefonlisten, Bewegungsdaten aber auch Fotos und Videos umfassen. Um IMEI- und IMSI-Nummer des Handys aber begangenen Stratftaten zuordnen zu können, müsste zuvor eine Funkzellenabfrage stattgefunden haben. Mit einer solchen werden alle Handys registriert und verfolgt, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle befinden. Den Verdacht, dass das während G20 geschehen sein könnte, gab es schon am Donnerstag.

Die Polizei sieht das anders

Bei der Berliner Polizei sieht man den gesamten Vorgang allerdings anders.

Erstens: die Handys. Man habe gar keine Einsicht in die Handys genommen, und auch keine Daten daraus gesichert, schreibt eine Sprecherin per E-Mail auf Anfrage von BuzzFeed News. "In einem Fall konnten Einsatzkräfte lediglich im Display eines nicht zuzuordnenden Mobiltelefons die Nachricht „wir werden alle kontrolliert“ feststellen." Dieses Handy sei als Fundsache behandelt worden. "In wenigen Einzelfällen wurde kurzzeitig die Nutzung eigener Mobiltelefone untersagt, um die polizeilichen Maßnahmen nicht zu gefährden", so die Sprecherin weiter.

Die Drohung eines Beamten, wie sie sich im Gedächtnisprotokoll eines der Insassen findet, kenne man nicht: "Der Wortlaut, auf den Bezug genommen wird, ist hier nicht bekannt. Somit folgt auch keine Kommentierung dessen."

Außerdem erfolge das Abgeben von Handys ja freiwillig, sagte Winfrid Wenzel von der Berliner Polizei telefonisch auf Anfrage – und widerspricht damit den Schilderungen der Fahrgäste. Er könne zwar verstehen, dass ein Beamter in voller Montur und mit entsprechender Wortwahl einen anderen Eindruck vermittelt, aber eine Pflicht sei das nicht.

Zweitens: die Kontrolle selbst. Dass man den Bus samt Insassen überhaupt schon in Mecklenburg-Vorpommern übernommen habe, sei purer Zufall gewesen. Man habe Meldungen über verdächtige Busse gehabt, die Einsatzhundertschaft aus Berlin war zufällig gerade auf dem gleichen Rastplatz – also habe man die Chance genutzt. Es sei darum gegangen, die Personalien möglicher Zeugen von Straftaten festzustellen. Das aber nicht nur wegen G20, sondern auch zur Vorbeugung: "Die erhobenen Daten sollen sodann zum einen der weiteren Strafverfolgung zu den in Hamburg anhängigen Verfahren im Zusammenhang mit den gewalttätigen Ausschreitungen mit Bezug zum G20-Gipfel, zum anderen aber auch der Vorbeugung von Straftaten von erheblicher Bedeutung aus dem Phänomenbereich der PMK-links (das heißt: politisch-motivierten Kriminalität) dienlich sein."

Drittens schließlich: die Frage, ob das alles zulässig war. Klar, sagt die Polizei Berlin. Der §163 der Strafprozessordnung, der die Personalienfeststellung von Zeugen regelt, gelte immerhin bundesweit. Ein Amtshilfeersuchen sei dafür nicht erforderlich.

An der Kontrollstelle in Brandenburg seien die Insassen dann zwar auch kontrolliert worden, aber: man habe "nicht alle Gegenstände in diesem Zusammenhang abgenommen, sondern ausschließlich Vermummungsutensilien und Schutzbewaffnung wurden sichergestellt. Die Durchsuchungen von Fahrgästen erfolgten darüber hinaus auf der Grundlage des Gefahrenabwehrrechts zur Eigensicherung der eingesetzten Polizeikräfte und zur Verhinderung der Begehung weiterer schwerer Straftaten wie sie zuvor in Hamburg festgestellt worden waren." Die Insassen erinnern sich daran ein wenig anders: Rucksäcke, Isomatten, sogar Schlafsäcke seien durchsucht worden - sogar in Abwesenheit der Besitzer.

Politik und Datenschützer wollen Fragen stellen

Hakas Taș, innenpolitischer Sprecher der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, war während der Kontrolle auf dem Rastplatz vor Ort - und will die Sache nicht auf sich beruhen lassen. „Die Polizei sagte mir, dass keine Daten aus den Mobiltelefonen ausgelesen wurden, aber man kann da nicht sicher sein. Außerdem sehe ich für das Konfiszieren der Mobiltelefone zum jetzigen Zeitpunkt keine rechtliche Grundlage.“ Und er fügt hinzu: „Warum die Berliner Polizei ohne Amtshilfeersuchen außerhalb unserer Landesgrenzen tätig wird, ohne bisher eine vermeintliche Gefahrenabwehr nachvollziehbar nachgewiesen zu haben, ist merkwürdig.“ Taș hat zu dem Vorfall eine schriftliche Anfrage an den Berliner Senat gerichtet, die BuzzFeed News vorliegt.

Ob der gesamte Vorgang tatsächlich so harmonisch ablief, wie die Polizei es beschreibt, wird jetzt untersucht. Ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Körperverletzung im Amt und Beleidigung wurde bereits eingeleitet – von Amts wegen, also ohne, dass jemand der Betroffenen das mit einer Anzeige in die Wege geleitet hätte.

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