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Grüne und Linke fordern ein Ende der EU-Zusammenarbeit mit Libyen

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BuzzFeed News hatte vergangene Woche einen geheimen EU-Bericht veröffentlicht, der starke Zweifel an der Partnerschaft mit Libyen aufgeworfen hatte.

Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken fordern ein Ende der EU-Zusammenarbeit mit Libyen. Damit reagieren die beiden Parteien auf einen geheimen Bericht der EU, den BuzzFeed News vergangene Woche in voller Länge veröffentlicht hatte.

Ein Angehöriger der libyschen Küstenwache bewacht am 27. Juni 2017 auf einem Boot 147 Migranten, die auf dem Mittelmeer auf der Flucht nach Europa aufgegriffen wurden. © Taha Jawashi - AFP / Getty Images

„Die Bundesregierung und die EU sind sich der Verbrechen der libyschen Küstenwache bewusst. Sie nehmen Leid und Tod jedoch billigend in Kauf, um Flüchtende aus Europa fernzuhalten“, schreibt Michel Brandt, Obmann der Linken im Menschenrechtsausschuss, auf Anfrage von BuzzFeed News. „Das ist unmenschlich und muss aufhören!“

Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, kritisiert, dass die EU eine Aufrüstung in Libyen betreibe, „die einzig und allein an der Frage der Migrationskontrolle ausgerichtet ist“. Die Politik der EU führe nicht nur „zu einem aufgeblähten und kaum kontrollierbaren Sicherheitsapparat“, so Amtsberg auf Anfrage von BuzzFeed News. Die EU paktiere auch noch mit den nichtstaatlichen Milizen Libyens. „Das schwächt demokratische Ansätze. Und es zementiert die Macht der Akteure, die jenseits von Recht und Gesetz agieren.“

Linke: „Libyen verstößt brutal gegen das Völkerrecht“

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BuzzFeed.de © (c) Michel Brandt / Sebastian Reich

„Die sogenannte libysche Küstenwache verstößt immer wieder brutal gegen das Völkerrecht, vor allem gegen Menschenrechte und das Seerecht“, so der Menschenrechts-Obmann der Linken, Michel Brandt, weiter. „Dennoch wird sie von der Bundesregierung und der EU weiter unterstützt. Menschen werden durch die libysche Küstenwache an der Flucht gehindert und zurück nach Libyen gebracht, wo sie inhaftiert, erpresst, misshandelt, gefoltert und getötet werden. Augenzeugenberichten zufolge werden Flüchtende von der libyschen Küstenwache geschlagen, mit Waffen bedroht und sogar von Bord geworfen.“

Die Bundesregierung und die EU verfolgten das Ziel, sämtliche Seenotrettungen an Italien und Libyen zu übertragen, so Brandt. Beide nähmen daher die Zustände nicht nur in Kauf, sondern unterstützten sie auch noch.

„DIE LINKE fordert die umgehende Beendigung der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache“, sagte Brandt. Außerdem fordert die Linke von der Bundesregierung, Mittel für eine zivile Seenotrettungsmission im Mittelmeer bereitzustellen.

Grüne: „Libyen ist ein zerfallener Staat“

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BuzzFeed.de © Luise Amtsberg / Christine Hahn

„Libyen ist derzeit – und vermutlich auch bis auf weiteres – ein zerfallener Staat“, schreibt Grünen-Politikerin Amtsberg. „Die international anerkannte Regierung unter Mustafa al Sarradsch kontrolliert nur einen kleinen Teil des Landes um Tripolis herum. Leidtragende dieser Situation sind die Hunderttausenden von Flüchtlingen und Migrant*innen, die in Libyen wie in einer Sackgasse gelandet sind.“

Die EU stünde nun in der Pflicht, sich in Libyen am Aufbau demokratischer und rechtstaatlicher Strukturen zu beteiligen – schließlich seien Frankreich und Großbritannien am gewaltsamen Sturz des Gaddafi-Regimes beteiligt gewesen. Die aktuelle Politik überlasse die in Libyen „gestrandeten Schutzsuchenden ihrem Schicksal, welches dann entweder im Schlauchboot auf dem Mittelmeer oder in libyschen Foltergefängnissen oder Sklavenmärkten endet.“

Kein Kommentar von Union, FDP und AfD

Die Unionsfraktion wollte den Bericht nicht kommentieren, da dessen Echtheit bislang nicht bestätigt sei. BuzzFeed News hat den Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS), von dem der Bericht erstellt wurde, um eine solche Bestätigung gebeten. Der EEAS erklärte, geleakte Dokumente würden grundsätzlich weder kommentiert noch bestätigt.

Die SPD-Fraktion lehnte einen Kommentar ab: aus terminlichen Gründen, wie es hieß.

Die FDP-Fraktion teilte mit, man sei nicht in der Lage, in der zur Verfügung stehenden Zeitspanne von fünf Tagen auf die Fragen zu antworten.

Die AfD-Fraktion antwortete auf die Anfrage von BuzzFeed News nicht.

Zwischenzeitlich landete das Thema auch auf der Plattform „abgeordnetenwatch.de“: Die Abgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke), Gregor Gysi (Die Linke), Petra Pau (Die Linke), Fabio de Masi (Die Linke), Thomas Oppermann (SPD) und Katja Leikert (CDU) erhielten dort eine entsprechende Anfrage. Sie wurden unter anderem gebeten, zu erklären, ob das Thema im Bundestag behandelt werden wird und welche Maßnahmen die jeweilige Fraktion gegen die aktuellen Zustände unternehmen möchte. Bislang hat lediglich Linken-Politiker Fabio de Masi geantwortet: Er gehe davon aus, dass seine zuständigen Kolleginnen den Bericht thematisieren werden.

In dem vergangene Woche hier veröffentlichten Bericht schrieb die EU, dass Libyen im Moment nicht in der Lage ist, angemessen auf Flüchtlingsbewegungen über das Mittelmeer zu reagieren. Die Boote der libyschen Küstenwache seien nur eingeschränkt einsatzbereit. Es komme häufig zu Stromausfällen und mangele an Treibstoff. Da nur wenige Mitglieder der libyschen Küstenwache oder Marine englisch sprechen, sei die Verständigung schwierig. Berichte über Einsätze der libyschen Kräfte erreichten die EU nur äußerst unzuverlässig.

Ein Bericht des Auswärtigen Amtes, den das Portal „Frag den Staat“ im Rahmen einer Informationsfreiheitsanfrage kürzlich ebenfalls veröffentlicht hat, spricht außerdem von „KZ-ähnlichen Verhältnissen“ in libyschen Flüchtlingslagern sowie von Menschenhandel und Folter.

2017 hatten die EU-Mitglieder vereinbart, Libyen mit Ausstattung und Ausbildung für die Küstenwache zu unterstützen. Die soll im Gegenzug Menschen davon abhalten, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen. Dem Bericht zufolge griff die libysche Küstenwache im Jahr 2017 insgesamt 20.000 Menschen auf – zivile Nichtregierungsorganisationen retteten in dieser Zeit mehr als 46.000 Menschen.

Den gesamten Bericht sowie eine Zusammenfassung der darin kritisierten Punkte haben wir hier veröffentlicht.

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