K.O.-Tropfen: Wie die Politik die Vergewaltigungsdroge GBL ignoriert

    K.O.-Tropfen sind in Deutschland nicht verboten, obwohl es hunderte Opfer gibt. Amtliche Statistiken zu GBL und GHB taugen wenig – und so haben die Behörden keine Ahnung, wie groß das Problem ist.

    Ein Gebüsch. Zwei Männer im Dunkeln, verschwommen. Einer liegt auf ihr, obwohl sie das nicht will. Einer steht daneben. Ihr heruntergezogener Slip. Reste von Erinnerungen, Bruchstücke. So endet am 19. April 2013 eine Münchner Partynacht für Nina Fuchs, die damals 30 Jahre alt ist.

    Am frühen Abend ist Fuchs mit einem Freund essen gewesen. Der Freund geht später nach Hause. Fuchs hat am nächsten Tag frei und zieht noch weiter, in einen Club, die Bar 089. Das letzte, an das sie sich erinnert, ist eine Gruppe neuer Leute, denen sie vorgestellt wird. Ab da ist Blackout.

    „Wie ich mir das so ausgerechnet habe, waren das zwei Stunden. Und die sind komplett gelöscht“, sagt Nina Fuchs. Es ist Ende April 2019, Fuchs trifft sich in einem Restaurant nahe der Theresienwiese mit BuzzFeed News Deutschland und trinkt Limonade. „In sechs Jahren kam nicht ein einziges Bild, nicht eine einzige Erinnerung zurück von diesen zwei Stunden. Die sind einfach weg.“

    Sie kann sich nicht erinnern, wie sie in das Gebüsch gelangt ist, wer die Männer sind oder wie sie von dort erst zu einer Freundin und dann nach Hause gekommen ist. Sie hat an diesem Abend Alkohol getrunken, aber der Freund, mit dem sie Essen war, sagt später, sie sei höchstens angetrunken gewesen, sei kerzengerade gegangen. „In meiner Erinnerung bin ich kurz vorm Koma“, sagt Fuchs. „Ich hab nur noch so Ausschnitte, Fetzen und einen Teil der Geschichte wusste ich gar nicht mehr.“

    Nina Fuchs geht gerne feiern zu dieser Zeit. Sie weiß, wie sich ein Alkoholrausch anfühlt und wann man aufhören sollte. Und sie sagt: Was ihr in dieser Nacht passiert ist, sei anders gewesen. „Ich habe schon gemerkt: irgendwas ist komisch und anders“, sagt sie. „Aber ich konnte es mir halt nicht erklären.“ Ihre Schwester bringt sie am nächsten Tag zur Polizei. Da ist Nina Fuchs sich sicher: Jemand hat sie mit K.O.-Tropfen betäubt und vergewaltigt.

    Über diese Recherche sprechen wir auch in unserem Podcast „Unterm Radar“. Dort berichten Reporterinnen und Reporter, wie sie recherchiert haben. Hier kann man den Podcast hören und abonnieren.

    Keine Zahlen, kein Problem?

    Recherchen von BuzzFeed News zeigen, dass womöglich viel mehr Menschen das Schicksal von Nina Fuchs teilen, als bislang bekannt. Denn die amtlichen Statistiken erfasst das Problem nur unzureichend. Die Politik könnte Vergewaltigungen mit K.O.-Tropfen mit einfachen Maßnahmen stärker bekämpfen – und tut es nicht.

    Ausgangspunkt dieser Recherche ist ein riesiges Fragezeichen. Denn wie viele Menschen Opfer von K.O.-Tropfen werden, das ist auch heute noch unklar. BuzzFeed News hat alle Innenbehörden in Deutschland gefragt, wie viele Straftaten sie mit K.O.-Tropfen registriert haben. Die ernüchternde Antwort: Man weiß es nicht.

    Der Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums ruft an und sagt, man könne zu all dem gar keine Infos geben. Aus Bayern heißt es, man führe „aufgrund der geringen Bedeutung dieser Droge keine eigene Statistik“. Hamburg kann keine Auskunft zu Statistiken geben, da man „auf ein neues polizeiliches Datensystem“ zur Erfassung umgestellt habe – ein großes Problem sei das jedoch nie gewesen. Auch Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt erfassen Delikte mit den Stoffen GBL und GHB nicht gesondert. Andere Behörden erheben zwar Zahlen, tun das aber vollkommen uneinheitlich.

    Eine Auswertung von BuzzFeed News zeigt: Die Behörden erfassen das Problem nicht.

    BuzzFeed News / Quellen: BKA, Zoll, Innenministerien der Länder

    Unsere Auswertung zeigt: Manche Behörden erfassen die Anzahl der Fälle und der Täter. Andere Milliliter, Gramm oder die Stückzahl von Röhrchen. Wieder andere zählen aus, wie viele Gutachten und Proben am jeweiligen Kriminaltechnischen Institut positiv waren.

    Einen einheitlichen Nenner gibt es nicht. Und damit gibt es auch keine Vergleichbarkeit, keine Statistik, keine Klarheit über die Größe des Problems – und damit auch kein Problembewusstsein.

    Ein Vorfall aus Bayern zeigt, dass es sich durchaus lohnen könnte, genauer hinzuschauen. Wie der Bayerische Rundfunk berichtete fielen den Behörden dort im Oktober und November 2018 innerhalb von nur zwei Monaten mehrere Pakete auf, in denen sich insgesamt 30 Liter GBL befanden. Das GBL war insgesamt für 33 Einzelempfänger bestimmt. Eine dieser Personen war schon früher wegen Sexualdelikten aufgefallen. Sie hatte einen ganzen Liter bestellt – mehr als 900 Menschen hätte man damit betäuben können.

    Dass so genau hingeschaut wird ist die Ausnahme. In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden Einträge anonymisiert. Ob der Empfänger eines Paketes mit K.O.-Tropfen dort zuvor schon wegen Sexualdelikten aufgefallen ist, kann normalerweise niemand sagen.

    Auch in Großbritannien war lange unklar, wie groß das Problem mit GHB und GBL ist – bis jetzt: Eine Recherche von BuzzFeed News hat tausende Menschen befragt, Akten aus 130 Krankenhäusern ausgewertet und konnte zeigen, wie der Gebrauch der Droge außer Kontrolle gerät. Erstmals wird klar: „Großbritannien hat eine versteckte Epidemie von Missbrauch, Überdosierung und Tod durch die Sexdroge G“.

    Selbst wenn sich jemand mit dem Verdacht bei der Polizei meldet, unter K.O.-Tropfen vergewaltigt worden zu sein, heißt das noch lange nicht, dass das auch so in die Statistik eingeht. Denn der Grundstoff, der in K.O.-Tropfen wirkt, wird vom Körper extrem schnell abgebaut.

    „Das polizeiliche Fallaufkommen ist äußerst gering, was sicher auch mit der kurzen Nachweisbarkeitsfrist zusammenhängen dürfte. Das wiederum lässt eine möglicherweise nicht unerhebliche Dunkelziffer vermuten“, schreibt Uwe Keller vom Landeskriminalamt Schleswig-Holstein auf Anfrage von BuzzFeed News.

    An der Basis sieht das Problem ganz anders aus

    Spricht man mit Frauenberatungsstellen in ganz Deutschland, erhärtet sich dieser Verdacht recht schnell. Die Beraterinnen sprechen nicht nur von hohen Dunkelziffern. Manche berichten sogar von steigenden Fallzahlen, vor allem was sehr junge Frauen betrifft – möglicherweise auch, weil einige Beratungsstellen spezielle Aufklärungskampagnen gestartet haben.

    Der Bundesverband Frauennotrufe hat das letzte Mal 2007 eine große Erhebung zum Thema gemacht. Dabei kam heraus: Zwar sei nur in jedem neunten Fall, den der Verband erhob, eine gerichtsmedizinische Untersuchung erfolgt. Doch bei diesen Untersuchungen konnte in fast der Hälfte aller Fälle eine Substanz nachgewiesen werden, die man unter K.O.-Tropfen fasst.

    Wenn die Frauen endlich wieder klar denken können, ist es zu spät.

    „Übergriffe nach vermutetem K.o.-Tropfen-Einsatz sind schwer in belastbare Zahlen zu fassen. Das liegt vor allem daran, dass der Nachweis so problematisch ist“, schreibt Irmgard Kopetzky von Frauen gegen Gewalt e.V. in Köln auf Anfrage von BuzzFeed News. Sie verweist auf die extrem kurzen Nachweiszeiten: Schon acht bis zwölf Stunden nach der Verabreichung sei der Stoff im Körper kaum mehr nachweisbar.

    „Wenn die Frauen dann endlich wieder klar denken und sich für die nächsten Schritte entscheiden können, ist es oft schon zu spät“, schreibt Kopetzky. „Wir haben aber regelmäßig mit solchen Vermutungen zu tun, die Situationen, in denen die K.o.-Tropfen eingesetzt werden, sind sehr vielfältig (Clubs und Kneipen, private Parties, Betriebsfeiern, betriebliche Fortbildungen, private Freundes- und Bekanntenkreise, innerfamiliär usw.) und die Betroffenen kommen aus allen Altersgruppen.“

    Die Unklarheit, was eigentlich passiert ist, hat noch ein weiteres Problem zur Folge, ergänzt Beate Rahm vom Frauennotruf Stuttgart: „Es ist häufig für die Frauen selbst schwierig zu wissen, ob es K.O.-Tropfen waren – oder etwas anderes – oder was genau passiert ist.“ Weil die Frauen sich nicht erinnern könnten, hätten sie dann Probleme damit, den Beweis zu erbringen, dass der Geschlechtsverkehr eben nicht einvernehmlich war. Das mache es oft unmöglich, mutmaßliche Täter auch zu verurteilen.

    Das erschwert auch die Unterstützung der Betroffenen, erklärt Susanne Hampe vom Frauennotruf Leipzig. Auch, weil der Begriff K.O.-Tropfen irreführend ist: Er vermittelt, dass die Frauen völlig ausgeknockt seien – doch dem ist nicht zwingend so. Die Opfer wirken unter dem Einfluss dieser Substanzen, anders als bei Alkohol, teilweise völlig zurechnungsfähig. Sie sind ansprechbar, können sich aber nicht erinnern. „Die meisten fangen dann an zu recherchieren, die fragen Freunde, gehen in die Kneipe und kriegen dann die Rückmeldungen, die das Bild ergeben, dass sie super mitgemacht haben“, sagt die Beraterin aus Leipzig. Das führe zu massiven Schwierigkeiten im Aufarbeitungsprozess. Die Frauen beginnen, an sich selbst zu zweifeln: Bin ich so eine? Habe ich das womöglich sogar gewollt? „Das sind die schwierigsten Punkte in den Beratungsprozessen“, sagt Susanne Hampe.

    Eine Beraterin der Frauenberatungsstelle Hannover schreibt, bei ihnen hätten 2018 rund fünf Prozent der Klientinnen sexualisierte Gewalt unter K.O.-Tropfen erlebt: „Tendenz steigend.“ Besonders Jugendzentren und andere Veranstaltungsorte berichteten davon, dass sie häufig mit K.O.-Tropfen zu tun hätten. Auch in einem Papier der Bundesärztekammer Baden-Württemberg aus dem Jahr 2016 ist von steigenden Fallzahlen die Rede.

    Die Frauenberatung Meschede berichtet ebenfalls von steigenden Zahlen. Zwar gebe es in Summe nur wenige Fälle, aber insgesamt könne man in den vergangenen vier Jahren einen Anstieg in der Statistik feststellen. „Wichtig ist noch, dass wir natürlich nicht wissen, ob alle Frauen uns von K.O.-Tropfen erzählt haben und dass ein noch viel größerer Anteil wahrscheinlich gar nicht erst bei uns ankommt.“

    Ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz erhärtet diesen Verdacht: Nachdem der Frauennotruf in der Kleinstadt Westerburg eine umfangreiche Öffentlichkeitskampagne gestartet hatte, meldeten sich dort 109 Frauen, die vermuteten, dass sie K.O.-Tropfen verabreicht bekommen hätten. Dabei leben in Westerburg nur gut 5.000 Menschen.

    „Ich begreife nicht, warum es nicht verboten ist.“

    In Deutschland kann die Grundsubstanz für K.O.-Tropfen bis heute vollkommen legal bestellt werden. „Aus meiner Sicht würde ich sagen: Ich begreife nicht, warum es nicht verboten ist“, schreibt Susanne Hampe vom Frauennotruf Leipzig – und steht damit stellvertretend für viele Beratungsstellen und Suchtmediziner, mit denen BuzzFeed News gesprochen hat.

    Gibt man „GBL Deutschland“ bei Google ein, sind die ersten sieben Treffer Onlineshops, in denen die Chemikalie in großen Mengen angeboten wird. Wer GBL im Internet bestellt, landet dabei auf Shops in deutscher Sprache – viele davon haben ihren Sitz aber im Ausland, etwa in Estland oder Litauen. Würde auch GBL unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, dann wäre es leichter, Bestellungen von Privatpersonen aus dem Ausland zu verhindern. Das ist keine Theorie: Viele der Internetseiten geben an, dass sie etwa nicht nach Polen versenden. Der Grund: Dort steht GBL auf der Liste harter Drogen.

    Auch in Deutschland wäre die Substanz 2002 gemeinsam mit GHB fast verboten worden. Doch kurz bevor die Änderung in Kraft trat, wurde GBL von der Liste genommen, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Die chemische Industrie soll sich gegen ein Verbot eingesetzt haben, denn sie ist für viele Produkte auf GBL angewiesen. Ob als Reinigungsmittel für Felgen, als Entferner für Nagellack, Graffiti oder Farbe, als Weichmacher in Plastikfolien, als Grundstoff für Medikamente oder in der Landwirtschaft: die chemische Industrie ist für viele Produkte auf GBL angewiesen.

    Unter den Begriff K.O.-Tropfen fallen in Deutschland eine Reihe von Substanzen, die wichtigsten sind GBL und die verwandte Substanz GHB, auch „liquid ecstasy“ genannt. Die rechtliche Situation in Deutschland ist dabei allerdings ein wenig paradox: GBL ist als wichtiger Grundstoff für die Chemieindustrie nicht verboten. GHB hingegen ist in Deutschland verboten, es fällt seit 2001 unter das Betäubungsmittelgesetz. Und jetzt das Paradox: Der Körper wandelt das legale GBL binnen kürzester Zeit in das verbotene GHB um.

    Eine stringente Überwachung gibt es nicht. GBL unterliegt zwar zum einen der Grundstoffüberwachung. Damit werden Ein- und Ausfuhr von Stoffen überwacht, die auch für Drogen oder Waffen genutzt werden könnten. Und zum anderen unterliegt es seit 2002 auch einem Monitoring beim BKA: Die Industrie hat sich verpflichtet, nichts an Privatkunden zu verkaufen. GBL wird als Arzneimittel bewertet, Handel und Abgabe zu Konsumzwecken sind strafbar. Es drohen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe.

    Doch das Monitoring ist freiwillig. Kein Hersteller muss mitmachen. Und entsprechend unzuverlässig sind die Zahlen von dort.

    Immerhin: Sie geben einen Hinweis darauf, in welchen Größenordnungen GBL im Umlauf ist. Zwischen 2010 und 2017 haben Hersteller gemeldet, dass sie auf die Auslieferung von 65.211 Litern GBL verzichtet hätten – doch 87,5% der Menge entfallen allein auf das Jahr 2016. Das ergab eine durch BuzzFeed News vorgenommene Auswertung der „Bundeslagebilder Rauschgift“ des BKA.

    Dem entgegen stehen gerade einmal knapp 550 Liter der Chemikalie, die deutsche Behörden seit 2010 sichergestellt haben. Dazu kommen ein paar hundert Fläschchen, Röhrchen und rund ein Kilogramm des Stoffs in Tabletten- oder Pulverform. Das zeigen Recherchen von BuzzFeed News, für die wir bundesweit Daten von Behörden abgefragt haben.

     „Freitag Nacht, Samstag Nacht, da hat man das schon, dass da Leute auf der Tanzfläche zusammenklappen und in Kliniken eingeliefert werden“

    Immer wieder ermitteln Behörden auch konkrete Straftaten im Zusammenhang mit K.O.-Tropfen. In Sachsen wurden zwischen 2015 und 2018 18 Tatverdächtige mit Sexualstraftaten ermittelt. In Baden-Württemberg waren es im gleichen Zeitraum 79. Wie hoch die Dunkelziffer liegt, ist nicht zu ermitteln. Dass es eine gibt, ist dagegen klar. „Also Freitag Nacht, Samstag Nacht, da hat man das schon, dass da Leute auf der Tanzfläche zusammenklappen und in Kliniken eingeliefert werden. Bei großen Kliniken mit einer toxikologischen Abteilungen sind das Zahlen, die immer wieder auch im dreistelligen Bereich im Jahr liegen können“, sagt der Suchtmediziner Michael Rath.

    Was in der Diskussion um K.O.-Tropfen oft keine Rolle spielt: GBL und GHB können auch Menschen töten.

    BuzzFeed News hat alle Innenbehörden in Deutschland um eine Statistik für Todesfälle gebeten, bei denen der Tod auch auf den Konsum von GHB/GBL zurückgeführt werden konnte. Berlin, Schleswig- Holstein und das Saarland waren nicht in der Lage, die Anzahl der Toten zu ermitteln. Andere Länder können nur auf Daten bis 2011 oder 2012 zugreifen. Fakt ist aber: seit 2005 sind mindestens 75 Tote im Zusammenhang mit GBL, GHB oder K.O.-Tropfen erfasst.

    BuzzFeed News / Quellen: BKA, Zoll, Innenministerien der Länder

    Das Bundeskriminalamt antwortet, man verfüge „über keine gesonderte Statistik” – dabei weisen die jährlich herausgegeben Bundeslagebilder Rauschgift durchaus Tote im Zusammenhang mit GBL und GHB aus: allerdings nur zwischen den Jahren 2011 - 2014. Allein in diesen vier Jahren berichten die BKA-Statistiken von 43 Toten.

    Eine einfache Idee könnte helfen

    Seit Jahren gibt es Ideen, um die Situation zu verbessern. Die populärste von ihnen nimmt das Problem ins Visier, dass GBL farblos, geruchlos und geschmacklos ist – und Opfer darum gar nicht merken, wenn ihnen etwas ins Getränk getan wird:

    „Bei GBL würde es schon mal sehr viel weiterhelfen, wenn es mit Farbstoffen versetzt oder vergällt würde“, schreibt Irmgard Kopetzky von Frauen gegen Gewalt e.V. Köln. „Wenn das damit präparierte Getränk automatisch bitter schmecken oder die Farbe ändern würde, würden viele Opfer rechtzeitig aufmerksam.“

    Das ist tatsächlich ein Vorschlag, der unter Suchtexperten seit Jahren kursiert. Maßgeblich angestoßen hat ihn Michael Rath. Als Chefarzt einer Suchtabteilung hatte er seit 2005 immer wieder Patienten, die schwer von GBL abhängig waren.

    Raths Vorschlag damals: „Die Vergällung mit Denatonium. Das ist der bitterste Stoff, den wir kennen. Der ist in einer Konzentration von 1:100.000 immer noch unerträglich bitter. Das ist auch das, was zum Beispiel in Shampoos oder Haushaltsreinigern drin ist, damit Kinder das nicht runterschlucken.“

    Mehrmals war Rath ins Bundesgesundheitsministerium eingeladen, sollte seinen Vorschlag dort vorstellen. Sowohl die damalige Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (2008) als auch ihre Nachfolgerin Mechthild Dyckmans (2011) seien zwar interessiert gewesen, aber auch durch Interessen der Industrie in ihrem Handlungsspielraum eingeengt gewesen, sagt Rath. Seitdem ist nichts passiert – bis heute.

    Das Argument der Industrie ist seit Jahren: eine Vergällung sei nutzlos, weil das in den Diskotheken und in der Szene verwendete GBL sowieso aus dem Ausland komme. Das für das Betäubungsmittelrecht zuständige Gesundheitsministerium übernahm diese Position:

    „Die von einzelnen Experten vorgeschlagene Pflicht zum Vergällen des Stoffes ist aus Sicht der Bundesregierung nicht zielführend, zum einen weil der hierdurch zugefügte Bittergeschmack leicht übertönt beziehungsweise der Vergällungsstoff wieder entfernt werden kann, zum anderen weil in der Regel gerade keine Substanzen aus deutscher Produktion missbräuchlich verwendet werden“, schreibt die Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD im Januar 2019.

    „Das ist Quatsch“, sagt Michael Rath im Gespräch mit BuzzFeed News. Der Suchtexperte arbeitet heute am Inn-Salzach-Klinikum in Gabersee und kennt die Argumentation seit Jahren. „Mein Vorschlag war ja genau andersherum: Vergälltes GBL weiterhin ohne Betäubungsmittelrecht – und unvergälltes GBL unter das Betäubungsmittelrecht zu stellen. Dann kann die Industrie für die allermeisten Zwecke dieses vergällte GBL problemlos weiter benutzen. Wenn ich aber ohne die erforderliche Genehmigung die Vergällung entferne oder mit unvergälltem GBL angetroffen werde, dann wäre das illegal.“

    Über diese Regelung könne man auch K.O.Tropfen aus dem Ausland abfangen, sagt Rath. „Dann ist es auch völlig wurscht, ob das von BASF kommt oder irgendein China-GBL ist.“ Auch das Argument, zugesetzte Bitterstoffe könnten wieder entfernt werden, überzeugt den Suchtmediziner nicht. Man müsste das vergällte GBL auf mehrere hundert Grad erhitzen, um die Bitterstoffe zu entfernen: „Das überfordert den Hobby-Nutzer und den kleinen Dealer“, sagt Rath. „Das ist ja nichts, was man einfach so mit dem Kochtopf auf dem Herd macht.“

    GBL und GHB – so scheint es – fliegen auch weiterhin unter dem Radar. Das ist auch deshalb ein Problem, weil es für Betroffene oft sehr schwer ist, sich im Anschluss zur Wehr zu setzen und gegen mutmaßliche Täter vorzugehen.

    „Man wächst ja bei uns auf mit dem Satz: Polizei, dein Freund und Helfer. Und dann ist man irgendwie so in der schrecklichsten Notlage seines Lebens und es fühlt sich wie ein Gegner an.“

    Diese Erfahrung hat auch Nina Fuchs gemacht. Sie spricht im Fernsehen über ihre Geschichte, gibt Interviews. Daraufhin bekommt sie viele Zuschriften, auch im Bekanntenkreis wird über das Thema auf einmal gesprochen. Dass die offiziellen Zahlen das Problem auch nur einigermaßen realistisch abbilden, glaubt sie nicht mehr: „Allein wie viele Geschichten ich persönlich kenne, dadurch, dass ich immer so offen mit meiner Geschichte umgegangen bin“, sagt die Münchnerin.

    Sie kämpft damit auch gegen das Gefühl an, das sie hatte, als sie im April 2013 zur Polizei ging: Das Gefühl, dass ihr nicht geglaubt wurde. „Man wächst ja bei uns auf mit dem Satz: Polizei, dein Freund und Helfer“, sagt sie. „Und dann ist man irgendwie so in der schrecklichsten Notlage seines Lebens und es fühlt sich wie ein Gegner an.“ Sie habe gebetet, dass man auch nach zwölf Stunden die K.O.-Tropfen noch nachweisen könne, doch der Test blieb negativ. Ob Nina Fuchs wirklich unter K.O.-Tropfen stand, lässt sich weder beweisen noch widerlegen.

    Fünf Jahre später, im Jahr 2018, ermittelt die Polizei zufällig einen Treffer für jene DNA-Spuren, die am Tag nach der mutmaßlichen Vergewaltigung an Nina Fuchs gefunden wurden. Der Mann, zu dem diese Spuren gehören, heißt Naceur H. Er wurde am Münchner Flughafen wegen Diebstahls und Bedrohung festgenommen und sitzt mittlerweile im Gefängnis. Was den Vergewaltigungsvorwurf angeht schweigt er.

    Im Januar 2019 erhält Nina Fuchs einen Brief der Münchner Staatsanwaltschaft. Es könne nicht zweifelsfrei bewiesen werden, dass Nina Fuchs zum Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs unfähig war, sich zu wehren – und damit auch nicht, dass Naceur H. diese Willen- und Wehrlosigkeit ausgenutzt habe. Und weiter:

    „Da sich die Geschädigte jedoch an längeren zeitlichen Abschnitten (sic!) nicht erinnern kann, kann nicht nachgewiesen werden, dass es sich bei dem Beschuldigten tatsächlich um einen der Täter handelt.“

    Die Staatsanwältin stellt das Ermittlungsverfahren ein. Fuchs ist fassungslos. Das habe sie „furchtbar aufgeregt“, sagt Fuchs. „Ist das die Botschaft, die wir nach außen tragen wollen? Sobald das Opfer Erinnerungslücken hat, wird das Verfahren eingestellt? Entschuldigung, das ist doch ein Freifahrtschein für jeden Täter.“

    Fuchs startet eine Petition, die fast 100.000 Menschen unterzeichnen. Ihr Anwalt reicht Beschwerde ein. Er ist davon überzeugt, dass es genug Anhaltspunkte gibt, um Naceur H. vor Gericht zu stellen. „Ich will den Prozess“, sagt Fuchs. „Das ist mein Ziel.“ Und wenn H. in einem solchen Verfahren freigesprochen würde? Damit könne sie leben, sagt sie. Aber nicht damit, dass ihr von vornherein die Möglichkeit auf eine gerichtliche Aufarbeitung genommen wird.

    Die Staatsanwaltschaft München hatte im Mai angekündigt, sie wolle „ergänzenden Gesichtspunkten“ im Ermittlungsverfahren doch noch einmal nachgehen. Eine Entscheidung, ob ein Verfahren eröffnet wird, steht allerdings weiter aus. Sollte die Staatsanwaltschaft kein Verfahren eröffnen, will Nina Fuchs beim Oberlandesgericht ein Klageerzwingungsverfahren einleiten. Sie sagt: „Ich werde da schon nochmal richtig kämpfen.“

    Fuchs geht es schon lange nicht mehr nur um ihrem Fall. Sie setzt sich dafür ein, dass Personen, die vermuten, gegen ihren Willen K.O.-Tropfen bekommen zu haben, kostenlos einen Urintest machen können. Und dass es mehr Aufklärungskampagnen gibt, zum Beispiel an Schulen. „Ich will für die Zukunft was bewirken“, sagt sie.

    Womöglich kommt in das Thema nun doch noch einmal Bewegung. Denn die Freien Wähler, die in Bayern mit der CSU regieren, haben im Mai einen Dringlichkeitsantrag im Landtag gestellt. Alle Fraktionen außer der FDP stimmten zu. Susann Enders, die gesundheitspolitische Fraktionssprecherin der Freien Wähler im bayerischen Landtag, sagte BuzzFeed News: man wolle das Thema weiter treiben – auch mit Blick auf eine mögliche Bundesratsinitiative.

    In unserem Podcast „Unterm Radar“ sprechen wir auch über diese Recherche:


    Habt ihr Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt unter GHB/GBL gemacht ? Wurden euch K.O.-Tropfen gegen euren Willen gegeben? Oder habt ihr andere Hinweise zu diesem Thema? Dann könnt ihr euch bei unserer Reporterin Pascale Müller oder unserem Reporter Marcus Engert melden, eine Mail an recherche@buzzfeed.com oder tips.buzzfeed.com besuchen.