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Das versprechen die großen Parteien den jungen Wählern in ihren Programmen wirklich

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Jugendquote, Investitionen, Bildungsreform: BuzzFeed News hat die Wahlprogramme geprüft.

Deutschlands Regierung wird von alten Menschen gewählt. Nur etwa jeder siebe Wahlberechtigte ist unter 30 – aber mehr als die Hälfte sind über 50 Jahre alt. Dementsprechend dominieren alte und ängstliche Themen den Wahlkampf. Die Rente. Die innere Sicherheit. BuzzFeed News hat sich deshalb angesehen, was die Parteien den jungen Wählern versprechen.

Wir haben die Programme der Parteien analysiert, die voraussichtlich im kommenden Bundestag vertreten sein werden: CDU/CSU, SPD, Die Linke, Grüne, FDP und AfD. Dafür haben wir uns gefragt: Welche Themen sind besonders wichtig, damit junge Menschen nicht benachteiligt werden? Damit die eine, große Generation mit den vielen Wählerstimmen nicht die andere, kleinere Generation langfristig ins Unglück stürzt.

Durch die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 60er Jahre sind die Jungen deutlich in der Unterzahl. Wenn sich nun jede Altersgruppe vor allem für ihre eigene Lebensrealität interessiert, warum sollten die Parteien sich dann noch um die Jungen kümmern? Hinzu kommt: Die Mitglieder der Parteien sind selbst alt. Durchschnittlich sind sie um die 60, nur die Grünen sind im Schnitt rund zehn Jahre jünger.

Jugendforscher Klaus Hurrelmann hat mit BuzzFeed News über Politik für junge Wähler gesprochen.
Jugendforscher Klaus Hurrelmann hat mit BuzzFeed News über Politik für junge Wähler gesprochen. © Peter Himsel / Hertie School of Governance

Die Interessen der Jungen vertritt der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann, der schon zahlreiche Jugendstudien veröffentlicht hat. „Jedes einzelne Thema, über das in der Politik diskutiert wird, müsste einem Generationencheck unterzogen werden.“ Schließlich würden alle Beschlüsse und Reformen weit in die Zukunft reichen.

Immerhin: Die FDP verspricht eine Generationenbilanzierung von Gesetzen. Leistungen, die ein Gesetz für nachfolgende Generationen erbringt, werden den Belastungen gegenübergestellt. Die SPD nennt ihr Konzept Jugend-Check. Politische Maßnahmen sollen auf ihre Auswirkungen für junge Menschen geprüft werden. Die Linke verspricht das ebenfalls, hat nur noch keinen Namen dafür.

BuzzFeed News hat die Versprechen der Parteien zu den folgenden Themen analysiert: Energie und Umwelt, Bildung, Arbeit, Staatsfinanzen und Rente sowie Mitbestimmung.

Umwelt

Sauberes Wasser zum Trinken, reine Luft zum Atmen, ein Vorrat an natürlichen Ressourcen, keine Klimakatastrophen. Das sei generationengerecht, sagt Klaus Hurrelmann. Unabdingbar sind deshalb laut Hurrelmann globale Klimaabkommen, die Sicherung der natürlichen Ressourcen, das Festhalten an der Energiewende und ein schneller Ausstieg aus allem, was viele natürliche Ressourcen kostet. „Die Grünen haben dazu erwartungsgemäß das ausführlichste Programm. Dafür wurden sie bisher von vielen jungen Menschen sehr geschätzt“, sagt der Jugendforscher.

Weniger Treibhausgase für alle? Das Pariser Klimaabkommen wollen alle Parteien unterstützen – außer der AfD.
Weniger Treibhausgase für alle? Das Pariser Klimaabkommen wollen alle Parteien unterstützen – außer der AfD. © Volker Hartmann / Getty Images

Ganz konkret steht in den Wahlprogrammen, dass alle Parteien das Pariser Klimaabkommen unterstützen – außer der AfD. Definitiv aus der Kohle aussteigen wollen nur Linke und Grüne. Die SPD dagegen schreibt nur allgemein, der Strukturwandel in der Energiewirtschaft werde sich fortsetzen. Und auch die CDU/CSU will nur einen „langfristigen Ausstieg aus der Braunkohle“, der auch parallel verlaufen müsse „zu einer konkreten neuen Strukturentwicklung“. Die FPD und die AfD wollen auf Kohle nicht verzichten.

Auch den Umstieg auf erneuerbare Energien wollen Linke und Grüne am härtesten vorantreiben. Die Linken wollen bis 2040 sämtlichen Strom in Deutschland aus erneuerbaren Energien gewinnen, die Grünen sogar bis 2030. CDU/CSU und SPD wollen die erneuerbaren Energien immerhin weiter fördern. Die CDU/CSU plant einen weiteren Ausbau, die SPD möchte eine zumindest weitestgehend treibhausneutrale Energieerzeugung bis 2050. Die FDP und die AfD dagegen möchten das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen.

Finanzen

Wenn sich ein Staat stark verschuldet, müssen die kommenden Generationen dafür zahlen. Aber auch eine kaputte Infrastruktur und marode Sozial- und Bildungssysteme sind eine Belastung. Zwei Punkte sind deshalb Hurrelmann zufolge entscheidend für generationengerechte Finanzpolitik: „Die Schulden des Staates müssen abgebaut werden, wann immer es möglich ist. Gleichzeitig müssen aber Investitionen getätigt werden – und zwar ausschließlich in zukunftsfähiges.“

Das heißt, dass die Investitionen groß genug sein müssen, um die Mängel tatsächlich auszugleichen. Das Geld aus dem aktuellen Haushaltsüberschuss reicht da nicht aus. Deshalb sollten neue Schulden aufgenommen werden, sagt Hurrelmann. Aber nur für Investitionen, die nachhaltig sind und einen Nutzen für zukünftige Generationen haben – für alles andere nicht. Diese generationengerechte Kombination aus Schuldenab-, und Schuldenaufbau bietet keine der Parteien in ihrem Wahlprogramm an.

Rente

Und dann ist da noch die Rente. „Diejenigen, die heute ins Berufsleben eintreten, können sich nicht mehr auf die gesetzliche Rente verlassen“, sagt Klaus Hurrelmann. Panik sei zwar nicht angebracht, dennoch müssten unsere Sozialsysteme wegen des demographischen Wandels eigentlich angepasst werden.

Die Rentenvorschläge der Parteien sind teilweise sehr detailliert. Die Parteien der Großen Koalition setzen beim Thema Rente keine neuen Akzente. Die SPD will ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens aller Erwerbstätigen garantieren. Gleichzeitig soll der Beitragssatz aber nicht über 22 Prozent des Bruttoeinkommens steigen.

Außerdem plant die SPD einen Dialog für einen neuen Generationenvertrag. Ob da alle Generationen oder nur diejenigen mitreden dürfen, die im Bundestag vertreten sind, bleibt abzuwarten. Die Union spart das Thema Rente ganz aus und überträgt die Verantwortung an eine Rentenkommission, die bis Ende 2019 Vorschläge erarbeiten soll.

Die Vorschläge der Oppositionsparteien ähneln sich. Grüne und Linke setzen auf eine gesetzliche Rentenversicherung, in die alle einzahlen – auch Selbstständige und Abgeordnete. Die Grünen nennen es Bürger-, die Linken Erwerbstätigenversicherung.

Außerdem bieten beide Parteien einen Ersatz für die Grundsicherung an: Garantierente heißt das bei den Grünen, sie ist steuerfinanziert und soll über dem Niveau der Grundsicherung liegen. Mindestrente heißt es bei der Linken und soll 1050 Euro betragen. Interessant: Die Linke will Arbeitnehmer spätestens mit 65, perspektivisch aber schon mit 60 Jahren in Rente schicken. Wie das umgesetzt werden soll bleibt unklar. „Das ist finanzierbar,“ schreibt die Partei dazu nur.

Auch bei der FDP soll ab 60 Jahren jeder selbst entscheiden, wann er in Rente geht – er muss dann eben mit den Abschlägen leben können. Außerdem will die FDP die Lebenserwartung jeder Generation als Faktor in die Rentenberechnung mit aufnehmen.

Bei der AfD geht es eher um die Finanzierung der Rente. Die AfD will mehr Steuergeld in die Rentenversicherung übertragen. Außerdem will die AfD aus der Eurozone austreten – unter anderem, weil die niedrigen Zinsen der EZB einer erfolgreichen Vorsorge im Weg stünden.

Bildung

Natalya Nepomnyashcha hat die Dialog-Plattform Netzwerk Chancen gegründet und setzt sich für Bildungsgerechtigkeit ein. „Es fehlt an individueller Förderung, im Bildungsbereich gibt es viel zu wenig Personal“, sagt Nepomnyashcha. Das liege vor allem daran, dass der Lehrberuf unattraktiv geworden sei.

Natalya Nepomnyashcha: „Im Bildungsbereich gibt es zu wenig Personal.“
Natalya Nepomnyashcha: „Im Bildungsbereich gibt es zu wenig Personal.“ © Privat

„Die Klassen werden immer größer, zusätzlich sollen sich die Lehrkräfte noch um geflüchtete Kinder kümmern, die oftmals noch nicht einmal Deutsch sprechen. Und das alles, ohne je eine Fortbildung erhalten zu haben", sagt Nepomnyashcha. „Beim Thema Inklusion werden die Lehrkräfte allein gelassen, das Stresslevel steigt immens.“ Die Förderung einzelner Schüler bleibe so auf der Strecke. Ähnlich sehe es auch in Kitas und Kindergärten aus.

Die Lösung wäre laut Nepomnyashcha eine Personaloffensive: deutlich mehr Lehrkräfte, Erzieher und Sozialarbeiter – dadurch kleinere Klassen, bessere Betreuung, steigende Bildungsqualität. Alles, was es dafür brauche: Viel mehr Geld, das die Länder und Kommunen nicht alleine aufbringen können. „Wenn man wirklich in Bildung investieren will, muss das Kooperationsverbot zwischen Bund, Ländern und Kommunen endlich fallen.“

Erst dann wäre auch ein Ausbau der Ganztagsbetreuung in Grundschulen wirklich sinnvoll. Mit diesem Versprechen gehen viele Parteien auf Stimmenfang. Auch hierfür braucht es Pädagogen. „Ohne ausreichend qualifiziertes Personal verkommt die Ganztagsbetreuung für die Kinder zu einer Selbstbespaßung unter Aufsicht,“ sagt Nepomnyashcha.

Um das Kooperationsverbot aufzuheben, bedarf es einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Natalya Nepomnyashcha gibt die Hoffnung nicht auf: „Ich denke, dass viele Politiker die Notwendigkeit erkannt haben und offen dafür sind.“

Alle Parteien außer der FDP und der AfD schreiben in ihren Programmen, dass sie einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen einführen wollen. FDP und AfD erwähnen das Thema dagegen in ihren Wahlprogrammen nicht. Die SPD, die Linke und die Grünen wollen auch das Kooperationsverbot aufheben. Die CDU ist dagegen und schreibt, Schulbildung sei „nach der Ordnung des Grundgesetzes Ländersache und wird es bleiben“. Die FDP möchte den Bildungsförderalismus „grundlegend reformieren“, macht zum Kooperationsverbot aber keine klare Aussage. Die AfD thematisiert das Thema in ihrem Programm nicht.

Arbeit

Jeder Mensch sollte eine Arbeit haben, mit der er seinen eigenen Lebensunterhalt finanzieren kann, findet Klaus Hurrelmann. „Im Generationenvergleich fällt auf, dass das, was man sich heute für ein Durchschnittsgehalt leisten kann, viel weniger ist, als es früher der Fall war,“ sagt der Wissenschaftler. Die Löhne früherer Generationen seien im Vergleich höher gewesen.

„Eine Familie zu gründen und ein Haus zu bauen war für junge Menschen vor 30 Jahren noch wesentlich einfacher“, sagt Hurrelmann. Was kann die Regierung tun, um diesem Missstand zu begegnen? „Man kann sich für gerechte Löhne einsetzen und über staatliche Starthilfen für junge Menschen nachdenken.“

Hurrelmann fordert zudem, dass internationale Bündnisse wie die Europäische Union gestärkt werden müssten. Nur so könne man die internationale Marktwirtschaft im Sinne der jungen Wähler beeinflussen.

In die EU investieren wollen alle Parteien auf ihre eigene Weise, außer der AfD. Union und SPD nehmen sich vor, die Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu bekämpfen, beschreiben in ihren Programmen aber keine konkrete Idee. Die Grünen schon: Der „Green New Deal“ soll von mittelständischen Unternehmen unterstützt werden und europaweit für Mindeststandards von Arbeitsverhältnissen sorgen. Jungen EU-Bürgern soll der Plan spätestens vier Monate nach dem Schulabschluss in ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis helfen.

Bei der Arbeitspolitik für Deutschland folgen die Parteien ihren üblichen Mustern: Während die Union ihren Schwerpunkt auf Vollbeschäftigung und die Bekämpfung des Fachkräftemangels, zum Beispiel durch einen Ausbau der beruflichen Ausbildung setzt, wirbt die FDP für Flexibilisierung und Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt. Die Linke macht „faire Arbeit“ zu einem ihrer Schwerpunkte. Besonders wichtig ist es der Partei, den gesetzlichen Mindestlohn auf zwölf Euro zu erhöhen, eine 30-Stunden-Woche einzuführen, und es Arbeitgebern schwerer zu machen, Mitarbeiter nur befristet einzustellen. Letzteres macht auch die SPD zu einer ihrer Hauptforderungen – obwohl die Partei das Gesetz zur so genannten "sachgrundlosen Befristung“ ursprünglich selbst mitverursacht hat.

Vor allem SPD, Linke und Grüne setzen sich in ihren Wahlprogrammen für bessere Arbeitsbedingungen auch in schlechter bezahlten Jobs ein.
Vor allem SPD, Linke und Grüne setzen sich in ihren Wahlprogrammen für bessere Arbeitsbedingungen auch in schlechter bezahlten Jobs ein. © Peter Macdiarmid / Getty Images

Die Grünen stellen den Schutz der Arbeitnehmer vor der immer flexibler werdenden Arbeitswelt in den Mittelpunkt. Sie fordern ein Recht auf Homeoffice, wollen Arbeitnehmer vor ständiger Erreichbarkeit schützen und setzen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben auf ein neues Konzept zur Gestaltung der Arbeitszeit. Bei der „flexiblen Vollzeit“ soll es einen Arbeitszeitkorridor im Bereich von 30 bis 40 Stunden geben, den Beschäftigte mit ihrem Arbeitgeber absprechen und auf Lebensphasen anpassen können.

Die AfD will eine gesetzliche Obergrenze für den Anteil Beschäftigter mit Leih- oder Werkverträgen für Unternehmen. Außerdem will die Partei Arbeitslose mit „bedarfsangepasster Qualifizierung“ wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Wie die aussehen soll, lässt das Wahlprogramm offen.

„Zu den Aufgaben des Staates gehört es auch, junge Menschen optimal auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten“, sagt Experte Hurrelmann. „In der Schule müssen zukunftsfähige Qualifikationen erworben werden. Um die Lehrpläne immer optimal an die Anforderungen der Arbeitswelt anzupassen, müssen die jungen Leute selbst beteiligt werden.“ Dieser Forderung kommt die Linke in ihrem Wahlprogramm nach: Die Partei verspricht Mitbestimmungsrechte von Schülern an den Schulen.

Beteiligung

Damit all diese generationengerechten Themen in den Parteien Beachtung finden, muss die Lebenswelt der jungen Menschen dort vorkommen. Jugendforscher Klaus Hurrelmann fordert deshalb für die Parteien bei der Kandidatenaufstellung eine Jugendquote. Ein entsprechender Vorschlag findet sich in keinem der Wahlprogramme.

„Dass junge Generationen an allen wichtigen Entscheidungen teilhaben, sollte gesetzlich verankert werden,“ sagt der Wissenschaftler. „Kinderrechte im Grundgesetz wären ein großer Schritt.“ Und schließlich wäre da noch das Mindestwahlalter: Klaus Hurrelmann würde die Altersgrenze auf 14 Jahre herabsetzen, andere Generationenforscher fordern sogar, sich ganz von einer Altersgrenze zu verabschieden.

Das Wahlalter herabsetzen möchten die SPD, die Linke und die Grünen - allerdings nur auf 16 Jahre. CDU/CSU, FDP und AfD machen dazu keine Angaben in ihren Wahlprogrammen.

CDU/CSU, SPD, Linke und Grüne möchten Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben. Die AfD möchte die „kinderfreundliche Gesellschaft als Staatsziel“. Die FDP äußert sich in ihrem Wahlprogramm nicht dazu.

Zur Beteiligung junger Generationen haben manche Parteien noch eigene Vorschläge: Die Linke fordert ganz allgemein, die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Die SPD möchte Kinder und Jugendliche durch eine Weiterentwicklung des Petitionsrechts besser einbinden. Und die Grünen versprechen die Institutionalisierung von politischen Jugendgremien.

Hier findet Ihr alle Wahlprogramme der Parteien.

Das Wahlprogramm der CDU/CSU

Das Wahlprogramm der SPD

Das Wahlprogramm der Linken

Das Wahlprogramm der Grünen

Das Wahlprogramm der FDP

Das Wahlprogramm der AfD

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