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Diese Person bringt dem Innenministerium bei, dass es mehr als Mann oder Frau gibt

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Und ist mit der Arbeit von Horst Seehofer gar nicht zufrieden.

Weder Mann noch Frau sondern einfach Dazwischen: Vanja klagte sich bis vor das Bundesverfassungsgericht.

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„Keine Medizin, keine Psychologie, kein Gesetz kann mir sagen, dass es mich nicht gibt – als Hermaphrodit. Mein Spiegel beweist doch das Gegenteil.“ Das schreibt Vanja auf der Webseite Dritte Option.

Vanja kam 1989 zur Welt, laut Standesamt ein Mädchen. In der Pubertät blieben Brüste und Monatsblutung aus, eine Gynäkologin stellte fest: Vanja hat statt XX-Chromosomen nur ein Chromosom. Die Diagnose: 45,X0, numerisch pathologischer Karyotyp mit Monosomie X/Ullrich-Turner-Syndrom. Eine klassische Intersex-Diagnose.

Danach beginnt Vanja, für das Dazwischen zu kämpfen. „Ich habe mich auch schon vor der Pubertät weder ganz als Junge noch ganz als Mädchen empfunden, aber ich hatte keine Worte oder Wissen darüber“, sagt Vanja BuzzFeed News am Telefon.

In Deutschland gibt es auf Standardformularen zwei Möglichkeiten zum Ankreuzen: männlich oder weiblich. Für Vanja blieb nur, sich einer der beiden Optionen zuzuordnen, obwohl es nicht der Realität entsprach. Oder in einem unsichtbaren Raum zu verharren, in der Bürokratie und Rechtsstaat weder Worte noch Anerkennung für Vanjas Existenz bereithielten.

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Vanja beschloss, sich dagegen zu wehren. Das war 2012.

2013 stellte Vanja einen Antrag beim Standesamt, um ihre Geburtsurkunde zu ändern, in der noch immer „Mädchen“ stand. Der Antrag wurde abgelehnt und Vanja klagte vor dem Amtsgericht Hannover dagegen.

Es folgten das Oberlandesgericht in Celle, der Bundesgerichtshof, Ende 2016 dann das Bundesverfassungsgericht. Zusammen mit Aktivist*innen der Kampagne Dritte Option Geld sammelte Vanja Geld, organisierte Infoveranstaltungen und eine Demo, leistete Pressearbeit und reiste durch Deutschland, um zu informieren. „Das hat viel Zeit und Kraft gekostet“, erzählt Vanja. Mit zunehmender Medienberichterstattung kamen auch die Hasskommentare.

Im November 2017 fällte das Bundesverfassungsgericht ein überraschendes Urteil: Deutschland muss einen dritten Geschlechtseintrag in Pass und Geburtsurkunde einführen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz schütze auch die geschlechtliche Identität, da sie ein „konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist“, hieß es in der Begründung.

„Es gab Momente, in denen ich dachte, ich will mich einfach nur verstecken“, erzählt Vanja BuzzFeed News. „Die öffentliche Aufmerksamkeit ist ein krasses Gefühl. Aber es ist schön zu merken, dass da jetzt etwas passiert.“

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Intergeschlechtliche Personen in Deutschland feierten das Urteil, auch Trans-Personen machten sich Hoffnungen, in Zukunft mit ihrer Geschlechtsidentität anerkannt zu werden. Dann begann das zuständige Innenministerium mit der Arbeit, ein Gesetz für das Urteil zu entwerfen. Mit Trans- und Interverbänden zu sprechen, lehnte das Ministerium jedoch ab.

Mittlerweile hat das Innenministerium von Horst Seehofer einen Gesetzentwurf angefertigt. Doch der ist weit davon entfernt, was Betroffene sich von dem Urteil erhofft hatten. „Ich bin enttäuscht und auch wütend“, sagt Vanja BuzzFeed News am Telefon. „Das Innenministerium versucht, sich dem Thema gegenüber zu sperren. Das ist politisches Kalkül, welches auch eine Reaktion auf rechte, anti-queere Stimmungen in Deutschland ist.“

Nach Informationen von BuzzFeed News plant das Innenministerium derzeit eine Minimallösung. In dem aktuellen Gesetzesentwurf ist kaum einer der Punkte berücksichtigt, die von Betroffenen gefordert werden. Dabei war die Diskussion in der Politik schon einmal viel weiter. Eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Familienministeriums hatte im vergangenen Herbst ein über drei Jahre lang erarbeitetes Mantelgesetz vorgestellt. Doch dieses ignoriert das Innenministerium offenbar.

So soll in dem neuen Gesetzesentwurf des Innenministeriums etwa das Dritte Geschlecht „Anderes“ heißen. Das Bündnis „Dritte Option“, welches die Klage von Vanja über Jahre unterstützte, hatte etwa „divers“ oder „inter“ vorgeschlagen, im Idealfall sogar eine Auswahl verschiedener Begriffe.

Auch ein Operationsverbot an intergeschlechtlichen Kindern wird offenbar verschoben. Trans-Personen werden im Gesetz nicht berücksichtigt. Stattdessen sollen Menschen ein medizinisches Gutachten vorlegen, das ihre Intersexualität beweist, um ein Anrecht auf den dritten Geschlechtseintrag zu haben.

„Ich weiß selbst am besten, welches Geschlecht ich habe“

„Ich empfinde das als Pathologisierung und Fremdbestimmung“, sagt Vanja BuzzFeed News. „Ich weiß selbst am besten, welches Geschlecht ich habe und ich finde es fragwürdig, dass es wieder in die Hände von vermeintlichen Expert*innen gelegt wird, über mein Geschlecht zu entscheiden.“

Der derzeitige Gesetzentwurf sei deshalb „keine langfristige Lösung“, sagt Vanja. Ersie erwartet, dass der derzeitige Entwurf zu neuen Klagen führen könnte. „Es könnte etwa eine transgeschlechtliche Person klagen, damit das Gesetz auch für sie gilt. Wenn man sich das Urteil das Bundesverfassungsgericht genau anschaut, sieht man, dass es nicht nur für Intersexuelle gelten muss.“

Das Transsexuellengesetz in Deutschland ist von 1980 und gilt als völlig veraltet. Verschiedene Teile des Gesetzes wurden bereits in der Vergangenheit als verfassungswidrig erklärt und gestrichen. So müssen Trans-Personen, die ihren Geschlechtseintrag ändern möchten, sich nicht mehr zwangssterilisieren lassen.

Auch Fachverbände, Vereine und Oppositionsparteien kritisierten in den letzten Wochen den Entwurf.

„Noch ist Zeit, um Druck zu machen“

„Wenn sich der Gesetzgeber jetzt ohnehin gezwungenermaßen mit Geschlecht und Personenstand beschäftigt, wäre es doch sinnvoll, komplett für Klarheit zu sorgen“, sagt Vanja. „In der Politik bei Inter und Trans-Themen wird immer nur gesehen, dass es wenig Leute betrifft. Ich glaube aber, dass Menschen sehr schnell verstehen würden, warum Operationen an Intersex-Kindern nicht okay sind, wenn man ihnen das genau erklärt. Dann wären sicher viele auch mit progressiveren Lösungen einverstanden.“

Noch stimmen sich die verschiedenen beteiligten Ministerien über den vom Innenministerium vorgelegten Gesetzesentwurf ab. Die Ministerien sind sich bislang nicht einig. Vanja gibt sich deshalb optimistisch: „Noch ist Zeit, um Druck zu machen. Und schon jetzt hat das Urteil für ein Drittes Geschlecht sehr viel Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit gebracht.“

Zur Erläuterung: Da es in der deutschen Sprache kein angemessenes Pronomen für Vanja gibt, schreiben wir „ersie".

Vanja steht mit einem Plakat für eine dritte Option in Leipzig (2016).
Vanja steht mit einem Plakat für eine dritte Option in Leipzig (2016). © Jan Woitas / picture alliance / dpa

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