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Love Wins: Hier ist das erste homosexuelle Paar in Deutschland, das heute heiraten darf

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„Das ist eine Ehre für uns.“

Bodo Mende (60) und sein Partner Karl Kreile (59) sind seit 38 Jahren ein Paar. Sie gehören zu den ersten, die heute in Deutschland heiraten. Heute am 1. Oktober tritt das Gesetz für die gleichgeschlechtliche Ehe in Kraft. Einige Standesämter haben heute für Homosexuelle Trauungen ermöglicht, obwohl Sonntag ist, darunter Hamburg, Hannover und Berlin. Um 9.30 traf sich das Paar unter im Rathaus Schöneberg in Berlin, um sich das Ja-Wort zu geben. Über 60 Medienvertreter waren dafür angemeldet.

„Ich hätte nie mit soviel Presse gerechnet“ erzählt Karl Kreile BuzzFeed News bei einem Besuch in seiner Wohnung am Vorabend der Hochzeit. „Wir machen das gerne öffentlich, weil es für uns auch auch ein politischer Moment ist. Es ist ein demonstrativer Akt. Es ist das Ende der jahrhundertelangen staatlichen Diskriminierung Homosexueller. Wir empfinden es deshalb als Ehre, dass wir die Ersten sein dürfen, die heiraten“.

Als Verdienst der Bundeskanzlerin sieht das Paar es jedoch nicht, dass sie heute heiraten dürfen. „Alle Verbesserungen wurden immer erst vom Bundesverfassungsgericht erstritten. Es gab nie die Bereitschaft aus der Politik. Vielen Dank Frau Merkel für nix“, kommentiert Karl Kreile gegenüber BuzzFeed News.

Das Ehepaar Kreile/Mende.

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Das Ehepaar Kreile/Mende bei einem Urlaub Anfang der Neunziger Jahre.

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Der Kampf für die gleichgeschlechtliche Ehe begann bereits 1992. In diesem Jahr fand bundesweit die „Aktion Standesamt“ statt, die vom Schwulenverband und den „Schwulen Juristen“ organisiert wurde. Anlass war auch, dass Dänemark kurz zuvor als erstes Land überhaupt die Ehe für alle auf dem Standesamt zugelassen hatte. In Deutschland war es das erste Mal, dass sich Homosexuelle öffentlich und gemeinsam gegen das Eheverbot wehrten. Mit dabei: Bodo Mende und Karl Kreile.

Rund 250 lesbische und schwule Paare zogen am 19. August 1992 in verschiedenen Städten auf die Standesämter und forderten ein Recht auf Eheschließung.

„Wir waren damals schon dreizehn Jahre zusammen und empfanden unsere Beziehung als absolut gleichwertig. Und wir wollten das auch verrechtlichen“, erzählt Kreile. Kreile und Mende arbeiten beide als Beamte, Mende selbst im Roten Rathaus.

Die „Aktion Standesamt“ am 19. August 1992 in Berlin. Links im Bild: Kreile und Mende

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Mit diesem Plakat wurde 1992 für die Aktion Standesamt geworben.

BuzzFeed.de © Foto: Schwules Museum Berlin

Die „Aktion Standesamt“ in Leipzig.

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Die „Aktion Standesamt“ in Hannover.

„In einer riesigen Traube von Reporterinnen und Journalisten standen am 19. August 1992 zehn Männerpaare vor dem hannöverschen Standesamt. Darunter auch mein damaliger Partner Andreas und ich. Wir wollten unser Aufgebot bestellen. Uns allen war klar: Das Standesamt würde ablehnen. [...] Unser Kampf um die Ehe war nun offiziell eröffnet.“ Axel Blumenthal, LSVD-Bundesvorstand (re., mit seinem Partner und seiner Mutter)
„In einer riesigen Traube von Reporterinnen und Journalisten standen am 19. August 1992 zehn Männerpaare vor dem hannöverschen Standesamt. Darunter auch mein damaliger Partner Andreas und ich. Wir wollten unser Aufgebot bestellen. Uns allen war klar: Das Standesamt würde ablehnen. [...] Unser Kampf um die Ehe war nun offiziell eröffnet.“ Axel Blumenthal, LSVD-Bundesvorstand (re., mit seinem Partner und seiner Mutter) © Foto: LSVD / Via lsvd-blog.de

Gemeinsam bestellten die 250 Paare ihre Aufgebote. Die Reaktion war absehbar: Die Standesämter lehnten ab. „Der Standesbeamte sagte uns, das ginge gar nicht. Ich fand das deprimierend und diskriminierend“, erzählt Kreile. Nach Ihnen seien heterosexuelle Paare gekommen und Kreile und sein Mann sahen zu, wie andere Menschen Heiratstermine machen konnten. „Uns wurde von staatlicher Seite gesagt, dass wir nicht gleichwertig sind. Nicht einmal Menschen zweiter Klasse. Als wir dann mit unserem Ablehnungsbescheiden vor der Tür standen, und andere Leute heiraten durften, habe ich einfach nur Frust empfunden.“, erzählt Kreile.

Die Ablehnungsbescheide, mit denen die Homosexuellen schon vor ihrer Aktion gerechnet hatten, brauchten sie für ihren weiteren Kampf: Das Ziel war eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

1993 machte das Bundesverfassungsgericht ihre Hoffnungen zunichte – gleichgeschlechtliche Paare hätten keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf eine Ehezulassung, hieß es im Urteil. Das Bundesverfassungsgericht stellte jedoch auch fest, dass ein in der Zukunft gesellschaftlicher Wandel beim Bild über die Ehe kommen könne.

Der wichtigste Schritt in diese Richtung kam 2002 mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft. Für Kreile und Mende stand fest, dass sie diese Möglichkeit nutzen wollten.

„Obwohl das Gesetz damals mehr Pflichten als Rechte erhielt. Alle Verbesserungen wurden immer erst vom Bundesverfassungsgericht erstritten. Die eingetragene Lebenspartnerschaft war eine Krücke, aber wir haben sie genommen. Aber es gab keinerlei Bereitschaft von der Politik. Insofern muss ich auch heute sagen: Vielen Dank Frau Merkel für nix“, sagt Kreile im Gespräch.

Am 19. Oktober 2002 gehen Kreile und Mende die gleichgeschlechliche Lebenspartnerschaft ein.

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Die standesamtliche Trauung fand im Roten Rathaus in Berlin zusammen mit 350 Freundinnen und Freunden des Paares statt.

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Karl Kreile mit der Hochzeitseinladung von 2002.

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25 Jahre später haben Kreile, Mende und alle Homosexuellen in Deutschland diesen Kampf gewonnen. Umfragen zeigten zuletzt, dass sich 82,6 Prozent der deutschen Bevölkerung für eine Öffnung der Ehe aussprachen.

Bundesweit gab es im Jahr 2015 laut dem Statistischen Bundesamt rund 43.000 eingetragene Lebenspartnerschaften. Ob nun alle Paare ihre Lebenspartnerschaften in Ehen umwandeln lassen, ist unklar. Laut einer dpa-Umfrage gibt es derzeit noch kein großen Andrang auf die Standesämter. Im Berliner Bezirksamt in Tempelhof-Schöneberg liegen laut Tagesspiegel derzeit 50 Anmeldungen für eine Eheschließung vor.

Am 27. Juni 2017 hatte Angela Merkel überraschend verkündet, die Abstimmung über die Ehe für alle sei eine Gewissensentscheidung. Zuvor hatte die CDU/CSU eine Abstimmung über die Ehe für alle im Bundestag 30 Mal verweigert. Nur zwei Tage später stimmte der Rechtsausschuss des Bundestages mit einer Mehrheit aus SPD, Grüne und Linke für die gleichgeschlechtliche Ehe. Im Bundestag wurde der Gesetzesentwurf am 30.6.2016 mit 393 gegen 226 Stimmen angenommen.

Glückwunsch.

UPDATE

04.10.2017, 10:55

Laut einem Bericht des Kölner Stadtanzeiger gab es ein Paar in Frechen, dass noch vor Kreile und Mende geheiratet hat. Es handelt sich um Dieter Schmitz und Bernd Göttling aus Frechen. Sie hatten bereits um 9.15 in Frechen Ihren Trauungstermin und ließen sich von der Bürgermeisterin Susanne Stupp trauen. Das Paar hatte 37 Jahre für die gleichgeschlechtliche Ehe gekämpft.

Die Trauung von Dieter Schmitz (60) und Bernd Göttling (66).

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