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Die Bundesregierung hat das neue Gesetz zur Dritten Option beschlossen aber niemand freut sich

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„Dieser Gesetzentwurf ist ein Trauerspiel, ambitionslos und bevormundend.“

Das Regierungskabinett hat den Gesetzentwurf zur sogenannten Dritten Option beschlossen. Künftig wird es in Pass und Geburtsurkunde die Möglichkeit geben, neben „männlich“ und „weiblich“ eine weitere Option zu nutzen, die „divers“ lauten soll.

BuzzFeed.de © Jan Woitas, dpa

Der neue Gesetzentwurf wurde von Oppositionsparteien seit Monaten kritisiert, auch Justizministerin Katarina Barley und Familienministerin Franziska Giffey äußerten sich kritisch. Laut Spiegel wurde der Entwurf in beiden Ministerien als „herabsetzend“ empfunden. Auch die rund zwanzig Stellungnahmen von Interessens- und Fachverbänden an das Bundesinnenministerium beinhalteten alle deutliche Kritik.

Die Bundesregierung verwechsele „Identität mit Körper“, sagte Intersex-Aktivist*in Lucie Veith im Juni als Vertreterin des Vereins Intersexuelle Menschen e.V., nachdem das Bundesinnenministerium um Stellungnahme zu dem Entwurf gebeten hatte.

Trotzdem wurde der Vorschlag nun weitestgehend unverändert von der Bundesregierung beschlossen. Neu ist, dass die Dritte Option „divers“, statt „anderes“ heißt, wie das Innenministerium zuvor vorgeschlagen hatte.

Bereits wenige Stunden nach dem Beschluss der Bundesregierung äußern Betroffene und Opposition nun erneut heftige Kritik.

„Dieser Gesetzentwurf ist ein Trauerspiel für die geschlechtliche Selbstbestimmung, er ist ambitionslos und bevormundend“, sagt Sven Lehmann, der queerpolitische Sprecher der Grünen. „Die Bundesregierung zeigt mit ihrem Gesetzentwurf, wie wenig Verständnis sie von geschlechtlicher Vielfalt hat.“

Hauptkritikpunkt ist, dass die Dritte Option Menschen nur offen steht, wenn sie ein medizinisches Gutachten vorlegen um zu belegen, dass sie intersexuell sind.

Innenminister Horst Seehofer

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Fachverbände kritisierten dies, weil der Vorschlag Intersexuelle pathologisiere. Die Bundesärztekammer schrieb 2015 in einer Stellungnahme, dass die Gleichsetzung der sogenannten „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (DSD, auch als Intersexualität bezeichnet) mit einer Fehlbildung oder Krankheit „nicht angemessen“ seien.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem Gesetzentwurf ist, dass er deshalb nur intersexuellen Menschen offen steht. Trans-Personen und -Verbände hatten gehofft, dass auch sie die Dritte Option nutzen können. Für Trans-Menschen gilt in Deutschland ein als veraltet geltendes Transsexuellengesetz von 1980, was bereits zu großen Teilen vom Bundesverfassungsgericht für unzulässig erklärt wurde.

Auch ein Operationsverbot an intersexuellen Kindern ist im neuen Gesetz nicht enthalten. Interessenverbände wie Intersexuelle Menschen e.V. und OII Germany kritisierten dies deutlich in ihren Stellungnahmen an das Bundesinnenministerium.

Unsere prioritäre Forderung ist, dass geschlechtszuweisende und anpassende Operationen an minderjährigen intergeschlechtlichen Menschen ohne deren ausdrückliche Einwilligung nicht mehr durchgeführt werden“, so Lucie Veith in der Erklärung von Juni.

Jens Brandenburg, Sprecher für LSBTI der FDP, sagt BuzzFeed News auf Anfrage: „Es bleibt also beim halbherzigen Entwurf von Innenminister Seehofer zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.” Die SPD sei vor Herrn Seehofer eingeknickt.

„Für die geschlechtliche Identität eines Menschen gibt es keinen besseren Experten als diesen Menschen selbst. Deshalb darf es keinen ärztlichen Gutachtenzwang geben. Fraglich ist ganz grundsätzlich, wofür wir den Geschlechtseintrag im Geburtsregister heutzutage überhaupt noch brauchen“, so Brandenburg.

Die Bundesvereinigung Trans* kritisierte, das Bundeskabinett vergebe eine „historische Chance“ mit der eingeschränkten Dritten Option.

Die Kampagne zur Dritten Option, welche die Klage vor das Bundesverfassungsgericht mit vorbereitet hatte, schreibt auf Twitter, die Reaktion des Bundesinnenminsteriums sei: „Uns doch egal“ gewesen. Die historische Chance auf ein besseres Gesetz zu vergeben, sei „schade und blamabel.“

Die Kampagne Dritte Option fühlt sich ignoriert

Der Gesetzentwurf geht nun in den Bundesrat und Bundestag. Erst danach tritt das neue Gesetz in Kraft. Laut dem Bundesverfassungsgerichtsurteil muss das Gesetz bis Ende 2018 umgesetzt sein.

Franziska Giffey kündigte an, dass ab September ein Verfahren zur Reform des Transsexuellegesetzes eingeleitet wird. Das Bundesinnenministerium wird dabei erneut die Federführung übernehmen.

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