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12 Fakten, die du zum Thema Intersexualität wissen solltest

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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass in Deutschland eine dritte Geschlechtsoption rechtlich anerkannt werden muss.

1. Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?

Künftig sollen Personen, die weder eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden, eine eigene Kategorie im Geburtsregister bekommen. Darin könnte dann etwa „divers“ oder „inter“ eingetragen werden. Das entschied das Gericht mit einem Urteil am Mittwochmorgen.

Wird man gezwungen, sich als Mann ODER Frau zu registrieren, verletzt das Intersexuelle in ihren Grundrechten, so das Urteil. Darum brauche es einen anderen, positiven Geschlechtseintrag.

Dafür muss nun das sogenannte Personenstandsrecht geändert werden.

Auslöser für das Urteil war die Klage einer Person, die Vanja genannt wird und intergeschlechtlich ist, bei ihrer Geburt aber als Mädchen eingetragen wurde. Vanja hatte sich durch alle Instanzen geklagt, und erst zuletzt vor dem Budesverfassungsgericht gewonnen.

2. Was ist Intersex?

Intersexuelle Menschen werden weder eindeutig dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Intersexualität kann ganz unterschiedliche Merkmale haben: Sie kann die Chromosomen, die Hormone, die äußeren oder auch die inneren Geschlechtsmerkmale betreffen.

So kann eine Person mit Brüsten und Gebärmutter zusätzlich einen Hoden haben, oder eine Person wird mit einem Penis und Eierstöcken geboren. Nicht selten sind etwa sogenannte XY-Mädchen oder -Frauen. Sie haben die Geschlechtschromosomen eines Mannes, aber werden von ihrem Äußeren als Frau identifiziert.

Einige Intersexuelle fühlen sich als Mann oder Frau. Andere lehnen eine solche Zuordnung ab oder empfinden sich als einem dritten Geschlecht zugehörig.

3. Wie viele intergeschlechtliche Menschen leben in Deutschland?

Es gibt keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele intergeschlechtliche Menschen es gibt. Die Biologin Anne Fausto-Sterling schätzt, 1,7 Prozent der Menschen weltweit werden mit Variationen der Geschlechtsmerkmale geboren.

Der Deutsche Ethikrat schätzt 80.000 bis 120.000 intersexuelle Personen für Deutschland. Laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes könnten in Deutschland bis zu 160.000 intersexuelle Menschen leben.

4. Ist das eine Krankheit?

Intersexuelle Personen werden mit DSD (Disorder of Sex Development) diagnostiziert, auf deutsch: eine Störung der Geschlechtsentwicklung. Dieser Begriff wird in der Medizin verwendet und wird definiert als „angeborene Fehlbildung“, bei der sich das „chromosomale, gonadale phänotypische Geschlecht atypisch entwickelt.“

Viele Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht der Norm entsprechen, kritisieren das und fühlen sich stigmatisiert – ihre Körper weichen zwar von der Norm ab, sie fühlen sich jedoch nicht krank.

Geschlechtliche oder sexuelle Abweichungen von der Norm als Krankheit zu stigmatisieren, hat eine lange Tradition. Auch Transsexualität gilt in Deutschland noch immer als Krankheit, Homosexualität seit 1992 nicht mehr.

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5. Wie nennt man das jetzt?

Viele Fachverbände sprechen auch von intergeschlechtlich, zwischengeschlechtlich oder einfach Inter*. Bei Inter-Personen geht es um mehr als um die Sexualität, reproduktiven Eigenschaften oder den biologischen Körper: Wichtig ist auch die Geschlechtsidentität, also das sozial empfundene Geschlecht der Person.

6. In Deutschland werden intersexuelle Babys und Kinder operiert, um ihr Geschlecht anzugleichen.

Wenn Kinder in Deutschland nicht mit eindeutigen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt kommen, werden Sie häufig operiert, um ihr Geschlecht anzugleichen. Das sei bei geschätzt 70 Prozent der Personen der Fall, die Sie aus ihrer Arbeit kennt, sagte Stefanie Klement, erste Vorsitzende von Intersexuelle Menschen e.V. gegenüber BuzzFeed News. Verlässliche Zahlen, wie viele Menschen betroffen sind, gibt es nicht.

Bei den Operationen werden häufig die als falsch empfundenen Organe entfernt, innere wie äußere, etwa Eierstöcke und Gebärmutter oder ein Hoden. Auch werden in komplizierten, mehrfachen Operationen künstliche Vaginaleingänge oder Uringänge gelegt, oder etwa eine als zu groß empfundene Klitoris verkleinert. Begleitet werden die Operationen in manchen Fällen von Hormontherapien.

7. Amnesty International bezeichnet das als Menschenrechtsverletzung ...

Amnesty International schreibt in einem Bericht von 2017, dass diese Eingriffe gegen Artikel 3.1. der UN-Kinderrechtskonvention verstoßen. Dieser schreibt das Recht auf körperliche Unversehrtheit fest. Bei den Eingriffen handele es sich schließlich nicht Notfallmaßnahmen.

Ziel ist, die Operationen - besonders an Kleinkindern - zu verbieten und die Entscheidung nach ihrem Geschlecht selbst zu überlassen, wenn sie alt genug dafür sind.

Der Deutsche Ethikrat fordert eine Entschädigung für Personen, die mit den Folgen der Operationen leben. Amnesty International teilte uns auf Anfrage mit:

Amnesty: „Noch immer werden Kinder mit Variationen der Geschlechtsmerkmale ohne akute medizinische Notwendigkeit operiert oder überflüssigen Behandlungen unterzogen, um sie dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen. Die Behandlungen haben teils fatale Folgen für die körperliche und seelische Gesundheit, unter denen die Betroffenen ihr Leben lang leiden.“

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8. ...und die Antidiskriminierungsstelle einen „medizinischen Skandal“.

Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, bezeichnete die Operationen jüngst bei einer Preisverleihung in Berlin sogar als Genitalverstümmelung.

Tausende Menschen in Deutschland seien durch geschlechtszuweisende Operationen für ihr Leben lang verstümmelt, schrieb sie auf unsere Anfrage:

„Das ist ein medizinischer Skandal, der noch viel zu wenig in die Öffentlichkeit gedrungen ist. Ich würde mir wünschen, dass Staat und Ärzteschaft endlich ein explizites Verbot aller Eingriffe, denen keine lebensbedrohliche Indikation zugrunde liegt, auf den Weg bringen. Außerdem brauchen wir aus meiner Sicht einen Entschädigungsfonds, um von Fehlbehandlungen betroffenen Menschen besser zu helfen“.

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9. Eine dritte Option gab es in Deutschland schon ...

... allerdings besteht die aus einer Leerstelle. Wenn Kinder geboren werden, kann ihr Eintrag ins Geburtenregister leergelassen werden – das erlaubte eine Änderung des Personenstandgesetzes Ende 2013.

Anfang des letzten Jahrhunderts kannte das Allgemeine Preußische Landrecht bereits die Kategorie „Zwitter“. Als 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch das Landrechte ablöste, verschwand auch der Zwitterparagraph.

Deutschland war damit das erste Land in Europa, das eine Form von dritter Option zuließ. Die Angabe im Geburtenregister bleibt dann leer. Diese Menschen sind bei der Ehe für alle jedoch noch nicht berücksichtigt.

10. Die Ehe für alle gilt bald wirklich für alle.

Im Gesetzestext heißt es: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Von der Ehe für alle sind Personen ohne Geschlechtseintrag also ausgeschlossen. Allerdings sind sie derzeit noch zu jung, um zu heiraten.

Mit einem dritten Geschlechtseintrag wird jedoch klar, dass auch sie bei der Ehe für alle mitgemeint sind.

11. Die Ministerien haben sich über das Thema gestritten.

Zwei Jahre arbeitete eine Gruppe aus sechs verschiedenen Ministerien zu dem Thema, zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Experten. Am Ende konnten sie sich aber nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen.

Das Familienministerium sprach von einem „enttäuschenden Ergebnis“, veröffentlichte im Alleingang ein Positionspapier: Eine dritte Geschlechtsoption sei notwendig, die geschlechtsangleichenden Operationen gehören verboten.

12. Und wie geht's jetzt weiter?

Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes muss die Entscheidung bis zum 31.12.2018 umgesetzt werden. Interessant wird nun, ob die Änderung in den derzeitigen Koalitionsverhandlungen mit besprochen wird.

Die Grünen plädieren für ein sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz, was Änderungen im Personenstandseintrag vereinfachen soll. Die FDP und die Union sprachen sich vor der Bundestagswahl nicht eindeutig für eine Änderung des Personenstandsgesetzes aus.

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