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Warum BuzzFeed kein Clickbait macht

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Dieses Geständnis unseres US-Chefredakteurs wirst du nicht glauben.

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BuzzFeed.de © Jenny Chang / BuzzFeed

Als jemand den US-Komiker Jon Stewart mal gefragt hat, wie er BuzzFeed und Vice so findet, sagte er das hier:

„Oft klicke ich mich so von hier nach da, aber wenn ich mir das Internet dann so anschaue, fühle ich mich manchmal wie in einem Vergnügungspark auf Coney Island“, antwortete Stewart dem New York Magazine. „Als ob da lauter Marktschreier sitzen und rufen: 'Kommen Sie! Schauen Sie! Hier gibt's den Mann mit den drei Beinen!' – Also läufst du hin und gehst rein, und dann steht dort ein Mann mit zwei Beinen und einer Krücke.“

Das ist vielleicht die beste Definition, die ich jemals gehört habe für etwas, was heute „Clickbait“ genannt wird. Aber sie zeigt auch, dass Stewart, genau wie ziemlich viele andere Medienleute, sich gar nicht so sicher sind, was genau Clickbait nun ist. Wir bei BuzzFeed haben (manchmal auch absichtlich) lange nicht gut erklärt, warum wir immer versucht haben, Clickbait zu vermeiden.

Tatsächlich aber – und jetzt kommt ein Geschäftsgeheimnis, zu dem ich vor ein paar Jahren entschieden habe, dass wir es erstmal für uns behalten – funktioniert Clickbait schon seit 2009 nicht mehr.

Wir haben das für uns behalten, weil, na ja, viele unserer Rivalen hatten es noch nicht herausgefunden und wurden irgendwie süchtig und fast schon abhängig von diesen irreführenden Schlagzeilen. Da wir es nicht waren, schien es für uns kein Problem zu sein, wenn sich die anderen darauf konzentrieren.

Jetzt aber ist es kein Geheimnis mehr, dass Clickbait nicht funktioniert. Unser eigener Reporter Charlie Warzel hat eine spannende Geschichte darüber geschrieben. Nilay Patel von The Verge hat unsere Position in einem Interview mit Poynter vermutlich besser beschrieben, als wir es jemals selbst getan haben:

„Clickbait ist meistens enttäuschend, weil es erst ein Versprechen abgibt, und das dann nicht erfüllt wird. Was die Leser bekommen, ist weit weniger als das, was man ihnen versprochen hat. Bei BuzzFeed ist das andersrum: BuzzFeed-Schlagzeilen zahlen sich besonders gut aus, weil sie eigentlich relativ kleine Versprechen machen und sich dann selbst überbieten.“

In einem Blog-Beitrag im August 2014 machte Facebook-Ingenieur Khalid El-Arini dann klar, was wir eigentlich alle wissen: dass Leser nicht von Schlagzeilen betrogen werden wollen; stattdessen möchten sie von ihnen informiert werden.

Warum Clickbait gar nicht im Internet entstanden ist

Clickbait hat seine Ursprünge in den alten Medien, nicht im Internet. Genauer gesagt: Clickbait kommt aus dem Fernsehen und Radio. Weil man den Leuten dort schon seit Jahren sagt, dass die nicht glauben werden, was als nächstes passiert... und zwar gleich nach der Werbe-Pause.

Dann kam das Internet und diese Werbepause verwandelte sich in Bannerwerbung. Es entstand ein Geschäftsmodell, bei dem Dollars direkt an Klicks geknüpft sind – etwas, von dem viele annehmen, dass noch immer alle Online-Medien ihr Geld allein so verdienen. Alles, was in diesem Geschäftsmodell zählt, ist die knackige Schlagzeile. Bekommst du die Aufmerksamkeit des Lesers, erhältst du den Klick – auch wenn hinter der Überschrift nicht das verrückteste Ding lauert, das Ted Cruz jemals gesagt hat, oder wenn "Paris Hilton – oben ohne" ganz normal angezogen ist, aber in einem Cabrio sitzt, oder wenn dieser einfache Trick Ihr Gewicht nicht sinken lässt, und auch, wenn du eben doch glauben kannst, was als nächstes passiert – der Klick ist gezählt.

Und hier kommt BuzzFeed ins Spiel, weil wir glauben:

Klar kannst du die Leute durch Täuschung dazu bringen, etwas anzuklicken – aber sie werden es nicht teilen.

Wenn dein Ziel – wie es bei BuzzFeed der Fall ist – darin besteht, dem Leser etwas so Neues, Lustiges, Erhellendes oder Entzückendes zu liefern, dass er es einfach teilen muss, dann musst du etwas liefern, dass das Versprechen der Überschrift nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt. Dies ist eine sehr hohe Messlatte. Es ist eine Sache, etwas zu lesen. Aber es ist etwas ganz anderes, sich aktiv zu entscheiden, das auch mit Freunden oder der Familie zu teilen. Und nur darum geht es im Social Web von Facebook, Twitter, Pinterest und anderen Plattformen.

Wenn du nicht willst, dass deine Leser etwas teilen, dann ist der beste Weg dafür, sie auszutricksen. Jeder, der die letzten 20 Jahre im Netz verbracht hat, kennt dieses nervige Gefühl, wenn eine Überschrift ihr Versprechen nicht einhält. Es ist das Gefühl, das man hat, wenn man in einen glänzenden, aber verdorbenen Pfirsich beißt. Die Webseite hat den Klick bekommen, die Klickzähler registrieren deine Wut nicht – aber deinen Freunden und deiner Familie wirst du das niemals zumuten. (Gut, vielleicht deinen Feinden...)

Was also macht eine gute Überschrift aus?

Ehrlich gesagt ist der einzige echte Trick: Du musst gute Arbeit machen. Und das einzige, was diese Strategie wirklich sabotieren kann – außer mittelmäßiger Arbeit – ist: Eine Überschrift schreiben, die zu viel verspricht, und eine Geschichte drunterzupacken, die zu wenig liefert.

Gute Überschriften verraten viel über das, was du gleich lesen wirst – und überreden Leser zum Klicken, weil die schon wissen, dass sie dahinter eine Geschichte finden, die sie auch interessiert.

Die Listen, für die BuzzFeed seit langem bekannt ist, sind, wie für Listentitel üblich, extrem direkt; „24 Tiere, die ihre letzte Entscheidung extrem bereuen“ ist genau das. Nicht mehr, nicht weniger.

Dass das Internet eine Allergie gegen Clickbait entwickelt hat, geht auch die Kollegen etwas an, die nicht an Inhalten für soziale Netzwerke arbeiten – weil sie zum Beispiel großartige Titelseiten machen. Die meisten Leute klicken die meisten Überschriften gar nicht an. Aber eine gute Startseite informiert sie trotzdem. Vielleicht gehörst du nicht zu den vielen Leuten, die nie auf die Überschrift „Von 40 geplanten Ankerzentren sind nur acht bestätigt – und kaum ein Bundesland macht mit“ geklickt haben. Aber wenn du die Schlagzeile gesehen hast, hast du doch etwas gelernt. Eine Überschrift wie „Du wirst nicht glauben, wie viele Anker-Zentren Horst Seehofer schon hat“ könnte (vielleicht) viel mehr Klicks bekommen – aber der Leser, der nur daran vorbeifliegt, bekommt überhaupt nichts. Das ist eine Form der digitalen Umweltverschmutzung, egal ob auf der Homepage oder Ihrem Twitter- oder Facebook-Feed. Und deswegen machen wir das nicht.

Die Leute benutzen den Begriff „Clickbait“ unterschiedlich – und manchmal wird der Begriff einfach nur genutzt, um unterhaltsam geschriebene Artikel zu kritisieren. Das ist okay, es ist eine Frage des Geschmacks. Aber was auch immer dein Geschmack ist: Niemand mag es, ausgetrickst zu werden. Und was auch immer deine Ziele als Verleger oder Redaktion sind: Es gibt keinen Grund, deinen Lesern etwas zu versprechen, und dieses Versprechen dann zu brechen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

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