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So ist das Leben für einen Syrer, der nach Deutschland flüchtete

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Nedal ist vor politischer Verfolgung in Syrien geflohen und vor zehn Monaten nach Deutschland gekommen. Wie ist das Leben zwischen Deutsch lernen, Duldung und Aufenthaltserlaubnis?

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Nedal und ich treffen uns am Berliner Alexanderplatz in einem überfüllten Café. Es ist das zweite Mal, dass wir uns sehen. Bei Cappuccino und Kaffee reden wir erst über das Wetter. Dass es langsam kälter wird und ständig regnet. Als ich ihn frage, wie es seiner Familie geht, wird er plötzlich leiser. Er macht sich große Sorgen um seine Familie, denn vor zwei Tagen explodierte eine Autobombe in seiner Heimatdtadt Al-Hasaka. 20 Tote und 40 Verletzte. Bis auf seinen Bruder Majid wohnt seine gesamte Familie noch dort.

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Nedal spricht offen gegen Assad. Das hat Folgen.

Nedal wird vor 29 Jahren in Al-Hasaka im Nordosten Syriens in eine christliche Familie geboren. Er hat drei Brüder und eine Schwester. Sie alle wachsen in dieser Stadt mit 180.000 Einwohnern nahe der türkischen Grenze auf. Den Eltern geht es gut. Sein Vater hat ein eigenes Geschäft und die Mutter arbeitet in einer Schule. Es fehlt der Familie an nichts. Nedal studiert Jura an der Universität in Aleppo. Um sein Studium zu finanzieren, arbeitet er auch in einem medizinischen Unternehmen. Hier merkt er, dass er eigentlich einen anderen Berufweg einschlagen will als den, den sein Studium ihm zeigt. Er beendet trotzdem sein Jurastudium und will eine Ausbildung zum Orthopädietechniker anfangen. Doch das syrische Militär kommt ihm in die Quere. Nach dem Studium muss jeder Mann in Syrien den Wehrdienst antreten. Nedal möchte das nicht. Außerdem ist er gegen die Politik des syrischen Präsidenten Assad und spricht darüber offen auf Facebook. Er hat Angst, dass dies schlimme Folgen für ihn hat.

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Nedals Heimatstadt Al-Hasaka, fotografiert 2009. 2010 ging der Bürgerkrieg in Syrien los.

2011 lädt ihn eine Freundin nach Tunesien ein. Kurz bevor er abreist, kommt die Polizei mit drei Streifenwagen in sein Haus. Sie suchen ihn, weil er sich immer noch nicht für den Militärdienst gemeldet hat. Er ist an dem Tag nicht zuhause. Als seine Familie ihm von dem Vorfall erzählt, packt er seine Taschen und flieht noch am selben Tag. Später werden seine Brüder eine Vorladung von der Polizei bekommen, um sich für Nedals kritischen Äußerungen auf Facebook zu erklären.

In Tunesien will Nedal ein neues Leben anfangen. Er lässt sich zum Orthopädietechniker ausbilden und verliebt sich. Er findet sogar einen Job in einem deutschen Unternehmen, das auf Orthopädietechnik spezialisiert ist. Ab und zu assistiert er seine Kollegen bei OPs, bei denen eine Prothese eingesetzt werden soll.

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Soldaten setzen ihn in einen Wald im türkischen Niemandsland aus

Er arbeitet, zahlt Steuern aber bekommt immer noch keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Tunesien. Langsam ist er frustriert. Er will raus aus Tunesien, er sieht keine Perspektiven für sich.

Irgendwann meldet sich sein jüngster Bruder Majid. Er hat es auch raus aus Syrien geschafft und ist in der Türkei. Nedal macht sich auf den Weg um seinen Bruder zu treffen. Nach drei Jahren in Tunesien.

Endlich wieder vereint, beschließen die Brüder im September 2014 die Türkei zu verlassen und über Griechenland nach Deutschland zu kommen. Als sie es über die Grenze in ein griechisches Dorf schaffen, wollen sie sich mit zwei anderen Syrern bei der Polizei als Flüchtlinge melden. Doch statt die Gruppe als Asylsuchende aufzunehmen, werden sie ins Gefängnis gesteckt. Mitten in der Nacht werden sie von Soldaten geweckt, die ihnen die Handys wegnehmen. Mit einem schnellen Militärsboot geht es über den Grenzfluss Maritsa zurück in die Türkei. Drei Wochen später wird eine Gruppe von sechs syrischen Männern in diesem Fluss ertrinken.

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Links: Der Fluss Maritsa an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei.

Rechts: Die Gruppe, mit der Nedal geflohen ist.

Die Soldaten sprechen untereinander Englisch und auch ein paar Fetzen Deutsch fallen, sagt Nedal. Er glaubt nicht, dass es griechische Soldaten waren. Sie fahren mit ihrem Boot zurück nach Griechenland und lassen die Gruppe orientierungslos im Wald zurück. Die Soldaten werfen ihnen die Handys hinterher. Die meisten sind längst leer. Frierend und orientierungslos versucht die Gruppe voranzukommen. Mit Hilfe eines kleinen BIC-Feuerzeug gelingt es ihnen Feuer zu machen. Sie schlafen eine Nacht im Wald. Am nächsten Morgen geht es weiter. Nach sechs Stunden Laufmarsch werden sie vom türkischen Militär gefasst. Sie werden in ein Camp in der Stadt Erdine gebracht. Sie schlafen dort für eine Nacht und fahren weiter nach Istanbul.

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Links: Das BIC-Feuerzeug, das beim Feuer machen zum Einsatz kam.

Rechts: Nedal und die Gruppe, mit der er versucht hat nach Griechenland zu kommen.

"Ich dachte, dass ich auf jeden Fall sterben würde"

In Istanbul bleiben sie zwei Monate. Nedal ist frustriert, aber er lässt sich nicht entmutigen. Er beschließt, es nochmal alleine zu versuchen. Er will seinen Bruder nicht in Gefahr bringen. Wenn ihnen etwas passiert, solle seine Mutter nicht um zwei Kinder trauern müssen, sagt er über diese Entscheidung.

Am 11. November 2014 geht es los. Von Mersin, einer Stadt im Süden der Türkei, will er mit dem Boot nach Sizilien und danach weiter nach Deutschland kommen.

Er verbringt acht Tage auf einem Boot, mit 250 anderen Menschen. Nach sieben Tagen auf dem Meer wird das Wetter immer schlechter und der Motor des Bootes setzt irgendwann aus. Die Kinder auf dem Boot schreien, die Frauen weinen und alle beten. "Ich dachte, dass ich in dem Moment auf jeden Fall sterben würde, dabei wollte ich doch nach Deutschland, um zu leben." sagt er nachdenklich. Irgendwann werden sie von der italienischen Küstenwache gefunden und gerettet. Ihr Boot wird auf ein großes amerikanisches Güterschiff gebracht, das sie nach Sizilien bringt. Nedal ist seit 15 Jahren Atheist und glaubt auch nicht an Glück. "Aber irgendwas war an dem Tag am Werk. Ich weiß nur nicht was es genau war."

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Links: Das Boot der italienischen Küstenwache

Rechts: Eine der italienischen Rettungskräfte

“Das war eine der erniedrigendsten Situationen in meinem Leben.”

Von Sizilien gehts nach Rom, Mailand und schließlich mit dem Zug nach München. Von München aus kommt er an einem Freitag Ende November 2014 in Berlin an. Er geht zur Polizei in Spandau und will sich dort als Flüchtling melden. Sie sagen ihm, dass er nicht aussehe, wie jemand der Hilfe braucht. Mit ihm wartet ein junger Mann aus Algerien. Nedal zeigt den Polizisten seine Papiere und nach zwei Stunden werden sie zu einer größeren Polizeiwache gebracht und dort erstmal in Gewahrsam genommen. Nach zwei Stunden kommt ein Polizist und sagt ihnen, dass sie sich ausziehen müssen. Nedal zieht sich bis auf die Unterwäsche aus. Der Polizist besteht darauf, dass er sich ganz auszieht. "Muss das sein?" fragt Nedal. "Es ist das Gesetz" antwortet der Polizist. Worauf Nedal so gründlich untersucht werden soll, sagt ihm der Beamte nicht. "Das war eine der erniedringsten Situationen in meinem Leben." sagt Nedal heute. BuzzFeed Deutschland hat die Polizei Berlin heute um ein Statement gebeten, ob sich Flüchtlinge ausziehen müssen, wenn sie sich melden. Die Pressestelle der Polizei Berlin sagte zu BuzzFeed Deutschland, dass sie Zeit brauche, um diese Frage zu beantworten.

Die Polizei nimmt auch Nedals Fingerabdrücke. Nachdem sie seinen syrischen Pass eingefordert hat, schicken sie die beiden Männer zu einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin. Wo genau kann Nedal nicht mehr so richtig sagen. "Damals kannte ich mich in Berlin nicht aus." Sie verbringen das Wochenende in dieser Unterkunft und stehen am Montag um vier Uhr morgens in der Turmstraße 21 im Berliner Stadteil Wedding. Dort ist das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, das in den letzten Wochen wegen Überfüllung und Überforderung immer wieder in die Schlagzeilen gerät.

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Links: Die Notunterkunft in Eisenhüttenstadt

Rechts: Nedals Zimmer in Frankfurt an der Oder

"Im ganzen Hotel wimmelt es von Fremdländischen."

Um zehn Uhr morgens, nach sechs Stunden Wartezeit, bekommt Nedal ein Zettel, der ihn in die Erstaufnameeinrichtung nach Eisenhüttenstadt schickt. Es ist die gleiche Einrichtung, in der sich ein Flüchtling aus dem Tschad im Mai 2013 erhängt hatte. In Eisenhüttenstadt ist Nedal mit 300 anderen Menschen in einer Turnhalle untergebracht. Zwei Wochen später bekommt er ein Bescheid, dass ihn in eine Flüchtlingsunterkunft nach Frankfurt an der Oder schickt. Hier wohnt er mit sieben anderen Männern in einem Zimmer. Die Flüchtlinge bekommen Scheine, die ihnen einen kostenlosen Arztbesuch ermöglichen sollen. Aber kaum ein Arzt will sie behandeln.

Zwei Wochen später soll er nach Berlin-Hoppegarten. Hier teilt er sich ein Zimmer mit zwei Männern in einem Hotel, das zum Teil als Flüchtlingsunterkunft dient. Im Februar 2015 wird ein Hotelgast bei einer Bewertungsplattform über dieses Hotel schreiben: "Im ganzen Hotel wimmelt es von Fremdländischen."

Im April hat Nedal sein Gerichtstermin in Schönefeld, wo entschieden wird ob er in Deutschland bleiben darf oder nicht.

Er darf. Für drei Jahre.

Am 27.07.2015, neun Monate nachdem er in Deutschland angekommen ist, hat Nedal endlich diese Gewissheit.

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"Ich bin nicht hierhin gekommen, um Geld vom Staat zu schnorren."

Weil er zurzeit zur Schule geht, um Deutsch zu lernen, darf er im Moment nur zwei Stunden am Tag arbeiten. Sobald sein Deutsch der Niveaustufe A1 entspricht, wird er Vollzeit arbeiten können. A1 bedeutet, dass er "vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden" kann. Er will unbedingt wieder als orthopädischer Techniker arbeiten. Aber dafür muss sein Deutsch mindestens der vorletzten Niveaustufe, C1 genannt, entsprechen. Das hat er herausgefunden. Er hat auch herausgefunden, dass sein Jura Abschluss hier in Deutschland nicht anerkannt wird. Was wird, wenn er auch nicht als orthopädischer Techniker arbeiten darf, frage ich ihn. "Dann mache ich die Ausbildung eben nochmal!" entgegnet er mir. "Mein Traum ist es irgendwann, ein eigenes Unternehmen zu gründen und vielen Menschen eine Chance zu geben. Ich bin nicht hierhin gekommen, um Geld vom Staat zu schnorren."

Momentan schläft er bei Freunden. Er sucht händeringend eine Wohnung oder ein WG-Zimmer.

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Nedal in Frankfurt an der Oder

"Wir brauchen kein Mitleid. Wir brauchen nur eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben."

Bei unserem Treffen, fast ein Jahr nach seiner Ankunft in Deutschland, sagt er: "Kein Land in Europa will wirklich Flüchtlinge haben. Aber wo sollen wir sonst hin?". "Wir sind normale Menschen.

Wir brauchen kein Mitleid. Wir brauchen nur eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Syrer insbesondere sind ein stolzes Volk. Erst haben Assad und ISIS uns unsere Würde genommen und jetzt Polizisten an europäischen Grenzübergängen."

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Nedals Familie bei der Hochzeit seiner Schwester.

"Nur das Meer nimmt uns ohne Visum."

Nedal sagt mir, dass sein jüngster Bruder Majid, der damals in der Türkei zurückblieb, seit einem Monat in Berlin ist. Danach zeigt er mir Bilder von seiner Familie. Von der Hochzeit seiner Schwester letztes Jahr. Er erzählt mir auch, dass sie bald ihr erstes Kind bekommt. "Ich verpasse diese wichtigen Momente im Leben meiner Familie und das schlimmste ist, dass ich nicht mal weiß, ob ich sie jemals wieder sehen werde."

Sein Vater ist schwer krank und er weiß nicht, was er machen soll, um ihn zu sich zu holen. Ein Visum zu bekommen und über sicherem Weg nach Deutschland zu kommen sei unmöglich. "Nur das Meer nimmt uns ohne Visum." sagt er zum Schluss.

Update

21.09.2015, 14:02

"Asylsuchende werden in der Regel bei der Aufnahme durchsucht, aber nicht entkleidet. In Ausnahmefällen kann das aber schon mal vorkommen. Etwa wenn sie sich verdächtig verhalten." Das sagte Stefan Redlich Pressesprecher der Polizei Berlin zu BuzzFeed Deutschland.

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