US-Wahl: Was in der Wahlnacht passieren wird (und wann)

    Gut Ding will Weile haben...

    Die einen können es kaum erwarten, dass Donald Trump das Weiße Haus verlassen muss. Die anderen, dass er im Amt bestätigt wird. Und auf der ganzen Welt haben Menschen dieser Tage nur eine Frage im Kopf: Wann wissen wir endlich, wer gewinnt?

    Sicher ist schon jetzt: Die Coronavirus-Pandemie sorgt dafür, dass sehr viele Leute per Briefwahl abstimmen. Darum wird es wohl länger als üblich dauern, den Wahlsieger zu ermitteln.

    Theoretisch könnte das Ergebnis auch schon am 3. November feststehen. Dann müsste aber einer der beiden einen wahren Erdrutschsieg hinlegen.

    Kommt es hingegen zu Unstimmigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen in den verschiedenen Staaten, dann könnte es Tage, ja sogar Wochen dauern, bis ein offizielles amtliches Endergebnis feststeht.

    Hier ist der Zeitplan

    Die ersten Wahllokale schließen am 3. November um 18 Uhr Ortszeit in Indiana und Kentucky – dann ist es bei uns genau Mitternacht. Die letzten Wahlzettel fallen am 4. November um 7 Uhr unserer Zeit in Alaska in die Urnen.

    Wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, dann wird es vermutlich zunächst so aussehen, als würde Donald Trump die Wahl gewinnen. Aufgrund der unablässigenund haltlosen – Behauptungen des Präsidenten über angebliche Fälschungen bei der Briefwahl ist es wahrscheinlich, dass Trumps Anhänger im Wahllkokal wählen gehen. Diese Stimmen werden schneller ausgezählt. Es könnte zu einem Effekt kommen, den die Wahlforscher von Hawkfish eine „rote Fata Morgana“ nennen: Die Umfragen haben durchweg gezeigt, dass Anhänger der Republikaner im Vergleich zu den Demokraten es mit großem Abstand vorziehen, am Wahltag persönlich abzustimmen.

    Wenn es dazu kommt, während die Ergebnisse der abgegebenen Briefwahlstimmen noch ausstehen, könnte es so aussehen, als würde Trump mit großem Vorsprung gewinnen – und in einem solchen Moment wäre es möglich, dass Trump öffentlich den Sieg für sich beansprucht, noch bevor alle Stimmen ausgezählt sind. Auf ein solches Szenario bereiten sich seit Wochen tausende protestbereite Amerikaner vor.

    Sobald aber die Auszählung der Briefwahlstimmen abgeschlossen ist, könnte der ehemalige Vizepräsident Joe Biden den Vorsprung des Präsidenten durchaus aufholen oder ihn sogar überholen.

    Einige Bundesstaaten wie Arizona, Florida und North Carolina – allesamt wichtige Swing States, die man im Auge behalten sollte – haben Gesetze, die es erlauben, noch vor dem Wahltag mit der Auszählung der Briefwahlstimmen zu beginnen. Das könnte nach Schließung der Wahllkokale am 3. November zu einem klaren und relativ eindeutigen Ergebnissen führen – könnte.

    Denn viele andere Bundesstaaten, zum Beispiel Ohio, Pennsylvania und Michigan, dürfen vor dem Wahltag noch nicht mit der Auswertung der Briefwahl beginnen. Und da es noch keine umfassenden Erfahrungswerte für die Bearbeitung von massenhaft abgegebenen Briefwahlstimmen gibt, könnten sich deren Ergebnisse erheblich verzögern.

    Selbst Bundesstaaten mit viel Briefwahl-Erfahrung könnten im Falle einer historisch hohen Wahlbeteiligung länger brauchen, um die Ergebnisse final zu verkünden.

    Ohne Florida kein Sieg

    Der Staat, auf dem in der Wahlnacht besonderes Augenmerk liegen sollte, ist Florida. Laut Drew McCoy von "Decision Desk" ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Biden die Wahl gewinnt, wenn er in Florida gewinnt. Für Trump gibt es ohne den „Sunshine State“ mathematisch kaum noch wenige Wege zum Sieg.

    Aber wie die Geschichte immer wieder gezeigt hat: Gerade in Florida kann es eine Weile dauern, bis Ergebnisse vorliegen. Schon oft hat es dort ein enges Rennen gegeben, auch wenn der Bundesstaat früher mit der Stimmenauszählung beginnt als die Swing States im Mittleren Westen.

    Wenn Trump in Florida gewinnt, gibt es für ihn mehrere Wege zum Sieg. Viele davon führen über Staaten, bei denen die Ergebnisse wahrscheinlich verzögert vorliegen: Staaten wie Pennsylvania, wo der Oberste Gerichtshof kürzlich entschied, dass Wahlbeamte Briefwahlunterlagen mitzählen dürfen, die bis zu drei Tage nach der Wahl eingehen.

    Sollte Biden in der Wahlnacht neben Florida auch in Texas gewinnen, ist das Rennen so gut wie beendet.

    Gewinnt Biden in der Wahlnacht andere Staaten, in denen die Ergebnisse schnell vorliegen – wie zum Beispiel Arizona oder North Carolina, die Trump 2016 gewonnen hat – dann würde dies zumindest eine gewisse Tendenz aufzeigen, auch wenn ein Sieger in der Wahlnacht noch nicht ermittelt werden kann. Doch sind diese Staaten aufgrund des Wahlmännersystems in den USA nicht so entscheidend wie Florida. Wenn Biden in der Wahlnacht hingegen neben Florida auch in Texas gewinnt, ist das Rennen so gut wie beendet.

    Schon bei früheren Wahlen kam es in einigen Bundesstaaten bei der Stimmenauszählung zu scheinbar plötzlichen Führungswechseln in den Hochrechnungen. Das ist nichts Ungewöhnliches, es passiert bei jeder Wahl. Was in diesem Jahr hingegen anders ist: dass sich die Auszählung der Stimmen über Tage oder sogar Wochen hinziehen kann – und dadurch könnten diese Führungswechsel deutlicher sichtbar werden.

    Auch Gerichte reden ein Wörtchen mit

    Darüber hinaus könnte es auch am Wahltag und in den Tagen danach zu juristischen Auseinandersetzungen über die Stimmenauszählung, lange Wartezeiten bei der persönlichen Stimmabgabe und anderen Problemen kommen, die die Ergebnisse noch weiter verzögern könnten.

    Redaktionen und Nachrichtenagenturen, darunter auch BuzzFeed News, bereiten sich seit Monaten auf all diese Szenarien vor. Sie alle werden eher vorsichtig formulieren, da die massenhafte Abstimmung per Briefwahl in diesem Jahr die Auszählung der Ergebnisse verlangsamen wird. Man sollte also nicht unbedingt damit rechnen, am 4. November aufzustehen und schon zu wissen, wer der nächste US-Präsident wird.

    Es besteht auch die durchaus reale Möglichkeit, dass Trump oder Biden in der Wahlnacht schon ihren Sieg verkünden, lange bevor das amtliche Endergebnis feststeht. Ein solches Szenario würde die USA – und auch die Medien – in eine noch nie dagewesene Situation versetzen. Darum können auch wir nicht sagen, was man in einem solchen Fall zu erwarten hätte.

    Die wichtigste Sache am 3. November ist also die: Geduld haben. Wenn am 4. November um 7 Uhr unserer Zeit die letzten Wahllkokale schließen, werden die Wähler die Wahl bereits entschieden haben. Wir müssen dann nur abwarten.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.