1. BuzzFeed
  2. Recherchen

Bundestag stimmt mit Ja: Homosexuelle Paare dürfen bald auch in Deutschland heiraten

KommentareDrucken

393 Abgeordnete stimmten dafür, 226 dagegen, vier enthielten sich.

Die Abgeordneten des Bundestages haben heute Vormittag für die Ehe für alle gestimmt. Überraschend viele Unionsabgeordnete haben mit Ja abgestimmt. SPD, Linke und Grüne hatten gemeinsam lediglich 320 Stimmen.

Angela Merkel stimmte dagegen.

“Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe für Mann und Frau und deshalb habe ich heute auch nicht zugestimmt", sagte Merkel nach der Abstimmung. "Es war eine lange, intensive und emotional berührende Diskussion. Das gilt auch für mich persönlich. Deshalb hoffe ich, dass mit der Abstimmung heute nicht nur der gegenseitige Respekt da ist, sondern dass damit auch ein Stück gesellschaftlicher Friede und Zusammenhalt geschaffen werden konnte.”

Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen waren sich in der Debatte einig in einer großen Koalition gegen die Abgeordneten der Union. Sie betonten Werte wie Gleichberechtigung und Toleranz sowie den gesellschaftlichen Wandel.

"Die Ehe für alle muss kommen, denn alles andere als Gleichberechtigung ist Diskriminierung", sagte Volker Beck in seiner letzten Rede im Bundestag.

Bei der kurzen Rede des Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder dominierten konservative Werte wie der Respekt vor dem traditionellen christlichen Ehebild.

Der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak, der sich seit Jahren für Rechte von Homosexuellen einsetzt, hielt einen Appell für die Ehe für alle. "Es wäre doch absurd, die Ehe dadurch schützen zu wollen, dass man Menschen davon ausschließt zu heiraten", sagt Luczak. "Wenn wir heute die Ehe für alle beschließen, dann setzen wir ein Stück konservative Politik um."

"Die Ehe ist die Grundlage für die Familie. Es ist eine Gemeinschaft von Mann und Frau, aus der auch die Kinder geboren werden", sagt Gerda Hasselfeldt von der CSU. Hasselfeldt appelierte, auch den Gegner der Ehe für alle zuzuhören.

Die mittlerweile fraktionslose Abgeordnete Erika Steinbach nannte in ihrer letzten Rede im Bundestag die Abstimmung eine Sturzgeburt und griff Angela Merkel für die Öffnung der Abstimmung an.

Schon bei der Annahme der Tagesordnung – und damit dem Ja zur Abstimmung – hatte es lauten Beifall gegeben.

Dem Gesetz muss nun noch der Bundesrat zustimmen. Dies wird wohl am 7. Juli geschehen. Die Zustimmung gilt als sicher, da einer der drei vorliegenden Gesetzesentwürfe vom Bundesrat eingereicht worden war. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird das Gesetz danach unterschreiben, spätestens drei Monate später wird es dann gültig. Homosexelle Paare werden also voraussichtlich noch in diesem Jahr in Deutschland heiraten können.

Dass über die Ehe für alle am letzten Tag vor der Sommerpause – und damit vor den Wahlen im September – noch im Parlament abgestimmt wurde, ist überraschend. Seit Jahren lagen drei Gesetzesentwürfe zur Abstimmung bereit: von den Grünen, den Linken und von den Bundesländern. Die Entwürfe von Grünen und Linken sowie des Bundesrates wurden zuvor 30 Mal im Rechtsausschuss blockiert, die SPD wollte nicht gegen ihren Koalitionspartner CDU/CSU abstimmen.

In einem Gespräch am Montagabend im Maxim Gorki Theater hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Thema Ehe für alle jedoch erstmals eine offenere Position angekündigt. Angeblich hatte sie eine Begegnung in ihrem Wahlkreis mit einem lesbischen Paar, das fünf Pflegekinder erzieht, zum Nachdenken angeregt.

“Deshalb möchte ich gerne die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht”, sagte Merkel. Das setzte eine Kettenreaktion in Gang.

In den vergangenen beiden Wochen hatten alle möglichen Koalitionspartner von CDU/CSU die Ehe für alle zur Bedingung für mögliche Koalitionsverhandlungen in der kommenden Legislatur gemacht. Möglicherweise ist so der überraschende Kurswechsel Angela Merkels zu erklären. 82,6 % der deutschen Bevölkerung sind ohnehin dafür, dass die Ehe für alle in Deutschland gesetzlich verankert wird.

Am Dienstagmorgen sagte Martin Schulz in einer Pressekonferenz, er werde dafür sorgen, dass eine Abstimmung über den Gesetzesentwurf stattfindet. Auch die SPD-Bundestagsfraktion äußert sich nun klar für die gleichgeschlechtliche Ehe.

Als Vater dieses Erfolges für die LGBT*-Gemeinschaft gilt Grünen-Politiker Volker Beck, der als Bundestagspolitiker seit vielen Jahren für die Gleichstellung kämpft. "Homosexuelle Menschen sind Menschen mit gleicher Würde und gleichen Rechten wie alle anderen auch. Es gibt keine Bürger erster und zweiter Klasse. Deshalb ist das schon ein historischer Schritt, was wir gerade vollziehen", sagte Volker Beck nach der erfolgreichen Abstimmung im Rechtsausschuss am Mittwoch.

"Wir Lesben und Schwulen haben in Deutschland eine Geschichte von Ausgrenzung, Diskriminierung und Kriminalisierung", sagte Beck. "Nach der Entkriminalisierung der Homosexualität 1994 kommt jetzt die zivilrechtliche Gleichstellung. Mich erfüllt das mit großer Freude."

Viele Unions-Mitglieder haben offenbar gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gestimmt, obwohl sie grundsätzlich nicht dagegen sind – aber das unabgesprochene Verfahren ihres SPD-Koalitionspartners missbilligen. Ausschussmitglied Michael Frieser, rechtspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, sagte gegenüber Buzzfeed News: "Die absolute Mehrheit der Union hält im Augenblick diese von der SPD aus rein wahltaktisch Gründen vorgetragene Eilbedüftigkeit für falsch."

Gleichzeitig warben Politiker innerhalb der Union in den vergangenen Tagen bei ihren Kollegen für ein Ja zur Ehe für alle. Auch weil sie auf solch eine Chance seit Jahren warten. BuzzFeed News veröffentlichte am Tag vor der Abstimmung einen Brief des CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann an eine Gruppe von Parlamentariern, die sich intern "Die Wilde 13" nennen. Kaufmann ermutigt darin seine rund 40 Kolleginnen und Kollegen "noch einmal aus ganzem Herzen, am Freitag für die Öffnung der Ehe zu stimmen".

"In den vergangenen Jahren hatten wir vielfach die Gelegenheit, über das Für und Wider in dieser für hunderttausende homosexuelle Menschen in unserem Land höchst bedeutsamen Frage zu streiten", schreibt Kaufmann an seine Mitstreiter der Wilden 13. "Aus meiner Sicht sind die Argumente in einer Vielzahl von Debatten erschöpfend ausgetauscht worden."

Kaufmann bat seine Kollegen, dem Druck der nun aus der Union gegen die Abstimmung ausgeübt wird, zu widerstehen – und spricht von "massenhaft eingehenden Protestmails".

"Wir haben gemeinsam einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, dass das Thema Gleichstellung und Öffnung der Ehe für homosexuelle Partnerschaften gegen teils heftigen Widerstand – auch aus den eigenen Reihen – mehr Akzeptanz innerhalb der CDU/CSU-Fraktion und in den Unions-Parteien erfahren hat", schreibt Kaufmann.

Dass Merkel die Diskussion am Montag mit ihren Bemerkungen geöffnet und beschleunigt hat, trifft die Union nicht völlig unvorbereitet. Merkel war klar, dass die Ehe für alle ein Wahlkampfthema werden würde. Die Führung von CDU und CSU hatten über ihre Position bereits intern ausführlich beraten, sagte eine Quelle aus dem inneren Zirkel der Kanzlerin gegenüber BuzzFeed News. Merkel war auch klar, dass es im Parlament eine klare Mehrheit für die Öffnung der Ehe gibt und dass eine Abstimmung mittelfristig unvermeidbar war. Trotzdem wollte Merkel eigentlich keine so schnelle Abstimmung, keine Abstimmung in dieser Woche.

Auch interessant

Kommentare