Experten: Keine psychologische Prüfung hätte das Germanwings-Unglück verhindern können

Fälle aus der Vergangenheit zeigen, dass nur sehr wenige Piloten ihr Flugzeug benutzen, um sich selbst und andere Menschen zu töten. Außerdem ist es schwierig, vorauszusagen, wer so etwas vorhat.

"Es ist nahezu unmöglich, Piloten daraufhin zu untersuchen, ob sie die Absicht haben, sich oder andere zu verletzen", erklärte ein Luftfahrtexperte, mit dem BuzzFeed News gesprochen hat.

Am Donnerstag berichtete ein französischer Ermittler, dass Andreas L. den Kapitän des abgestürzten Flugzeugs aus dem Cockpit ausgesperrt und den Sinkflug absichtlich herbeigeführt hatte. L. war der Kopilot des Germanwings Flugs 9525, der in den Alpen abgestürzt war. MIt ihm starben 149 weitere Menschen.

Amtliche Quellen berichteten, dass L. zum Zeitpunkt der Tat 28 Jahre alt gewesen wäre. Andere Quellen, so auch die New York Times, gaben den 18. Dezember 1987 als Geburtsdatum an. In diesem Fall wäre L. 27 Jahre alt gewesen.

Das Motiv für den absichtlich herbeigeführten Absturz der Maschine konnte bisher nicht ermittelt werden. Terrorismus als mögliches Motiv wurde von den Verantwortlichen ausgeschlossen. Der ermittelnde Staatsanwalt wollte jedoch auch nicht von einem Selbstmord sprechen.

Grundsätzlich sind Selbstmorde dieser Art unter Piloten sehr selten. Nicht nur deswegen ist es nahezu unmöglich, sie vorherzusagen und damit auch zu verhindern.

"Piloten sind auch Menschen und genau wie alle anderen Menschen in anderen Berufen auch nicht davor gefeit, Gefühle und Krankheiten zu entwickeln", erklärte der Autor, Pilot und Flugexperte Patrick Smith im Gespräch mit BuzzFeed News.

"Egal, wie oft wir jemanden überprüfen würden, ein solches Unglück könnten wir nie von vornherein verhindern."

Laut offiziellen Statistiken ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Pilot sein vollbesetztes Flugzeug mit Absicht zum Abstürzen bringt, äußerst gering.

Eine 2014 in den USA von der FAA veröffentlichte Studie untersucht die Selbstmorde unter amerikanischen Piloten in den Jahren 2003 bis 2012.

Die Studie geht davon aus, dass in dieser Zeit acht Piloten ihr eigenes Flugzeug genutzt haben, um Selbstmord zu begehen. In den zehn Jahren davor waren es 16 Piloten. Alle Piloten waren männlich, manche standen unter dem Einfluss von Drogen, Alkohol oder Antidepressiva.

Nur einer dieser Piloten beging seinen Selbstmord mit einer weiteren Person an Bord. Dieser Pilot flog seine Maschine absichtlich in das Haus seiner ehemaligen Schwiegermutter. Die andere Person an Bord war sein eigenes Kind.

Die Studie besagt aber auch, dass es trotz der Seltenheit solcher Taten nahezu unmöglich ist, Selbstmorde unter Piloten vorauszusagen. Alle Piloten aus der Studie wurden regelmäßig untersucht, und bei keinem gab es Anzeichen für Depressionen oder suizidale Gedanken. Gleichzeitig sagte die Studie aber auch, dass Piloten in der Ausbildung solche Informationen zurückhalten würden, auch aus Angst ihren Pilotenschein nicht zu bekommen

Die Studie besagt weiterhin, dass die meisten Piloten eine ganz spezielle Verbindung zu ihrem Flugzeug haben. Das sei auch einer der Gründe, warum das eigene Flugzeug für sie als Mittel in Frage kommen würde.

"Wenn extremer Stress herrscht, können Piloten mit einer Veranlagung zur Selbstverletzung dieses Verhalten beim Fliegen an den Tag legen", steht darin.

L. hatte sich während seiner Ausbildung ein paar Monate Auszeit genommen, sagte Carsten Spohr, der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa in einer Pressekonferenz am Donnerstag. Er fügte hinzu, keine Gründe für diese Pause nennen zu können. "Wir wissen nicht, warum er diese Pause gemacht hat", sagte Spohr und fügte hinzu, dass dies "nicht ungewöhnlich" bei Auszubildenden sei. "Nachdem er zurückkam, absolvierte er alle Tests mit Bravour", sagte Spohr.

Uta Dressel, eine Sprecherin der Lufthansa Flugausbildung, sagte: "Normalerweise ist es so, dass wir psychologische Hilfe anbieten, sobald wir bei der Ausbildung merken, dass es Probleme gibt. Das können ganz verschiedene Probleme sein. Wir reagieren, sobald der Auszubildende selbst sagt, dass er ein Problem hat oder Hilfe braucht. Ob diese Auszubildenden als Flugbegleiter arbeiten, eine Pause machen oder sich mit etwas anderem beschäftigen, entscheiden wir von Fall zu Fall."

Spohr sagte, dass L. während seiner Ausbildung auch psychologisch durchgecheckt wurde. Kapitän Mike Vivian, früher Chef des Flugbetriebs bei der UK Civil Aviation Authority, sagte der BBC, dass Jobkandidaten im Regelfall nach ihren familiären Beziehungen gefragt werden und ob sie depressiv seien oder Selbstmordgedanken hätten.

Spohr gab an, die Ergebnisse dieser Tests würden in die Bewertung von Kandidaten eingehen, doch dieses System hätte im Fall von L. versagt.

"Wir haben ein System bei der Lufthansa, bei der die Crew über ihre Probleme oder die Probleme anderer Crewmitglieder berichten kann, ohne dass es zu Strafen führt.", sagte er CNN. "Das ist hier nicht passiert. Also haben all die Sicherheitsnetze, auf die wir hier so stolz sind, versagt."

Glenn Winn, der beim Flugsicherheitsprogramm der Universität von Südkalifornien arbeitet, sagte BuzzFeed News, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Pilot mit Absicht eine Maschine zum Absturz bringt, liege bei "eins zu zehn Millionen", aber es gibt blinde Flecken. "Wir sind alles nur Menschen.", sagte er und fügte hinzu: "Das kann in jedem Bereich passieren und an jedem Ort der Welt."

Winn und Smith waren sich einig, dass es nur wenig gibt, was Fluglinien noch machen können, um sicherzugehen, dass Piloten nicht krank oder erschöpft sind und deswegen oder einem anderen Grund plötzlich aus der Spur geraten.

Winn sagte, dass gerade durch die extreme Nähe der Crew untereinander Piloten mit seelischen Problemen die besten Chancen hätten, dass ihr Umfeld diese bemerkt.

"Du kannst schnell sagen, ob jemand fürs Cockpit geeignet ist oder nicht.", sagte er. Smith sagte, dass die Prüfung auf geistige Gesundheit ein Standard für alle Piloten ist. Er sagte, dass er nicht sicher sei, ob es sinnvoll ist, diese Prüfungen noch strenger zu machen, weil Vorfälle, die die seelische Gesundheit betreffen, so unheimlich selten seien.

"Woran sollen wir das festmachen?", fragte er und fügt hinzu, dass es mehr Beispiele von Ärzten und Polizisten gibt, die Menschen umbringen, als Piloten.

Die Experten waren sich einig, dass es unwahrscheinlich ist, dass L. aus der Spur geriet, weil er überarbeitet oder erschöpft war. Germanwings ist eine Billigfluglinie und Piloten vergleichbarer Airlines haben auch berichtet, dass sie schon einmal überarbeitet und übermüdet waren.

Dass "der Job stressig sein kann", sei eine Tatsache, sagte Smith. Aber es gebe keinen Beweis, dass ausgerechnet das Arbeitspensum eines Piloten bei einer Billigfluglinie eine solche Tat herbeiführen könne.

Winn stimmte zu und betonte, dass L. am Tag des Absturzes keinen stressigen Arbeitstag gehabt hatte - die Gesamtflugzeit des Flugs hatte nur zwei Stunden betragen.

Einig waren sich die Experten darin, dass Ereignisse wie der Germanwings-Absturz Leute nicht vom Fliegen abhalten sollten. "Ich verstehe vollkommen, warum diese Geschichte so erschütternd ist und Leuten Angst macht.", sagte Smith, "aber ich kann nicht oft genug sagen, wie selten so ein Vorfall ist."

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