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Der DFB wirbt mit Toleranz, aber schweigt bisher zum Hass gegen Schwule und Lesben bei der WM in Russland

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In Russland tauchen „Schwuchteln verboten“ Schilder an öffentlichen Orten auf.

BuzzFeed.de © dfb.de / Via dfb.de

2011 unterzeichnete der DFB eine Charta der Vielfalt.

2013 veröffentlichte der Verband die Infobroschüre „Fußball und Homosexualität“. Darin steht, Diskriminierungen in Form von Beleidigungen, Benachteiligungen oder Ausgrenzung dürfen im Fußball keinen Platz haben, unabhängig von der sexuellen Identität.

2015 unterstützte der DFB die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld beim Bildungs- und Forschungsprojekt „Fußball für Vielfalt“.

2017 sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel, als der geoutete ehemalige Bundesligaspieler Thomas Hitzlsperger zum „Botschafter für Vielfalt“ ernannt wurde: „Wir wollen keinen Botschafter für das Schaufenster.“

Ende 2017 antworte der deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger Fritsch, in einem Interview: „Die deutschen Fußballfreunde werden in ein schönes, vielfältiges Land kommen und vor allem: Sie werden auf freundliche, hilfsbereite Menschen treffen“.

BuzzFeed.de © germania.diplo.de

Möglichkeiten, diese Vorsätze zu konkretisieren, bietet die kommende Woche beginnende Fußball-WM. In Russland ist Homosexualität streng rechtlich gesehen nicht strafbar. Doch seit das Gesetz gegen „Propaganda für nichttraditionelle sexuelle Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ 2013 in Kraft ist, nehmen Gewalt, Diskriminierung und staatliche Sanktionen gegen LGBT*s zu.

Der DFB hat sich bisher von sich aus nicht dazu geäußert. BuzzFeed News hat den Verband deshalb gefragt, wie er die Sicherheit von LGBT*s bewertet und ob Maßnahmen oder Hinweise geplant sind, um sie zu schützen. Der DFB äußerte sich auch auf mehrfache Anfrage per Telefon und Email von BuzzFeed News bislang nicht. Man könne für diese Presseanfrage keinen Ansprechpartner nennen, so eine Mitarbeiterin des DFB am Telefon. Auch der „Fan Club Nationalmannschaft“ nennt am Telefon keine Person, die sich für das Thema oder für die Pressearbeit im Allgemeinen zuständig fühlt.

Kurz vor Veröffentlichung dieses Textes und rund zwei Tage nach der ersten Anfrage, kündigte der DFB an, in der kommenden Woche noch einmal auf BuzzFeed News zuzukommen.

Englischer Fanclub warnt Fans

Anders hält es etwa des Auswärtigen Amt. Dort wird nun aus aktuellem Anlass informiert: Auch Ausländern drohe „bei Weitergabe von Informationen über bzw. öffentlicher Demonstration und Unterstützung von Homosexualität Geldbußen in Höhe von bis zu 100.000 Rubel (1360 Euro), bis zu 15 Tage Haft und die Ausweisung aus der Russischen Föderation.“

Und vor wenigen Tagen erst warnte der englische Fanclub Football Supporters Federation (FSF) seine Fans davor, sich während der WM als LGBT*s zu outen. Lesben, Schwule und Transgender erhalten vom Verein, der rund eine halbe Million Mitglieder hat, einen Leitfaden, in dem es heißt: „Es gibt keinen Grund, nicht zur WM zu kommen, wenn Sie LGBT sind. Es wird jedoch dringend empfohlen, dass Sie Ihre Sexualität nicht öffentlich zeigen.“

In Russland gab es in den vergangenen Tagen mehrere Fälle von massiver Homofeindlichkeit.

So ließ der Geschäftsmann einer Biobäckerei-Kette German Sterigow ein Schild an seiner Bäckerei aufhängen, auf dem „Schwuchteln nicht erlaubt“ steht. Das Schild ließ er eigens für die WM auf englisch in „Faggots are not allowed“ übersetzen, berichteten mehrere russische Nachrichtenmedien.

„Faggots not allowed“

Nach einer Analyse von BuzzFeed News tauchte das Bild zuerst in dem russischen sozialen Netzwerk vk.com auf. Das Schild hängt offenbar derzeit in einer Filiale in Rostow am Don, Austragungsort verschiedener WM-Spiele, etwa dem Spiel Schweiz gegen Brasilien. © BuzzFeed News / Via vk.com

German Sterligow ist für seine homofeindliche Einstellung bekannt. So wirbt er etwa in einem Beitrag auf seinem Facebook-Profil im April 2018 mit dem Slogan: „Natürliche Produkte nur für Hetero-Menschen.“ In seinen Läden in Rostow am Don sowie der Moskauer Innenstadt hängte er bereits vergangenes Jahr Schilder auf, mit denen er Schwulen den Zutritt verweigert. Auf den Holzschildern steht in kyrillischer Schrift „Kein Zutritt für Sodomiten“, in Russland eine häufige Beschimpfung gegen Schwule.

BuzzFeed.de © BuzzFeed News / Via donnews.ru

„Natürliche Produkte nur für Hetero-Menschen“

Zudem sollen kosakische Freiwilligentruppen zur Unterstützung der Polizei gegen Schwule eingesetzt werden. In einem Interview mit dem russischsprachigen Sender Current Time TV erklärte das Mitglied der freiwilligen Kosakenmiliz Oleg Barannikov: „Wenn zwei Männer bei der WM küssen, werden wir die Polizei bitten, auf sie zu achten. Was was als Nächstes passiert, liegt an der Polizei.“ Man bereite sich mit rund 300 Männern darauf vor, bei WM-Spielen zu patrouillieren, um „traditionelle Werte“ beizubehalten.

Und die britische Zeitung Express berichtete, dass Fans von „Pride in Football“, einer Organisation, die sich für LGBT-Fans einsetzt, von russischen Hooligans bedroht wurden – man wolle LGBTs erstechen.

Keine Protestaktionen geplant

Gegenproteste sind von LGBT*-Aktivisten in Russland bislang nicht geplant – ein Ergebnis der erfolglosen Aktionen bei den Winterspielen in Sochi 2014. Seitdem hat sich die Situation für LGBT*s in Russland weiter verschärft. 2017 enthüllte ein Bericht der Zeitung Nowaja Gazeta „Schwulen-Säuberungen“ in Tschetschenien. Dutzende Männer wurden entführt, gefoltert und getötet. Bis heute wurde weder jemand verurteilt, noch gibt es laufende Ermittlungen in der Sache – auch, weil der internationale Druck ausblieb.

LGBT*-Organisationen nennen gegenüber BuzzFeed News erneute Proteste „sinnlos und Ressourcenverschwendung“. „Proteste sind in Russland nicht so effektiv, besonders im Vorfeld solcher großen öffentlichen Veranstaltungen. Sie würden schnell und hart niedergeschlagen“, sagte Polina Andrianova. Sie ist Teil einer Coming-Out-Organisation in St. Petersburg und wurde 2014 festgenommen als sie vor einem Wahrzeichen von St. Petersburg mit einer LGBT*-Fahne für ein Foto posierte.

Alexandr Agapov vom Russischen LGBT-Sportverband kritisiert zudem, dass sich die öffentliche Diskussion hauptsächlich auf angereiste Fans konzentriere.

Die Situation von schwulen, lesbischen und bisexuellen Russen werde hingegen ignoriert, so Agapov. Deshalb plant seine Gruppe nun statt Straßenprotesten wie in Sotchi ein „Football for All“ -Festival in russischen Städten, bei dem schwule geoutete Profifußballer mitwirken sollen.

Dafür ist Agapov auch mit Thomas Hitzlsperger im Gespräch, den er bereits Mitte Mai zum Gespräch traf.

Er sei besorgt, so Agapov gegenüber BuzzFeed News, dass viele LGBT*-Fußballfans nicht planten, zu den Spielen zu gehen. Die mangelnde Sichtbarkeit von LGBT* stütze die homofeindliche Debatte in Russland. „Das passt zu der Propagandabotschaft, LGBT-Personen seien eine westliche Erfindung“, sagt der Aktivist.

Unterstützung für russische LGBTs und Sichtbarkeit in Russland gibt es indes aus dem Ausland, auch aus Deutschland. In mehreren Städten sind für diesen Sonntag vom Netzwerk der Queeren Fußball Fanclubs Proteste unter dem Stichwort #ToRussiaWithLove angekündigt. Und die Iren trugen beim Freundschaftsspiel mit den USA Regenbogennummern auf dem Rücken. Ob das eine Reaktion auf die WM in Russland sein sollte, ließen sie offen.

„Das ist ein Statement.“

UPDATE:

14.06.2018, 14:56

Nach dreimaliger Nachfrage per Email und zwei Nachfragen per Telefon antwortete die Pressestelle des DFB am 13. Juli 2018 auf unsere Anfrage: „Vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir aber lediglich generell beantworten können. Bitte haben Sie dafür Verständnis.“

Folgende Fragen hatten wir an den DFB für eine Stellungnahme geschickt:

1. Wie bewerten Sie die Sicherheit deutscher schwuler, lesbischer und transgender Fußballfans in Russland?

2. Sind Ihnen weitere Fälle von Diskriminierung oder Übergriffe gegen schwule oder lesbische Fußballfans im Zuge der WM aus Russland bekannt? Wenn ja, welche?

3. Raten Sie deutschen schwulen, lesbischen und transgender Fußballfans, die zur WM nach Russland reisen, sich vorsichtig zu verhalten? Wenn ja, zu welchen Vorsichtsmaßnahmen raten sie? Wenn nein, warum nicht?

4. Der DFB setzt sich für Vielfalt im Ballsport ein. Welche Maßnahmen hat der DFB ergriffen, um Vielfalt rund um die Weltmeisterschaft in Russland sichtbar zu machen und zu fördern?

Auf keine dieser Fragen hat BuzzFeed News eine konkrete Antwort erhalten. Stattdessen heißt es in der Nachricht der Pressestelle, das Eintreten für einen Fußball, der „weitgehend möglich ohne Diskriminierungen jedweder Art gespielt wird“, sei „statuarisch in Artikel 4 der DFB-Satzung festgehalten.“

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