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So kamen Mohamed und seine Familie aus Syrien in mein Leben

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Als Bomben in Syrien fallen, nimmt Mohamed seine Frau Roqa und seine beiden kleinen Töchter Rushin und Reema und flieht. 2 Jahre und 3.414 Kilometer später treffe ich sie vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin und ich beschließe, ihnen zu helfen.

"Du bist Prinzessin Anna und ich Königin Elsa", sagt mir Reema.

"Ich bin viel älter, ich müsste doch die Königin sein", antworte ich.

"Aber Du heisst Anna. Das passt besser", sagt sie und lacht

Es geht um den Disneyfilm "Frozen". Wir hatten ihn ein paar Stunden zuvor gesehen, arabisch mit englischen Untertiteln. In meiner Küche in Berlin-Friedrichshain sitzen Mohamed, seine Frau Roqa und die Töchter der beiden: Rushin und Reema. Mohamed und Roqa erzählen mir, wie sie aus der syrischen Stadt Aleppo flohen und es bis nach Berlin schafften.

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Die älteste Tochter Rushin nickt manchmal zustimmend. Sie ist acht Jahre alt und schläft nachts nicht gut. Sie habe regelmäßig Albträume, berichten ihre Eltern. Sie zeigen mir ein offiziell wirkendes Papier, das ihre Aussage bestätigt. Sie haben es in einem Flüchtlingscamp der Vereinten Nationen von einer Ärztin erhalten. Das war in Erbil, einer Stadt im kurdischen Teil Nordiraks. Im März 2013 floh die Familie aus Aleppo, seitdem waren die Kinder nur noch selten in der Schule.

"Es ist besser, auf dem Meer zu sterben als durch Bomben."

Ich treffe die Familie an einem Freitag im Berliner Stadtteil Wedding. Es hat mehr als 35 Grad, die Sonne scheint unerbittlich und vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) gibt es wenig Schatten. Gemeinsam mit Mohamed, Roqa, Rushin und Reema warten an diesem Freitag etwa 500 weitere Menschen darauf, in Berlin als Flüchtlinge registriert zu werden. Sie stehen Schlange, um eine Nummer ziehen zu können. An einem Ort in Deutschland, wo es heute für sie kein Wasser und nur wenig Essen gibt.

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Ich war mit meinem Freund einkaufen im Supermarkt: Windeln, Wasser, Kekse. Wir folgten dem Aufruf der Organisation "Moabit Hilft"; sie machte in sozialen Medien auf die Menschen vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales aufmerksam. Dort fällt mir Mohamed auf, während wir unsere Einkäufe unter den Wartenden verteilen. Mohamed läuft aufgebracht umher. Er ist rot im Gesicht und am Arm. Als ich ihn anspreche, zeigt er auf die Polizisten, die vorbeilaufen und macht eine Bewegung, als würde er eine Sprayflasche bedienen. Es gab eine Auseinandersetzung zwischen Sicherheitsleuten und den wartenden Menschen. Die Polizei wurde gerufen und hat mit Pfefferspray versucht, die Situation zu beruhigen. Mohamed hat etwas abbekommen. Er zeigt auf seine Tochter: "Sie auch." Rushin reibt sich die Augen und weint tonlos.

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"Ich dachte, in Europa sei es anders. Aber auch hier will man uns nicht."

Ich kann mich mit Mohamed nicht verständigen; ich spreche kein Arabisch, er kein Englisch. Eine Freundin von mir, die auch zum LaGeSo gekommen ist, spricht Arabisch. Sie hilft uns. Mohamed erzählt, dass seine Frau zusehen musste, wie ihre Eltern ermordet wurden. Ich merke, wie schwer es ihnen fällt, davon zu erzählen, also frage ich nicht weiter nach.

Mohamed berichtet von den Bomben, die in der Nacht auf Aleppo fielen. Wie seine Familie entschied, zu fliehen. "Es ist besser, auf dem Meer zu sterben, als durch Bomben.", sagt Mohamed. Tränen ersticken seine Stimme, als er die Fahrt im Schlauchboot vom türkischen Izmir bis nach Griechenland beschreibt, "Zwei Stunden geradeaus, dann rechts abbiegen nach Griechenland", haben sie uns gesagt."

Im Boot vor ihnen ging irgendwann auf dem Meer der Motor aus

In ihrem Boot saßen 30 Erwachsene und 10 Kinder. Sie hatten Glück, sie kamen ans Ufer. Im Boot vor ihnen ging irgendwann auf dem Meer der Motor aus. Was aus den Menschen darauf wurde, wissen Mohamed und seine Familie nicht. In Griechenland ließ eine niederländische Familie Mohamed, Roqa, Rushin und Reema in ihrem Ferienhaus wohnen. Von Griechenland ging es nach Mazedonien und vor dort aus nach Belgrad. Dort machte sich die Familie samt der kleinen Mädchen auf einen über 300 Kilometer langen Fußmarsch an die ungarische Grenze. "Dort mussten wir mit anderen Flüchtlingen drei Stunden im Kreis sitzen", sagt er. Die serbischen Grenzpolizisten hätten sich direkt neben den Sitzenden erleichtert.

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Ich kämpfe mit den Tränen, als Rushin plötzlich ihren Vater unterbricht. "Ich dachte, in Europa ist es anders", sagt sie. "Auch hier will man uns nicht. Auch hier wollen sie uns verbrennen." Jetzt weinen auch ihre Eltern. Ich flehe die Familie an, wenigstens an diesem Abend zu mir zu kommen. Sie haben Angst, ihre Registrierung zu verpassen. Ich versichere ihnen, dass das Landesamt für Gesundheit und Soziales am Wochenende schließt und, dass ich sie am Montag hierher zurückbringe. Plötzlich ziehen dunkle Wolken auf, es wird windig. Mohamed schaut seine Frau an.

Kurze Zeit später sitzen wir im Auto und fahren von Moabit nach Friedrichshain: Kanzleramt, Friedrichstraße – eine Sightseeingtour durch eine Stadt, die sie nicht willkommen heißt. Sie sind müde. Die Kinder schlafen, Mohamed und Roqa schauen aus dem Fenster und sprechen leise miteinander. Sie kennen sich seit 14 Jahren, werden sie mir noch erzählen.

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In meiner Wohnung gebe ich ihnen Handtücher, beziehe Betten. Sie duschen. Ich rufe meine Mutter an und berichte ihr von meinen Gästen. Wir erinnern uns an unsere Flucht aus Ruanda. Das war im Juni vor 21 Jahren. Auf dem Weg nach Uganda nahm uns damals ein Mann auf, ließ uns schlafen und duschen. Wir fühlten uns nach Tagen erstmals wieder wie Menschen. Ich war fünf Jahre alt und erinnere mich bis heute, wie erleichtert meine Mutter war. Sie lächelte. Ich hatte ihr Lächeln nicht mehr gesehen, seit sie meinen Vater ermordet hatten. Ich weine mit meiner Mutter am Telefon.

"Wir sind hierher gekommen, weil wir mit unseren Töchtern in Frieden leben wollten."

Während meine Gäste duschen, gehe ich mit meinem Freund an diesem Tag ein zweites Mal einkaufen. Wir laufen still nebeneinander. Ich denke, eine Familie die eine solche Flucht hinter sich hat, kann nichts mehr auseinanderbringen. Mohamed und Roqa sagen mir später: "Wir sind hierher gekommen, weil wir mit unseren Töchtern in Frieden leben wollten: Kein Krieg und Kinder, die in die Schule gehen dürfen oder auf der Straße spielen können." Für christliche Kurden aus Syrien ist das keine Selbstverständlichkeit.

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Auf Facebook frage ich: "Hat jemand Kleidung für Kinder und zwei Erwachsene." Die Resonanz ist überwältigend und eine Frau bringt uns eine große Reisetasche mit Kleidern, Buntstiften, Schuhen und Spielzeug. Roqa weint, als sie die Tasche sieht und die Mädchen führen uns später ihre neuen Kleider vor. Als ich der Frau später ein Bild schicke, sagt sie: "Ich habe noch mehr, wenn ihr was braucht."

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Am Samstag sitzen wir zusammen, essen Omelett und trinken Tee. Die Mädchen versuchen mir, Arabisch und Kurdisch beizubringen. Reema strahlt mich mit ihren großen grünen Augen an, wenn ich ein Wort richtig ausspreche. Wir lachen, wenn Rushin und Reema Grimassen schneiden. Roqa wird mir noch erzählen, dass die siebenjährige Reema in der Türkei am Kopf operiert wurde. Aus Aleppo hat sie eine Verletzung mitgebracht. Die Bombe schlug in der Nacht ein, die Familie hatte in Küche und Badezimmer Schutz gesucht. Reema knallte bei der Detonation mit dem Kopf gegen das Waschbecken. Seit der Operation macht ihr linkes Auge Probleme.

"Wenn Du Prinzessin Anna sein willst musst Du blaue Fingernägel haben. Königin Elsa hat rote Fingernägel", klärt mich Reema auf. Wir sitzen auf der Couch und warten darauf, dass unsere Fingernägel trocknen. Im Fernseher läuft der Disneyfilm "Frozen". Die beiden singen und ich kämpfe wieder mit den Tränen; Rushin sagt ab und zu: "I love you". Ich sei jetzt ihre große Schwester und müsse ihr versprechen, sie nie zu vergessen.

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Sonntag. Wir sitzen wieder in meiner Küche. Mohamed und Roqa fragen mich, warum ich meinen Freund noch nicht geheiratet habe. "Seit wann seid ihr verheiratet?" frage ich. Mohamed stockt und sagt: "Seit neun Jahren." Roqa schaut ihn tadelnd an und korrigiert ihn: "Es sind zehn Jahre."

Wir lachen.

Eine Woche später besuche ich sie in der Flüchtlingsunterkunft im Berliner Stadtteil Karlshorst. Es geht ihnen gut, aber sie sind angespannt. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales hat sie hier vorübergehend untergebracht. Wie es mit ihnen weiter geht, wissen sie nicht.

"Sie dürfen hier nicht rein", sagt mir ein Sicherheitsmann. Es seien gerade neue Flüchtlinge aufgenommen worden. Mohamed und Roga kommen raus. Sie zeigen uns von außen ihr Zimmer im fünften Stock. Das Gebäude ist ein großer, grauer Betonklotz. Die Kinder spielen. Ein Auto hält neben uns, eine Berliner Familie steigt aus und schenkt uns eine Tüte voller Kuscheltiere.

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17 Tage in Deutschland: Mohamed, Roqa, Rushin und Reema leben in einem Hostel in Neukölln. Aus der Notunterkunft in Karlshorst mussten sie raus, weil neue Flüchtlinge kamen. Ich habe acht Hotels und Hostels in Berlin angerufen, bevor eines sich bereit erklärt hat, die Familie aufzunehmen. Das Ibis Hotel in Neukölln teilte mir mit, sie nähmen grundsätzlich keine Flüchtlinge auf.

In dem Hostel wohnt die Familie aus Syrien in einem kleinem Apartment. Hier können sie Wäsche waschen, im Hof aufhängen und in einer kleinen Küche kochen. Unter ihnen wohnt eine weitere Familie aus Syrien. Reema und Rushin springen im Hof herum. "Warum hast Du keine blauen Fingernägel mehr?" fragt Reema.

Als wir uns eine halbe Stunde später auf die Ledercouch in der Rezeption setzen, sagt Reema: "Die Couch erinnert mich an an das Schlauchboot, mit dem wir nach Griechenland kamen." Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

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